Urteil des BPatG vom 12.06.2007

BPatG: stand der technik, perpetuatio fori, einspruch, erfindung, fig, form, patentanspruch, vorbenutzung, breite, neuheit

BUNDESPATENTGERICHT
21 W (pat) 348/04
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(Aktenzeichen)
Verkündet am
12. Juni 2007
B E S C H L U S S
In der Einspruchssache
BPatG 154
08.05
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hat der 21. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf
die mündliche Verhandlung vom 12. Juni 2007 unter Mitwirkung des Vorsitzenden
Richters Dipl.-Phys.
Dr.
Winterfeldt, des Richters Dipl.-Phys.
Dr.
Häußler, der
Richterin Hartlieb sowie des Richters Dipl.-Phys. Dr. Morawek
beschlossen:
Das Patent wird beschränkt aufrechterhalten mit der Maßgabe,
dass der Anspruch 1 durch den in der mündlichen Verhandlung
vorgelegten ersetzt wird.
G r ü n d e
I
Auf die am 16. Mai 2000 beim Patentamt eingereichte Patentanmeldung ist das
nachgesuchte Patent 101 23 842 mit der Bezeichnung "Dentalmodell" erteilt wor-
den. Die Veröffentlichung der Patenterteilung ist am 12. August 2004 erfolgt.
Gegen das Patent ist am 11. November 2004 Einspruch erhoben worden.
Die Einsprechende hat zum Stand der Technik auf folgende Entgegenhaltungen
verwiesen:
D1 US 1 045 920
D2 US 2 005 114
D3 US 3 458 936
D4 DE 44 29 724 C2
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D5 DE 36 21 952 A1
D6 US 3 886 661
D7 DE 40 29 230 C2
D8 DE 24 03 211 C3.
Die Einsprechende macht auch eine offenkundige Vorbenutzung geltend, wozu sie
u. a. auf einen Katalog der Einsprechenden verweist.
Die Einsprechende ist der Auffassung, dass der Gegenstand des in der mündli-
chen Verhandlung vorgelegten Anspruchs 1 nicht erfinderisch sei und dass das
Patent die Erfindung nicht so deutlich und vollständig offenbare, dass ein Fach-
mann sie ausführen könne.
Die Einsprechende beantragt,
das Patent zu widerrufen.
Die Patentinhaberin beantragt,
das Patent aufrechtzuerhalten, mit der Maßgabe, dass der An-
spruch 1 durch den in der mündlichen Verhandlung vorgelegten
ersetzt wird.
Der mit Gliederungspunkten versehene, in der mündlichen Verhandlung vorgeleg-
te Patentanspruch 1 lautet:
M1 Dentalmodell, insbesondere für Übungszwecke,
M2 mit einer Halteplatte
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M3 mit Wurzelausnehmungen (17)
M4 für künstliche Zähne (16), die je einen Zahnstumpf (18) auf-
weisen, der in die betreffende Wurzelausnehmung (17) passt,
M5 und einer die anatomische Situation imitierenden Zahnfleisch-
masse (22),
M6 die die Zähne (16) der Zahnreihe übergreift,
dadurch gekennzeichnet, dass
M7 die Zahnfleischmasse auch die Wurzelausnehmungen (17)
übergreift und
M8 die Zähne (16) an der Halteplatte (12) und in ihren Wurzelaus-
nehmungen (17) mindestens mit Friktion lösbar gehalten sind,
M9 und dass der Kieferkamm oben in seinem elastischen Bereich
eine Retentionsausnehmung (24) aufweist, in der ein Zap-
fen (20) des Zahns (16) elastisch gelagert ist.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II
1. Die Zuständigkeit des Bundespatentgerichts für die Entscheidung über den Ein-
spruch ergibt sich aus § 147 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 PatG in der bis einschließlich
30. Juni 2006 gültigen Fassung, da vorliegend die Einspruchsfrist nach dem 1. Ja-
nuar 2002 zu laufen begonnen hat, der Einspruch vor dem 1. Juli 2006 eingelegt
worden ist und das Bundespatentgericht auch nach Ablauf der befristeten Zustän-
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digkeitsregelung des § 147 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 PatG durch das "Gesetz zur Ände-
rung des patentrechtlichen Einspruchsverfahrens und des Patentkostengesetzes"
vom 26. Juni 2006 (BGBl 2006, Teil I, Seite 1318) mangels einer ausdrücklichen
entgegenstehenden Regelung für die in dem bezeichneten befristeten Zeitraum
zugewiesenen Einspruchsverfahren nach dem allgemeinen Rechtsgrundsatz der
fortwirkenden Zuständigkeit "perpetuatio fori" zuständig bleibt vgl. hierzu ausführ-
lich BPatG Beschl. v. 19. Oktober 2006 - 23 W (pat) 327/04).
