Urteil des BPatG vom 26.01.2010

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BPatG 152
08.05
BUNDESPATENTGERICHT
14 W (pat) 12/07
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(Aktenzeichen)
B E S C H L U S S
In der Beschwerdesache
betreffend die Anmeldung eines ergänzenden Schutzzertifikats
für Arzneimittel 12 2005 000 052.3
hat der 14. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts in
der Sitzung vom 26. Januar 2010 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters
Dr. Schröder, des Richters Harrer, der Richterin Dr. Proksch-Ledig und des
Richters Dr. Gerster
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beschlossen:
Auf die Beschwerde der Anmelderin wird der angefochtene
Beschluss der Patentabteilung 1.43 des Deutschen Patent- und
Markenamts vom 5. Februar 2007 aufgehoben.
Auf die am 4. November 2005 eingegangene Anmeldung wird ein
ergänzendes Arzneimittelschutzzertifikat für
„Yttrium-90 Glasmikrokugeln“
mit einer Laufzeit vom 8. November 2005 bis 7. November 2010
erteilt.
G r ü n d e
I.
Die Anmelderin und Beschwerdeführerin ist Inhaberin des am 7. November 1985
angemeldeten, u. a. mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik
Deutschland erteilten, europäischen Patents EP 0 201 601 (Grundpatent), das
vom Deutschen Patent- und Markenamt unter der Nummer DE 35 86 129 geführt
wird. Das Grundpatent trägt die Bezeichnung „Glass Microspheres“ und umfasst
17 Patentansprüche.
Am 4. November 2005 (zu diesem Zeitpunkt war das durch Zeitablauf am
7. November 2005 erloschene Patent noch in Kraft) hat die Anmelderin den Antrag
gestellt, ihr ein ergänzendes Schutzzertifikat für das Erzeugnis „Yttrium-90 Glas-
mikrokugeln“ zu erteilen.
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Der Antrag bezieht sich auf die Genehmigungen für das Inverkehrbringen des
Erzeugnisses „TheraSphere ® Yttrium-90 Glass Microsphere“ in Deutschland. Bei
diesen Genehmigungen handelt es sich um die für die Europäische Gemeinschaft
durch BSI Product Services, United Kingdom erteilten EC-Certificates CE 500 749
und CE 501 532 vom 4. November 2005 (Zulassungen/Genehmigungen auf Basis
der Richtlinie 90/385/ECC).
Den Antrag der Anmelderin vom 4. November 2005 hat die Patentabteilung 1.43
des Deutschen Patent- und Markenamts mit Beschluss vom 5. Februar 2007, nie-
dergelegt am 23. März 2007, zurückgewiesen, da keine gültige Genehmigung für
das Inverkehrbringen eines Arzneimittels i. S. des Art. 2 bzw. Art. 3 b) der VO
1768/92 vorliege. Bei den vorgelegten Dokumenten handle es sich um Genehmi-
gungen nach der Richtlinie 90/385/EWG für das Inverkehrbringen eines aktiv
implantierbaren medizinischen Erzeugnisses. Die VO (EWG) 1768/92 gelte aber
nur für Arzneimittel. Damit habe der Gesetzgeber nur Arzneimittel und keine Medi-
zinprodukte als Grundlage für ergänzende Schutzzertifikate zugelassen.
Hiergegen richtet sich die am 25. April 2007 eingegangene Beschwerde der
Anmelderin mit dem Antrag,
den Beschluss des Deutschen Patent- und Markenamts vom
5. Februar 2007 aufzuheben und ein ergänzendes Schutzzertifikat
für das Erzeugnis „Yttrium-90 Glasmikrokugeln“ auf der Basis des
Grundpatents EP 0 201 601 B1 und der Zulassungen CE 500 749
und CE 501 532 zu erteilen.
