Urteil des BGH vom 26.06.1964

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
III ZR 144/05 Verkündet
am:
4. Juni 2009
K i e f e r
Justizangestellter
als
Urkundsbeamter
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
EG Art. 28, 226, 288; Richtlinie 64/433/EWG des Rates vom 26. Juni 1964 in der Fassung
der Richtlinie 91/497/EWG des Rates vom 29. Juli 1991 (ABl. EG 1991 Nr. L 268 S. 69)
Art. 5 Abs. 1 Buchst. o, Art. 6 Abs. 1 Buchst. b Ziffer iii; Richtlinie 89/662/EWG des Rates
vom 11. Dezember 1989 (ABl. EG 1989 Nr. L 395 S. 13) Art. 5 Abs. 1, Art. 7, Art. 8; BGB
§§ 195, 839 (H), 852 Abs. 1 (a.F.)
a) Produzenten und Vermarkter von Schweinefleisch können sich bei einer unzureichen-
den Umsetzung der Richtlinie 64/433/EWG des Rates vom 26. Juni 1964 zur Regelung
gesundheitlicher Fragen beim innergemeinschaftlichen Handelsverkehr mit frischem
Fleisch in der Fassung der Richtlinie 91/497/EWG des Rates vom 29. Juli 1991 (ABl.
EG 1991 Nr. L 268 S. 69) und bei Verstößen gegen die Richtlinie 89/662/EWG des Ra-
tes vom 11. Dezember 1989 zur Regelung der veterinärrechtlichen Kontrollen im inner-
gemeinschaftlichen Handel im Hinblick auf den gemeinsamen Binnenmarkt (ABl. EG
1989 Nr. L 395 S. 13) auch auf eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 28 EG zur Be-
gründung eines gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs berufen.
b) Das Gemeinschaftsrecht steht der Anwendung des § 839 Abs. 3 BGB auf den gemein-
schaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruch nicht entgegen, wenn dem Geschädigten
der Gebrauch des Rechtsmittels zumutbar ist (Fortführung des Senatsurteils BGHZ 156,
294). Die Zumutbarkeit des Rechtsmittels ist nicht deshalb zu verneinen, weil es mögli-
cherweise Anlass zu einem Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Euro-
päischen Gemeinschaften gibt oder dieser mit einer Vertragsverletzungsklage befasst
ist.
c) Ein Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 226 EG kann wegen seiner Besonderheiten
nicht der Inanspruchnahme fachgerichtlichen Primärrechtsschutzes gleichgestellt wer-
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den und berührt den Lauf der Verjährungsfrist auch dann nicht, wenn es an einem zu-
mutbaren innerstaatlichen Rechtsbehelf fehlt.
d) Da es für die Frage der Verjährung des gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsan-
spruchs bis zur Neuregelung des Verjährungsrechts durch das Gesetz zur Modernisie-
rung des Schuldrechts in der Rechtsprechung und im wissenschaftlichen Schrifttum kei-
ne weitgehend einhellige Auffassung für die Anwendung des § 852 Abs. 1 BGB a.F. ge-
geben hat, die eine revisionsrechtliche Klärung der Frage hätte entbehrlich machen
können, gebieten die gemeinschaftsrechtlichen Grundsätze der Gleichwertigkeit und der
Effektivität die Anwendung der Regelverjährung nach § 195 BGB a.F.
e) Verletzt der Mitgliedstaat das Gemeinschaftsrecht, indem er über mehrere Jahre die
volle Umsetzung einer Richtlinie unterlässt, ist es auf den Lauf der Verjährungsfrist ohne
Einfluss, zu welchem Zeitpunkt der Mitgliedstaat seinen Verstoß gegen das Gemein-
schaftsrecht beendet.
BGH, Urteil vom 4. Juni 2009 - III ZR 144/05 - OLG Köln
LG Bonn
- 3 -
Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 4. Juni 2009 durch den Vorsitzenden Richter Schlick und die Richter Dörr,
Hucke, Seiters und Schilling
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 7. Zivilsenats
des Oberlandesgerichts Köln vom 2. Juni 2005 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Revisionsrechtszugs, an das Berufungsge-
richt zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin - ein Branchenverband genossenschaftlich organisierter dä-
nischer Schlachthofgesellschaften und Schweinezüchter - begehrt aus abgetre-
tenem Recht ihrer Mitglieder von der beklagten Bundesrepublik Deutschland
Schadensersatz wegen der Verletzung europäischen Gemeinschaftsrechts. Sie
wirft der Beklagten vor, von Anfang 1993 bis 1999 für Fleisch von nicht kastrier-
ten männlichen Schweinen aus Dänemark faktisch ein Importverbot verhängt zu
haben, durch das ihren Mitgliedern in der genannten Zeit ein Schaden von min-
destens 280.000.000 DM entstanden sei.