2. Der form- und fristgerecht erhobene Einspruch ist zulässig, denn die für die Be-
urteilung der behaupteten Widerrufsgründe maßgeblichen tatsächlichen Umstände
sind von der Einsprechenden innerhalb der gesetzlichen Frist im Einzelnen so dar-
gelegt worden, dass die Patentinhaberin und der Senat daraus abschließende Fol-
gerungen für das Vorliegen bzw. Nichtvorliegen eines Widerrufsgrundes ohne ei-
gene Ermittlungen ziehen können.
Die Zulässigkeit des Einspruchs ist im Übrigen von der Patentinhaberin nicht be-
stritten worden.
Der Einspruch ist auch insoweit begründet, als er nach dem Ergebnis der mündli-
chen Verhandlung zur beschränkten Aufrechterhaltung des Streitpatents auf der
Grundlage des in der mündlichen Verhandlung überreichten, neuen Patentan-
spruchs 1 führt.
3. Die Ansprüche sind zulässig. Der neue Anspruch 1 ergibt sich aus dem ur-
sprünglichen Anspruch 1 und der ursprünglich eingereichten Beschreibung (siehe
Absätze [0009, 0024, 0025] in der Offenlegungsschrift). Die Unteransprüche ge-
hen auf die ursprünglichen Unteransprüche zurück.
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Das Patent betrifft ein Dentalmodell mit künstlichen Zähnen und Zahnfleischmasse
auf einer Halteplatte. Gemäß der Patentschrift (siehe Absatz [0007]) liegt der Er-
findung die Aufgabe zugrunde, ein Dentalmodell zu schaffen, das hinsichtlich der
einfachen und zuverlässigen Austauschbarkeit von einzelnen Zähnen, der Lager-
sicherheit und der Standfestigkeit der Zähne, verbessert ist. Das Dentalmodell soll
mehrfach verwendbar sein und weitgehend in Form und Material einem Patienten-
fall entsprechen.
Fachmann ist ein auf dem Gebiet der Zahntechnik berufserfahrener FH-Ingenieur
der Fachrichtung Medizintechnik.
4. Dem Gegenstand des Patentanspruchs 1 stehen Schutzhindernisse nicht ent-
gegen.
4.1 Gemäß der Einsprechenden soll die Lehre nach Anspruch 1 nicht ausführbar
sein, da der Begriff "übergreifen" in den Merkmalsgruppen M6 und M7 unklar sei.
Gemäß dem Gesamtoffenbarungsgehalt der Erfindung soll eine natürliche Zahn-
fleischmasse in dem Dentalmodell vorhanden sein, die die Zähne und die Halte-
platte teilweise bedeckt und sich dabei in der vertikalen Ausdehnung auch mit den
Ausnehmungen überlappt und die Zahnhälse umschließt (siehe Schnittansichten
in Fig. 1 und 2). Der Fachmann versteht dieses breite und damit wenig einschrän-
kende Merkmal in diesem Sinne und gelangt somit zu einer ausführbaren Lehre.
Ein Übergreifen der Zähne und der Wurzelausnehmungen durch die Zahnfleisch-
masse mag somit zwar ein allgemein und breit gefasstes Merkmal sein, dies ist
aber keine Frage der Klarheit oder Ausführbarkeit, sondern der Neuheit oder der
erfinderischen Tätigkeit (siehe BPatGE 47, 163-167 - Frühestmöglicher Auslöse-
zeitpunkt und BPatGE 48, 143-147 - Rahmensynchronisation).
4.2 Der - zweifelsohne gewerblich anwendbare - Gegenstand des verteidigten Pa-
tentanspruchs 1 ist, wie sich aus den nachfolgenden Ausführungen zur erfinderi-
schen Tätigkeit ergibt, gegenüber dem im Verfahren befindlichen Stand der Tech-
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nik neu, da keine der entgegengehaltenen Druckschriften ein Dentalmodell mit
sämtlichen, im Patentanspruch 1 aufgeführten Merkmalen offenbart. Das bean-
spruchte Dentalmodell wird dem Fachmann durch den genannten Stand der Tech-
nik auch nicht nahe gelegt.