Sie macht im Wesentlichen geltend, bei dem das radioaktive Isotop enthaltenden
Erzeugnis „Yttrium-90 Glasmikrokugeln“ handle es sich um ein radioaktives Arz-
neimittel i. S. der Richtlinie 2001/83/EG Art. 1 Nr. 6. Für dieses Erzeugnis lägen
die Genehmigungen (EG Zertifikate) CE 500 749 und CE 501 532 vor. Nachdem
die Glasmikrokugeln Bestandteil eines aktiven implantierbaren medizinischen
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Gerätes darstellten, müssten diese per Gesetz nach dem Verfahren der Richtlinie
90/385/EWG zugelassen werden. Die darauf beruhenden Zertifikate beinhalteten
neben der Zulassung für das medizinische Gerät aber auch eine Zulassung für
den Wirkstoff. Da die Prüfung der Sicherheit, der Qualität und des Nutzens des
Wirkstoffs entsprechend den geeigneten Verfahren der Richtlinie 75/318/EWG
(jetzt 2001/83/EG) dieselben klinischen Versuche erfordere wie die Richtlinie
65/65/EWG, die in derselben Richtlinie 2001/83/EG aufgegangen sei, entsprächen
diese Zulassungen (CE) nämlich einer gemäß der VO (EWG) 1768/92 geforderten
Zulassung gemäß Richtlinie 65/65/EWG. In diesem Sinne hätten bereits die nie-
derländische Behörde und das niederländische Gericht entschieden, nämlich,
dass die vorliegenden CE-Genehmigungen einer Genehmigung nach Richtlinie
65/65/EWG entspreche, und ein ergänzendes Schutzzertifikat auf Basis dieser
Genehmigungen erteilt.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen.
II.
1.
Die Beschwerde ist gem. Art. 18 VO (EG) 469/2009 (vormals Art. 17 VO
(EWG) 1768/92) i. V. m. § 16a Abs. 2 PatG und § 73 PatG statthaft und mit recht-
zeitig eingegangener Beschwerdegebühr eingelegt und auch ansonsten zulässig.
2.
Die Beschwerde hat auch Erfolg. Sie führt unter Aufhebung des angefochte-
nen Beschlusses zur Erteilung des ergänzenden Schutzzertifikats für das bean-
tragte Erzeugnis „Yttrium-90 Glasmikrokugeln“.
2.1.
469/2009, durch die die VO (EWG) 1768/92 aufgehoben wurde.
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Danach wird ein ergänzendes Schutzzertifikat erteilt, wenn in dem Mitgliedstaat, in
dem die Anmeldung nach Art. 7 eingereicht wird, zum Zeitpunkt dieser Anmeldung
a)
das Erzeugnis durch ein in Kraft befindliches Grundpatent geschützt ist;
b)
für das Erzeugnis als Arzneimittel eine gültige Genehmigung für das
Inverkehrbringen gemäß der Richtlinie 2001/83/EG bzw. der Richtlinie
2001/82/EG erteilt wurde;
c)
für das Erzeugnis nicht bereits ein Zertifikat erteilt wurde;
d)
die unter Buchstabe b) erwähnte Genehmigung die erste Genehmigung für
das Inverkehrbringen dieses Erzeugnisses als Arzneimittel ist.
2.2.
gen der lit. a), c) und d) liegen vor.
„Yttrium-90 Glasmikrokugeln“ sind durch das am Anmeldetag noch in Kraft befind-
liche Grundpatent geschützt. Hierfür ist auch noch kein Zertifikat erteilt worden
und die in Rede stehenden Genehmigungen sind die ersten für das Inverkehrbrin-
gen dieses Erzeugnisses als Arzneimittel.
2.3.
tes, die im Zertifikat-Anmeldestaat eine Zulassung für die Verwendung als Arznei-
mittel darstellen, dieser Bedingung genügen.
Gemäß Art. 1 lit. b) der VO (EG) 469/2009 wird Erzeugnis als der Wirkstoff oder
die Wirkstoffzusammensetzung eines Arzneimittels definiert. Der Begriff Wirkstoff
ist in der Verordnung nicht definiert. Nach der Entscheidung des EuGH vom
4. Mai 2006 (C-431 - Wirkstoffzusammensetzung) ist mangels einer Definition des
Begriffs „Wirkstoff“ die Bedeutung und die Tragweite dieses Begriffs unter Berück-
sichtigung des allgemeinen Zusammenhangs, in dem er verwendet wird, und ent-
sprechend dem Sinn, den er nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch hat, zu
bestimmen. Das Arzneimittel wird in Art. 1 a) VO als ein Stoff oder eine Stoffzu-
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sammensetzung definiert, der (die) als Mittel zur Heilung oder zur Verhütung
menschlicher Krankheiten bezeichnet wird (werden).
