Urteil des BPatG vom 29.04.2010

BPatG: stand der technik, grundsatz der perpetuatio fori, patentanspruch, einspruch, ausbildung, fig, erfindung, patentgesetz, post, zusammenwirken

BPatG 154
08.05
BUNDESPATENTGERICHT
6 W (pat) 328/07
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(Aktenzeichen)
Verkündet am
29. April 2010
B E S C H L U S S
In der Einspruchssache
betreffend das Patent 196 00 951
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hat der 6. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf
die mündliche Verhandlung vom 29. April 2010 unter Mitwirkung des Vorsitzenden
Richters Dipl.-Ing. Dr. Lischke sowie der Richter Guth, Dipl.-Ing. Hildebrandt und
Dipl.-Ing. Küest
beschlossen:
Das Patent 196 00 951 wird mit folgenden Unterlagen beschränkt
aufrechterhalten:
-
Patentansprüche 1 bis 9 vom 29.04.2010, eingereicht in der
mündlichen Verhandlung,
-
Unterlagen im Übrigen wie erteilt.
G r ü n d e
I .
Gegen das Patent 196 00 951, dessen Erteilung am 17. Februar 2005 veröffent-
licht wurde, ist mit Schriftsatz der Einsprechenden vom 17. Mai 2005, eingegan-
gen am selben Tag, Einspruch erhoben worden.
Der Einspruch stützt sich auf den Widerrufsgrund der fehlenden Patentfähigkeit
des Patentgegenstands.
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Die Einsprechende bezieht sich in ihrer Einspruchsbegründung auf folgende
Druckschriften:
D1:
DE 29 47 501 A1,
D2:
DE 37 42 874 A1,
D3:
DE 33 10 652 C1,
D4:
FR 2 614 929,
D5:
EP 0 155 659 A2,
D6:
EP 0 221 829 B1,
D7:
AT 82 361 B,
D8:
Dubbel, „Taschenbuch für Maschinenbau“, 18. Aufl., Sprin-
ger-Verlag 1995, S. G115 - G123,
D9:
G. Niemann, H. Winter „Maschinenelemente, Band II“,
2. Aufl., Springer-Verlag, 1989, S. 43, 44 u. 53 - 55
D10: DE 94 06 852 U1,
D11: DE 42 34 162 A1,
D12: FR 2 613 760,
D13: FR 2 587 406.
Die Einsprechende führt in ihrer Einspruchsbegründung aus, dass der Patentge-
genstand gegenüber dem aufgezeigten Stand der Technik nicht neu sei bzw. nicht
auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.
Der geltende Patentanspruch 1 sei zudem eine Aggregation zusammenhangloser
Einzelmerkmale. So fehle es zudem an einer funktionalen Beziehung zwischen
den sich auf das Zahnrad beziehenden Merkmalen und den übrigen Merkmalen
des Anspruchs.
Sie beantragt,
das angegriffene Patent zu widerrufen.
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Die Patentinhaberin stellt den Antrag,
das angegriffene Patent mit den folgenden Unterlagen beschränkt
aufrechtzuerhalten:
-
neue Patentansprüche 1 bis 9 vom 29.04.2010,
eingereicht in der mündlichen Verhandlung,
-
übrige Unterlagen wie erteilt.
Sie führt aus, dass ihrer Auffassung nach der Gegenstand nach dem nun gelten-
den Patentanspruch 1 gegenüber dem geltend gemachten Stand der Technik neu
sei und auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.
Das Patent betrifft nach dem Wortlaut des geltenden Patentanspruchs 1 einen
Lamellen (13) aufweisenden Rollladen (3), insbesondere Wohn-
dachfensterrollladen, mit einer Antriebsvorrichtung (14) für die
Lamellen (13), wobei die Antriebsvorrichtung (14) mindestens ein
Antriebszahnrad (38) mit Zähnen (39) mit symmetrischer Quer-
schnitts-Zahnkontur aufweist und die Zähne (39) konvex gewölbte
Zahnflanken (42) besitzen, die im Bereich der Zahnkrone (43) je-
des Zahns (39) unter Ausbildung einer Spitze (44) zusammenlau-
fen, und wobei die Zähne (39) mit den Lamellen (13) zugeordne-
ten und die Enden (20) der Lamellen (13) überragenden Eingriffs-
mitteln (17) zusammenwirken, die jeweils einen Einsteckab-
schnitt (18) aufweisen, der in die zugeordnete, als Hohlprofil (15)
ausgebildete Lamelle (13) eingesteckt ist, wobei die die Lamel-
len (13) überragenden Abschnitte der Eingriffsmittel (17) Füh-
rungsabschnitte (19) bilden und jeder Führungsabschnitt (19)
mehrere, als Durchbrüche (31) ausgebildete Ausnehmungen (30)
aufweist, die mit Gleitschrägen (51) und/oder Gleitradien (50) ver-
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sehene Wandbereiche aufweisen, und wobei jede Lamelle (13) ei-
nen bogenförmigen Querschnitt aufweist und der zugeordnete
Führungsabschnitt (19) im Querschnitt ebenfalls bogenförmig, ins-
besondere etwa der Bogenform der Lamelle (13) angepasst, aus-
gebildet ist, und die Führungsabschnitte (19) aufgrund ihrer jewei-
ligen Bogenform konkave Unterseiten (52) aufweisen, die dem
Antriebsrad (38) zugekehrt sind.
