Urteil des BGH vom 02.04.2017

BGH (gesetzlicher vertreter, zpo, ablehnung, vertreter, person, erklärung, befangenheit, vertretung, mitglied, ausnahme)

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
I ZR 58/00
vom
5. März 2001
in dem Rechtsstreit
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Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 5. März 2001 durch
die Richter Dr. Kurzwelly und Kraemer, die Richterinnen Mühlens und Münke
und den Richter Dr. Schaffert
beschlossen:
I. Der Vorsitzende Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. E.
ist von der Ausübung des Richteramtes ausgeschlossen.
II. Die Selbstablehnung des Richters am Bundesgerichtshof
Dr. v. U. wird für begründet erklärt.
III.Die Selbstablehnungen der Richter am Bundesgerichtshof
St. , Prof. Dr. B. , P. und Dr. Bü. werden für unbe-
gründet erklärt.
Gründe:
I. 1. Nach § 41 ZPO ist ein Richter von der Ausübung des Richteramtes
kraft Gesetzes unter anderem dann ausgeschlossen, wenn er als gesetzlicher
Vertreter einer Partei aufzutreten berechtigt ist. Nach § 42 ZPO kann ein Rich-
ter von den Prozeßparteien außer in den Fällen seines Ausschlusses kraft Ge-
setzes auch wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden; diese Be-
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sorgnis besteht, wenn ein Grund vorliegt, der Mißtrauen gegen die Unpartei-
lichkeit des Richters zu rechtfertigen vermag. Eine Entscheidung des Gerichts
über die Frage des Ausschlusses eines Richters ist nach § 48 ZPO auch ohne
das Vorbringen eines entsprechenden Gesuchs einer Partei unter anderem
dann veranlaßt, wenn der Richter von einem Verhältnis Anzeige macht, das
seine Ablehnung rechtfertigen könnte.
2. Der Vorsitzende Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. E. hat mit
schriftlicher Erklärung vom 6. September 2000 gemäß § 48 ZPO angezeigt,
daß er dem Gesamtvorstand der klagenden Deutschen Vereinigung für ge-
werblichen Rechtsschutz und Urheberrecht e.V. angehöre und damit wohl ge-
mäß § 41 ZPO von der Ausübung des Richteramtes ausgeschlossen sei. Zu-
mindest läge ein Ablehnungsgrund nach § 42 ZPO vor.
Die beisitzenden Richter des Senats mit Ausnahme des Richters
Dr. S. haben mit schriftlichen Erklärungen vom 15. September und vom 9.,
11., 12. und 18. Oktober 2000 mitgeteilt, daß sie dem Kläger als Mitglieder an-
gehören.
Die Richter Dr. v. U. , St. und Prof. Dr. B. haben in diesem
Zusammenhang weiterhin mitgeteilt, daß sie in der vom Kläger herausgegebe-
nen Zeitschrift GRUR verschiedentlich Beiträge veröffentlicht haben.
Der Richter Dr. v. U. hat darüber hinaus mitgeteilt, er gehöre
zwei Fachausschüssen des Klägers an und es erscheine ihm zudem jedenfalls
nicht als selbstverständlich, daß der Kläger an Beiträgen in seinen Zeitschrif-
ten, für die er eine Druckfertigerklärung erhalten habe, die geltend gemachten
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Rechte an der prozeßgegenständlichen besonderen Nutzungsform erworben
habe. Zudem sei es ihm, dem Richter Dr. v. U. , nicht gleichgültig, ob
der Kläger ohne weiteres über die Nutzung der in seinen Zeitschriften erschie-
nenen Beiträge in der streitgegenständlichen Art verfügen könne, und sehe er,
Dr. v. U. , deshalb in seiner Person einen Ablehnungsgrund im Sinne
des § 42 ZPO für gegeben an.
3. Die als Vertreter im I. Zivilsenat in erster Linie zuständigen Richter
des X. Zivilsenats haben mit Ausnahme der Richterin M. mitgeteilt, daß sie
ebenfalls dem Kläger als Mitglieder angehören. Der Vorsitzende Richter R.
hat ferner mitgeteilt, daß auch er Mitglied im Gesamtvorstand des Klägers sei.
Die Richter des X. Zivilsenats haben weiter mitgeteilt, daß sie - in unter-
schiedlichem Umfang - in den vom Kläger herausgegebenen Zeitschriften Bei-
träge veröffentlicht haben sowie teilweise Fachausschüssen des Klägers an-
gehören und auf von diesem durchgeführten Veranstaltungen Vorträge gegen
Zahlung eines Honorars gehalten haben.
4. Die Parteien hatten Gelegenheit, sich zur Frage des Ausschlusses
und der Ablehnung der Richter zu äußern.
Der Kläger hat mitgeteilt, er sehe Ablehnungsgründe im Sinne der
§§ 42 ff. ZPO für nicht gegeben an.
