Urteil des BGH vom 29.01.0030

BGH (zeuge, hauptverhandlung, stpo, staatsanwaltschaft, verfügung, pistole, bewertung, vernehmung, raum, rollstuhl)

5 StR 312/04
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 30. September 2004
in der Strafsache
gegen
wegen besonders schweren Raubes u.a.
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Hauptverhand-
lung vom 29. und 30. September 2004, an der teilgenommen haben:
Richter Basdorf
als Vorsitzender,
Richter Häger,
Richter Dr. Raum,
Richter Dr. Brause,
Richter Schaal
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin B
als Verteidigerin,
Rechtsanwältin R
als Vertreterin der Nebenklägerin G und des
Nebenklägers Ge ,
Rechtsanwalt S
als Vertreter des Nebenklägers T ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
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in der Sitzung vom 30. September 2004 für Recht erkannt:
1. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Ne-
benkläger gegen das Urteil des Landgerichts Berlin
vom 19. Dezember 2003 werden verworfen.
2. Die Nebenkläger tragen die Kosten ihrer Rechtsmittel.
Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels der
Staatsanwaltschaft einschließlich sämtlicher im Revisi-
onsverfahren entstandener gerichtlicher Auslagen und
die dem Angeklagten im Revisionsverfahren entstan-
denen notwendigen Auslagen zu tragen.
– Von Rechts wegen –
G r ü n d e
Das Landgericht hat den Angeklagten von dem Vorwurf freigespro-
chen, sich am 28. Juli und 5. August 2002 an bewaffnet ausgeführten Raub-
überfällen auf Berliner Gaststätten – als Führer des jeweiligen Tatfahrzeu-
ges – beteiligt zu haben. Es ist den – einzigen – belastenden Aussagen der
inzwischen rechtskräftig verurteilten Mittäter Ö und A nicht gefolgt.
Dagegen richtet sich die Revision der Staatsanwaltschaft, die vom General-
bundesanwalt nicht vertreten wird. Die am 5. August 2002 in der Gaststätte
„M “ verletzten G , Ge und T
haben sich dem Verfahren als Nebenkläger angeschlossen. Sie beanstanden
mit ihren Revisionen den Freispruch im Blick auf den zur Nebenklage be-
rechtigenden Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung.
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Die mit Verfahrensrügen und der Sachrüge geführten Rechtsmittel
bleiben erfolglos.
1. Die von der Staatsanwaltschaft und den Nebenklägern erhobenen
Verfahrensrügen im Zusammenhang mit der unterbliebenen Zeugenverneh-
mung eines Namensvetters des Angeklagten scheitern schon aus folgenden
Gründen an unvollständigen Sachvorträgen (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO): Bei
der hier gegebenen Sachlage war zur Beurteilung des von den Nebenklägern
gestellten, vom Landgericht als unzulänglich erachteten Beweisantrags eine
Kenntnis der polizeilichen Ermittlungen im Zusammenhang mit einem vom
Haupttäter angegebenen Kennzeichen des Fluchtfahrzeugs unerläßlich, ins-
besondere bezogen auf das dem Zeugen zugeordnete ähnliche Kennzei-
chen. Hierzu werden lediglich allgemeine Ermittlungsansätze eines Kriminal-
beamten mitgeteilt, ohne daß deutlich gemacht wird, ob sich die polizeilichen
Ermittlungen hierauf beschränkt haben oder ob es hierzu weitergehende Er-
mittlungen, insbesondere zur Frage einer Beziehung zwischen dem Ange-
klagten und dem benannten Zeugen, gegeben hat. So verdeutlicht das er-
gänzende Vorbringen der Nebenklagevertreter in der Revisionshauptver-
handlung zu Erkenntnissen des ermittelnden Kriminalbeamten, in Berlin leb-
ten nur drei weitere Personen mit diesem Familiennamen, die Möglichkeit
derart gebotenen Vortrags, der freilich im Rahmen der Revisionsbegründung
hätte erfolgen müssen. Nur eine Kenntnis dieses Verfahrensgeschehens er-
möglichte die erforderliche umfassende Beurteilung der Auffassung des
Landgerichts, der Antrag sei ein „ins Blaue hinein“ gestellter Scheinbeweis-
antrag gewesen. Ob, was nicht ganz fernliegt, keine hinreichende Konnexität
zwischen der eher allgemein gehaltenen Beweisbehauptung und dem als
Beweismittel benannten Zeugen besteht (vgl. BGHR StPO § 344 Abs. 2
Satz 2 Aufklärungsrüge 9), bedarf danach keiner Entscheidung.
