Urteil des BPatG vom 11.12.2007

BPatG (genehmigung, ewg, richtlinie, behandlung, stand der technik, verwendung, bundesrepublik deutschland, medizinische indikation, patentanspruch, arzneimittel)

BUNDESPATENTGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
3 Ni 59/05 (EU) führend
verbunden mit
3 Ni 20/07 (EU),
3 Ni 34/07 und
3 Ni 54/07
(Aktenzeichen)
URTEIL
Verkündet am
11. Dezember 2007
In der Patentnichtigkeitssache
BPatG 253
08.05
- 2 -
- 3 -
betreffend das europäische Patent 0 392 059
(DE 589 05 637)
und das ergänzende Schutzzertifikat DE 102 99 048
hat der 3. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts aufgrund der
mündlichen Verhandlung vom 11. Dezember 2007 unter Mitwirkung der Vor-
sitzenden Richterin Dr. Schermer sowie des Richters Engels, der Richterin
Dipl.-Chem. Dr. Proksch-Ledig, des Richters Dipl.-Chem. Dr. Gerster sowie
der Richterin Dr. Schuster
für Recht erkannt:
1. Das europäische Patent EP 0 392 059 wird mit Wirkung
für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland
für nichtig erklärt.
Das zu dem europäischen Patent EP 0 392 059 erteilte
ergänzende Schutzzertifikat DE 102 99 048 wird für nich-
tig erklärt.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt gegen Sicherheitsleistung
in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vor-
läufig vollstreckbar.
- 4 -
Tatbestand
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 14. April 1989 beim Europäi-
schen Patentamt angemeldeten und mit Wirkung für die Bundesrepublik
Deutschland erteilten europäischen Patents 0 392 059 (Streitpatent), dessen
Erteilung am 15. September 1993 veröffentlicht worden ist und das vom
Deutschen Patent- und Markenamt unter der Nummer DE 589 05 637 geführt
wird. Das Streitpatent mit der Bezeichnung „Verwendung von Adamantan-
Derivaten zur Prävention und Behandlung der cerebralen Ischämie“ umfasst
in der erteilten Fassung 12 Patentansprüche, von denen die Patentansprü-
che 1, 3 und 11 wie folgt lauten:
1. Verwendung
von
Adamantan-Derivaten der allgemeinen
Formel
worin R
1
und R
2
gleich oder verschieden sind und Wasser-
stoff oder geradkettige oder verzweigte Alkylgruppen mit 1
bis 6 C-Atomen bedeuten oder zusammengenommen mit N
eine heterocylische Gruppe mit 5 oder 6 Ringgliedern dar-
stellen,
- 5 -
R
3
und R
4
jeweils gleich oder verschieden sind und ausge-
wählt sind aus Wasserstoff, einem geradkettigen oder ver-
zweigten Alkylrest mit 1 bis 6 C-Atomen, einem Cycloalkyl-
rest mit 5 oder 6 C-Atomen, dem Phenylrest,
und worin R
5
Wasserstoff oder einen geradkettigen oder ver-
zweigten C
1
-C
6
-Alkylrest darstellt, sowie deren pharmazeu-
tisch verträglichen Salze,
zur Herstellung eines Medikaments zur Behandlung der
Schädigung von Hirnzellen infolge eine cerebralen Ischä-
mie.
11. Verwendung von Adamantan-Derivaten, wie sie in den
Ansprüchen 1-9 offenbart werden, zur Herstellung eines
Medikaments zur Behandlung von Morbus Alzheimer.
Wegen des Wortlauts der auf Patentanspruch 1 unmittelbar oder mittelbar
rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 10 sowie des nebengeordneten Pa-
tentanspruchs 12 wird auf die Patentschrift verwiesen.
Die Beklagte ist ferner Inhaberin des am 15. November 2002 beim Deut-
schen Patent- und Markenamt angemeldeten und mit Beschluss vom 13. Fe-
bruar 2006 für das Erzeugnis Memantin sowie dessen pharmazeutisch ver-
trägliche Salze, insbesondere Memantinhydrochlorid, mit einer Laufzeit von
15. April 2009 bis 14. April 2014 erteilten ergänzenden Schutzzertifikats
DE 102 99 048. Als erste Genehmigung für das Inverkehrbringen des Er-
zeugnisses in Deutschland und in der Gemeinschaft sind in dem Erteilungs-
beschluss die Zulassungen EU/1/02/219/001 bis EU/1/02/219/006 vom
15. Mai 2002 für das Humanarzneimittel „Ebixa-Memantine“ mit dem Wirk-
stoff Memantinhydrochlorid angegeben.
- 6 -
Bereits vor den EU-Zulassungen vom 15. Mai 2002 hatte die Beklagte noch
unter der Geltung des AMG 1961 das Arzneimittel „„Akationol Memantine““
mit dem Wirkstoff Memantinhydrochlorid in den Verkehr gebracht, für das sie
nach dem AMG 1976 eine Zulassung im Wege der Fiktion erhalten hatte. Die
fiktive Zulassung erlosch aufgrund einer am 9. Juli 2002 beim BfArM einge-
gangenen Verzichtserklärung der Beklagten.
Die Beklagte erhielt ferner auf Antrag vom 30. Juni 1983 von dem luxembur-
gischen Gesundheitsministerium am 19. September 1983 eine Zulassung für
das Arzneimittel „AKATINOL“ mit u. a. den Indikationen „cerebrale und spi-
nale Spastik, multiple Sklerose, hirnorganisches Psychosyndrom, cerebro-
vaskuläre Insuffizienz und Parkinson-Syndrom“ erteilt. Die Zulassung wurde
auf Antrag der Beklagten von 10. Juli 2002 bis 8. Januar 2003 ausgesetzt.
Seit dem 16. April 2003 war sie endgültig zurückgezogen.
Die Klägerinnen zu 1 und 2 machen mit ihrer Nichtigkeitsklage geltend, das
Streitpatent sei wegen mangelnder Neuheit und mangelnder erfinderischer
Tätigkeit nicht patentfähig. Die Klägerinnen zu 2, 3 und 4 greifen mit ihrer
Nichtigkeitsklage außerdem das zu dem Streitpatent erteilte ergänzende
Schutzzertifikat an. Die Klägerin zu 2 hält das Schutzzertifikat bereits wegen
der mangelnden Patentfähigkeit des Streitpatents für nichtig. Sie macht dar-
über hinaus - ebenso wie die Klägerinnen zu 3 und zu 4 - geltend, dass das
Schutzzertifikat zu Unrecht erteilt worden sei, weil die EU-Zulassungen vom
15. Mai
2002 nicht die erste Genehmigung für das Inverkehrbringen der zu-
gelassenen Erzeugnisse als Arzneimittel in Deutschland gemäß Art. 3 d) VO
(EWG) 1789/92 seien. Die Nebenintervenientin schließt sich dem Vortrag der
Klägerin zu 2 an.
Die Klägerin zu 1 verweist zur Begründung ihrer Klage im Wesentlichen auf
die Druckschriften
- 7 -
D2 Pschyrembel
Klinisches
Wörterbuch, 255. Auflage, 1986,
S. 1839 bis 1840
D3 Pharmacopsychiatry 1988, 21, S. 144 bis
146
D4 Therapiewoche
1989, 39, S. 946 bis
952
D7
European Journal of Pharmacolgy 1987, 142, S. 319 bis
321
D9
Simon, R. P. et al., Science
1984, 226, S. 850 bis
852
D10 Annual Review of Neuroscience
1988, 11, S. 61 bis 80
D13 Kopien des Patentanspruches 10 der ursprünglichen Unterlagen
vom 14. April 1989
D16 Kopien des Buches Katzmann, „Alzheimer’s Disease: Senile De-
mentia and Related Disorders, Vol. 7, 1978, S. 197 bis 211
D18 Proc. Natl. Acad. Sci. USA 1988, 85, S. 6556 bis 6560
D21 Psychopharmacology (Berlin), 96/Suppl. 180, 1988
D23 Vorträge auf einer Fortbildungsveranstaltung für Ärzte in
München am 18. Januar 1989 der
ALZHEIMER GESELLSCHAFT MÜNCHEN
E.V., S. 15 bis 16
D23a ibd., S. 4 bis S. 35
D24 TIPS - November 1987, 8, S. 414 bis 415
Die Klägerin zu 2 stützt sich über den von der Klägerin zu 1 bereits genann-
ten Stand der Technik hinaus im Wesentlichen auch auf folgende Doku-
mente:
NIK 4 1. Memantine Workshop 1987, Zuckschwerdt Verlag, München,
Germany, 1987
NIK 9 W. Danielczyk, Psychiatria Danubina 1989, 1, S. 71 bis 75
NIK 10 J. T. Marcea, D. Tempel, Therapiewoche 1988, 38, S. 3097
bis 3100
NIK 12 Fleischhacker et al., Prog. Neuro-Psychopharmacol.