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- 4 -
In Dänemark wurden seit Anfang der neunziger Jahre nicht kastrierte
männliche Schweine als Schlachttiere gezüchtet. Deren Fleisch kann beim Er-
hitzen einen strengen Geruch oder Geschmack aufweisen, wobei diese Gefahr
mit zunehmendem Alter und Gewicht der Schweine zum Schlachtzeitpunkt zu-
nimmt. Um geruchsbelastetes Fleisch feststellen und aussortieren zu können,
wurde beim Schlachtvorgang das Skatol, ein im Darm gebildetes Abbauprodukt,
gemessen. Nach Auffassung der Beklagten geht die Geruchsbelastung jedoch
auf das Hormon Androstenon zurück, dessen Bildung durch eine frühe Kastrati-
on ausgeschaltet werden könne, während die Prüfung des Skatolgehalts zu
keinen zuverlässigen Ergebnissen führe.
2
Durch die Richtlinie 89/622/EWG des Rates vom 11. Dezember 1989 zur
Regelung der veterinärrechtlichen Kontrollen im innergemeinschaftlichen Han-
del im Hinblick auf den gemeinsamen Binnenmarkt (ABl. EG Nr. L 395 S. 13; im
Folgenden: Veterinärkontrollrichtlinie) wurde das bisherige System der Grenz-
kontrollen zugunsten einer durch den Versandmitgliedstaat durchzuführenden
veterinärrechtlichen Kontrolle abgelöst; der zuständigen Behörde an den Be-
stimmungsorten sollte nur eine nicht diskriminierende veterinärrechtliche Kon-
trolle im Stichprobenverfahren vorbehalten bleiben. In Art. 8 dieser Richtlinie ist
ein Verfahren zur Regelung des Falls vorgesehen, dass die Übereinstimmung
des Fleisches mit den geltenden gesundheitlichen Vorschriften von den zustän-
digen Behörden des Bestimmungs- und des Ursprungslands unterschiedlich
beurteilt wird. Nach Art. 5 Abs. 1 Buchst. o der Richtlinie 64/433/EWG des Ra-
tes vom 26. Juni 1964 über die gesundheitlichen Bedingungen für die Gewin-
nung und das Inverkehrbringen von frischem Fleisch (ABl. EG Nr. 121 S. 2012;
im Folgenden: Frischfleischrichtlinie), die durch die bis zum 1. Januar 1993 um-
zusetzende Richtlinie 91/497/EWG des Rates vom 29. Juli 1991 (ABl. EG
Nr. L 268 S. 69) geändert und neu gefasst worden ist, sorgen die Mitgliedstaa-
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- 5 -
ten dafür, dass der amtliche Tierarzt Fleisch, das einen starken Geschlechtsge-
ruch aufweist, für genussuntauglich erklärt. Nach Art. 6 Abs. 1 Buchst. b Ziffer iii
tragen die Mitgliedstaaten Sorge dafür, dass Fleisch - unbeschadet der in Art. 5
Abs. 1 Buchst. o vorgesehenen Fälle
- von nicht kastrierten männlichen
Schweinen mit einem Tierkörpergewicht von mehr als 80 kg ein besonderes
Kennzeichen trägt und einer Hitzebehandlung unterzogen wird, außer wenn der
Betrieb durch eine von den zuständigen Behörden anerkannte Methode sicher-
stellen kann, dass Schlachtkörper mit einem starken Geschlechtsgeruch fest-
gestellt werden können.