2. Auch die weiteren Verfahrensrügen der Nebenkläger bleiben er-
folglos.
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a) Die im Zusammenhang mit der behaupteten unrichtigen Belehrung
des Zeugen Ö nach § 55 StPO erhobene Aufklärungsrüge scheitert
– jenseits fehlenden weiteren Vortrags – jedenfalls deshalb, weil schon das
Vorbringen, die Strafkammer hätte das Aussageverhalten „unvollständig ge-
würdigt“ und wäre ohne den behaupteten Rechtsfehler „sicher zu einer ande-
ren Bewertung gelangt“, nicht die hier gebotene bestimmte Beweisbehaup-
tung darstellt (vgl. BGH NStZ 2004, 112 m.w.N.).
b) Die Rüge, das Landgericht habe gegen § 244 Abs. 2 StPO ver-
stoßen, weil es den Angeklagten vor Ergreifung und Vernehmung eines wei-
teren Tatverdächtigen, des bulgarischen Staatsangehörigen „Me “, frei-
gesprochen habe, ist unbegründet. Das Aufklärungsbegehren richtet sich
nicht auf ein für die Hauptverhandlung zur Verfügung stehendes Beweismit-
tel.
3. Die Beweiswürdigung des Landgerichts hält sachlichrechtlicher
Prüfung stand. Die Schlußfolgerung des Landgerichts, es hätte eine Verurtei-
lung des Angeklagten auf die in sich widersprüchlichen und wechselnden
Angaben der bereits rechtskräftig verurteilten Zeugen Ö und A guten
Gewissens nicht stützen können, beruht auf einer nachvollziehbaren Bewer-
tung der Motive und des Inhalts der Aussagen dieser Zeugen und ist vom
Revisionsgericht hinzunehmen (vgl. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 2).
Der Zeuge Ö hatte den Angeklagten erstmalig aus Enttäu-
schung über den Angeklagten und in der Absicht, durch Benennung eines
Mittäters Strafmilderung zu erlangen, in seiner eigenen Hauptverhandlung
belastet. Von einem als sicher erinnerlich angegebenen Kennzeichen des
Täterfahrzeugs rückte er wieder ab. In seiner polizeilichen Vernehmung vom
11. November 2002 hatte er einen anderen Mittäter als Lieferanten von Mas-
ken und einer Pistole für die beiden Überfälle benannt und widersprüchliche
Angaben über die Verletzung eines im Rollstuhl sitzenden Opfers gemacht.
In der Hauptverhandlung hat der Zeuge den Angeklagten zunächst damit
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belastet, dieser habe jeweils eine Pistole zur Verfügung gestellt. Anschlie-
ßend hat er sich aber auf Nichtwissen berufen und zur Begründung wech-
selnder Aussagen bemerkt: „Ich habe damals so eine Geschichte erzählt, ich
sage hier die Wahrheit.“ Schließlich hat der auf Antrag der Nebenkläger ge-
hörte Zeuge C den Zeugen Ö sogar der Falschaussage zu sei-
nem Nachteil bezichtigt.
Der wegen neun Überfällen rechtskräftig verurteilte Zeuge A ordne-
te eine Mitwirkung des Angeklagten – in drei Versionen – lediglich einem,
aber hier nicht verfahrensgegenständlichen Tatgeschehen zu, an dem er
selbst nicht beteiligt war. Auch dieser Zeuge hat den Angeklagten in der ge-
gen ihn geführten Hauptverhandlung erstmalig belastet. Nach Vorhalt der
Aussagen des Zeugen Ö hat sich A dessen Aussage pauschal ange-
schlossen.
Damit liegt die Wertung des Landgerichts auf der Hand, Aussage-
verhalten und Inhalt der Aussagen der Belastungszeugen seien nicht ver-
trauenswürdig.
4. Wegen der Kostenentscheidung verweist der Senat auf
BGHSt 11, 189 und BGH, Beschl. vom 10. Juli 2003 – 3 StR 130/03 (vgl.
auch Hilger in Löwe-Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 473 Rdn. 95). Angesichts
der Mehrzahl von Nebenklägern und des weitergehenden Rechtsmittels der
Staatsanwaltschaft, das ersichtlich allein zur Revisionshauptverhandlung
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geführt hat, erscheint es angemessen, hier von einer Belastung der Neben-
kläger mit gerichtlichen Auslagen des Revisionsverfahrens neben der
Staatskasse ganz abzusehen.
Basdorf Häger Raum
Brause Schaal