Biol. Psychiat. 1986, 10, S. 87 bis 93
- 8 -
NIK 16 E. Bleuler (Hrsg.), Lehrbuch der Psychiatrie, 15. Auflage, 1983,
Springer-Verlag, Berlin, S. 203 bis 245
NIK 19 McKhann, G. et al., Neurology 1984, 34, S. 939 bis 944
NIK 21 Prüfungsbescheid des europäischen Patentamtes vom 21. Ju-
li 1992
NIK 22 Antwort des Anmelders auf NIK21 und Experimentalbericht vom
13. Oktober 1992
S. 217 bis 223
19, S. 105 bis 111
Die Klägerin zu 3 stützt sich auf die Dokumente:
NiK1
Kopie der Erteilungsakte beim DPMA zu DE 101 99 048
NiK2 Registerauszug
zum
Schutzzertifikat DE 101 99 048
NiK3
EP 0 392 059 B1
NiK4
Rote Liste 2007 - AXURA
NiK5
Rote Liste 1983 - AKATINOL
NiK6
Rote Liste 1997 - „AKATIONOL MEMANTINE“
NiK7
arznei-telegramm 2002, 33 (8), S. 86, 91
NiK8a Schreiben des Luxemburgischen Gesundheitsministeriums vom
6. März 2006
NiK8b deutsche Übersetzung von NiK8a
NiK9a Luxemburgisches Gesetz vom 4. August 1975 hinsichtlich der
Regelung der Vermarktung und Werbung pharmazeutischer Er-
zeugnisse und vorgefertigter Medikamente
NiK9b Auszug aus der dazu ergangenen Luxemburgischen Verord-
nung vom 12. November 1975
NiK10a Luxemburgisches Gesetz vom 11. April 1983 hinsichtlich der
Regelung der Vermarktung und Werbung pharmazeutischer Er-
zeugnisse und vorgefertigter Medikamente
- 9 -
NiK10b Auszug aus der dazu ergangenen Luxemburgischen Verord-
nung vom 29. April 1983
NiK11a Schreiben des Luxemburgischen Gesundheitsministeriums vom
27. März 2006
NiK11b deutsche Übersetzung von NiK11a
Die Klägerin zu 4 verweist über den von den Klägerinnen zu 1 bis 3 bereits
genannten Stand der Technik hinaus u. a. auf die folgenden Unterlagen:
D2
Anhang 1 der Genehmigung EU/1/02/219
D4
Auszug aus der Datenbank AMIS zu „„Akationol Memantine““
D5
Entscheidung C-202/05 des Gerichtshofs der Europäischen Ge-
meinschaften vom 17. April 2007
D7
ROTE LISTE 1996 „„Akationol Memantine““
D8
Ausdruck Wikipedia zu „Demenz“
Die Nebenintervenientin verweist zudem insbesondere noch auf das Doku-
ment:
BM6
Auszug aus arznei-telegramm 9/2000 v. 13. September 2002
Die Klägerinnen zu 1 und 2 beantragen,
das europäische Patent 0 392 059 mit Wirkung für die Bun-
desrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.
Die Klägerin zu 2 beantragt darüber hinaus, ebenso wie die Klägerinnen zu 3
und 4,
das ergänzende Schutzzertifikat DE 102 99 048 für nichtig zu
erklären.
- 10 -
Die Nebenintervenientin, die dem Verfahren mit Schriftsatz vom 7. Dezem-
ber 2007 auf Seite der Klägerin zu 2 beigetreten ist, schließt sich den Anträ-
gen der Klägerin zu 2 an.
Die Beklagte beantragt,
die Klagen abzuweisen, soweit sie sich gegen das Streitpa-
tent in seiner verteidigten Fassung gemäß Hauptantrag, ein-
gereicht mit Schriftsatz vom 31. Juli 2006, hilfsweise in sei-
ner verteidigten Fassung gemäß den in der mündlichen Ver-
handlung überreichten Hilfsanträgen 1-5 und gegen das er-
gänzende Schutzzertifikat richten.
Der gemäß Hauptantrag verteidigte einzige Patentanspruch lautet wie folgt:
„Verwendung von 1-Amino-3,5-dimethyl-adamantan sowie
seiner pharmazeutisch verträglichen Salze, zur Herstellung
eines Medikaments zur Behandlung der Schädigung von
Hirnzellen infolge einer cerebralen Ischämie nach Morbus
Alzheimer.“
Der gemäß Hilfsanträgen 1 bis 5 verteidigte einzige Patentanspruch lautet je-
weils wie folgt:
Hilfsantrag 1:
„Verwendung von 1-Amino-3,5-dimethyl-adamantan sowie
seiner pharmazeutisch verträglichen Salze, zur Herstellung
eines Medikaments zur Behandlung von Morbus Alzheimer.“
- 11 -
Hilfsantrag 2:
„Verwendung von 1-Amino-3,5-dimethyl-adamantan sowie
seiner pharmazeutisch verträglichen Salze, zur Herstellung
eines Medikaments zur Behandlung der Schädigung von
Hirnzellen infolge einer cerebralen Ischämie nach Morbus
Alzheimer, wobei das Medikament zur oralen Verabreichung
hergerichtet ist.“
Hilfsantrag 3:
„Verwendung von 1-Amino-3,5-dimethyl-adamantan sowie
seiner pharmazeutisch verträglichen Salze, zu Herstellung
eines Medikaments zur Behandlung der Schädigung von
Neuronen infolge eines exzessiven Einstroms von Calcium
durch NMDA-Rezeptorkanäle nach Morbus Alzheimer.“
Hilfsantrag 4:
„Verwendung von 1-Amino-3,5-dimethyl-adamantan sowie
seiner pharmazeutisch verträglichen Salze, zur Herstellung
eines Medikaments zur Behandlung eines exzessiven Ein-
stroms von Calcium durch NMDA-Rezeptorkanäle nach Mor-
bus Alzheimer, wobei das Medikament zur oralen Verabrei-
chung hergerichtet ist.“
Hilfsantrag 5:
„Verwendung von 1-Amino-3,5-dimethyl-adamantan sowie
seiner pharmazeutisch verträglichen Salze, zur Herstellung
eines Medikaments zur neuroprotektiven Behandlung eines
exzessiven Einstroms von Calcium durch NMDA-Rezeptor-
kanäle nach Morbus Alzheimer, wobei das Medikament zur
oralen Verabreichung hergerichtet ist.“
- 12 -
Zur Stütze ihres Vorbringens verweist die Beklagte auf folgende Dokumente:
HE-2
Gerzon et al., J. Med. Chem., 1963, 6, S. 760 bis 763
HE-3
DE-OS 22 19 256
HE-4
DE 28 56 393 A1
HE-5
Gutachten Prof. Dr. L. Fröhlich vom 3. August 2006
HE-6
Rote Liste 1988, Kapitel 69 und 70
HE-7
Drachman, D. A., Leavitt, J., Arch. Neurol., 1974, 30 (2),
S. 113 bis 121
HE-8
Whitehouse, P. J. et al., Annals of Neurology, 1981, 10,
S. 122 bis 126
HE-9
Strukturformeln der Parkinsonmittel von Tabelle 1 der NK7
HE-10 Wesemann, W. et al., Arzneim.-Forsch./Drug Res. 1983, 33(II),
Nr. 8, S. 1122 bis 1134
HE-11 Gutachten Prof. Dr. J. Kornhuber vom 7. November 2007
mit den Anlagen HE-11-1 bis HE-11-5-3
HE-12 Reisberg, B. et al., N. Engl. J. Med. 2003, 348, 14,
S. 1333 bis 1341
HE-13 Beschluss 14 W (pat) 42/04) vom 18. Juli 2006 - Aceclofenac
HE-14 Stellungnahme der Europäischen Kommission vom
21. Oktober 1998
HE-15 Schreiben der Direction de la Santé - Division de Pharmacie et
des Médicaments vom 28. Juni 2007
HE-16 Schreiben des Instituto Nacional de Farmácia e do Medicamen-
to (Infarmed) vom 29. Juni 2007,
HE-17 Schreiben des luxemburgischen Gesundheitsministers an die
Beklagte vom 14. November 2007
HE-18 Schreiben der Europäischen Kommission, Generaldirektion
Unternehmen und Industrie vom 4. Dezember 2007
HE-19 BT-Drucksache 14/3320 vom 10. Mai 2000,
HE-24 Whalley, L. J., British Journal of Psychiatry 1989, 155,
S. 595 bis 611
- 13 -
HE-25 Crook, T. H. „Strategies for treating Alzheimer’s Disease and
Age-Associated Memory Impairment in „Diagnosis and
Treatment of Senile Dementia“ Ed. Bergener, Reisberg, 1989
Springer-Verlag, Berlin, S. 234 bis 242
Die Beklagte tritt dem Vorbringen der Klägerinnen in allen Punkten entgegen
und hält auch den Nichtigkeitsgrund der unzulässigen Erweiterung, den die
Klägerinnen 1 und 2 gegenüber dem gemäß Hauptantrag verteidigten Pa-
tentanspruch im Hinblick auf das darin enthaltene Merkmal „zur Behandlung
der Schädigung von Hirnzellen infolge cerebraler Ischämie“ geltend machen,
nicht für gegeben. Der Gegenstand des Patentanspruchs gemäß Haupt- und
Hilfsanträgen sei entgegen der Ansicht der Klägerin 2 auch ausreichend of-
fenbart und nicht mangels Klarheit unzulässig.
Zu der gemäß Art. 15 Abs. 1 a) i. V. m. Art. 3 d) VO (EWG) Nr. 1768/92 gel-
tend gemachten Nichtigkeit des ergänzenden Schutzzertifikats trägt die Be-
klagte vor, dass die für Altarzneimittel übergangsweise geltende fiktive Zulas-
sung nach § 105 AMG 1976 keine erste Genehmigung im Sinne des Art. 3 d)
VO (EWG) Nr. 1768/92 sei, da sie weder inhaltlich dem Anforderungsprofil
einer Genehmigung nach der Richtlinie 65/65/EWG entspreche noch die
Voraussetzung einer nach harmonisiertem Recht erteilten nationalen Geneh-
migung erfülle. Dies gelte auch für die luxemburgische Zulassung für das In-
verkehrbringen des Arzneimittels „AKATINOL“, die im Wege der Anerken-
nung der (fiktiven) deutschen Zulassung ohne sachliche Prüfung klinischer
oder präklinischer Daten erfolgt sei.
Die Beklagte verweist außerdem auf eine für das Arzneimittel „AKATINOL“
erteilte portugiesische Genehmigung vom 9. Februar 1990, die ebenfalls kei-
ne Genehmigung gemäß der Richtlinie 65/65/EWG sei, weil die Richtlinie in
Portugal erst am 1. Februar 1991 in nationales Recht umgesetzt worden sei.
