Urteil des BPatG vom 04.02.2002

BPatG (marke, benutzung, 1995, beschwerde, verwechslungsgefahr, form, eintragung, klasse, patent, einrede)

BUNDESPATENTGERICHT
30 W (pat) 218/00
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(Aktenzeichen)
Verkündet am
4. Februar 2002
B E S C H L U S S
In der Beschwerdesache
BPatG 154
6.70
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betreffend die angegriffene Marke 395 13 550
hat der 30. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die
mündliche Verhandlung vom 4. Februar 2002 unter Mitwirkung der Richterin Win-
ter als Vorsitzender, der Richterin Martens und des Richters Voit
beschlossen:
1.
Auf die Beschwerde der Widersprechenden wird der Be-
schluss der Markenstelle für Klasse 5 des Deutschen Patent-
und Markenamtes vom 4. Juli 2000 aufgehoben.
2.
Wegen des Widerspruchs aus der Marke 1 119 015 wird die
Löschung der Marke 395 13 550 angeordnet.
G r ü n d e
I.
ORTIVA
August
1995 unter der Rollennum-
mer 395 13 550 in das Markenregister eingetragen worden; sie ist nach Teilver-
zicht und Teillöschung des Warenverzeichnisses noch bestimmt für "Fungizide".
Nach Veröffentlichung der Eintragung am 30. Dezember 1995 ist Widerspruch er-
hoben worden von der Inhaberin der rangälteren, seit 8. März 1988 für "Orga-
nisch-mineralische Düngemittel, Düngestäbchen in jeder Art und Form; Herbizide,
Insektizide, Fungizide, Pestizide; Bewässerungsvorrichtungen für Pflanzen und
Gestecke, nämlich wasserdruckbetriebene Rasensprenger für Haus und Garten;
Behälter für Pflanzen und Gestecke, Blumentöpfe; Sämereien, lebende Pflanzen,
natürliche Blumen und Blumenzwiebeln; Abdeckungen für Grünfutter und Silagen,
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Ernteverfrühungsfolien, Spezialfolien für Landwirtschaft und Gartenbau" eingetra-
OREFA
1. September 1997 verlängert wurde.
Die Inhaberin der angegriffenen Marke hat bereits im Verfahren vor der Marken-
stelle des Deutschen Patent- und Markenamtes die Benutzung der Wider-
spruchsmarke innerhalb der letzten fünf Jahre vor der Veröffentlichung der Eintra-
gung ihrer Marke bestritten und diese Einrede auch nach Vorlage von Benut-
zungsunterlagen aufrecht erhalten. Im Beschwerdeverfahren legte die Widerspre-
chende weitere Benutzungsunterlagen vor.
Die Markenstelle für Klasse 5 des Deutschen Patent- und Markenamtes hat mit
Beschluss vom 4. Juli 2000 den Widerspruch zurückgewiesen. Zur Begründung ist
ausgeführt, auch bei Begegnung der Marken auf identischen Waren und unter Be-
rücksichtigung allgemeiner Verkehrskreise werde der erforderliche, deutliche Mar-
kenabstand sowohl in schriftbildlicher als auch in klanglicher Hinsicht eingehalten,
so dass es auf Benutzungsfragen nicht ankomme.
Die Widersprechende hat Beschwerde eingelegt. Sie ist der Auffassung, zwischen
den Marken bestehe Verwechslungsgefahr; jede Marke beginne mit den Lauten
"OR-" und ende auf die gleichklingende Silbe "-FA". Die klangliche Verwechs-
lungsgefahr erhöhe sich bei einer "englischen" Aussprache der Widerspruchs-
marke.
Die Widersprechende beantragt (sinngemäß),
den Beschluss der Markenstelle für Klasse 5 des Deutschen Pa-
tent- und Markenamtes vom 4. Juli 2000 aufzuheben und die Lö-
schung der angegriffenen Marke anzuordnen.
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Die Markeninhaberin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Eine Äußerung der Markeninhaberin zur Sache ist im Beschwerdeverfahren nicht
zu den Akten gelangt.
Die Widerspruchsmarke ist mit Verfügung vom 8. Januar 2002 auf die S…
Ltd. umgeschrieben worden.
II.
1. Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere statthaft sowie form- und fristgerecht
eingelegt (§ 66 Abs 1 Satz 1, Abs 2 MarkenG). Die P… GmbH ist
auch die richtige Verfahrensbeteiligte. Die während des Beschwerdeverfahrens
erfolgte Umschreibung der Widerspruchsmarke auf die S… Ltd., der ersicht-
lich eine Änderung der materiellen Rechtsinhaberschaft zugrunde lag, ist hierbei
trotz des damit verbundenen Wegfalls der Sachlegitimation der Widersprechenden
ohne Einfluss auf ihre Stellung als Verfahrensbeteiligte geblieben, die als gesetzli-
che Prozessstandschafterin der jetzigen Markeninhaberin das Verfahren im eige-
nen Namen weiterführen darf, § 82 Abs 1 MarkenG iVm § 265 Abs 2 Satz 1 ZPO
(vgl BGH GRUR 1998, 940 - Sanopharm; MarkenR 2000, 328 - MTS; BPatG
MarkenR 2000, 228 – turfa).
2. Die Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg, da nach Auffassung des Senats
Verwechslungsgefahr iSv § 9 Abs 1 Nr 2 MarkenG besteht. Der angefochtene Be-
schluss ist deshalb aufzuheben und die Löschung der angegriffenen Marke anzu-
ordnen (§ 43 Abs 2 Satz 1 MarkenG).
