Urteil des BPatG vom 01.03.2007

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BUNDESPATENTGERICHT
23 W (pat) 19/05
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(Aktenzeichen)
Verkündet am
1. März 2007
B E S C H L U S S
In der Beschwerdesache
betreffend das Patent 199 43 989
BPatG 154
08.05
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hat der 23. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf
die mündliche Verhandlung vom 1. März 2007 unter Mitwirkung …
beschlossen:
Die Beschwerde der Patentinhaberin wird zurückgewiesen.
G r ü n d e
I
Das Patent 199 43 989 (Streitpatent) wurde am 14. September 1999 beim Deut-
schen Patent- und Markenamt mit der Bezeichnung „Funktionsträger“ angemeldet.
Die Prüfungsstelle für Klasse B 60 R des Deutschen Patent- und Markenamts hat
unter Berücksichtigung des Standes der Technik gemäß den Druckschriften
1) DE 44 35 287 C1
2) DE 90 13 006 U1 und
3) DE 197 38 656 A1
durch Beschluss vom 8. November 2000 mit der Bezeichnung „Montagemodul“ er-
teilt. Es enthält 9 Patentansprüche. Die Patenterteilung wurde am 5. April 2001
veröffentlicht.
Gegen das Patent hat die Einsprechende am 4. Juli 2001 Einspruch erhoben und
beantragte, das Patent vollständig zu widerrufen.
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Sie stützte ihren Einspruch u. a. auf folgenden Stand der Technik gemäß den
Druckschriften
E1 DE 44 35 287 C1 und
E2 DE 195 32 808 C1.
Mit ihrem Schriftsatz vom 28. Mai 2002 trägt die Einsprechende im Einzelnen vor,
dass der Gegenstand des Patentanspruchs 1 durch die Entgegenhaltungen E1
und E2, bzw. durch anderweitige Kombinationen nahegelegt sei.
Die Patentinhaberin verteidigt ihr Patent im erteilten Umfang.
Das Patent wurde durch Beschluss der Patentabteilung 34 des Deutschen Patent-
und Markenamts vom 2. April 2004 widerrufen, weil der Gegenstand des Patent-
anspruchs 1 im Hinblick auf die Entgegenhaltungen E1 und E2 nicht auf einer er-
finderischen Tätigkeit des Fachmanns beruhe.
Gegen diesen am 23. April 2004 empfangenen Beschluss richtet sich die zulässi-
ge Beschwerde der Patentinhaberin vom 30. April 2004.
Sie stützt ihre Beschwerde auf den Einwand, dass die Entgegenhaltungen E1 und
E2 völlig verschiedene Gegenstände beträfen und somit nicht kombinierbar seien,
so dass die Patentabteilung aufgrund einer rückschauenden Betrachtungsweise
das Patent widerrufen habe.
In der mündlichen Verhandlung vom 1. März 2007 verteidigt die Patentinhaberin
ihr Patent im erteilten Umfang.
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Die Patentinhaberin beantragt,
den Beschluss der Patentabteilung 34 des Deutschen Patent- und
Markenamts vom 2. April 2004 aufzuheben und das Patent in der
ursprünglich erteilten Fassung aufrechtzuerhalten.
Die Einsprechende vertritt nach wie vor die Auffassung, dass die Entgegenhaltun-
gen E1 und E2 dem Gegenstand gemäß Patentanspruch 1 des Patents patenthin-
dernd entgegenstehen und beantragt,
die Beschwerde der Patentinhaberin zurückzuweisen.
Der erteilte Patentanspruch 1 hat folgenden Wortlaut:
„Montagemodul für eine Kraftfahrzeugtür, umfassend einen sich
als im Wesentlichen zweidimensionales Gebilde über ein Großteil
der Tür erstreckenden, zur haltenden Aufnahme mehrerer elektri-
scher Geräte (8-14) vorgesehenen Aggregateträger (1)
mit zumindest einer sich im Wesentlichen parallel in Bezug auf zu-
mindest eine der beiden Hauptoberflächen (2, 3) des Aggregate-
trägers (1) erstreckenden, verzweigt ausgeführten Leiteranord-
nung (5) zur Anbindung der Geräte (8-14) an das Bordnetz des
Kraftfahrzeugs,
dadurch gekennzeichnet, dass das Gehäuse zumindest eines der
Geräte (8-14) zumindest teilweise durch eine in einer der beiden
Hauptoberflächen (2, 3) eingeformte Aufnahmemulde
(15) und/
oder einen an einer der beiden Hauptoberflächen (2, 3) ange-
formten kragenförmigen Ansatz (15) gebildet ist.“
Bezüglich der Unteransprüche 2 bis 9 wird auf die Patentschrift und bezüglich wei-
