Urteil des BPatG vom 23.05.2006

BPatG: stand der technik, gegen die guten sitten, anzeige, messgerät, patentanspruch, erfindung, neuheit, fig, bahn, mangel

BPatG 154
08.05
BUNDESPATENTGERICHT
23 W (pat) 49/04
_______________
(Aktenzeichen)
Verkündet am
23. Mai 2006
B E S C H L U S S
In der Beschwerdesache
betreffend die Patentanmeldung 196 52 264.1-52
hat der 23. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die
mündliche Verhandlung vom 23. Mai 2006 unter Mitwirkung …
beschlossen:
Auf die Beschwerde der Anmelderin wird der Beschluss der Prü-
fungsstelle für Klasse G01D des Deutschen Patent- und Marken-
amts vom 7. Juli 2004 aufgehoben.
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Die Sache wird zur weiteren Prüfung auf der Grundlage folgender
Unterlagen an das Deutsche Patent- und Markenamt zurückver-
wiesen:
Ursprüngliche Ansprüche 1 bis 5, ursprüngliche Beschreibungs-
seiten 1, 3, 5, 7 und 8, Beschreibungsseiten 2, 2a, 4 und 6, einge-
gangen am 5. August 2004 und ursprüngliche Zeichnung, Figu-
ren 1 und 2.
Der weitergehende Beschwerdeantrag wird zurückgewiesen.
G r ü n d e
I.
Die Prüfungsstelle für Klasse G01D des Deutschen Patent- und Markenamts hat
die am 16. Dezember 1996 eingereichte Patentanmeldung mit der Bezeichnung
„Verfahren zum Anzeigen einer physikalischen Messgröße“ durch Beschluss vom
7. Juli 2004 zurückgewiesen.
Im Prüfungsverfahren sind zum Stand der Technik die Druckschriften:
-
DE 43 40 708 A1
-
DE 196 00 687 A1
-
DE 44 00 482 A1
-
DE 196 08 691 A1 und
-
DE 29 46 328 A1
in Betracht gezogen worden.
In dem Beschluss wird auf den Bescheid vom 27. Juni 1997 Bezug genommen, in
dem ausgeführt ist, dass die dem Anmeldungsgegenstand zugrunde liegende Auf-
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gabe wohl die sei, bei der Konstruktion und beim Zusammenbau eines Messge-
räts Pfusch zuzulassen, der dann während des Betriebs mit einem apparativen
Mehraufwand beseitigt werden soll. Der beanspruchte Sachverhalt gehöre in den
Bereich der Unlauterkeit, da der Kunde für die durch diesen Pfusch verursachten
Mehrkosten aufkommen darf. Bei den von der Anmelderin zugelassenen me-
chanischen Mängeln sei ein einwandfreies Ablesen während des Betriebs nicht
möglich, da der Zeiger und die Skalenstriche nicht zur Deckung kämen, gegebe-
nenfalls miteinander einen erheblichen Winkel einschlössen und die Zeigerspitze
während des Überstreichens der Skala einen unterschiedlichen Abstand zu den
Skalenstrichen einnähme. Diese Mängel würden durch das beanspruchte Ver-
fahren nicht beseitigt. Da der Benutzer das Gerät nicht im Betrieb kaufe, werde er
die Mängel erst nach dem Kauf feststellen. Die Prüfungsstelle sehe in dem Ver-
kauf eines bewusst mangelhaften Messinstruments zumindest einen Verstoß
gegen die guten Sitten. Das beanspruchte Verfahren zum Anzeigen einer physi-
kalischen Messgröße auf einem Messgerät sei bereits aus diesem Grund nicht
patentfähig. Der Gegenstand des weiterverfolgten ursprünglichen Patentan-
spruchs 1 sei zudem gegenüber dem Stand der Technik nach Druckschrift 1 nicht
neu.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Anmelderin.
In der mündlichen Verhandlung vom 23. Mai 2006 hat die Anmelderin das Schutz-
begehren mit den ursprünglichen Patentansprüchen 1 bis 5 weiterverfolgt und die
Auffassung vertreten, dass die Erfindung nicht gegen die guten Sitten verstoße
und dass der Gegenstand des Patentanspruchs 1 gegenüber dem im Verfahren
befindlichen Stand der Technik neu sei und auf einer erfinderischen Tätigkeit be-
ruhe.
