Urteil des BPatG vom 30.11.2009

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BPatG 152
08.05
BUNDESPATENTGERICHT
7 W (pat) 372/05
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(Aktenzeichen)
B E S C H L U S S
In der Einspruchssache
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hat der 7. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts am
30. November 2009 durch den Richter Dipl.-Ing. Frühauf als Vorsitzenden sowie
die Richter Schwarz, Dipl.-Ing. Hilber und Dipl.-Ing. Schlenk
beschlossen:
Das Patent 100 11 755 wird widerrufen.
G r ü n d e
I.
Gegen die am 25. Mai 2005 veröffentlichte Erteilung des Patents 100 11 755 mit
der Bezeichnung "Verfahren und Vorrichtung zur Herstellung eines Profils mit über
der Längsachse veränderlichem Querschnitt mittels Walzprofilieren" ist am
25. August 2005 Einspruch erhoben worden. Der Einspruch ist mit Gründen ver-
sehen und auf die Behauptung gestützt, dass der Gegenstand des Patents nicht
patentfähig sei.
Die Einsprechende hat in der Einspruchsbegründung fünf Schriften zum Stand der
Technik genannt, deren Inhalte geeignet seien, den Patentgegenstand nahe zu
legen. Auf die Erwiderung des Patentinhabers hat sie u. a. noch die Schrift
JP 59-27723 A (D6) mit englischsprachiger Übersetzung vorgelegt und geltend
gemacht, dass der Patentgegenstand in der erteilten Fassung demgegenüber
nicht neu sei.
Der Patentinhaber hat dem widersprochen und die Ansicht vertreten, dass der
Patentgegenstand in der erteilten Fassung gegenüber dem insgesamt aufgezeig-
ten Stand der Technik patentfähig sei. Mit Schriftsatz vom 27. Juli 2009 hat er
neue Patentansprüche 1 bis 7 gemäß einem Hilfsantrag 1 sowie neue Patentan-
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sprüche 1 bis 10 gemäß einem Hilfsantrag 2 eingereicht, die hilfsweise einer be-
schränkten Aufrechterhaltung des angefochtenen Patents zugrunde gelegt werden
sollen.
Der erteilte Patentanspruch 1 (Hauptantrag) lautet:
Verfahren zur Herstellung eines Profils mit über der Längsachse
veränderlichem Querschnitt (1) mittels Walzprofilieren, wobei min-
destens zwei umformende Walzen (2, 3) translatorisch während
des Profiliervorganges mit einem Anteil senkrecht zur Längsachse
des Bleches verfahren und die Walzen (2, 3) neben der Rotation
um ihre Drehachsen um mindestens eine weitere Schwenkach-
se (6), deren Lage mit der Breite des Profilquerschnitts verändert
wird, verstellt werden, dadurch gekennzeichnet, dass diese wei-
tere Schwenkachse (6) senkrecht zur Biegekante (4) des Pro-
fils (1) verläuft und die umformenden Walzen (2, 3) während des
Profiliervorganges um diese Schwenkachse (6) um mindestens ei-
nen Schwenkwinkel (
1
,
2
) geschwenkt werden.
Der erteilte Patentanspruch 4 (Hauptantrag) lautet:
Vorrichtung zur Herstellung eines Profils mit über der Längsachse
veränderlichem Querschnitt (1) mittels Walzprofilieren, wobei die
umformenden Walzen (2, 3) durch mindestens einen Antrieb (17b)
translatorisch während des Profiliervorganges mit einem Anteil
senkrecht zur Längsachse des Bleches verfahren werden können
und die Walzen (2, 3) neben der Rotation um ihre Drehachsen um
mindestens eine weitere Schwenkachse (6), deren Lage mit der
Breite des Profilquerschnitts veränderbar ist, verstellbar sind,
dadurch gekennzeichnet, dass diese weitere Schwenkachse (6)
senkrecht zur Biegekante (4) des Profils (1) verläuft und die um-
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formenden Walzen (2, 3) während des Profiliervorganges um die-
se Schwenkachse (6) um mindestens einen Schwenkwinkel (
1
,
2
) geschwenkt werden.