Selbst wenn man unterstelle, dass diese - auf ihren Antrag durch Entschei-
dung des portugiesischen Instituts für Pharmazie und Medizin am
- 14 -
20. März 1999 widerrufene - Genehmigung inhaltlich dem Anforderungsprofil
einer Genehmigung nach der Richtlinie 65/65/EWG entspreche, was bestrit-
ten werde, sei nach den Grundsätzen der „Aceclofenac“-Entscheidung
(BPatG GRUR 2006, 1046) nicht die erforderliche Voraussetzung einer nach
harmonisiertem Recht erteilten nationalen Genehmigung erfüllt.
Die Beklagte vertritt ferner die Ansicht, dass ihr für die mit intensivem For-
schungsaufwand verbundene Bereitstellung eines Medikaments für die wei-
tere Indikation Morbus Alzheimer ein verlängerter Patentschutz gebühre. Die
Entdeckung einer weiteren Therapiemöglichkeit sei für die Allgemeinheit
ebenso wertvoll wie die Entdeckung eines neuen Wirkstoffs. Außerdem erfor-
derten weitere Indikationen ein ähnlich umfangreiches Zulassungsverfahren
wie die Erstzulassung, so dass die Verlängerung des Patentschutzes nach
dem Sinn und Zweck des ergänzenden Schutzzertifikats gerechtfertigt sei.
Mit Beschlüssen vom 22. Mai 2007, 8. Oktober 2007 und 27. November 2007
sind die Nichtigkeitsklagen 3 Ni 59/05(EU), 3 Ni 20/07(EU), 3 Ni 34/07
und 3 Ni 54/07 unter dem führenden Aktenzeichen 3 Ni 59/05 (EU) miteinan-
der verbunden worden. Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien
sowie der eingereichten Dokumente wird auf die Sitzungsniederschrift vom
11. Dezember 2007 sowie auf den Akteninhalt verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klagen der Klägerinnen
1 bis
4 sind gemäß §§
81 Abs.
1,
16a
Abs. 2
PatG, Art. 15
VO (EWG) Nr. 1768/92 zulässig. Auch die auf Seiten der
Klägerin zu
2 erfolgte Nebenintervention ist zulässig, denn es sind weder
Gründe ersichtlich noch von der Beklagten geltend gemacht, welche gegen
ein berechtigtes Interesse zum Beitritt der Nebenintervenientin und Mitbewer-
berin auf Seiten der Klägerin gemäß §
99 Abs.
1
PatG i. V. m. § 66
Abs. 1 ZPO (vgl. BGH GRUR
2006, 438 - Carvedilol) sprechen. Dabei gilt die
- 15 -
Nebenintervenientin entsprechend § 69 ZPO als Streitgenossin der Klägerin-
nen (vgl. BGH GRUR 2008, 60 Rdn. 44 - Sammelhefter II).
Die gegen das Streitpatent gerichteten Klagen der Klägerinnen zu 1 und 2 er-
weisen sich als begründet, da der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund der
mangelnden Patentfähigkeit zur Nichtigerklärung des Streitpatents in der
nach Hauptantrag und Hilfsanträgen 1 bis 5 jeweils zulässig beschränkt ver-
teidigten Fassung führt (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG, Art. 138 Abs. 1 lit a
i. V. m. Art. 54, 56 EPÜ), und das Streitpatent, soweit es nicht verteidigt wird,
ohne Sachprüfung für nichtig zu erklären ist (vgl. Busse, PatG, 6. Aufl., § 84
Rdn. 45).
Mit dem Streitpatent fällt auch das angegriffene Schutzzertifkat
DE 102 99 048 gemäß Art. 15 Abs. 1 lit. c VO (EWG) Nr. 1768/92 (AMVO),
so dass sich die auf diesen Nichtigkeitsgrund gestützte Klage der Klägerin
zu 2 ebenfalls als begründet erweist. Begründet sind auch die von den Klä-
gerinnen zu 3 und 4 ausschließlich gegen das ergänzende Schutzzertifikat
gerichteten und nur auf den Nichtigkeitsgrund gemäß Art. 15 Abs. 1 a AMVO
entsprechenden Erteilung gestützten Klagen, über die wegen des eigenstän-
digen Streitgegenstands dieser Klagen selbständig zu entscheiden war.
I.
1.
Derivaten der allgemeinen Formel (I) zur Behandlung der Schädigung von
Hirnzellen infolge einer cerebralen Ischämie, die Verwendung dieser Ada-
mantan-Derivate zur Behandlung von Morbus Alzheimer sowie die Verbin-
dung 1-Amino-3-cyclohexyl-adamantan.
- 16 -
Gemäß den Ausführungen im einleitenden Teil des Streitpatentes sind Ada-
mantan-Derivate der allgemeinen Formel (I) vor dessen Anmeldetag bereits
als Mittel zur Behandlung von Morbus Parkinson und parkinsonähnlichen Er-
krankungen verwendet worden. Ihre Wirkungsweise werde auf eine dopami-
nerge Beeinflussung des ZNS zurückgeführt, vermittelt entweder durch ver-
mehrte Freisetzung oder durch Aufnahmehemmung der Transmittersubstanz
Dopamin, womit das Ungleichgewicht im Dopamin/Acetylcholinsystem auf-
gehoben werde. Ferner sei nach einer L-Dopa- und Adamantin-Therapie bei
Patienten mit Jakob-Creutzfeld-Disease das akute Verschwinden charakte-
ristischer EEG-Veränderungen beobachtet worden, wobei die Wirksamkeit
der Verbindungen auf deren dopaminergen Einfluss zurückgeführt worden
sei. Bei der cerebralen Ischämie liege dagegen eine pathophysiologische Si-
tuation vor, in der die neuronalen Erregungsmechanismen aus dem Gleich-
gewicht geraten seien. Dabei führe der exzessive Einstrom von Calcium
durch N-Methyl-D-aspartat (NMDA)-Rezeptorkanäle letztlich zur Zerstörung
von Nervenzellen bestimmter Hirnareale. Für die Behandlung dieser patholo-
gischen Situation erscheine daher ein bezüglich der NMDA-Rezeptorkanäle
antagonistisches Eingreifen erforderlich. NMDA-Rezeptorkanal-antagonisti-
sche sowie antikonvulsive Eigenschaften wiesen beispielsweise die hetero-
cyclische-aromatischen Fluor- und Hydroxyderivate von Dibenzo-[a,d]-cyclo-
hepten-5,10-imin auf. Diese würden aber nach einem relativ aufwendigen
Verfahren hergestellt (vgl. Streitpatent S. 4 Z. 42 bis S. 5 Z. 16).
2.
in seiner verteidigten Fassung die Aufgabe zugrunde, eine chemisch einfach
zugängliche Verbindung zur Behandlung von Morbus Alzheimer zur Verfü-
gung zu stellen (vgl. SS der Patentinhaberin vom 31. Juli 2006, S. 4 le. Abs.).
- 17 -
3.
durch die
1. Verwendung
von
1.1. 1-Amino-3,5-dimethyl-adamantan (=Memantin) so-
wie seiner pharmazeutisch verträglichen Salze
2. zur Herstellung eines Medikaments zur Behandlung
2
a) der Schädigung von Hirnzellen infolge einer
cerebralen Ischämie
2 b) nach Morbus Alzheimer.
bzw. nach Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 durch die
1. Verwendung
von
1.1. 1-Amino-3,5-dimethyl-adamantan (=Memantin) so-
wie seiner pharmazeutisch verträglichen Salze
2. zur Herstellung eines Medikaments zur Behandlung von
Morbus Alzheimer.
4.
arzt für Neurologie und/oder Psychiatrie, der mit einem klinischen Chemiker
oder Biochemiker in einem Team zusammenarbeitet (vgl. dazu auch BGH
GRUR
2007, 404, 405 Rdn. (26) - Carvedilol
II).
II.
Die jeweils einzigen nach Hauptantrag und nach den Hilfsanträgen 1 bis 5
verteidigten Patentansprüche erweisen sich mangels Neuheit als nicht be-
standsfähig.
- 18 -
1. Die einzigen Patentansprüche gemäß Hauptantrag und gemäß Hilfsan-
trag 1 betreffen - wie die Beklagte im Rahmen der mündlichen Verhandlung
vorgetragen hat - den gleichen Gegenstand, nämlich die Verwendung von
Memantin sowie seiner pharmazeutischen Salze zur Herstellung eines Arz-
neimittels zur Behandlung von Morbus Alzheimer. Hinsichtlich beider Patent-
ansprüche besteht nach ihrer Auffassung lediglich ein qualitativer Unter-
schied, da der Patentanspruch gemäß Hauptantrag zusätzlich die Biochemie
der streitpatentgemäß behandelten Schädigung der Gehirnzellen angebe, die
sich bei Morbus Alzheimer stets manifestiere. Aus diesen Gründen hat die
Beklagte in der mündlichen Verhandlung in ihrer ergänzenden Stellungnah-
me und Erörterung der Ansprüche vorrangig den Patentanspruch gemäß
Hilfsantrag 1 und erst in der Folge den einzigen Patentanspruch gemäß
Hauptantrag verteidigt. Damit in Einklang steht die schriftsätzlich vorgetrage-
ne Anregung der Klägerin zu 2, gemäß ständiger Rechtsprechung und aus
Gründen der Verfahrensökonomie den Gegenstand des Hilfsantrages 1 in
der Reihenfolge der sachlichen Prüfung dem Hauptantrag vorzuziehen,
nachdem der Gegenstand des Hilfsantrages nach ihrem Verständnis breiter
ist als derjenige des Hauptantrages. Da mit der Nummerierung der von der
Patentinhaberin hilfsweise verteidigten Fassungen der Patentansprüche des
Streitpatentes dem Gericht grundsätzlich keine bindende Prüfungsreihen-
folge vorgegeben wird und ständiger Rechtsprechung folgend regelmäßig
unabhängig von der Nummerierung zunächst die am wenigsten beschränkte
Fassung zu prüfen ist, insbesondere wenn der Patentinhaber nichts Gegen-
teiliges erklärt und nicht auf einer anderen Reihenfolge besteht (vgl. Schulte
7. Aufl. § 81 Rdn. 137, BPatGE 34, 230 sowie 2 Ni 29/94), ist auch der Senat
vorliegend dieser Prüfungsreihenfolge gefolgt, denn die medizinische Indika-
tion im Patentanspruch gemäß Hauptantrag wird gegenüber dem Patentan-
spruch gemäß Hilfsantrag 1 zusätzlich durch ein weiteres Merkmal gekenn-
zeichnet.