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Die Beurteilung der Verwechslungsgefahr erfolgt durch Gewichtung von in
Wechselbeziehung zueinander stehenden Faktoren, insbesondere der Ähnlichkeit
der Marken, der Ähnlichkeit der damit gekennzeichneten Waren sowie der Kenn-
zeichnungskraft der Widerspruchsmarke (st. Rspr., vgl. zB EuGH MarkenR 1999,
22 – CANON; BGH MarkenR 1999, 297 – HONKA; GRUR 2000, 506 –
ATTACHÉ/TISSERAND).
Der Senat geht bei seiner Entscheidung in Ermangelung entgegenstehender An-
haltspunkte von einer durchschnittlichen Kennzeichnungskraft und einem daraus
resultierenden normalen Schutzumfang der Widerspruchsmarke aus. Die Marke-
ninhaberin hat zulässig die Einrede mangelnder Benutzung gem § 43 Abs. 1
Satz 1 MarkenG erhoben. Bei der Entscheidung können damit nur die Waren be-
rücksichtigt werden, für die die Benutzung glaubhaft gemacht worden ist,
§ 43 Abs 1 Satz 3 MarkenG. Die Widersprechende hat die Benutzung für die im
Warenverzeichnis enthaltenen Waren "Insektizide" in dem hier maßgeblichen Zeit-
raum vom 30. Dezember 1990 bis 30. Dezember 1995 durch Vorlage der eides-
stattlichen Versicherung des Geschäftsführers der Widersprechenden vom
1. Februar 2002 und Vorlage von Etiketten glaubhaft gemacht. Danach verkaufte
die Widersprechende zwischen dem 1. Januar 1995 und dem 29. Dezember 1995
mit der Widerspruchsmarke gekennzeichnete Insektizide im Inland mit einem Um-
satz von mindestens DM …. Die Benutzung in der Form "Orefa
® Delta M"
ist rechtserhaltend. Der Wechsel von Großbuchstaben zu großem Anfangsbuch-
staben und nachfolgender Kleinschrift ist als zulässige Änderung anzusehen, da
keine schutzbegründende, eigenartige und spezielle Schreibweise der Eintragung
vorliegt. Der Zusatz "Delta M" verändert den kennzeichnenden Charakter der
Marke nicht (vgl § 26 Abs 3 MarkenG); durch das dem Wort "Orefa" angefügte "
®"
ist seine Benutzung als Marke herausgestellt.
Danach stehen sich bei den Waren "Insektizide" und "Fungizide" gegenüber. Zwi-
schen diesen Waren besteht enge Ähnlichkeit. Sie weisen nicht nur Überschnei-
dungen bei den Herstellerbetrieben auf, sondern werden auch regelmäßig in den-
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selben Vertriebsstätten angeboten und haben als Mittel zum Schutz und zur
Pflege von Pflanzen dieselbe Zweckbestimmung. Als Pflanzenschutzmittel dienen
beide der Bekämpfung tierischer und/oder pflanzlicher Schädlinge bei Nutzpflan-
zen (vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 1, 2, 9 PflSchG) und sowohl "Insektizide" als auch "Fungi-
zide" werden unter diesem Oberbegriff zusammengefasst (vgl. Brockhaus, Natur-
wissenschaften und Technik, Bd. 4, S. 70, Stichwort "Pflanzenschutzmittel").
Pflanzenschutzmittel werden häufig in Kombination verschiedener Mittel ange-
wandt, wobei sich Herbizide, Fungizide und Insektizide in ihrer Wirkung ergänzen
und sich auch bei getrennter Anwendung Überschneidungen in den Spritzzyklen
ergeben können. Die Waren richten sich auch an die gleichen Abnehmerkreise.
Bei dieser Ausgangslage hat die angegriffene Marke von der Widerspruchsmarke
einen deutlichen Abstand einzuhalten, der in klanglicher Hinsicht nicht gegeben
ist. Dabei ist auch zu berücksichtigen, daß zu den Abnehmerkreisen die breite
Masse der Durchschnittsabnehmer gehört, bei denen nicht immer besondere
Sorgfalt beim Kauf vorausgesetzt werden kann. Allerdings ist nicht von einem sich
nur flüchtig mit der Ware befassenden, sondern von einem durchschnittlich infor-
mierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher auszugehen
(vgl. BGH GRUR 2000, 506 – ATTACHÉ/ TISSERAND; GRUR 1998, 942 – ALKA-
SELTZER; EuGH MarkenR 1999, 236 – Lloyd/Loints). Zudem ist gerade bei den
hier in Rede stehenden Waren in beachtlichem Umfang mit einer mündlichen Be-
nennung der Marken zu rechnen, etwa beim Kauf in Blumen- und Pflanzenge-
schäften, die nicht auf Selbstbedienung ausgerichtet sind. Die Gefahr, daß die
Marken "ORTIVA" und "OREFA" hierbei irrtümlich füreinander gehört werden,
kann angesichts ihrer sehr starken klanglichen Ähnlichkeit nicht ausgeschlossen
werden. Sie stimmen am regelmäßig stärker beachteten Wortanfang "OR-" völlig
überein; auch in den Endlauten "-VA" bzw "-FA" sind die klanglichen Annäherun-
gen sehr ausgeprägt, wenn von einer überwiegenden Aussprache des Buchsta-
ben "V" wie "W" (und nicht wie "F") ausgegangen wird. Unter diesen Umständen
werden die im allgemein weniger beachteten Wortinneren gelegenen wenig mar-
kanten Abweichungen im Vokal ("I" gegenüber "E") sowie im zusätzlichen Buch-
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stabe "T" akustisch überlagert und treten jedenfalls nicht mehr ausreichend deut-
lich in Erscheinung.
Zu einer Auferlegung von Kosten gemäß § 71 Abs. 1 Satz 1 MarkenG besteht
keine Veranlassung.
Winter Martens
Voit
prö