Aus der Druckschrift D4 (siehe insbesondere die Fig. 1 bis 4 mit zugehöriger Be-
schreibung in Sp. 3, Zeile 67 bis Sp. 7, Zeile 4) ist als nächstkommender Stand
der Technik ein Dentalmodell mit einer Halteplatte (Hauptkörper 14), Zähnen 12
und einer Zahnfleischmasse (Kragen 44) gemäß den Merkmalen M1 bis M8 be-
kannt. Gemäß der Druckschrift D4 werden die Zähne in der Halteplatte von einem
gummielastischen Material 16 gehalten, welches bei der Herstellung des Dental-
modells bei in der Halteplatte eingesetzten Zähnen in eine in der Halteplatte (14)
rückseitig angeordnete Rinne eingegossen wird und dort aushärtet (siehe Spal-
te 5, Absatz 1). Dabei entsteht auch ein elastischer Vorsprung, der in eine Ker-
be 24 in den Zähnen eingreift und somit die lösbaren Zähne zusätzlich axial fixiert.
Aus der Druckschrift D4 ist somit neben der kraftschlüssigen Lagerung der Zähne
in den Ausnehmungen der Halteplatte ein in der Halteplatte ausgebildeter elasti-
scher Vorsprung bekannt, während gemäß dem Merkmal 19 des neuen An-
spruchs eine Ausnehmung im oberen Bereich des Kieferkammes und ein am Zahn
vorhandener Zapfen beansprucht wird, die über die Elastizität des Kieferkammes
lösbar sind. Zur lösbaren Halterung die elastischen Eigenschaften des Kieferkam-
mes auszunutzen, ist somit aus der D4 weder bekannt noch nahe gelegt.
Aus der Druckschrift D1 (siehe insbesondere die Fig. 1 und 2 mit zugehöriger Be-
schreibung in li. Sp., Zeile 24 - re. Sp., Zeile 55) ist ein Dentalmodell mit einer Hal-
teplatte (body 1), Zähnen (teeth 3) und einer Zahnfleischmasse (gum 2) gemäß
den Merkmalen M1 bis M7 bekannt. Dass die Zähne lösbar in der Halteplatte ge-
halten werden, ist aus der Beschreibung der Druckschrift D1 nicht entnehmbar, da
die Beschreibung auch keine Hinweise zur Herstellung des Dentalmodells enthält.
Am unteren Ende der Zähne angebrachte Rasten (notches 4) sollen für eine si-
chere Halterung der Zähne in der Halteplatte sorgen (siehe Spalte 1, Zeile 36 bis
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43). Diese Rasten liegen gemäß den Schnittansichten der Figuren 1 und 2 in Aus-
nehmungen im Bereich der Halteplatte. Die Druckschrift D1 gibt demnach auch
keine Hinweise auf eine Anbringung von Ausnehmungen im oberen Bereich des
Kieferkammes unter Ausnutzung dessen Elastizität gemäß Merkmalsgruppe M9,
zumal eine lösbare Anbringung der Zähne aus der Druckschrift D1 für den Fach-
mann ohnehin nicht entnehmbar ist.
Die verbleibenden, im Verfahren befindlichen Druckschriften liegen vom Streitpa-
tentgegenstand - wie der Senat im Einzelnen geprüft hat - weiter ab und liefern
auch keine weiteren Hinweise auf die Ausgestaltung des Kieferkammes gemäß
Merkmalsgruppe M9. Das in dem zur offenkundigen Vorbenutzung angeführten
Katalog dargestellte Dentalmodell ist ebenfalls unbeachtlich, da es nach Aussage
der Einsprechenden in der mündlichen Verhandlung ebenfalls keine Hinweise auf
die Merkmale in Merkmalsgruppe M9 enthält.
Der Gegenstand des neuen Patentanspruchs 1 ist nach alledem patentfähig. Die
Unteransprüche und die weiteren Unterlagen haben Bestand, da gegen sie eben-
falls keine Einspruchsgründe ersichtlich sind.
Dr. Winterfeldt
Dr. Häußler
Hartlieb
Dr. Morawek