Der auf ein Verfahren gerichtete Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 1 umfasst die
Merkmale des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag sowie - am Ende angefügt -
das Merkmal
"wobei die weitere Schwenkachse (6) von mindestens zwei der
umformenden Walzen (2, 3) während des Profiliervorganges durch
die Biegekante (4) des Profils (1) verläuft".
Der auf eine Vorrichtung gerichtete Patentanspruch 3 nach Hilfsantrag 1 umfasst
die Merkmale des Patentanspruchs 4 nach Hauptantrag sowie, ebenfalls am Ende
angefügt, das vorstehend genannte Merkmal.
Der auf ein Verfahren gerichtete Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 2 umfasst die
Merkmale des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag sowie - am Ende angefügt -
das Merkmal
"wobei die rotatorische Bewegung (9) um die Schwenkachse (6) an
die translatorische Bewegung (13) gekoppelt ist".
Der auf eine Vorrichtung gerichtete Patentanspruch 5 nach Hilfsantrag 2 umfasst
die Merkmale des Patentanspruchs 4 nach Hauptantrag sowie, ebenfalls am Ende
angefügt, das vorstehend genannte Merkmal.
Zum Wortlaut der diesen Hauptansprüchen nachgeordneten Unteransprüche wird
auf die Akte verwiesen.
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Die Einsprechende stellt den Antrag,
das Patent 100 11 755 zu widerrufen.
Der Patentinhaber stellt den Antrag,
das Patent 100 11 755 unverändert aufrecht zu erhalten (= Haupt-
antrag),
hilfsweise das Patent beschränkt aufrecht zu erhalten mit den
Ansprüchen 1 bis 7, eingegangen am 30. Juli 2009 als Anlage
"Hilfsantrag 1" zum Schreiben vom 27. Juli 2009, Beschreibung
und Zeichnungen gemäß Patentschrift (= Hilfsantrag 1),
weiter hilfsweise das Patent beschränkt aufrecht zu erhalten mit
den Ansprüchen 1 bis 10, eingegangen am 30. Juli 2009 als An-
lage "Hilfsantrag 2" zum Schreiben vom 27. Juli 2009, Beschrei-
bung und Zeichnungen gemäß Patentschrift (= Hilfsantrag 2).
In der mündlichen Verhandlung vom 19. August 2009 hat die Einsprechende zum
Stand der Technik noch die Patentschrift US 5 722 278 (D9) vorgelegt und hierzu
die Meinung vertreten, dass diese Entgegenhaltung dem angegriffenen Patent-
gegenstand noch näher komme als die D6. Der Senat hat hierauf im Einverständ-
nis mit den Beteiligten beschlossen, das Verfahren schriftlich fortzusetzen und für
Äußerungen zum Sach- und Streitstand, insbesondere zur D9, den Beteiligten
eine Frist bis 30. September 2009 eingeräumt.
Der Patentinhaber hat mit Schreiben vom 21. September 2009 mitgeteilt, dass er
zum Sach- und Streitgegenstand nichts weiter vortragen werde.
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Die Einsprechende hat mit Schreiben vom 24. September 2009 ihre in der münd-
lichen Verhandlung schon vorgetragene Auffassung wiederholt, wonach die Ge-
genstände der unabhängigen Ansprüche nach Hauptantrag durch den Gegen-
stand nach Entgegenhaltung D6, die Gegenstände der Hauptansprüche aller An-
träge sowie die der meisten abhängigen Ansprüche durch den Gegenstand der D9
neuheitsschädlich vorweggenommen seien.