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Die Anmelderin stellt den Antrag aus der Beschwerdeschrift vom 4. August 2004,
womit sie sinngemäß beantragt,
den Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse G01D des Deutschen
Patent- und Markenamts vom 7. Juli 2004 aufzuheben und das
Patent mit folgenden Unterlagen zu erteilen:
ursprüngliche Patentansprüche 1 bis 5, ursprüngliche Beschrei-
bungsseiten 1, 3, 5, 7 und 8, Beschreibungsseiten 2, 2a, 4 und 6,
eingegangen am 5. August 2004, und ursprüngliche Zeichnung,
Figuren 1 und 2.
Hilfsweise stellt sie den Antrag,
die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache an das
Deutsche Patent- und Markenamt zurückzuverweisen.
Der geltende ursprüngliche Patentanspruch 1 lautet:
„Verfahren zum Anzeigen einer physikalischen Messgröße auf
einem Messgerät, wobei das Messgerät ein, eine Anzeigeein-
richtung in seine Anzeigepositionen bringendes Messwerk und
eine ablesbare, analoge Anzeige aufweist, dadurch gekennzeich-
net, dass eine herstellungsbedingte Abweichung der Position
des Messwerks und der Anzeige ermittelt wird und auf-
grund dieser Abweichung eine Korrekturfunktion ermittelt
wird, mit der ein das Messwerk ansteuerndes, der gemesse-
nen physikalischen Größe entsprechendes Soll-Anzeigesignal
abgeglichen wird.“
- 5 -
Wegen der geltenden ursprünglichen Unteransprüche 2 bis 5 sowie der weiteren
Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist nur teilweise begründet; denn entsprechend dem in
der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag ist zwar der angefochtene Zurück-
weisungsbeschluss aufzuheben, weil die dort genannten Gründe nicht zutreffen;
die Anmeldung ist jedoch entsprechend dem gestellten Hilfsantrag mit den ur-
sprünglichen Patentansprüchen 1 bis 5 zur weiteren Prüfung an das Deutsche
Patent- und Markenamt zurückzuverweisen, weil der Gegenstand des Patentan-
spruchs 1 noch nicht ausreichend geprüft worden ist.
Zum geltenden Patentbegehren ist folgendes festzustellen:
1. Der gerügte Mangel, das beanspruchte Verfahren zum Anzeigen einer physi-
kalischen Messgröße auf einem Messgerät verstoße gegen die guten Sitten, liegt
nicht vor.
Nach den Angaben der Anmelderin
geht die Erfindung nämlich von Anzeige-
instrumenten für physikalische Messgrößen aus, bei denen die Abweichungen
zwischen der Position des Messwerks und der Anzeige - d. h. die Abweichungen
zwischen der zum Messwerk gehörenden Drehachse des Anzeige-
Zeigers und dem Krümmungsmittelpunkt der Anzeige-Skala
in einem zulässigen Toleranzbereich liegen. Mit
dem beanspruchten Verfahren wird also kein Pfusch korrigiert, vielmehr werden
damit Anzeigeinstrumente im Toleranzbereich zu hochgenauen Anzeigeinstru-
menten verbessert
.
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2. Gegen
die
Zulässigkeit
der geltenden Patentansprüche 1 bis 5 bestehen inso-
fern keine Bedenken, als es sich dabei unverändert um die ursprünglichen Patent-
ansprüche 1 bis 5 handelt.
3. Im Oberbegriff des Patentanspruchs 1 wird von einem Verfahren zum Anzei-
gen einer physikalischen Messgröße auf einem Messgerät ausgegangen, wie es
ersichtlich aus der Druckschrift 1 bekannt ist
. Bei diesem bekannten gattungsgemäßen Verfahren
zum Anzeigen einer physikalischen Messgröße auf einem Messgerät fällt die
Drehachse der Zeigerwelle des Messwerks nicht mit dem Krümmungs-
mittelpunkt des Kreisbogens der Skalierung zusammen
.
Letzteres wird von der Anmelderin insofern als nachteilig angesehen, als solche
Ungenauigkeiten bei der Positionierung der Anzeige relativ zum Messwerk zu Ab-
lesefehlern führen können .
Vor diesem Hintergrund liegt dem Anmeldungsgegenstand als technisches Pro-
blem ersichtlich die - in der geltenden Beschreibung nicht ausformulierte - Aufgabe
zugrunde, ein gattungsgemäßes Verfahren zum Anzeigen einer physikalischen
Messgröße auf einem Messgerät zu schaffen, mit dem Anzeigeungenauigkeiten
aufgrund von Abweichungen zwischen den Positionen des Messwerks und der
Anzeige vermieden werden
.