Hieran schließen sich die rückbezogenen Unteransprüche 2 bis 9 an, zu deren
Wortlaut auf den Akteninhalt verwiesen wird.
Nach Abs. [0007] der Patentschrift liegt der vorliegenden Erfindung die Aufgabe
zugrunde, einen Rollladen zu schaffen, dessen Lamellen zuverlässig und korrekt
geführt und präzise verlagerbar sind.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
1.
Das Bundespatentgericht ist für die Entscheidung über den vorliegenden Ein-
spruch nach § 147 Abs. 3 PatG in der bis zum 30. Juni 2006 geltenden Fassung
zuständig geworden und auch nach der ab 1. Juli 2006 in Kraft getretenen Fas-
sung des § 147 Abs. 3 PatG gemäß dem Grundsatz der perpetuatio fori zuständig
geblieben (vgl. hierzu BGH GRUR 2007, 859, 861 f. - Informationsübermittlungs-
verfahren I; BGH GRUR 2007, 862 f. - Informationsübermittlungsverfahren II; BGH
GRUR 2009, 184 f. - Ventilsteuerung).
2.
Der frist- und formgerecht erhobene Einspruch ist ausreichend substantiiert
und auch im Übrigen zulässig. Die von der Einsprechenden gemachte Begrün-
dung gibt in eindeutiger und nachvollziehbarer Weise die den Einspruch rechtferti-
genden Tatsachen im Einzelnen an.
- 6 -
3.
Der geltende Patentanspruch 1 ist zulässig.
Der geltende Patentanspruch 1 ergibt sich aus den erteilten Patentansprüchen 1,
6, 10, 11, 12 und 13.
Unzulässige Erweiterungen sind von der Einsprechenden auch nicht geltend ge-
macht worden.
4.
Der Fachmann ist hier ein Maschinenbautechniker mit mehrjähriger Erfah-
rung auf dem Gebiet der Konstruktion und Fertigung von Rollladen.
5.
Auf den Einspruch ist das Patent antragsgemäß beschränkt aufrecht zu
erhalten, weil der Gegenstand des nunmehr geltenden Patentanspruchs 1 gegen-
über dem angeführten Stand der Technik patentfähig ist.
5.1
Der zweifellos gewerblich anwendbare Gegenstand des geltenden
Patentanspruchs 1 ist gegenüber dem aufgezeigten Stand der Technik unbestrit-
ten neu, da keine der entgegengehaltenen Druckschriften Gegenstände mit sämt-
lichen Merkmalen des geltenden Patentanspruchs 1 zeigt.
5.2
Erfinderische Tätigkeit
Die D1 (DE 29 47 501 A1), D4 (FR 2 614 929), D5 (EP 0 155 659 A2), D6 (EP
0 221 829 B1) und D7 (AT 82 361 B) befassen sich mit Antriebsvorrichtungen für
Lamellen aufweisende Rollladen. Der Antrieb nach der D1 erfolgt über Leistenab-
schnitte 28, nach der D4 über stiftförmige Ansätze 16, 17 und nach der D5 über
Endglieder 21, 37, 40. Die Antriebszahnräder nach der D6 und D7 dagegen grei-
fen offensichtlich unmittelbar in seitlich in den Lamellen vorgesehene Löcher ein.
Die D1 zeigt im Weiteren, insbesondere in den Figuren 1, 2 und 7, einen Lamellen
(dort als Stäbe 16 bezeichnet) aufweisenden Rollladen. Der bekannte Rollladen
hat eine Antriebsvorrichtung 20 mit mindestens einem Antriebszahnrad 21, 22 für
die Lamellen. Die Zähne des Antriebszahnrads 21, 22 wirken mit den den Lamel-
len 16 zugeordneten und die Enden der Lamellen überragenden, den Eingriffs-
mitteln entsprechenden Leistenabschnitten 28 zusammen.
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Die den Eingriffsmitteln entsprechenden Leistenabschnitte 28 weisen jeweils einen
Einsteckabschnitt auf, der in die zugeordnete, als Hohlprofil ausgebildete Lamel-
le 16 eingesteckt ist (vgl. Fig. 2). Die die Lamellen 16 überragenden Abschnitte
der den Eingriffsmitteln entsprechenden Leistenabschnitten 28 bilden Führungs-
abschnitte (vgl. Fig. 2).
Jeder Führungsabschnitt kann gem. D1, Seite 18, Abs. 3, auch als Lochreihe aus-
gebildet sein, wobei für den Fachmann auch mehrere als Durchbrüche ausgebil-
dete Ausnehmungen pro Führungsabschnitt denkbar sind, weil in Fig. 2 beim ab-
gebildeten Triebstock zwei Eingriffausnehmungen gezeigt sind.