Gemäß Streitpatentschrift DE 100 11 755 B5, Absatz [0005], liegt dem Gegen-
stand des Patents die Aufgabe zugrunde, ein Verfahren und eine Vorrichtung zur
Herstellung eines Profils mit über der Längsachse veränderlichen Querschnitts
mittels Walzprofilierens zu entwickeln, wobei die Vorrichtung es erlaubt, die Rol-
lenwerkzeuge jedes Umformgerüsts über die gesamte Profillänge tangential an
den angestrebten Biegekantenverlauf eines Profils mit über der Längsachse ver-
änderlichem Querschnitt zu positionieren.
II.
Der Senat ist für die Entscheidung im vorliegenden Einspruchsverfahren auch
nach der mit Wirkung vom 1. Juli 2006 erfolgten Aufhebung der Übergangsvor-
schriften des § 147 Abs. 3 PatG noch auf Grund des Grundsatzes der "perpetuatio
fori" gemäß § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO analog i. V. m. § 99 Abs. 1 PatG zuständig
(vgl. BGH GRUR 2009,184, 185 - Ventilsteuerung; GRUR 2007, 862 f. – Infor-
mationsübermittlungsverfahren II).
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III.
Der frist- und formgerecht erhobene Einspruch ist zulässig. Er ist auch begründet.
Der Gegenstand des angefochtenen Patents stellt weder in der erteilten Fassung
(Hauptantrag) noch in einer der hilfsweise verteidigten Fassungen der Patentan-
sprüche eine patentfähige Erfindung i. S. d. §§ 1 bis 5 PatG dar.
Als hier zuständiger Fachmann ist ein Maschinenbauingenieur mit Berufspraxis auf
dem Gebiet der Walzumformtechnik von Blechen anzusehen, der Kenntnisse auf
dem Gebiet der Steuerungstechnik besitzt.
Gegen die Zulässigkeit der Patentansprüche nach den jeweiligen Anträgen beste-
hen keine Bedenken.
1.
Zum Hauptantrag
Die Vorrichtung zur Herstellung eines Profils nach dem erteilten, unabhän-
gigen Anspruch 4 ist zweifellos gewerblich anwendbar. Sie ist jedoch nicht
mehr neu gegenüber der vorveröffentlichten Druckschrift US 5 722 278 (D9).
Aus dieser Schrift ist – in Übereinstimmung mit Merkmalen des angefochte-
nen Anspruchs 4 - eine Walzprofilier-Vorrichtung zur Herstellung eines Profils
mit über der Längsachse veränderlichem Querschnitt bekannt (Fig. 8 i. V. m.
Sp. 8, Z. 61 bis Sp. 11, Z. 42), bei der die umformenden Walzen (changing
rolls 51, 52) durch einen Antrieb (linear drive mechanism 57) translatorisch
während des Profiliervorganges senkrecht zur Längsachse des Bleches ver-
fahren werden können (Beschreibung Sp. 9, Z. 11 bis 16). Weiterhin können
die Walzen (51, 52) neben der Rotation um ihre Drehachsen beim Walz-
vorgang um mindestens eine weitere (vertikale) Schwenkachse (axis of ro-
tation
56D), deren Lage mit der Breite des Profilquerschnitts veränderbar ist,
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senkrecht zur Biegekante des Profils (molding M) während des Profiliervor-
ganges um mindestens einen Winkel verschwenkt werden (Beschreibung
Sp. 10, Z. 18 bis 33).
Dass dabei die Schwenkbewegung des Walzkopfes analog zur translatori-
schen Verstellung und an diese gekoppelt motorisch während des Walz-
vorgangs durch eine entsprechende Steuerung (roll attitude control appa-
ratus) vorgenommen werden kann, wird dem Fachmann aus der D9, Sp. 11,
Z. 12 bis 30 offenbart. Eine derartige Steuerung bei Walzprofilieranlagen zur
Herstellung eines Profils mit über der Längsachse veränderlichem Quer-
schnitt ist dem Fachmann aber auch aus seinem technischen Grundwissen
bekannt, da nur so ungünstige Verformungen am Werkstück sicher vermie-
den und eine bessere Formgenauigkeit erreicht und somit der Verwendungs-
bereich derartiger Umformmaschinen erweitert werden kann.