Diese Aufgabe wird mit den Merkmalen nach dem kennzeichnenden Teil des Pa-
tentanspruchs 1 gelöst
. Die in den Anmeldungsunterlagen nicht explizit an-
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gegebene Korrekturfunktion lässt sich vom Fachmann - wie von Anmelderin in der
mündlichen Verhandlung vorgeführt - ohne weiteres anhand einfacher geome-
trisch-trigonometrischer Überlegungen ermitteln.
4. Das Verfahren zum Anzeigen einer physikalischen Messgröße auf einem
Messgerät nach dem geltenden Patentanspruch 1 ist gegenüber dem im Verfah-
ren befindlichen Stand der Technik neu und beruht diesem gegenüber auch auf
einer erfinderischen Tätigkeit des zuständigen Durchschnittsfachmanns, der hier
als ein mit der Entwicklung und Fertigung von Anzeigeinstrumenten für physika-
lische Messgrößen befasster, berufserfahrener Elektro- oder Mechatronikingenieur
mit Fachhochschulausbildung zu definieren ist.
A) Der gerügte Mangel, der Gegenstand des Patentanspruchs 1 sei gegenüber
dem Stand der Technik nach Druckschrift 1 nicht neu, liegt nicht vor.
Die ein gattungsgemäßes Verfahren zum Anzeigen einer physikalischen Mess-
größe auf einem Messgerät offenbarende Druckschrift 1 sieht bewusst eine
variable Abweichung zwischen der Position der Drehachse der Zeigerwelle
des Messwerks und dem Krümmungsmittelpunkt des von der Skalierung (5)
gebildeten Kreisbogens vor, um die Spitze des Zeigers eine zu dem
Kreisbogen der Skalierung (5) parallele Bahn durchlaufen zu lassen, da
die Skalierung (5) dort an das Instrumentenfenster formangepasst ist und die
Zeigerspitze daher sonst eine den Kreisbogen der Skalierung (5) schneidende
Bahn durchliefe. Zu diesem Zweck ist das Messwerk exzentrisch auf einer
drehbaren Scheibe angeordnet, die in Abhängigkeit von der Größe des anzu-
zeigenden Messsignals gedreht wird
. Im Unterschied zur Lehre des Patentanspruchs 1 der vorlie-
genden Anmeldung wird dabei das anzuzeigende Messsignal nicht korrigiert.
Schon gar nicht wird gemäß Druckschrift 1 eine herstellungsbedingte Abweichung
der Position des Messwerks und der Anzeige ermittelt und aufgrund dieser Ab-
weichung eine Korrekturfunktion bereitgestellt, mit der ein das Messwerk steuern-
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des, der gemessenen physikalischen Größe entsprechendes Soll-Anzeigesignal
abgeglichen wird, wie dies der geltende Patentanspruch 1 lehrt.
Die von der Prüfungsstelle nicht in Frage gestellte Neuheit des Gegenstands des
Patentanspruchs 1 gegenüber dem Stand der Technik nach den Druckschriften 2
bis 5 ergibt sich implizit aus den nachfolgenden Ausführungen zur erfinderischen
Tätigkeit.
B) Die Druckschrift 1 vermag dem vorstehend definierten zuständigen Durch-
schnittsfachmann den Gegenstand des Patentanspruchs 1 weder für sich noch in
einer Zusammenschau mit den Druckschriften 2 bis 5 nahe zulegen.
Die Druckschrift 1 führt den Fachmann insofern von der Erfindung weg, als sie
- wie dargelegt - zur Anpassung der Bahn der Zeigerspitze an den Verlauf forman-
gepasster Skalierungen die Abweichung zwischen der Position der Drehachse
der Zeigerwelle des Messwerks und dem Mittelpunkt des Kreisbogens
der Skalierung (5) gezielt variiert. Folglich findet sich in der Druckschrift 1 kein
Hinweis darauf, dass die Ablesegenauigkeit bei herstellungsbedingter Abweichung
zwischen den Positionen des Messwerks und der Anzeige dadurch erhöht werden
könnte, dass die Abweichung ermittelt und aufgrund dieser Abweichung eine
Korrekturfunktion bereitgestellt wird, mit der ein das Messwerk ansteuerndes, der
gemessenen physikalischen Größe entsprechendes Soll-Anzeigesignal abgegli-
chen wird, wie dies der geltende Patentanspruch 1 lehrt.
Eine Anregung hierzu kann der Fachmann aber auch nicht bei Einbeziehung der
von der Erfindung weiter weg liegenden Druckschriften 2 bis 5 erhalten.