- 19 -
1.1. Der einzige Patentanspruch gemäß Hilfsantrag 1 leitet sich von den er-
teilten Patentansprüchen 11 und 1 sowie Streitpatentschrift (NIK1) S. 5 Z. 23
bis 26 und Z. 31 sowie S. 6 Z. 32 bis 35 ab. Das Patentbegehren hält sich im
Umfang der ursprünglichen Offenbarung. Weder der Patentgegenstand noch
der Schutzbereich des Streitpatentes sind hierdurch erweitert worden, so
dass die Beschränkung zulässig ist.
Die Verwendung von 1-Amino-3,5-dimethyl-adamantan (= Memantin) gemäß
einzigem Patentanspruch erweist sich jedoch gegenüber dem von der Kläge-
rin zu 2 als Entgegenhaltung NIK 12 eingereichten wissenschaftlichen Artikel
von W. W. Fleischhacker et al. in „Prog. Neuro-Psychopharmacol. & Biol.
Psychiat. 1986, 10, S. 87 bis 93“ als nicht mehr neu.
In diesem Beitrag beschreiben die Autoren eine Studie über die Behandlung
von Patienten, die an einer schweren Form der senilen Demenz vom Alzhei-
mer Typ (= SDAT) leiden, mit Memantin. Dazu wurde der Wirkstoff täglich
über einen Zeitraum von drei Wochen in einer Menge von 20 bis 30 mg intra-
venös verabreicht (vgl. S. 87 Abstract Gliederungspunkt 1. und 2. sowie
S. 88 Abs. 3). Im Rahmen der während der Medikamentengabe regelmäßig
durchgeführten Untersuchungen zeigte sich sodann, dass bei fünf Patienten
aus der Memantingruppe und bei vier Patienten der Kontrollgruppe, die ein
Placebo erhielten, Verbesserungen festgestellt werden konnten (vgl. S. 87
Abstract Gliederungspunkt 3., S. 88 Abs. 4 und S. 89 Abs. 1). Diese Ergeb-
nisse erlaubten es den Autoren nicht, wie sie selbst ausführen, signifikante,
statistisch berechenbare Unterschiede zwischen der mit Memantin behan-
delten Gruppe und der Kontrollgruppe festzustellen (vgl. S. 87 Abstract Glie-
derungspunkt 4. und S. 89 Abs. 2), so dass - worauf auch die Beklagte ver-
weist - mit dieser Studie somit auch keine signifikant berechenbare Überle-
genheit von Memantin gegenüber einer Placebobehandlung festgestellt wer-
den konnte. Der Senat kann sich der Beklagten jedoch nicht darin anschlie-
ßen, die Autoren dieser Studie hätten Memantin daher im Ergebnis als nicht
wirksam angesehen. Zu dieser Wertung mögen - worauf die Beklagte hin-
- 20 -
weist - die Verfasser der Artikel HE-24 und HE-25 gekommen sein, entspre-
chende Wertungen sind dem Dokument NIK 12 selbst aber an keiner Stelle
zu entnehmen. Vielmehr führen die Verfasser in diesem Artikel abschließend
aus, dass Langzeitstudien wahrscheinlich einen deutlicheren Unterschied
zwischen beiden genannten Gruppen aufzeigen könnten und die Annahme
widerlegen könnten, die intensivere Zuwendung, die alle Patienten während
der Versuchsdurchführung erfuhren, müsse ebenso als den therapeutischen
Erfolg in beiden Gruppen begründend in Betracht gezogen werden (vgl.
89/92 übergreifender Absatz). Gemäß den Schlussfolgerungen halten die
Verfasser sodann das Zusammenwirken der medikamentösen und der psy-
chotherapeutischen Behandlung für eine Verbesserung des Krankheitsbildes
von SDAT-Patienten verantwortlich, denn sie erachten es für sehr unwahr-
scheinlich, dass die medikamentöse Behandlung alleine dazu führt, die mit
SDAT verbundenen therapeutischen Probleme zu bewältigen (vgl. S. 92
„Conclusions“). Damit aber stufen die Autoren dieser Studie im Ergebnis Me-
mantin als einen Wirkstoff ein, der auf jeden Fall einen Beitrag zur Behand-
lung von an SDAT erkrankten Patienten leisten kann.
Der Gegenstand des Hilfsantrags 1 ist damit gegenüber dem Dokument
NIK12 nicht als neu anzuerkennen, denn die Neuheit einer medizinischen In-
dikation ist nur dann gegeben, wenn die Anwendung eines Wirkstoffes auf
dem ins Auge gefassten therapeutischen Einsatzgebiet im Stand der Technik
noch nicht als zumindest erfolgversprechend vorbeschrieben ist und sich die
in einer Druckschrift einem Wirkstoff zugeschriebene therapeutische Wirkung
auch tatsächlich als nicht erzielbar erweist (vgl. Benkard PatG 10. Aufl. § 3
Rdn. 91 c Bruchhausen GRUR 1982, 641, insbesondere S. 642 IV.). Beides
trifft vorliegend jedoch nicht zu. Wie vorstehend bereits dargelegt, wird im
Dokument NIK 12 die Verwendung des Wirkstoffes Memantin zur Behand-
lung einer konkreten Krankheit, nämlich von SDAT, beschrieben, wobei der
im Rahmen dieser Behandlung beobachtete therapeutische Erfolg - jeden-
falls zum Teil - diesem Wirkstoff zugerechnet wird. Wie die im Prüfungsver-
fahren des Streitpatents vor dem europäischen Patentamt vorgelegten Ver-
- 21 -
gleichsversuche zeigen, erweist sich diese dem Memantin zugeschriebene
Wirkung tatsächlich auch als erzielbar. So wird mit diesen Versuchen ge-
20 mg, d. h. in einer Dosierung, wie sie auch streitpatentgemäß eingesetzt
wird, über einen - gemäß der Studie NIK 12 von den Autoren vorgeschlage-
nen - längeren Zeitraum, hier von 6 Wochen bzw. 14 Monaten, an Personen,
bei denen Morbus Alzheimer (Senile Dementia of Alzheimer Type (SDAT))
diagnostiziert worden ist, die dem Memantin in NIK 12 zugeschriebene Wir-
kung, nämlich eine Verbesserung des Krankheitsbildes, auch tatsächlich er-
reicht wird (vgl. NIK 22 „Versuchsbericht“).
Die Annahme der Autoren der Studie NIK 12, Memantin wirke dopaminerg,
während streitpatentgemäß die Verbesserung des Krankheitsbildes auf eine
NMDA-Rezeptorkanal antagonistische und eine antikonvulsive Wirkung zu-
rückgeführt wird (vgl. Streitpatent NIK 1 S. 5 Z. 4 bis 10 i. V. m. Z. 17 bis 19),
kann zu keinem anderen Ergebnis führen. Dabei handelt es sich um die wis-
senschaftliche Erklärung der Wirkungsursachen, die der hier beanspruchten
Verwendung von Memantin zur Behandlung von Morbus Alzheimer zugrunde
liegen. Zur Beurteilung der Patentfähigkeit kommt es ständiger Rechtspre-
chung folgend aber nicht auf die theoretische Begründung der Lehre zum
technischen Handeln an, denn diese führt nicht zu einer neuen technischen
Anwendung, die sich eindeutig und klar von der bereits bekannten unter-
scheiden lässt (vgl. Busse PatG 6. Aufl. § 1 Rdn. 17, BGH GRUR 1994 357
3. Ls. - „Muffelofen“ sowie T892/94 - ABL EPA 2000, 1, Ls. II. und Entschei-
dungsgründe 3.3 bis 3.5. - desodorierende Gemische/ROBERTET S. A.).
Auch der Einwand der Beklagten, das Patientenkollektiv sei für eine aus-
wertbare Studie zu klein, weshalb der lediglich als nicht signifikant anzuse-
hende Unterschied zwischen mit Memantin behandelter Gruppe und Place-
bogruppe keine Rückschlüsse auf eine Wirksamkeit von Memantin zur Be-
handlung von Morbus Alzheimer zulasse, kann zu einer anderen Beurteilung
der Neuheit der streitpatentgemäß beanspruchten Verwendung führen. Eine
- 22 -
Studie mit erkrankten Menschen der Art wie sie in NIK 12 beschrieben wird,
muss, der Ethik und Sorgfaltspflicht des für die Durchführung verantwortli-
chen Arztes entsprechend, mit größter Vorsicht durchgeführt werden. Eine
derart angelegte Studie ist daher dazu vorgesehen, zunächst einen Überblick
über die Erfolgsaussichten von ins Auge gefassten Therapien zu liefern, d. h.
festzustellen, ob überhaupt eine Wirkung zu erwarten ist. Bei positivem Er-
gebnis folgen solchen Versuchsanordnungen sodann gewöhnlich Langzeit-
studien, so wie sie in NIK12 - übereinstimmend mit üblicher Praxis - von den
Autoren aufgrund der erhaltenen Ergebnisse auch vorgeschlagen wurden.
Diese dienen - wie es ebenso vorliegend mit den Vergleichsversuchen
NIK 22 erfolgte - sodann dazu, die mit solchen Studien erhaltenen Ergeb-
nisse zu untermauern. Dass im Übrigen im Fall der Alzheimerschen Erkran-
kung eine eklatant deutliche Verbesserung des Krankheitsbildes nicht bereits
nach kurzzeitiger Medikation einer kleinen Patientengruppe zu beobachten
sein wird, stellt einen dem damit befassten Fachmann von vornherein zu
erwartenden Ablauf dar, handelt es sich dabei doch nicht um die Behandlung
einer akuten, sondern um die Behandlung einer chronisch fortschreitenden
Erkrankung. Diese Auffassung erfährt ihre Bestätigung - wie vorstehend be-
reits dargelegt - auch durch die von der Beklagten im Prüfungsverfahren vor
dem Europäischen Patentamt vorgelegten Vergleichsversuche NIK 22, die
als Langzeitversuche angelegt sind und den - im wissenschaftlichen Beitrag
NIK 12 vorhergesagten - größeren Behandlungserfolg im Zusammenhang
mit einer längeren Anwendungsdauer des Wirkstoffes Memantin belegen.