Nach der Auffassung der Beklagten sind die Vorsitzenden Richter
Prof. Dr. E. und R. im Hinblick auf ihre Zugehörigkeit zum Gesamtvorstand
des Klägers von einer Mitwirkung in dem Rechtsstreit nach § 41 Nr. 1 ZPO
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ausgeschlossen. Bei dem Richter Dr. v. U. sei von einer berechtigten
Selbstablehnung auszugehen. Daß ein Richter Mitglied des Klägers sei, be-
gründe für sich allein eine Selbstablehnung ebensowenig wie die Mitgliedschaft
in Fachausschüssen des Klägers, die sich nicht mit Fragen beschäftigten, die
den Gegenstand des vorliegenden Verfahrens bildeten. Ob dasselbe für Ver-
öffentlichungen in der Zeitschrift GRUR gelte, erscheine fraglich. Die Frage, ob
die Richter des X. Zivilsenats im Hinblick auf die von ihnen mitgeteilten Um-
stände ihrerseits gehindert seien, an der Entscheidung über die Frage der Ab-
lehnung der Richter des I. Zivilsenats mitzuwirken, hätten die bei deren Ver-
hinderung für die Vertretung der Richter des X. Zivilsenats zuständigen Richter
des XI. Zivilsenats zu entscheiden.
II. Die vorliegend getroffene Entscheidung war von den unterzeichneten
Richterinnen und Richtern zu erlassen.
1. Nach § 45 Abs. 1 Halbs. 1 ZPO entscheidet über das Ablehnungsge-
such grundsätzlich das Gericht, dem der Abgelehnte angehört. Das ist
- vorbehaltlich einer nach herrschender Meinung zulässigen, im Geschäftsver-
teilungsplan des Bundesgerichtshofes jedoch nicht enthaltenen abweichenden
Regelung - der durch seine(n) geschäftsplanmäßigen Vertreter ergänzte
Spruchkörper (Zöller/Vollkommer, ZPO, 22. Aufl., § 45 Rdn. 2).
2. Da nach den von den geschäftsplanmäßigen Mitgliedern des
I. Zivilsenats mit Ausnahme des Richters Dr. S. abgegebenen Erklärungen
über deren Ausschließung und Ablehnung zu befinden war, hatten danach bei
der insoweit zu treffenden Entscheidung neben diesem Richter zunächst die an
erster Stelle zur Vertretung im I. Zivilsenat berufenen Richter des X. Zivilsenats
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mitzuwirken. Da aber diese mit Ausnahme der Richterin M. ebenfalls in ihrer
Person vorliegende Gründe angezeigt haben, die den von den Mitgliedern des
I. Zivilsenats angegebenen Gründen entsprachen oder diesen vergleichbar
waren und damit ebenfalls die Ausschließung oder Ablehnung rechtfertigen
konnten, waren auch sie daran gehindert, an der vorliegend getroffenen Ent-
scheidung mitzuwirken. Aus der maßgeblichen Sicht der Parteien bestünden
an der Unparteilichkeit und Unabhängigkeit der Entscheidung über die Aus-
schließung und Ablehnung der geschäftsplanmäßigen Richter des I. Zivilsenats
berechtigte Zweifel, wenn sie unter Mitwirkung der Richter des X. Zivilsenats
erginge, bei denen eine Ausschließung oder Ablehnung gegebenenfalls recht-
fertigende Gründe in gleicher oder jedenfalls vergleichbarer Weise vorliegen.
3. Damit hatten an der Entscheidung neben dem Richter Dr. S. und
der Richterin M. die nach dem Geschäftsverteilungsplan nach den Richtern
des X. Zivilsenats zur weiteren Vertretung im I. Zivilsenat berufenen Richter
des II. Zivilsenats mitzuwirken. Soweit die Beklagte gegenteiliger Auffassung
ist und die beim X. Zivilsenat nach den Richtern des I. Zivilsenats zur weiteren
Vertretung berufenen Richter des XI. Zivilsenats für zuständig erachtet, ver-
kennt sie, daß die Richter des X. Zivilsenats an der hier zu treffenden Ent-
scheidung über die Frage der Ausschließung und der Ablehnung der ge-
schäftsplanmäßigen Mitglieder des I. Zivilsenats nicht in ihrer Eigenschaft als
geschäftsplanmäßige Mitglieder des X. Zivilsenats, sondern als geschäfts-
planmäßige Vertreter im I. Zivilsenat mitzuwirken hatten. Dementsprechend
betrifft auch die Frage, ob die Richter des X. Zivilsenats an dieser Entschei-
dung ihrerseits im Hinblick auf in ihrer Person gegebene Gründe nicht mitwir-
ken können, ein Geschäft des I. Zivilsenats.