Keine dieser Druckschriften befasst sich nämlich mit Auswirkungen herstellungs-
bedingter Abweichungen zwischen den Positionen des Messwerks und der Skala
auf die Anzeige physikalischer Messgrößen auf einem Messgerät. Folglich kann
der Fachmann durch diese Druckschriften auch nicht dazu angeregt werden, bei
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solchen Abweichungen die Ablesegenauigkeit dadurch zu erhöhen, dass - in-
soweit entsprechend der Lehre des geltenden Patentanspruchs 1 - die jeweilige
Abweichung ermittelt und aufgrund dieser eine Korrekturfunktion bereitgestellt
wird, mit der das der gemessenen physikalischen Größe entsprechende Soll-An-
zeigesignal abgeglichen wird.
So betrifft die Druckschrift 2 eine von einem Schrittmotor angetriebene Nadelan-
zeigevorrichtung für die Fahrzeug-Geschwindigkeit oder die Motor-Drehzahl, bei
der sich der angezeigte Wert bei Fahrzeug-Vibrationen verändern kann, was we-
gen des Schrittmotorantriebs der Anzeigenadel dazu führt, dass ein Rücksetzen
der Anzeigenadel in eine Grund- bzw. Ausgangsposition und somit ein nach-
folgendes exaktes Anzeigen nicht mehr ohne weiteres möglich ist
. Die Druckschrift 2 schlägt eine spezielle Lösung
dieses Problems vor
.
Die Druckschrift 3 offenbart ein Verfahren, das bei Zeigerinstrumenten mit Schritt-
motor-Antrieb die Korrektur eines nichtlinearen Zusammenhangs zwischen dem
elektrischen Phasenwinkel und dem mechanischen Antriebswinkel des Schrittmo-
tors und damit eine hochgenaue Steuerung des Schrittmotors mit einer Auflösung
von 0,1° unter Verwendung eines niedrig auflösenden Encoders ohne ruckelnden
Zeigerlauf erlaubt
.
Die Druckschrift 4 betrifft eine Anzeigevorrichtung mit von einem Schrittmotor an-
getriebenem Zeiger sowie mit einem Kodierer zum Erzeugen eines für die mittels
des Zeigers anzuzeigende Position repräsentativen Ausgangssignals und mit
weiteren Mitteln, mit denen der Absolutwert des Kodierers ermittelbar ist, der die
Anzeigeposition des Zeigers erzeugt
.
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Die Druckschrift 5 offenbart schließlich eine analoge Anzeigevorrichtung mit
Schrittmotor, die mit Folgen logischer Zustände - d. h. mit digitalen Signalen -
betreibbar ist, ohne dass dabei ein Digital-Analog-Wandler oder ein Galvanometer
erforderlich ist
.
5. Der Gegenstand des geltenden ursprünglichen Patentanspruchs 1 ist zwar
durch den im Verfahren befindlichen Stand der Technik - wie dargelegt - nicht pa-
tenthindernd getroffen. Jedoch ist die Sache zur weiteren Prüfung an das Deut-
sche Patent- und Markenamt zurückzuverweisen, weil das Patentamt letztlich
noch nicht in der Sache selbst entschieden hat . Soweit
die angefochtene Entscheidung auf einen Verstoß gegen die guten Sitten bzw. auf
mangelnde Neuheit gestützt war, erachtet der Senat beides für nicht gegeben und
die Patentierungsvoraussetzungen Neuheit und erfinderische Tätigkeit dabei in-
sofern für nicht ausreichend geprüft ,
als
-
der Patentanspruch
1 der vorliegenden Anmeldung eine
Änderung des anzuzeigenden Messsignals durch ein Korrek-
tursignal einer Korrekturfunktion lehrt,
- die
vermeintlich
neuheitsschädliche
Druckschrift 1 demge-
genüber eine Änderung der Position der Zeigerachse mit me-
chanischen Mitteln bei unverändertem anzuzeigenden Mess-
signal offenbart
.
Da zu dem Merkmal „Änderung eines anzuzeigenden Messsignals durch ein Korrek-
tursignal einer Korrekturfunktion“ demnach ersichtlich noch nicht recherchiert worden
ist, nach Auffassung des Senats aber nicht ausgeschlossen erscheint, dass ein dies-
bezüglicher, einer Patenterteilung möglicherweise entgegenstehender weiterer Stand
der Technik existiert, ist eine Nachrecherche durchzuführen, in die auch zum Stand
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der Technik gehörende Messgeräte mit Anzeige ohne Schrittmotor einzubeziehen
sind.
Bei dieser Sachlage war der angefochtene Beschluss aufzuheben und die Sache
entsprechend dem Hilfsantrag der Anmelderin zur weiteren Prüfung an das Deutsche
Patent- und Markenamt zurückzuverweisen.
gez.
Unterschriften