Das Argument der Beklagten, die Autoren wären im Rahmen der mit dem
wissenschaftlichen Artikel NIK 12 veröffentlichen Studie zu dem Ergebnis
gekommen, Memantin zeige bei damit behandelten, an Morbus Alzheimer
erkrankten Patienten keine Wirkung, geht übrigens auch deshalb fehl, weil es
üblicher Praxis widerspricht, die in einer derartigen Studie gegebenenfalls
erhaltenen Erkenntnisse zur Unwirksamkeit einer als Wirkstoff ins Auge ge-
fassten Substanz zu veröffentlichen, noch bevor die Fachwelt diese Sub-
stanz überhaupt für dieses therapeutische Anwendungsgebiet beschrieben
- 23 -
hat. Eine derartige Diskussion erfolgt im Allgemeinen nur dann, wenn bereits
publizierte Ergebnisse widerlegt werden. Es entspricht daher vielmehr übli-
cher Praxis, das Ergebnis einer Studie, wie sie in NIK 12 beschrieben wird,
nur dann zu veröffentlichen, wenn die damit befassten Wissenschaftler eine
Wirksamkeit voraussichtlich als gegeben ansehen.
1.2. Der einzige Patentanspruch gemäß Hauptantrag unterscheidet sich vom
einzigen Patentanspruch gemäß Hilfsantrag 1 dadurch, dass er auf die „Be-
handlung der Schädigung von Hirnzellen infolge einer cerebralen Ischämie
nach Morbus Alzheimer“ gerichtet ist.
Es kann dahin gestellt bleiben, inwiefern die ursprüngliche Offenbarung, wie
die Klägerinnen zu
1 und
2 vortragen, nicht gegeben ist, weil mit diesem Pa-
tentanspruch nunmehr die zwei im Streitpatent in den Patentansprüchen
1
und 11 sowie Beschreibung S. 5 Z. 23 bis 26 jeweils für sich genannten Indi-
kationen „Schädigung von Hirnzellen infolge einer cerebralen Ischämie“ und
„Morbus Alzheimer“ verbunden sind, denn losgelöst vom Verständnis und der
Auslegung dieses Patentanspruchs gemäß Hauptantrag weist auch die hierin
beanspruchte Verwendung nicht die erforderliche Patentfähigkeit auf.
1.2.1. Der Begriff „cerebrale Ischämie“ stellt einen Fachbegriff dar, unter dem
eine Mangeldurchblutung des Gehirns zu verstehen ist, in deren Folge es
u. a. zur Initiierung neurotoxischer Prozesse kommt, wie z. B. der zellulären
Calciumhomöostase oder zur Freisetzung excitatorischer Neurotransmitter.
Dieses wiederum kann zum Zelltod führen. Eine Folge der cerebralen Ischä-
mie ist daher die Entwicklung neurologischer Defizite (vgl. NK2: Pschyrembel
Klinisches Wörterbuch, 255. Auflage, 1986, S. 1839 bis 1840 sowie NK9:
Science 1984, 226, S. 850 mi./re. Sp. übergreifender Absatz). Diese Deutung
des in Rede stehenden Begriffes „cerebrale Ischämie“ als Mangeldurchblu-
tung bzw. Blutleere ist so auch der Streitpatentschrift NIK 1 S. 3 Z. 31/32 so-
wie S. 8 Z. 46 bis 50 zu entnehmen.
- 24 -
Die Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung jedoch die Auffassung ver-
treten, dieser Begriff werde streitpatentgemäß in zweifachem Sinn gebraucht.
In diesem Zusammenhang beruft sie sich auf die Textstellen der Beschrei-
bung S. 5 Z. 4 bis 7 und 17 bis 19. Danach sei unter „cerebraler Ischämie“
auch jene physiopathologische Situation zu verstehen, in der es zu einem
übermäßigen Calciumeinstrom durch NMDA (= N-Methyl-D-Aspartat)- Re-
zeptorkanäle und in der Folge zu einer Beeinträchtigung bestimmter Hirnare-
ale komme. Dieser Auffassung kann sich der Senat nicht anschließen. Der
exzessive, zur Zellschädigung führende Einstrom von Calcium wird nämlich
auch in der von der Beklagten insbesondere zitierten Textstelle, Beschrei-
bung S. 5 Z. 4 bis 7, als Folge der cerebralen Ischämie beschrieben, weshalb
der in Rede stehende Begriff auch streitpatentgemäß ausschließlich als eine
dem beschriebenen Geschehen vorausgehende und das Geschehen verur-
sachende Mangeldurchblutung bzw. Blutleere zu lesen ist.
1.2.2. Aber selbst wenn der Senat der Interpretation des Begriffes „cerebrale
Ischämie“ durch die Beklagte folgt und daher von der Annahme ausgeht,
dass mit der geltenden Fassung des Patentanspruches gemäß Hauptantrag
einzig die Verwendung von Memantin sowie seiner pharmazeutisch verträgli-
chen Salze zur Herstellung eines Medikamentes zur Behandlung der mit
Morbus Alzheimer einhergehenden Zellschädigung, die nicht Folge der mit
dem allgemeinen Fachbegriff „cerebrale Ischämie“ verbundenen Erkrankung
ist, beansprucht wird, erweist sich dieser Patentanspruch bereits wegen
mangelnder Neuheit als nicht bestandsfähig.
Die Behandlung von an der senilen Demenz vom Alzheimer Typ erkrankten
Patienten mit Memantin wird - wie vorstehend im Zusammenhang mit dem
einzigen Patentanspruch gemäß Hilfsantrag 1 dargelegt - von den Autoren
W. W. Fleischhacker et al. in dem wissenschaftlichen Beitrag NIK 12 vorbe-
schrieben. Das zusätzliche Merkmal, dass die beanspruchte Verwendung
darüber hinaus auf die Behandlung der Schädigung von Hirnzellen infolge
einer cerebralen Ischämie im Sinne der vorstehenden Interpretation der Be-
- 25 -
klagten nach der erfolgten Erkrankung an Morbus Alzheimer gerichtet ist,
kann diesem Patentanspruch nicht zur Neuheit verhelfen. Bei der Schädi-
gung von Hirnzellen infolge einer cerebralen Ischämie im Sinne der vorste-
henden Interpretation der Beklagten handelt es sich nämlich nicht um die
Definition einer anderen als in NIK 12 beschriebenen Krankheit, sondern le-
diglich um eine wissenschaftliche Erklärung der im Zusammenhang mit Mor-
bus Alzheimer stets auftretenden und die Folgen dieser Erkrankung verursa-
chenden Zellschädigung. Damit wird zwar der Wirkungszusammenhang,
d. h. die theoretische Begründung für die Wirkungsweise des Wirkstoffes,
angegeben, nicht aber eine konkrete Lehre zum technischen Handeln, die
Gegenstand eines Patentes ist (vgl. Benkard PatG 10. Aufl. § 3 Rdn. 91
b), c), Busse PatG 6. Aufl. § 3 Rn. 198 sowie BGH GRUR 1994 357,
358 II.2.c) - Muffelofen und BGH GRUR Int. 2007 423 Rdnr. (21) bis (24) -
„Carvedilol II“ sowie T892/94 - ABL EPA 2000, 1, Ls. II. und Entscheidungs-
gründe 3.3 bis 3.5. - desodorierende Gemische/ROBERTET S.
A.). Das
technische Handeln selbst, hier die Verwendung von Memantin zur Behand-
lung von Morbus Alzheimer, erfährt mit diesem zusätzlichen Merkmal daher
keine Änderung, weshalb der Verwendung gemäß dem einzigen Patentan-
spruch nach Hauptantrag das Dokument NIK 12 aus den gleichen Gründen,
wie sie vorstehend zum einzigen Patentanspruch nach Hilfsantrag 1 darge-
legt worden sind, neuheitsschädlich entgegen steht.
1.2.3. Die Patentfähigkeit der gemäß Hauptantrag beanspruchten Verwen-
dung von Memantin sowie seiner pharmazeutisch verträglichen Salze zur
Herstellung eines Medikamentes ist aber auch dann nicht gegeben, wenn der
Senat den Begriff „cerebrale Ischämie“ im üblichen Sinne als Mangeldurch-
blutung bzw. Blutleere liest. In diesem Falle betrifft der Patentanspruch zwar
die Behandlung zweier voneinander unabhängiger Erkrankungen, wie sie so
nicht in der Entgegenhaltung NIK 12 beschrieben wird. Der Patentanspruch
ist aber auch in diesem Fall nicht bestandsfähig, weil die erfinderische Tätig-
keit nicht gegeben ist.
- 26 -
Die Wirksamkeit von Memantin bei cerebraler Ischämie wird in der als NIK 4
vorgelegten Broschüre mit dem Titel „1. Memantine Workshop“, beschrieben.
Dieser Workshop hatte schwerpunktmäßig die Behandlungsmöglichkeit von
Patienten im Blick, die an seniler Demenz, insbesondere der Alzheimerschen
Erkrankung leiden (vgl. S. VII „Vorwort“, S. 3, 4 übergreifender Absatz, S. 9
Abs. 1). In einem der darin veröffentlichten Beiträge, der sich mit der Phar-
makologie von Memantin befasst, wird anhand einer Untersuchung an
ischämischen Ratten, eines Versuches wie er auch streitpatentgemäß als
Beispiel E. zum Nachweis der Protektion vor cerebraler Ischämie beschrie-
ben wird, festgestellt, dass unter Gabe von Memantin keine Veränderungen
im EEG festzustellen waren. Dies führte zu der Schlussfolgerung, dass nach
einer entsprechenden Medikation keine Bewusstseinstrübungen nach einem
Infarkt im Hirnstamm, d. h. nach einer cerebralen Ischämie, erfolgten (vgl.