Das im Antrag auf Erteilung eines Zertifikats beanspruchte Erzeugnis „Yttrium-90
Glasmikrokugeln“ besteht ausschließlich aus Glas, das Yttrium-90 als aktive Kom-
ponente enthält. Somit verkörpern die Glasmikrokugeln - nachdem sie das radio-
aktive Yttrium-90 als integralen Bestandteil enthalten - nicht nur den Wirkstoff
selbst, sondern, weil sie als solche bereits in gebrauchsfertiger Form vorliegen,
gleichzeitig auch das Arzneimittel (vgl. dazu auch Richtlinie 2001/83/EG Art. 1
Nr. 6 in der durch die Richtlinie 2004/27/EG geänderten Fassung). Die Zweckbe-
stimmung dieses Arzneimittels liegt darin, Krebsgewebe und Tumor-tragende
Gewebe unmittelbar durch Bestrahlung zu behandeln, weshalb diese Mikroglas-
kugeln über parenterale Verabreichung zu ihrem vorbestimmten Wirkort verbracht
werden, wo sie sodann auch verbleiben. Damit aber stellen diese Mikrokugeln
zugleich auch ein aktives implantierbares medizinisches Gerät dar (vgl. Richtlinie
90/385/EWG Art. 1 (2) c)).
Dass für das Inverkehrbringen dieses Arzneimittels keine im Anmeldestaat gemäß
Richtlinie 65/65/EWG (bzw. jetzt Richtlinie 2001/83/EG) erteilte Genehmigung vor-
liegt, ist vorliegend unschädlich. Für das Inverkehrbringen des Arzneimittels als
Bestandteil des medizinischen Geräts genügen in diesem Fall die im Vereinigten
Königreich erteilten europäischen EC - Genehmigungen.
Entgegen der Auffassung der Patentabteilung ist nämlich davon auszugehen,
dass die auf der Grundlage der Richtlinie 90/385/EWG erteilten europäischen so
genannten EC - Certificates CE No. 500 749 und CE No. 501 532 für das aktiv
implantierbare medizinische Gerät als Genehmigungen im Sinne des Art. 3 b) VO
(EG) 469/2009 gemäß der Richtlinie 2001/83/EG (65/65/EWG) erteilte anzusehen
sind. Diese CE-Zulassungen sind im vorliegenden Fall daher einer gültigen
Genehmigung für das Inverkehrbringen gemäß der Richtlinie 2001/83/EG gleich
zu stellen.
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Dieses folgt aus Art. 1 Abs. 4 der Richtlinie 90/385/EWG (geändert durch die
Richtlinie 93/42/EWG), der bestimmt:
„Gehört zu den Bestandteilen eines aktiv implantierbaren medizi-
nischen Gerätes ein Stoff, der bei gesonderter Verwendung als
Arzneimittel im Sinne von Art. 1 der Richtlinie 65/65/EWG ange-
sehen werden kann, so muss dieses Gerät entsprechend der vor-
liegenden Richtlinie bewertet und zugelassen sein“.
Auch nach Art. 1 Abs. 4 der die Richtlinie 90/385/EWG abändernden Richtlinie
93/42/EWG über Medizinprodukte, der im Wesentlichen Art. 1 Abs. 4 der Richtlinie
90/385/EWG entspricht, ergibt sich, dass beide Richtlinien auf derselben Lehre
beruhen, siehe dort 7.4 des Anhangs I.
Nach Art. 1 Nr. 6 der Richtlinie 2001/83/EG ist ein „radioaktives Arzneimittel“ fer-
ner jedes Arzneimittel, das in gebrauchsfertiger Form ein oder mehrere für medizi-
nische Zwecke aufgenommene Radionuklide (radioaktive Isotope) enthält.
Diesen
Definitionen
folgend
verkörpert
hier
das
medizinische
Gerät
„TheraSphere® Yttrium-90 Glass Microsphere“ somit zugleich auch das radioak-
tive Arzneimittel „Yttrium-90 Glasmikrokugeln“ im Sinne Art. 1 Nr. 6 der Richtlinie
2001/83/EG, das bei gesonderter Verwendung als Arzneimittel im Sinne von Art. 1
der Richtlinie 65/65/EWG bzw. 2001/83/EG anzusehen ist.
Das von den vorliegenden CE-Genehmigungen erfasste radioaktive Arzneimittel
„Yttrium-90 Glasmikrokugeln“ konnte daher nur als aktiv implantierbares medizini-
sches Gerät gemäß Richtlinie 90/385/EWG zugelassen werden.
