Urteil des BPatG vom 08.08.2007

BPatG: verwechslungsgefahr, beschreibende angabe, vitamin, eng, unterliegen, wortmarke, begriff, patent, kennzeichnungskraft, aufmerksamkeit

BUNDESPATENTGERICHT
32 W (pat) 63/06
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(Aktenzeichen)
B E S C H L U S S
In der Beschwerdesache
betreffend die Marke 303 59 395
BPatG 152
08.05
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hat der 32. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts unter
Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Prof. Dr. Hacker sowie der Richter Viereck
und Kruppa in der Sitzung vom 8. August 2007
beschlossen:
Unter Zurückweisung des Widerspruchs wird die Beschwerde der
Widersprechenden zurückgewiesen.
G r ü n d e
I.
Die am 14. November 2003 angemeldete Wortmarke
Vitaminis
ist am 22. April 2004 für die Waren
„Zuckerwaren, Fruchtgummi, Lakritz (nicht für medizinische
Zwecke), alle vorgenannten Waren auch geschäumt; Bonbons,
Kaubonbons, Kaugummis (nicht für medizinische Zwecke)“
unter der Nr. 303 59 395 in das Markenregister eingetragen worden.
Widerspruch erhoben ist aus der am 7. August 2003 angemeldeten und am
9. Februar 2004 eingetragenen deutschen Marke 303 39 383
Vitaminos
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die für folgende Waren Schutz genießt:
„Schokolade, Pralinen, Marzipan, Zuckerwaren, Bonbons, Gummi-
süßwaren, Schaumzuckerwaren, Lakritz, feine Back- und Kondi-
torwaren, geröstete Nüsse in Schokoladenhülle und dragiert, Ro-
sinen in Schokoladenhülle“.
Seitens der Markenstelle für Klasse 30 des Deutschen Patent- und Markenamts ist
die angegriffene Marke in einem ersten Beschluss vom 15. März 2005 wegen Be-
stehens einer Verwechslungsgefahr mit der Widerspruchsmarke gelöscht worden.
Die jeweiligen Waren seien teils identisch und teils hochgradig ähnlich. Die Kenn-
zeichnungskraft der eng an eine beschreibende Angabe angelehnten Wortmarke
„Vitaminos“ liege im unteren Grenzbereich des normalen Schutzumfangs. Klang-
lich unterschieden sich die Vergleichsmarken nur in einem Buchstaben, der noch
dazu am oftmals unbeachteten Wortende liege, während Silbengliederung und
Wortaufbau im Übrigen identisch seien.
Auf die Erinnerung der Markeninhaberin hat dieselbe Markenstelle - besetzt mit
einer Beamtin des höheren Dienstes - mit Beschluss vom 27. März 2006 den Erst-
beschluss aufgehoben, da keine Verwechslungsgefahr bestehe. Bei beiden Ver-
gleichsmarken handele es sich um offensichtliche Abwandlungen des Begriffs
„Vitamin“, der eine beschreibende Beschaffenheitsangabe darstelle. Daraus folge
ein eng zu bemessender Schutzumfang der Widerspruchsmarke, so dass eine
Verwechslungsgefahr schon bei geringfügigen Abweichungen - wie hier - aus
Rechtsgründen ausscheide.
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Gegen den Erinnerungsbeschluss hat die Widersprechende Beschwerde einge-
legt. Sie stellt den Antrag,
den Beschluss des Deutschen Patent- und Markenamts vom
27. März 2006 aufzuheben und die Marke 303 59 395 zu löschen.
Die sich gegenüberstehenden, fast identischen Marken hielten den bei gleichen
Waren zum Ausschluss einer Verwechslungsgefahr erforderlichen Abstand nicht
ein. Die Abweichung in nur einem einzigen Vokal in der jeweiligen Endung falle
weder schriftbildlich, noch klanglich auf. Vor allem aus der unsicheren Erinnerung
heraus könne die eine Marke für die andere gehalten werden. Die Rechtspre-
chung sei in vergleichbaren Fällen vom Bestehen einer Verwechslungsgefahr aus-
gegangen.
Eine Stellungnahme der Markeninhaberin ist nicht zur Gerichtsakte gelangt.
Wegen sonstiger Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II.
Die zulässige Beschwerde der Widersprechenden bleibt in der Sache ohne Erfolg.
Allerdings ist der angefochtene Erinnerungsbeschluss der Markenstelle insoweit
unvollständig, als er - weder in der Beschlussformel, noch in den Gründen - den
Widerspruch aus der Marke 303 39 383 nicht ausdrücklich zurückweist, vielmehr
lediglich den Erstbeschluss aufhebt. Dieser - formale - Mangel ist für den Senat
Anlass, den Widerspruch nunmehr im Tenor der Entscheidung zusätzlich zurück-
zuweisen.
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Ansonsten, was die Annahme fehlender Verwechslungsgefahr anbetrifft, ist der
zutreffend begründeten Entscheidung der Erinnerungsprüferin zu folgen. Die sich
gegenüberstehenden Marken unterliegen - letztlich aus Rechtsgründen - keiner
Gefahr einer Verwechslung im Verkehr gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 2, § 42 Abs. 2 Nr. 1
MarkenG.