S. 44 c) „Katecholaminerge Wirkung“ 1. Spiegelstrich). Memantin war dem
Fachmann zum maßgeblichen Zeitpunkt aber auch als ein Wirkstoff bekannt,
der nicht nur bei geriatrischen Patienten mit psychischen und körperlichen
Beschwerden, die unter die Bezeichnung „hirnorganisches Psychosyndrom“
subsumiert werden, zu einer Verbesserung des Krankheitsbildes führte (vgl.
a. a. O. S. 27 bis 32), sondern auch als ein Wirkstoff, der bereits zur Behand-
lung der Alzheimerschen Erkrankung beschrieben worden ist (vgl. NIK 12
S. 87 „Abstract“ und S. 89/92 „Discussion“). Nachdem dem Fachmann aus
der Broschüre NIK 4 und dem wissenschaftlichen Artikel NIK 12 somit be-
kannt war, dass es sich bei Memantin um einen Wirkstoff handelt, mit dem
die Folgeerscheinungen beider im Patentanspruch genannten Erkrankungen,
nämlich einer cerebralen Ischämie, im Sinne einer Mangeldurchblutung bzw.
Blutleere, und von Morbus Alzheimer behandelt werden können, ist es als
nahe liegend anzusehen, dessen Verwendung auch für den Fall vorzusehen,
wenn bei einem Patienten beide Erkrankungen gleichzeitig diagnostiziert
werden.
- 27 -
2. Die beanspruchten Verwendungen gemäß den jeweils einzigen Patentan-
sprüchen nach den Hilfsanträgen 2 bis 5 sind gegenüber dem wissenschaftli-
chen Beitrag NIK 12 von W. W. Fleischhacker et al. gleichfalls nicht mehr
neu. Inwiefern die damit beanspruchten Gegenstände dem Erfordernis der
Offenbarung entsprechen, kann daher dahin gestellt bleiben.
2.1. Die gemäß Hilfsantrag 2 beanspruchte Verwendung unterscheidet sich
von der gemäß Hauptantrag beanspruchten Verwendung dadurch, dass das
zur Behandlung vorgesehene Medikament zur oralen Verabreichung herge-
richtet ist. Dieser Anspruch ist zulässig (vgl. BGH GRUR 2007, 404, 409
Rdn. (51) - Carvedilol II).
Das Merkmal der Herrichtung des Medikaments zur oralen Verabreichung
kann jedoch die Neuheit der beanspruchten Verwendung gegenüber der in
NIK 12 beschriebenen Verabreichung in Form einer Infusion nicht begrün-
den. Der Senat schließt sich insoweit der in Benkard PatG, 10. Aufl., § 3
Rdn. 92 a sowie Busse PatG, 6. Aufl., § 3 Rdn. 202 vertretenen Auffassung
an, dass die Neuheit der Verwendung eines bekannten Stoffes für eine zwei-
te medizinische Indikation wegen des normativen Charakters der Neuheit
und des auf den Handlungserfolg abstellenden medizinischen Verwendungs-
anspruchs (vgl. BGH GRUR 2007, 404, 406, Rdn. (24) - Carvedilol II; BGH
GRUR 2006, 135, Rdn. (10) - Arzneimittelgebrauchsmuster - m. w. H.) jeden-
falls dann nicht durch eine neue Zubereitungsform begründet werden kann,
wenn mit dieser keine andere therapeutische Wirkung erzielt wird als mit der
bekannten Zubereitungsform (aA
EPA T
51/93 Entsch. v. 8.
April
1994;
T 143/94 (ABL. 1996, 430) - Trigonellin) und mit dieser zudem - wie vorlie-
gend - auch keine neue Wirkungsweise verbunden ist (vgl. hierzu Melullis in
Benkard, PatG 10. Aufl., § 3 Rdn. 91 c; Keukenschrijver in Busse, PatG,
6. Aufl., § 3 Rdn. 202). Den vorliegenden Unterlagen kann nicht entnommen
werden, dass eine orale Verabreichung andere Wirkungen im Körper des Pa-
tienten hervorruft oder das Krankheitsbild in anderer Weise beeinflusst als ei-
ne Verabreichung in Form einer Infusion. Vielmehr sind auch streitpatentge-
- 28 -
mäß die Darreichungsformen Injektionslösung, Lösung, Tabletten, Dragees
und Infusionslösung als gleichwertig nebeneinander aufgeführt (vgl. Streit-
patent NIK 1 S. 6 Z. 40 bis 46 und S. 9 Z. 21 bis S. 10 Z. 24). Dem Ge-
genstand nach Hilfsantrag 2 fehlt daher die Neuheit, zumindest entbehrt die
Herrichtung des Medikaments zur oralen Verabreichung als eine von einem
bestimmten Zweck oder Ergebnis losgelöste beliebige Auswahl aus mehre-
ren gleichwertigen Möglichkeiten der erfinderischen Tätigkeit (vgl. BGH
GRUR 2004, 47 - Leitsatz 3 - blasenfreie Gummibahn I; BGH GRUR 2008,
56, 59 - Injezierbarer Mikroschaum).
2.2. Die einzigen Patentansprüche gemäß den Hilfsanträgen 3 und 4 unter-
scheiden sich von dem einzigen Patentanspruch gemäß Hilfsantrag 1 da-
durch, dass die Verwendung von Memantin nunmehr auf die Behandlung der
Schädigung von Neuronen infolge eines excessiven Einstroms von Calcium
durch NMDA-Rezeptorkanäle nach Morbus Alzheimer gerichtet ist und ge-
mäß Hilfsantrag 4 das Medikament zusätzlich in einer zur oralen Verabrei-
chung hergerichteten Form beansprucht wird. Da es sich bei dem Merkmal
der Behandlung der Schädigung von Neuronen infolge eines exzessiven Ein-
stroms von Calcium durch NMDA-Rezeptorkanäle ebenfalls lediglich um eine
Erklärung des Wirkungsmechanismus handelt, nicht aber um eine neue tech-
nische Lehre, d. h. die Verwendung zur Behandlung einer anderen, konkret
definierten Krankheit, ist auch die Neuheit der Patentansprüche gemäß Hilfs-
anträgen 3 und 4 aus den bereits im Zusammenhang mit dem vorstehend
erörterten Gegenstand gemäß Hauptantrag und Hilfsantrag 2 genannten
Gründen nicht gegeben.
2.3. Der einzige Patentanspruch nach Hilfsantrag 5 weist gegenüber dem
einzigen Patentanspruch gemäß Hilfsantrag 4 zusätzlich das Merkmal auf,
dass die Verwendung von Memantin zur neuroprotektiven Behandlung er-
folgt.
- 29 -
Die Beklagte führt im Zusammenhang mit diesem Merkmal aus, damit solle
zum Ausdruck gebracht werden, dass das Streitpatent, wie insbesondere
auch aus dem Beispiel E. auf Seite 8 zu ersehen sei, die Dauerbehandlung
an Morbus Alzheimer erkrankten Patienten betreffe. Nur so könne der
NMDA-Rezeptorkanal nämlich auf Dauer blockiert werden.
Dieses Merkmal kann bei der Beurteilung der Neuheit jedoch keine Rolle
spielen, weil es sich hierbei um eine weitere Erklärung des Wirkungsmecha-
nismus handelt, die - angesichts der Ausführungen der Beklagten, damit sol-
le das Erfordernis der Dauerbehandlung zum Ausdruck gebracht werden - zu
einer dem Patentschutz nicht zugänglichen Therapieanweisung führt (vgl.
BGH GRUR 2007, 404, 405 Rdn. (16) - Carvedilol II). Es handelt sich dabei
aber nicht - und hier sei ebenfalls auf die vorstehend zum einzigen Patentan-
spruch gemäß Hauptantrag genannten Gründen verwiesen - um eine andere
als in der Studie NIK 12 beschriebene medizinische Indikation.
III.
1) Die Nichtigkeit des angegriffenen ergänzenden Schutzzertifikats folgt be-
reits gemäß Art. 15 Abs. 1 c) VO (EWG) Nr. 1768/92 (AMVO) aus der Nich-
tigkeit des Grundpatents.
2) Dem angegriffenen Schutzzertifikat steht aber auch der von den Klägerin-
nen zu 3 und 4 geltend gemachte Nichtigkeitsgrund des Art. 15 Abs. 1 a)
AMVO entgegen, weil es entgegen Art. 3 AMVO i. V. m. Art. 2 AMVO erteilt
worden ist.
- 30 -
2.1. Gemäß Art. 3 wird das Zertifikat erteilt, wenn in dem Mitgliedstaat, in
dem die Anmeldung nach Artikel 7 eingereicht wird, zum Zeitpunkt dieser
Anmeldung
¾ a) das Erzeugnis durch ein in Kraft befindliches Grundpatent ge-
schützt ist;
¾ b) für das Erzeugnis als Arzneimittel eine gültige Genehmigung für
das Inverkehrbringen gemäß der Richtlinie 65/65/EWG bzw. der Richt-
linie 81/851/EWG erteilt wurde;
¾ c) für das Erzeugnis nicht bereits ein Zertifikat erteilt wurde;
¾ d) die unter Buchstabe b) erwähnte Genehmigung die erste Genehmi-
gung für das Inverkehrbringen dieses Erzeugnisses als Arzneimittel
ist.