terer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
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II
1) Die Zulässigkeit des Einspruchs ist zwar nicht angegriffen worden, jedoch ist
diese vom Patentamt und Patentgericht von Amts wegen zu prüfen, vgl. Schulte
7. Auflage § 59 Rdn. 22 und 145.
Der form- und fristgerechte Einspruch ist zulässig, weil in dem Einspruchsschrift-
satz die Tatsachen, die den Einspruch rechtfertigen, entsprechend § 59 Abs. 1
Satz 4 PatG im Einzelnen so angegeben sind, dass die Merkmale des erteilten
Patentanspruchs 1 in einen konkreten Bezug zu der Entgegenhaltung E2 gebracht
wurden, um in Verbindung mit üblichen fachmännischen Kenntnissen deren Neu-
heitsschädlichkeit zu belegen, vgl. im Einspruchsschriftsatz den Abschnitt III. 1.
Des Weiteren hat die Einsprechende die den Einspruch rechtfertigenden Tatsa-
chen im Einzelnen so angegeben, dass die Merkmale des erteilten Patentan-
spruchs 1 in einen konkreten Bezug zu den Entgegenhaltungen E1 und E2 ge-
bracht wurden, um das Naheliegen des Gegenstandes zu belegen, vgl. den Ab-
schnitt III. 2., insbesondere dessen letzten Absatz in Verbindung mit dem Ab-
schnitt III. 1.
2) Ausweislich der Beschreibung der Patentschrift geht die Patentinhaberin von ei-
nem Montagemodul aus, wie dieser in der Entgegenhaltung E1 offenbart ist.
Dieser Montagemodul ist zur haltenden Aufnahme mehrer im Bereich einer Kraft-
fahrzeugtür angeordneter Geräte, wie Funktionskomponenten von Fensterhebern,
Schaltgeräten, Elektronikeinheiten, Lautsprechern, Türschließanlage sowie den
erforderlichen Leiteranordnungen, bestimmt. Hierzu weist das Montagemodul an-
geformte clipsartige Befestigungselemente (4) auf.
An diesem Montagemodul werden vollständig gehäuste Geräte befestigt, die zu
ihrer Funktion notwendige elektrische Funktionskomponenten aufweisen.
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Dies führt wegen doppelt vorhandener Wandungen einzelner Gehäusebereiche
und wegen doppelt vorhandener Bauelemente zu einer erhöhten Anzahl von
Schnittstellen bzw. Anschlussteilen, zu einem erhöhten Raumbedarf und somit zur
Verteuerung eines solchen Montagemoduls.
Daher liegt dem Patent als technisches Problem die Aufgabe zugrunde, ein sol-
ches Montagemodul derart weiterzubilden, dass bei einfachem und kompaktem
Aufbau eine Doppelanordnung von Wandungen ein und desselben Gehäuseberei-
ches zur Erhöhung der Funktionszuverlässigkeit und zur Minimierung der Herstel-
lungskosten wirkungsvoll vermieden wird, vgl. Patent Spalte 1, Zeilen 48 bis 54.
Dieses Problem wird durch die im geltenden Patentanspruch 1 angegebenen
Merkmale gelöst.
Hierbei kommt es wesentlich darauf an, dass das Gehäuse zumindest eines der
auf dem Montagemodul angeordneten Geräte zumindest teilweise durch eine in
einer der beiden Hauptflächen des Montagemoduls eingeformte Aufnahmemulde
und/oder einen an einer der beiden Hauptflächen des Montagemoduls angeform-
ten kragenförmigen Ansatz gebildet ist.
3) Die Beschwerde der Anmelderin ist zwar zulässig, jedoch nach dem Ergebnis
der mündlichen Verhandlung vom 1. März 2007 erweist sich das Montagemodul
gemäß Patentanspruch 1 als nicht patentfähig.
Die Frage der ursprünglichen Offenbarung bzw. der Zulässigkeit der geltenden
Patentansprüche sowie die Frage der Neuheit und der gewerblichen Anwendbar-
keit ihrer Lehren kann dahinstehen, weil - wie es sich aus dem nachfolgenden Ab-
schnitt ergibt - die Lehre des Patentanspruchs 1 des Streitpatents gegenüber dem
Stand der Technik gemäß den Druckschriften E1 und E2 nicht auf einer erfinderi-
schen Tätigkeit des zuständigen Fachmanns beruht, vgl. BGH GRUR 1991, 120,
121 Abschnitt II. 1. - „Elastische Bandage“.
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Der zuständige Fachmann ist hier als ein berufserfahrener, mit der Entwicklung
von Kraftfahrzeugelektronik betrauter Diplom-Ingenieur der Fachrichtung Elektro-
technik mit Fachhochschulabschluss, der über Kenntnisse in der Konstruktions-
technik verfügt, zu definieren.