Darüber hinaus ist es bei der Ausführung nach Fig. 8 der D9 offenbart, dass
die weitere Schwenkachse (axis of rotation 56D) von mindestens zwei der
umformenden Walzen (51, 52) während des Profiliervorganges durch die
Biegekante des Profils M, also durch den Berührpunkt der Walzen (51, 52)
verläuft (Sp. 9, Z. 33 bis 35) und somit eine Übereinstimmung zwischen der
Wirkungslinie des Werkzeugs und der geometrischen Schwenkachse erzeugt
wird.
Aus dem Gesamtumfang der Beschreibung der Vorrichtung und deren Funk-
tion in der D9 erschließt sich für den Fachmann auch das strittige Profilwalz-
verfahren nach der Anspruch 1 in naheliegender Weise.
Da die Gegenstände der Patentansprüche 1 und 4 nicht patentfähig sind, ist
das Patent im Umfang des Hauptantrags nicht rechtsbeständig, da über
einen Antrag nur ganzheitlich entschieden werden kann.
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2.
Zum Hilfsantrag 1
Die Vorrichtung zur Herstellung eines Profils nach dem unabhängigen An-
spruch 3 nach Hilfsantrag 1 ist zweifellos gewerblich anwendbar. Sie ist je-
doch
ebenfalls
nicht
mehr
neu
gegenüber
der
US-Patentschrift
5 722 278 (D9).
Der Patentanspruch 3 dieses Antrags umfasst die Merkmale des Patentan-
spruchs 4 nach Hauptantrag sowie, das Merkmal,
wonach die weitere
Schwenkachse von mindestens zwei der umformenden Walzen während
des Profiliervorganges durch die Biegekante des Profils verläuft.
Dieses Merkmal ist jedoch, wie beim Hauptantrag im drittletzten Absatz be-
reits beschrieben, aus der vorveröffentlichten Druckschrift US 5 722 278 (D9)
bekannt.
Somit ist auch die Merkmalskombination der Vorrichtung des Anspruchs 3
nach Hilfsantrag 1 aus der Schrift D9 bekannt.
Ohne weiteres leitet der Fachmann aus der Beschreibung der Vorrichtung
und deren Funktion gemäß D9 auch das strittige Profilwalzverfahren nach
Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 her.
Da die Gegenstände der Patentansprüche 1 und 3 nicht patentfähig sind,
konnte dem Hilfsantrag 1 insgesamt nicht stattgegeben werden.
3.
Zum Hilfsantrag 2
Die Vorrichtung zur Herstellung eines Profils nach dem unabhängigen An-
spruch 5 nach Hilfsantrag 2 ist zweifellos gewerblich anwendbar. Sie ist je-
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doch ebenfalls nicht neu gegenüber der vorveröffentlichten US Patentschrift
5 722 278 (D9).
Der selbstständige Patentanspruch 5 nach diesem Antrag enthält gegenüber
dem Anspruch 4 nach Hauptantrag noch das Merkmal, dass
die rotatorische
Bewegung um die Schwenkachse an die translatorische Bewegung ge-
koppelt ist.
Auch diese Maßnahme ist jedoch, wie beim Hauptantrag im viertletzten
Absatz bereits beschrieben, aus der US-Schrift D9 bekannt.
Die Kombination der Merkmale des Anspuchs 5 kann daher gegenüber der
bekannten Vorrichtung nach D9 die Neuheit nicht begründen.
Darüber hinaus ergibt sich für den Fachmann aus der Beschreibung der
Vorrichtung und deren Funktion in der D9 auch das Profilwalzverfahren nach
Anspruch 1 des Hilfsantrags 2.
Da die Gegenstände der Patentansprüche 1 und 5 nicht patentfähig sind,
konnte der Hilfsantrag 2 insgesamt keinen Erfolg haben.
Nach alledem war das angefochtene Patent zu widerrufen.
Frühauf
Schwarz
Hilber
Schlenk
Hu