2.1.1. Entgegen der Ansicht der Klägerinnen kann die Nichtigkeit des streit-
gegenständlichen Schutzzertifikats allerdings nicht auf Art. 3 d) AMVO ge-
stützt werden. Diese Vorschrift schließt die Erteilung des Zertifikats aus,
wenn in dem Mitgliedstaat der Zertifikatsanmeldung für dasselbe Erzeugnis,
auf das sich die unter Buchstabe b) erwähnte Genehmigung für das Inver-
kehrbringen gemäß Art. 65/65/EWG bezieht, bereits vorher eine Genehmi-
gung für das Inverkehrbringen erteilt worden ist, die ebenfalls eine Genehmi-
gung gemäß der Richtlinie 65/65/EWG sein muss. Diese Voraussetzung ist
bei der Zulassung, die für das Arzneimittel „Akationol Memantine“ unstreitig
bereits seit mehr als zwei
Jahrzehnten vor den Zulassungen
EU/1/02/219/001 bis EU/1/02/219/006 vom 15. Mai 2002 für das Arzneimittel
„Ebixa Memantine“ mit demselben -
nunmehr durch das Grundpatent
EP 0 392 059 geschützten - Wirkstoff Memantinhydrochlorid bestanden hat,
nicht erfüllt.
- 31 -
2.1.2. Soweit die Klägerinnen geltend machen, die Vorschrift des Art. 3 b)
AMVO stelle auf eine arzneimittelrechtliche Genehmigung ab, die keine sol-
che gemäß der Richtlinie 65/65/EWG sein müsse, steht diese Auffassung in
Widerspruch zu dem vom EuGH mehrfach hervorgehobenen Grundsatz, wo-
nach es durch nichts gerechtfertigt ist, den Begriff Genehmigung für das In-
verkehrbringen je nach der Vorschrift der Verordnung, in der er sich befindet,
unterschiedlich auszulegen. Nach den Ausführungen des EuGH nehmen we-
der Art. 19 AMVO noch irgendeine andere Vorschrift dieser Verordnung,
noch deren Begründungserwägungen explizit oder auch nur implizit auf eine
andere als die arzneimittelrechtliche Genehmigung im Sinne der Richtli-
nie 65/65/EWG Bezug, so wie sie in Art. 2 AMVO definiert ist (vgl. EuGH
GRUR GRUR 2004, 225, 228 Tz 56 und 57 - Hässle AB/ratiopharm GmbH
(Omeprazol); EuGH GRUR Int. 2005, 139, 140 Tz 16 und 21 - Pharma-
cia Italia SpA (Dostinex)). Diese Auslegung entspricht auch dem Sinn und
Zweck der Vorschrift des Art. 3 d) AMVO, die in unmittelbarem Zusammen-
hang mit der Anmeldefrist des Art. 7 AMVO und des Art. 19 AMVO steht und
sicherstellt, dass das Zertifikats bereits aufgrund der ersten in dem Mitglied-
staat der Anmeldung erteilten Genehmigung für das Inverkehrbringen inner-
halb der sechsmonatigen Frist des Art. 7 bzw. Art. 19 Abs. 2 AMVO ange-
meldet wird. Ohne die Vorschrift des Art. 3 d) AMVO hätte es der Inhaber
des Grundpatents in der Hand, den Zeitpunkt der Zertifikatsanmeldung selbst
zu bestimmen und das Zertifikat aufgrund irgendeiner in dem Mitgliedstaat
der Anmeldung erteilten späteren Genehmigung für das Inverkehrbringen
anzumelden (vgl. Schennen, Die Verlängerung der Patentlaufzeit für Arznei-
mittel im Gemeinsamen Markt, 1. Aufl., 1993, § 3 Rdn. 6; ferner Schlussan-
träge der Generalanwältin Stix-Hackl vom 26. Februar 2002 in der Rechtssa-
che C-127/00 - Hässle AB/ratiopharm GmbH (Omeprazol) - Tz 78 bis 81). Es
besteht daher nach Ansicht des Senats kein Zweifel, dass die erste Geneh-
migung für das Inverkehrbringen i. S. v. Art. 3 d) AMVO eine Genehmigung
sein muss, bei der das Erzeugnis vor seinem Inverkehrbringen Gegenstand
eines verwaltungsrechtlichen Genehmigungsverfahrens gemäß der Richtlinie
65/65/EWG gewesen ist.
- 32 -
2.1.3. Den Klägerinnen kann auch nicht darin gefolgt werden, dass die erste
Zulassung für das Arzneimittel „Akationol Memantine“ in Deutschland jeden-
falls die Voraussetzung einer Genehmigung gemäß der Richtlinie
65/65/EWG erfülle.
Wie aus der von der Beklagten geschilderten „Zulassungshistorie“ des Arz-
neimittels „Akationol Memantine“ hervorgeht, handelt es sich um ein sog. Alt-
arzneimittel, das nach den Vorschriften des Arzneimittelgesetzes vom
16. Mai 1961 und damit vor der Umsetzung der Richtlinie 65/65/EWG in
deutsches Recht zugelassen worden ist. Für solche Arzneimittel enthält
Art. 24 der Richtlinie 65/65/EWG eine Übergangsregelung, die in der Fas-
sung, die sie durch Art. 37 der zweiten Richtlinie 75/319/EWG des Rates
vom 20. Mai 1975 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften
über Arzneispezialitäten erhalten hat, wie folgt lautet:
„Die in dieser Richtlinie vorgesehene Regelung wird auf Arz-
neispezialitäten, für die eine Genehmigung aufgrund früherer
Vorschriften erteilt worden ist, innerhalb der Fristen und zu
den Bedingungen schrittweise angewandt, die in Art. 39
Abs. 2 und Abs. 3 der zweiten Richtlinie 75/319/EWG vorge-
sehen sind.“
In Art. 39 Abs. 2 ist den Mitgliedstaaten für die schrittweise Anwendung eine
Frist von 15 Jahren nach der Bekanntgabe der Richtlinie 75/319/EWG, d. h.
also bis zum 21. Mai 1990 gesetzt worden. Art. 39 Abs. 3 enthält die Ver-
pflichtung der Mitgliedstaaten, der Kommission innerhalb von drei Jahren
nach Bekanntgabe der Richtlinie 319/75/EWG die Anzahl der unter Abs. 2
fallenden Arzneispezialitäten mitzuteilen und in jedem folgenden Jahr die An-
zahl dieser Arzneispezialitäten, für die die Genehmigung für das Inverkehr-
bringen gemäß Art. 3 der Richtlinie 65/65/EWG noch nicht erteilt worden ist.
- 33 -
Die Richtlinie 65/65/EWG ist durch das Gesetz zur Neuordnung des Arznei-
mittelrechts (AMNG) vom 24. August 1976 (BGBl I S. 2445) in deutsches
Recht umgesetzt worden, wobei die Umsetzung des Art. 24 der Richtlinie
65/65/EWG durch die Überleitungsvorschrift des Art. 3 § 7 AMNG erfolgte,
die gemäß Art. 1 Nr. 60 des Fünften Gesetzes zur Änderung des Arzneimit-
telgesetzes vom 9. August 1994 als § 105 AMG fortbesteht.
Nach Art. 3 § 7 AMNG bzw. § 105 AMG wurden diejenigen Fertigarzneimittel,
die sich am 1. September 1976 im Verkehr befanden oder aufgrund eines bis
zum 1. September 1976 gestellten Antrags in das Spezialitätenregister nach
dem Arzneimittelgesetz 1961 eingetragen wurden, im Wege der Fiktion zuge-
lassen, wenn sie sich auch am 1. Januar 1978 noch im Verkehr befanden.
Die fiktiv zugelassenen Arzneimittel durften nur weiter in den Verkehr ge-
bracht werden, wenn sie innerhalb von sechs Monaten seit dem 1. Ja-
nuar 1978 beim Bundesgesundheitsamt angezeigt wurden. Die fiktive Zulas-
sung erlosch, wenn nicht bis zum 30. April 1990 Antrag auf Verlängerung der
fiktiven Zulassung gestellt und damit die materiellrechtliche Prüfung des Alt-
arzneimittels im Wege des sog. Nachzulassungsverfahrens eingeleitet
wurde.
Nach diesen Überleitungsvorschriften hatte auch die Beklagte für das bereits
vor dem 1. September 1976 auf den Markt gebrachte Arzneimittel „Akationol
Memantine“ eine fiktive Zulassung erhalten, die bis zu ihrem Erlöschen durch
Verzichtserklärung der Beklagten vom 9. Juli 2002 ohne Abschluss des
Nachzulassungsverfahren fortbestanden hatte.
2.1.4. Die durch Art. 3 § 7 AMNG bzw. § 105 AMG umgesetzte Regelung des
Art. 24 der Richtlinie 65/65/EWG kann entgegen der Ansicht der Klägerinnen
nicht dahingehend ausgelegt werden, dass die in den Mitgliedstaaten nach
früheren nationalen Vorschriften zugelassenen Altarzneimittel als solche an-
zusehen sind, die aufgrund einer Genehmigung gemäß der Richtlinie
65/65/EWG in den Verkehr gebracht worden sind. Nach der Übergangsvor-
- 34 -
schrift des Art. 24 der Richtlinie 65/65/EWG durften die Altarzneimittel zwar
bis zum Stichtag 21. Mai 1990 weiterhin rechtmäßig und damit richtlinienkon-
form in den Verkehr gebracht werden. Dies geschah aber gerade ohne eine
Genehmigung gemäß Art. 3 der Richtlinie 65/65/EWG, die in einem verwal-
tungsrechtlichen Verfahren nach materiellrechtlicher Prüfung der Arzneimittel
auf Wirksamkeit, Unbedenklichkeit und Qualität gemäß Art. 4 der Richtlinie
65/65/EWG erteilt worden ist. Dies macht auch die nach Art. 39 Abs. 3 der
zweiten Richtlinie 75/319/EWG bestehende Verpflichtung der Mitgliedstaaten
deutlich, der Kommission die noch nicht gemäß Art.
3 der Richtlinie
65/65/EWG genehmigten Arzneimittel jährlich mitzuteilen.