Die Entgegenhaltung E1 offenbart ein Montagemodul für
eine Kraftfahrzeugtür, umfassend einen sich als im Wesentlichen zweidimensiona-
len Gebilde über einen Großteil der Tür erstreckenden
zur haltenden Aufnahme mehrerer elektrischer Geräte
vorgesehenen Aggregateträger
mit zumindest einer sich im Wesentlichen parallel in Bezug auf zumindest eine der
beiden Hauptoberflächen des Aggregateträgers erstreckenden, verzweigt aus-
gebildeten Leiteranordnung zur Anbindung der Geräte an das Bord-
netz des Kraftfahrzeuges, wobei der Aggregateträger zur Halterung der Geräte
Clipshaken aufweist, vgl. dort insbesondere Anspruch 1 in Verbindung mit
der Beschreibung zu den Figuren 1 bis 4.
Somit unterscheidet sich das Montagemodul nach Entgegenhaltung E1 von dem-
jenigen gemäß Patentanspruch 1 des Streitpatents lediglich durch in dessen kenn-
zeichnenden Teil angegebenen Merkmale, dass nämlich das Gehäuse zumindest
eines der Geräte durch in den Hauptoberflächen des Aggregateträgers eingeform-
ten Aufnahmemulden ausgebildet ist.
Nach dem Oberbegriff des Patentanspruchs 1 der Entgegenhaltung E2 betrifft die-
se eine Antriebseinrichtung für bewegliche Teile in Kraftfahrzeugen, wie Fenster-
heber, Schiebedächer und dgl., mit einem Motor, der in einer Aufnahmemulde
des Trägers eingesetzt ist, der Teil der Fes-
tigkeitsstruktur des Kraftfahrzeuges und/oder ein Element
zur Aufnahme einer oder mehrerer Baugruppen des Kraft-
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fahrzeuges ist, vgl. dort Patentanspruch 1 in Verbindung mit den Figuren 1 und 3
mit zugehöriger Beschreibung.
Aus den durch Unterstreichung hervorgehobenen Textteilen ergibt sich, dass der
Träger bzw. Seitenaufprallschutz gemäß Entgegenhaltung E2 den Aggre-
gateträger im Sinne des Streitpatents mitumfasst, zumal dort schon die Steuer-
elektronik vorzugsweise in einer Aufnahmemulde des Trägers bzw.
Seitenaufprallschutzes integriert wird, vgl. Spalte 3, Zn. 60 bis 64.
Insbesondere aus der Figur 3 der Entgegenhaltung E2 ergibt sich, dass - entspre-
chend dem Kennzeichen des Anspruchs 1 - das Gehäuse zumindest eines der
Geräte (Motor der Antriebseinrichtung 1) zumindest teilweise durch eine in eine
der beiden Hauptoberflächen eingeformte Aufnahmemulde (Topfprägung
40)
und/oder einen an einer der beiden Hauptoberflächen angeformten kragenförmi-
gen Ansatz (vgl. das Bezugszeichen 40 für die Topfprägung in Figur 3) gebildet
ist.
Nach der Beschreibung der Entgegenhaltung E2, Spalte 3, Abs. 3 lehrt diese
Druckschrift, dass unter dem Begriff „Integration“ eine Konstruktion bzw. Verbin-
dung einzelner Teile oder der gesamten Antriebseinrichtung unter Einbeziehung
der Steuer- und Regelelektronik mit dem Träger unter Ausnutzung des Trägers als
Teil des Gehäuses verstanden wird, wodurch eine sehr flache Konstruktion er-
reicht wird, vgl. Spalte 3, Abs. 2.
Somit liegt es für den von der Lehre der Entgegenhaltung E1 ausgehenden Fach-
mann nahe, die Lehre der Entgegenhaltung E2 in Betracht zu ziehen und diese
ihrer Vorteile wegen auf die Lehre der Entgegenhaltung E1 so zu übertragen, dass
Teile des Trägers bzw. des Aggregateträgers als Gehäuseteile genutzt werden.
Daher beruht das Montagemodul gemäß Patentanspruch 1 des Streitpatents nicht
auf einer erfinderischen Tätigkeit des zuständigen Fachmanns.
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Mit dem Patentanspruch 1 des Streitpatents fallen wegen der Antragsbindung
auch die Unteransprüche 2 bis 9.
Daher war die Beschwerde der Anmelderin zurückzuweisen.
gez.
Unterschriften