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III. Der Vorsitzende Richter Prof. Dr. E. ist im vorliegenden Verfahren
von der Ausübung des Richteramts ausgeschlossen, weil er als Mitglied des
Gesamtvorstands des Klägers als dessen gesetzlicher Vertreter aufzutreten
berechtigt ist (§ 41 Nr. 4, § 51 Abs. 1 ZPO, § 26 Abs. 2 Satz 1 BGB). Daß er
nicht der alleinige Vertreter des Klägers ist, steht dem ebensowenig entgegen
wie der Umstand, daß er in der Vertretereigenschaft, soweit erkennbar, nicht
tätig geworden ist (MünchKommZPO/Feiber, 2. Aufl., § 41 Rdn. 20).
IV. Der Richter Dr. v. U. hat in seiner Erklärung vom
15. September 2000 über die Tatsache, daß er Mitglied des Klägers ist und in
den von diesem herausgegebenen Zeitschriften verschiedentlich Aufsätze hat
veröffentlichen lassen, hinaus Umstände mitgeteilt, die geeignet sind, Mißtrau-
en gegen seine Unparteilichkeit und damit seine Ablehnung wegen Besorgnis
der Befangenheit zu rechtfertigen.
Der Erklärung ist zu entnehmen, daß der Richter sich mit Blick auf die
Urheberrechte an den Aufsätzen, die er in den vom Kläger herausgegebenen
Zeitschriften hat veröffentlichen lassen, in einer interessenmäßigen Gegner-
stellung zum Kläger sieht. Weiterhin ergibt sich aus der Erklärung, daß der
Richter der in der vorliegenden Sache zu treffenden Sachentscheidung, die
angesichts der regelmäßig über den Einzelfall hinausgehenden Bedeutung
höchstrichterlicher Erkenntnisse mittelbar jedenfalls im wesentlichen auch
schon über die ihm selbst gegenüber dem Kläger zustehenden urheberrechtli-
chen Befugnisse entscheiden wird, eine - wenn auch nicht aus materiellen
Gründen - nicht unerhebliche Bedeutung für seine eigene Person zuschreibt.
Im Hinblick auf diesen Inhalt seiner Erklärung würde er aus der für die Beur-
teilung der Frage der Befangenheit maßgeblichen Sicht der Parteien jedenfalls
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in einem weiteren Sinn als Richter in eigener Sache erscheinen und dieser
Umstand Mißtrauen hinsichtlich seiner Unparteilichkeit rechtfertigen. Daß der
Kläger, der nach der Sachlage an sich in erster Hinsicht eine Befangenheit des
Richters zu befürchten hätte, dies anders sieht, ist, wie sich aus § 42 Abs. 3
ZPO ergibt, unerheblich.
Danach kommt dem Umstand, daß der Richter Dr. v. U. weiter-
hin mitgeteilt hat, er gehöre beim Kläger zwei Fachausschüssen und dabei
namentlich dem Fachausschuß für Urheber- und Verlagsrecht an, für die Frage
der Ablehnung des Richters keine ausschlaggebende Bedeutung mehr zu. Un-
abhängig davon begründen diese beiden Gesichtspunkte wie insbesondere die
Tatsache, daß der Richter gerade auf dem Fachgebiet für den Kläger an her-
ausgehobener Stelle Vereinsarbeit leistet, auf dem die Parteien den hier pro-
zeßgegenständlichen Streit austragen, aber ebenfalls berechtigte Zweifel dar-
an, daß der Richter über den Prozeßgegenstand unvoreingenommen urteilen
wird.
V. Keine Besorgnis der Befangenheit ist dagegen aus den Umständen
abzuleiten, die die Richter St. , Prof. Dr. B. , P. und Dr. Bü. jeweils in
bezug auf ihre Person mitgeteilt haben.
Dies gilt namentlich für die Tatsache, daß diese Richter dem Kläger je-
weils als (einfache) Mitglieder angehören. Hierbei ist nämlich zu berücksichti-
gen, daß dem Kläger mehrere tausend Mitglieder und damit die meisten der in
Deutschland auf den Gebieten des gewerblichen Rechtsschutzes und des Ur-
heberrechts tätigen Personen angehören. Hinzu kommt, daß es im vorliegen-
den Rechtsstreit ungeachtet des durchaus nicht unerheblichen Streitwerts kei-
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neswegs etwa um eine Frage geht, die für den Kläger existentielle Bedeutung
haben könnte.
Soweit die Richter St. und Prof. Dr. B. weitergehend mitgeteilt ha-
ben, es seien mehrere von ihnen verfaßte Beiträge in der Zeitschrift GRUR
erschienen, haben sie nicht erklärt, daß sie sich deswegen von dem Ausgang
des Rechtsstreits auch als persönlich betroffen ansehen. Unter diesen Um-
ständen rechtfertigt die Tatsache, daß die Veröffentlichungen erfolgt sind, für
sich allein noch keine berechtigten Zweifel an der Unbefangenheit der beiden
Richter.
Kurzwelly
Kraemer
Mühlens
Münke
Schaffert