2.2. Ausgehend hiervon hätte nach Auffassung des Senats für das Erzeugnis
Memantinhydrochlorid ein Schutzzertifikat bereits deshalb nicht erteilt werden
dürfen, weil es nicht in den sachlichen Anwendungsbereich des Art. 2 AMVO
fällt. Nach Art. 2 AMVO kann
„für jedes im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats durch ein Patent ge-
schütztes Erzeugnis, das vor seinem Inverkehrbringen als Arznei-
mittel Gegenstand eines verwaltungsrechtlichen Genehmigungsver-
fahrens gemäß der Richtlinie
65/65/EWG oder der Richtlinie
81/851/EWG ist,
[kann] nach den in dieser Verordnung festgelegten
Bedingungen und Modalitäten ein Zertifikat erteilt werden“.
2.2.1. Das Vorliegen des sachlichen Anwendungsbereichs der AMVO nach
Art. 2 stellt eine Erteilungsvoraussetzung dar, die erst den Anwendungsbe-
reich des Art. 3 AMVO für die Erteilung des Zertifikats eröffnet und daher
auch bei der Prüfung des Nichtigkeitsgrundes des Art. 15 Abs. 1 a) AMVO
nicht außer Betracht bleiben darf (vgl. entsprechend zu der zusätzlichen Er-
teilungsvoraussetzung des Art. 19 Abs. 1 AMVO - EuGH GRUR 2004, 225,
Tz - Hässle AB/ratiopharm GmbH (Omeprazol)).
- 35 -
2.2.2. In dem Zeitpunkt der Anmeldung des streitgegenständlichen Zertifikats
hat für das Inverkehrbringen des patentgeschützten Wirkstoffs Memantin-
hydrochlorid als Arzneimittel zwar eine Genehmigung gemäß der Richtli-
nie
65/65/EWG in Form der Zulassungen EU/1/02/219/001
bis
EU/1/02/219/006 vom 15. Mai 2002 bestanden, so dass die Voraussetzun-
gen des Art. 3 a) und b) AMVO erfüllt waren. Dies ändert aber nichts daran,
dass der Wirkstoff Memantinhydrochlorid in Deutschland bereits zu einem
Zeitpunkt zugelassen und in den Verkehr gebracht worden war, als die Richt-
linie
65/65/EWG noch nicht erlassen war, und es deshalb an der in
Art. 2 AMVO
vorausgesetzten
Genehmigung gemäß der Richtlinie
vor
Arzneimittel fehlt.
2.2.3. Die Regelung des Art. 2 AMVO stellt ein dem Sinn und Zweck der
AMVO entsprechendes Korrektiv für die sog Altarzneimittel dar, die nicht
nach der Richtlinie 65/65/EWG in den Verkehr gebracht worden sind.
Nach der dritten und vierten Begründungserwägung der AMVO soll mit dem
Zertifikat ein wirtschaftlicher Ausgleich für den Zeitraum zwischen der An-
meldung des Grundpatents für ein neues Arzneimittel und der Genehmigung
für das Inverkehrbringen desselben Arzneimittels gewährt werden, in dem
das Ausschließlichkeitsrecht ökonomisch nicht verwertet werden kann, die
effektive Patentlaufzeit also entsprechend der Dauer des Genehmigungs-
verfahrens verkürzt wird (vgl. auch Schlussanträge der Generalanwältin Stix-
Hackl vom 26.
Februar
2002 in der Rechtssache
C-127/00 -
Hässle
AB/ratiopharm (Omeprazol) Tz. 83). Konnte ein Erzeugnis, dessen Verwen-
dung als Arzneimittel zur Behandlung einer bestimmten Krankheit in dem
Zeitpunkt der Zertifikatsanmeldung durch ein Patent geschützt ist, als Arz-
neimittel bereits unter der Geltung von Vorschriften in den Verkehr gebracht
werden, die noch vor der Richtlinie 65/65/EWG erlassen worden sind und de-
ren Genehmigung ein Verfahren gemäß dieser Richtlinie nicht erforderte, ist
eine Verlängerung der effektiven Patentschutzdauer nicht gerechtfertigt.
- 36 -
Art. 2 AMVO wirkt zudem einer der Zielsetzung der AMVO zuwiderlaufenden
ungerechtfertigten Ungleichbehandlung der als Altarzneimittel in den Verkehr
gebrachten Erzeugnisse in den Mitgliedstaaten entgegen. Wäre - wie Be-
klagte geltend macht - eine nach früheren nationalen Vorschriften erteilte
Genehmigung nur zu berücksichtigen, wenn sie den Voraussetzungen der
Richtlinie 65/65/EWG entspricht, so hätte dies zur Folge, dass der Erwerb
eines Zertifikats dann ausgeschlossen wäre, wenn der jeweilige Mitgliedstaat
diese Richtlinie bereits frühzeitig umgesetzt und die richtlinienkonforme Ge-
nehmigung vor dem gemäß Art. 19 Abs. 1 AMVO maßgeblichen Stichtag er-
teilt hat. Andererseits bliebe in den Mitgliedstaaten, in denen das Altarznei-
mittel bis zu der gemäß Art. 24 der Richtlinie 65/65/EWG am 21. Mai 1990
endenden Übergangsfrist oder - wie in Deutschland - sogar gemeinschafts-
rechtswidrig darüber hinaus in den Verkehr gebracht worden ist (vgl HE 14
zu dem gegen die Bundesrepublik Deutschland eingeleiteten Verfahren we-
gen Vertragsverletzung), ohne jemals Gegenstand einer Genehmigung ge-
mäß der Richtlinie 65/65/EWG gewesen zu sein, der Erwerb eines Zertifikats
aufgrund einer nach dem jeweiligen Stichtag des Art. 19 Abs. 1 AMVO er-
teilten späteren Genehmigung gemäß der Richtlinie 65/65/EWG möglich,
sofern die Voraussetzung des Art. 13 Abs. 1 AMVO erfüllt ist.
2.3. Der Einwand der Beklagten, dass ihr für die mit intensivem Forschungs-
aufwand verbundene Bereitstellung eines Medikaments für eine weitere Indi-
kation, nämlich Morbus Alzheimer, die ein ähnlich umfangreiches Zulas-
sungsverfahren erfordere wie die Erstzulassung des Wirkstoffs, ein verlän-
gerter Patentschutz gebühre, kann zu keiner anderen Beurteilung führen.
Gegen diese Auffassung spricht, dass sich der Begriff „Erzeugnis“ nach der
Legaldefinition des Art. 1 b) AMVO allein auf den Wirkstoff oder die Wirk-
stoffzusammensetzung bezieht, während die Verwendung des Erzeugnisses
für einen weiteren medizinischen Zweck kein integraler Bestandteil der Defi-
nition des Erzeugnisses ist (vgl. EuGH Mitt. 2007, 308 Yissum (Calcitriol);
EuGH GRUR 2005, 139, 140 Tz. 16 und 21 - Pharmacia Italia SpA (Dosti-
nex)). Dies hat zur Folge, dass es mit dem Sinn und Zweck der AMVO nicht
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vereinbar wäre, einem für eine bestimmte medizinische Indikation patentge-
schützten Erzeugnis, das schon nach dem Arzneimittelgesetz 1961 für ande-
re Indikationen zugelassen war und nach der Umsetzung der Richtlinie im
Wege einer fiktiven Zulassung weiter in den Verkehr gebracht werden
konnte, ausweislich der Roten Liste 1992 auch für die Indikation Alzheimer
Krankheit, einen verlängerten Patentschutz durch ein Zertifikat zu gewähren.
2.4. Entgegen der in der in der mündlichen Verhandlung vertretenen Ansicht
der Beklagten trifft es auch nicht zu, dass eine erste Genehmigung für das
Inverkehrbringen eines Erzeugnisses als Arzneimittel die Erteilung eines Zer-
tifikats grundsätzlich nur dann ausschließen kann, wenn für das Erzeugnis in
dem Zeitpunkt der Genehmigung Patentschutz bestanden hat, es zu diesem
Zeitpunkt also nicht „gemeinfrei“ war. Insoweit wird auf die vom Senat bereits
in der mündlichen Verhandlung erwähnte „Chloridazon“-Entscheidung (EuGH
GRUR Int. 2001, 754, insbes. Tz. 6 und 7) verwiesen, in der es um den Fall
einer im Jahr 1967 für ein nicht patentgeschütztes Erzeugnis erteilten Ge-
nehmigung für das Inverkehrbringen ging, die gegenüber einer in demselben
Mitgliedstaat (Niederlande) im Jahr 1987 erteilten weiteren Genehmigung für
dasselbe - nunmehr patentgeschützte - Erzeugnis als erste Genehmigung für
das Inverkehrbringen i. S. v. Art. 3 Abs. d) VO (EG) Nr. 1610/96 angesehen
wurde (vgl. ferner auch Hacker in Busse, PatG, 6. Aufl., § 16a Rdn. 55). Eine
andere Beurteilung ist auch bei einer vor Erlass der Richtlinie 65/65/EWG
erteilten ersten Zulassung eines nicht patentgeschützten Erzeugnisses als
Arzneimittel nicht gerechtfertigt. Der mangelnde Patentschutz in dem Zeit-
punkt der ersten Genehmigung für das Inverkehrbringen in Deutschland steht
der Ausnahme des Erzeugnisses Memantinhydrochlorid aus dem Anwen-
dungsbereich des Art. 2 AMVO also nicht entgegen.
- 38 -
3. Das angegriffene Schutzzertifikat war daher gemäß Art.
3 i.
V.
m.
Art. 2 AMVO für nichtig zu erklären, ohne dass es Eingehens auf die luxem-
burgische Genehmigung vom 30. Juni 1983 und die von der Beklagten in das
Verfahren eingeführte portugiesische Genehmigung vom 1. Februar 1991
sowie die damit verbundene Frage der Nichtigkeit des angegriffenen Zertifi-
kats gemäß Art. 15 Abs. 1 a) in Verbindung mit der Stichtagsregelung des
Art. 19 Abs. 1 AMVO bzw. der Laufzeitregelung des Art. 13 Abs. 1 AMVO
bedurfte.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. §§ 91 Abs. 1,
100 Abs. 2 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf
§ 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.
Dr. Schermer
Engels
Dr. Proksch-Ledig Dr. Gerster
Dr. Schuster
Be