Die Beurteilung der Verwechslungsgefahr hat unter Berücksichtigung aller Um-
stände des Einzelfalls zu erfolgen, wobei eine Wechselwirkung zwischen den in
Betracht zu ziehenden Faktoren besteht, insbesondere der Ähnlichkeit der Marken
und der Identität bzw. Ähnlichkeit der mit ihnen gekennzeichneten Waren (und
Dienstleistungen), der Kenzeichnungskraft der älteren Marke sowie der Art des
beteiligten Verkehrs und dessen zu erwartender Aufmerksamkeit gegenüber
Warenkennzeichnungen (st. Rspr.; vgl. z.
B. EuGH GRUR
Int.
1999, 734
- Lloyd/Loints; GRUR 2005, 1042 - THOMSON LIFE; GRUR
2006, 237
-
PICASSO; MarkenR
2007, 315 -
Limoncello; BGH GRUR
2005, 513
- Ella May/MEY; GRUR 2006, 859 - Malteserkreuz).
Die Verwechslungsgefahr stellt einen - normativ auszufüllenden - Rechtsbegriff
dar, der mit der tatsächlichen Verwechselbarkeit nicht übereinstimmen muss. So
wie besonders kennzeichnungskräftige ältere Marken mit entsprechend hohem
Schutzumfang auch dann einer Verwechslungsgefahr mit einer angegriffenen
Marke unterliegen können, wenn die Vergleichszeichen einander nur entfernt
ähnlich sind (vgl. z. B. BPatG GRUR 2000, 87 - LIOR/DIOR; GRUR 2005, 777
- NATALLA/nutella), kann umgekehrt - letztlich aus Rechtsgründen - gleichwohl
keine Verwechslungsgefahr vorliegen, wenn die weitgehenden Gemeinsamkeiten
der Zeichen nur auf kennzeichnungsschwachen Wortelementen oder Wortteilen
beruhen (vgl. BPatG GRUR 2002, 68 - COMFORT HOTEL). Letzteres ist vorlie-
gend der Fall. Zwar ist der Senat - ebenso wie die Markenstelle - an die Eintra-
gung der Widerspruchsmarke gebunden; er darf dieser nicht jeglichen Schutz ab-
sprechen. Dies hindert ihn aber nicht daran, die Kennzeichnungskraft der Wider-
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spruchsmarke näher zu bestimmen und daraus die gebotenen Schlussfolgerungen
für die Verwechslungsgefahr zu ziehen.
Bei dieser Ausgangslage besteht vorliegend, trotz teilweiser Warenidentität bzw.
hoher Warenähnlichkeit, keine Verwechslungsgefahr in unmittelbarer oder sons-
tiger Hinsicht, weil die Widerspruchsmarke - ebenso wie die jüngere Marke - er-
sichtlich an den Begriff „Vitamin“ angelehnt ist. Dieses Wort stellt für die hier ent-
scheidungserheblichen Produkte des Süß- und Backwarensektors lediglich einen
Hinweis auf deren Beschaffenheit dar. Diese können Vitamine enthalten oder mit
Vitaminen angereichert sein. Für Süßwaren wird nicht selten mit deren Vitamin-
gehalt geworben. Wie die Widersprechende selbst im Verfahren der Anmeldung
ihrer Marke vorgetragen hat (Schriftsatz vom 2. Dezember 2003), ist der Begriff
„Vitaminbonbons“ zur Bezeichnung von Bonbons mit Vitaminen handelsüblich (vgl.
ergänzend: Dr. Oetker, Lebensmittel Lexikon, 4. Aufl., S. 849, Stichwort „Vitamini-
sierte Bonbons“).
Da der Schutzbereich von Marken, die sich an eine beschreibende und freihal-
tungsbedürftige Angabe anlehnen, eng zu bemessen ist und sich auf die jeweilige
eintragungsbegründende Eigenprägung - d. h. hier die Endsilbe - beschränkt,
kann allein diese den Schutzumfang bestimmen. Ebenso wenig, wie Schutz für die
zugrundeliegende schutzunfähige Bezeichnung „Vitamin“ beansprucht werden
kann (vgl. BGH GRUR 2000, 608 - ARD 1; GRUR 2003, 963 - AntiVir/AntiVirus;
GRUR
2004, 775 -
EURO
2000; BPatG, Beschluss vom 4.
April
2006,
24 W (pat) 113/04 - FITAMIN/VIT-H-MIN), kann aus der Übereinstimmung in die-
sem Wortbestandteil, d. h. den ersten drei Silben der Vergleichsmarken, eine Ver-
wechslungsgefahr abgeleitet werden. Die abgewandelte Endung der jüngeren
Marke unterscheidet sich trotz der Übereinstimmung im Endkonsonanten „s“ durch
den Vokal “i“ sowohl schriftbildlich wie klanglich deutlich vom Vokal „o“ in der Wi-
derspruchsmarke.
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Unabhängig von der Frage, ob in Anbetracht der eher geringwertigen Waren tat-
sächlich mit Verwechslungsfällen, vor allem aus der undeutlichen Erinnerung her-
aus, gerechnet werden muss, scheidet die Annahme einer unmittelbaren (schrift-
bildlichen wie phonetischen) Verwechslungsgefahr aus. Eine begriffliche Ver-
wechslungsgefahr - unmittelbar oder infolge gedanklicher Assoziationen - ist eben-
falls nicht gegeben, weil begriffliche Klammer für beide Zeichen lediglich das - wie
ausgeführt - schutzunfähige Wort „Vitamin“ darstellt (vgl. BGH GRUR 1976, 143
- Biovital).
Für die Auferlegung von Verfahrenskosten (gem. § 71 Abs. 1 MarkenG) besteht
kein Anlass.
Prof. Dr. Hacker
Kruppa
Viereck
Hu