Dass mit dieser Zulassung sodann auch der zu den Bestandteilen des aktiven
implantierbaren medizinischen Gerätes gehörende Stoff, der bei gesonderter Ver-
wendung als Arzneimittel im Sinne von Art. 1 der Richtlinie 65/65/EWG angesehen
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werden kann, erfasst ist, erweist sich auch daran, dass die Richtlinie 93/42/EWG
neben der Bestimmung in Art. 7.4 des Anhangs I in ihrer Einleitung erwähnt, dass
„in diesem Zusammenhang die Prüfungen auf Sicherheit, Qualität und Eignung
der Stoffe analog durch Anwendung der geeigneten Verfahren gemäß Richtlinie
75/318/EWG (die wie die Richtlinie 65/65/EWG von der Richtlinie 2001/83/EG
abgelöst wurde) über die analytischen, toxikologisch-pharmakologischen und ärzt-
lichen oder klinischen Vorschriften und Nachweise über Versuche mit Arzneimit-
teln erfolgen“.
Dabei ist zu bedenken, dass es sich bei der Entwicklung von neuen Behandlungs-
methoden der Heilbehandlung, z. B. von Tumoren, unter dem Einsatz radioaktiver
Arzneimittel um ein relativ neues Forschungsgebiet handelt, so dass zum Zeit-
punkt des Inkrafttretens der VO (EWG) 1768/92 im Jahr 1993 radioaktive Arznei-
mittel noch keine Rolle gespielt haben und daher auch nicht in Betracht gezogen
wurden. Dies lässt sich auch daran ablesen, dass die Richtlinie 65/65/EWG im
Gegensatz zur Richtlinie 2001/83/EG radioaktive Arzneimittel noch nicht erwähnt.
Diese Beurteilung steht insbesondere im Einklang mit der die Richtlinie
2001/83/EG abändernden Richtlinie 2004/27/EG, bei der in den Erwägungsgrün-
den (7) ausgeführt wird: „Insbesondere aufgrund des wissenschaftlichen und tech-
nischen Fortschritts sollen die Begriffsbestimmungen und der Anwendungsbereich
der Richtlinie 2001/83/EG geklärt werden, damit hohe Standards bei der Qualität,
Sicherheit und Wirksamkeit von Humanarzneimittel erreicht werden. Damit zum
einen das Entstehen neuer Therapien und zum andern die steigende Zahl von
sogenannten „Grenzprodukten“ zwischen dem Arzneimittelbereich und anderen
Bereichen Berücksichtigung finden, sollte die Begriffsbestimmung des Arzneimit-
tels geändert werden, um zu vermeiden, dass Zweifel an den anzuwendenden
Rechtsvorschriften auftreten, wenn ein Produkt, das vollständig von der Definition
des Arzneimittels erfasst wird, möglicherweise auch unter die Definition anderer
regulierter Produkte fällt. Diese Definition sollte die Art der Wirkung, die das Arz-
neimittel auf die physiologischen Funktionen haben kann, spezifizieren. Diese Auf-
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zählung der Wirkungen ermöglicht auch, Arzneimittel wie Gentherapie, Radiophar-
maka sowie bestimmte Arzneimittel zur lokalen Verwendung abzudecken“.
Unter all diesen Gesichtspunkten und der gemeinsamen Doktrin von Richtlinie
93/42/EG und Richtlinie 90/385/EG hat auch das niederländische Gericht (Recht-
bank `s-Gravenhage / District court of the Hague vom 3. Juni 2004, Reg.
No. AWB 02/1915 OCT) eine Analogie einer auf Basis der Richtlinie 90/385/EWG
erteilten Genehmigung mit einer gemäß Richtlinie 65/65/EWG für das Inverkehr-
bringen als Arzneimittel erteilten Genehmigung für gerechtfertigt gehalten und
bejaht.
Die nach Richtlinie 93/42/EWG bzw. 90/385/EWG erteilten Genehmigungen
CE 500749 und CE 501532 sind somit als analog zu den nach Richtlinie
65/65/EWG (mittlerweile ersetzt durch 2001/83/EG in der Fassung der Richtlinie
2004/27/EG) erteilten Genehmigungen zu betrachten.
Damit ist auch die auf Art. 2 VO (EWG) 1768/92 gestützte Schlussfolgerung der
Patentabteilung, es handle sich hier um Medizinprodukte, die als Grundlage für
ergänzende Schutzzertifikate vom Gesetzgeber nicht zugelassen seien, nicht halt-
bar.
3.
Die Laufzeitberechnung beruht auf Art. 13 Abs. 2 VO (EG) 469/2009.
Schröder
Harrer
Proksch-Ledig
Gerster
Fa