In Figur 1 ist ein Antriebszahnrad 21, 22, das Zähne mit symmetrischer Quer-
schnitts-Zahnkontur aufweist und deren Zahnflanken im Bereich der Zahnkrone
eines jeden Zahns unter Ausbildung einer Spitze zusammenlaufen, abgebildet.
Die Triebstöcke 27 der Eingriffsausnehmungen in Figur 2 sind rund und weisen
damit mit Gleitradien versehene Wandbereiche auf, die der Fachmann selbstver-
ständlich auch vorsieht, wenn er statt der Triebstöcke die auf Seite 18, Absatz 3
erwähnten Lochreihen vorsieht, weil so ganz offensichtlich ein verschleißärmeres
und sicheres Eingreifen der Zähne gewährleistet ist.
Hinweise oder Anregungen auf ein Antriebszahnrad, das Zähne mit konvex ge-
wölbten Zahnflanken hat,
auf Lamellen mit bogenförmigem Querschnitt und
auf zugeordnete Führungsabschnitte mit im Querschnitt ebenfalls bogenförmiger
Ausbildung, insbesondere etwa der Bogenform der Lamelle angepasst, und mit
aufgrund ihrer jeweiligen Bogenform konkaven Unterseiten, die dem Antriebsrad
zugekehrt sind, sind der D1 jedoch nicht zu entnehmen, weil die D1 wie auch die
D5 ausschließlich ebene Lamellen zeigen.
Die D4 zeigt zwar Lamellen mit bogenförmigem Querschnitt, aber das mit dem
Führungsabschnitt gemäß geltendem Patentanspruch 1 übereinstimmende Teil ist
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lediglich ein stiftförmiger Ansatz 16, 17. Damit können sowohl die D4 als auch die
D6 und die D7, die Lamellen mit bogenförmigem Querschnitt zeigen aber keine
zugeordneten Führungsabschnitte, sondern für den Antrieb seitlich in den Lamel-
len vorgesehene Löcher haben, mangels entsprechender Führungsabschnitte
keine Hinweise auf die zuvor angeführten patentgemäßen Merkmale geben.
Die D2, D3 und D10 bis D13 zeigen zwar Rollladen bestehend aus Lamellen mit
bogenförmigem Querschnitt, können aber mangels einer Antriebsvorrichtung we-
der auf die patentgemäße Zahnradausbildung sowie deren örtliche Anordnung
noch auf die zugehörige Ausgestaltung der Führungsabschnitte Anregungen ge-
ben.
Die weiteren im Verfahren befindlichen Druckschriften, D8 und D9, zeigen keine
Rollladen, sondern Ausgestaltungen von Zahnrädern u. a. mit konvexen Zahnflan-
kenausbildungen. Sie berühren damit lediglich einen Teilaspekt des Streitge-
genstandes und können damit auch zusammen mit den abgehandelten Druck-
schriften mangels Hinweise auf die patentgemäße Anordnung und das patentge-
mäße Zusammenspiel der Führungsabschnitte mit den Antriebszahnrädern, deren
Zähne von unten also von der konkaven Unterseite der Führungsabschnitte her in
deren Durchbrüche eingreifen, keinen Weg aufzeigen, der zur Lehre nach dem
geltenden Patentanspruch 1 führt.
Damit vermag der Stand der Technik nach der D1 bis D13 weder für sich allein
betrachtet, noch in einer Zusammenschau eine Anregung zur erfindungsgemäßen
Lösung zu geben, weil jede Entgegenhaltung dem Fachmann jeweils eine in sich
abgeschlossene Lösung für unterschiedliche Aufgabenstellungen bietet und ein
durch willkürliches Herausgreifen einzelner Merkmale zusammen mit dem Fach-
wissen zusammengefügter Anspruch mit der Lehre nach dem geltenden Patent-
anspruch 1 in Kenntnis der Erfindung einer unzulässigen ex-post Betrachtung
gleich käme.
- 9 -
Die Merkmalskombination im geltenden Patentanspruch 1 ist auch keine Aggrega-
tion. Eine Aggregation wiederholt nur Bekanntes ohne zwingende Notwendigkeit
nebeneinander, z. B. bei einer losen Aneinanderreihung bekannter Maßnahmen,
die ohne einen synergetischen Effekt ihre charakteristische Wirkung entfalten (vgl.
Schulte, Patentgesetz, 8. Aufl., § 1 Rn. 237).
Dies ist hier aber nicht der Fall, da die hinzugenommenen, auf Zuverlässigkeit,
korrekte Führung und präzise Verlagerbarkeit der Lamellen zielenden Merkmale
gem. geltendem Patentanspruch 1 in dieser Kombination nicht nur Bekanntes
beinhalten, wie zuvor im Einzelnen dargelegt wurde.
Der geltende Patentanspruch 1 ist somit gewährbar.
6.
Mit der Gewährbarkeit des geltenden Patentanspruchs 1 sind auch die auf
nicht platt selbstverständliche Ausgestaltungen des Patengegenstandes gerichte-
ten Unteransprüche 2 bis 9 gewährbar.
Dr. Lischke
Guth
Hildebrandt
Küest
Cl