Die Beklagte teilte den obersten Veterinärbehörden der Mitgliedstaaten
durch den Bundesminister für Gesundheit mit Schreiben vom 18. und 26. Ja-
nuar 1993, die nachrichtlich an die obersten Landesveterinärbehörden und die
obersten Lebensmittelüberwachungsbehörden gerichtet waren, mit, die Rege-
lung in Art. 6 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 64/433/EWG werde in der Weise in
deutsches Recht umgesetzt, dass unabhängig von der Gewichtsgrenze ein
Wert von 0,5 µg/g Androstenon festgesetzt werde, bei dessen Überschreitung
das Fleisch einen starken Geschlechtsgeruch aufweise, nach Art. 5 Abs. 1
Buchst. o untauglich zum Genuss für Menschen sei und nicht als frisches
Fleisch in die Bundesrepublik Deutschland verbracht werden dürfe. Weiter heißt
es in den Schreiben, alle Sendungen von Schweinefleisch aus anderen Mit-
gliedstaaten würden gemäß Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 89/622/EWG
am Bestimmungsort, unabhängig von ihrer Genusstauglichkeitskennzeichnung,
auf die Einhaltung des Grenzwertes überprüft. Dementsprechend wurden in der
Folgezeit zahlreiche Lieferungen von Schweinefleisch aus Dänemark von den
zuständigen deutschen Behörden geprüft und bei Überschreitung des
Androstenongrenzwertes beanstandet und zurückgewiesen.
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- 6 -
Auf eine von der Kommission im Jahr 1996 erhobene Klage stellte der
Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften durch Urteil vom 12. November
1998 (Rs. C-102/96, Slg. 1998, I-6890) einen Verstoß der Beklagten gegen die
genannten Richtlinienbestimmungen fest. Die Vorschrift des § 17 der Fleisch-
hygieneverordnung (FlHV) wurde sodann mit Wirkung zum 1. April 1999 an das
Gemeinschaftsrecht angepasst.
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Die Klägerin stützt den geltend gemachten Schadensersatzanspruch auf
die Behauptung, die dänischen Schweinezüchter und Schlachthofgesellschaften
hätten im Hinblick auf das gemeinschaftswidrige Verhalten der Beklagten die
Produktion nicht kastrierter männlicher Schweine zunächst vermindert und im
Oktober 1993 nahezu vollständig eingestellt. Um den Export von Schweine-
fleisch nach Deutschland nicht zu gefährden, seien männliche Schweine in dem
notwendigen Umfang kastriert aufgezogen worden. In der Zeit zwischen 1993
und 1999 seien etwa 39 Millionen Schweine für die Vermarktung in Deutschland
geschlachtet worden, auf deren Kastration bei Beachtung des Gemeinschafts-
rechts hätte verzichtet werden können. Bei der Vermarktung einer entspre-
chenden Menge unkastrierter männlicher Schweine hätten sich für sie Kosten-
einsparungen von mindestens 280.000.000 DM ergeben.
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Das Landgericht (LRE 48, 207) hat die Klage im Hinblick auf die Bean-
tragung eines Mahnbescheids am 6. Dezember 1999 für die Zeit ab 7. Dezem-
ber 1996 dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und sie insoweit als verjährt
abgewiesen, als es um Ersatzansprüche für Schäden geht, die bis zum
6. Dezember 1996 entstanden sind. Das Berufungsgericht (LRE 51, 370) hat
die Klage insgesamt dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Mit der vom
Berufungsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte die vollständige
Abweisung der Klage.
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- 7 -
Der Senat hat mit Beschluss vom 12. Oktober 2006 (NVwZ 2007, 362)
dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften gemäß Art. 234 EG ver-
schiedene Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt, die sich darauf bezogen,
inwieweit sich die betroffenen Produzenten und Vermarkter von Schweine-
fleisch bei der Verletzung harmonisierender Richtlinien auf Rechte beziehen
können, die ihnen das Primärrecht verleiht, und inwieweit Grundsätze des Ge-
meinschaftsrechts auf die prinzipiell dem nationalen Recht überlassene Rege-
lung der näheren Ausgestaltung des gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungs-
anspruchs, insbesondere in Bezug auf seine Verjährung und auf den Vorrang
des Primärrechtsschutzes, einwirken. Der Gerichtshof hat diese Fragen mit Ur-
teil vom 24. März 2009 (Rs. C-445/06 - EuZW 2009, 334) beantwortet.
8
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten führt zur Aufhebung des angefochtenen
Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
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I.
Die Vorinstanzen haben übereinstimmend entschieden, dass die Beklag-
te der Klägerin gegenüber nach den Grundsätzen des gemeinschaftsrechtlichen
Staatshaftungsanspruchs dem Grunde nach zum Schadensersatz verpflichtet
ist. Sie haben angenommen, dass die Beklagte gegen ihre Verpflichtungen aus
der Veterinärkontrollrichtlinie 89/662/EWG und der Frischfleischrichtlinie
64/433/EWG in der Fassung der Richtlinie 91/497/EWG verstoßen hat und da-
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mit zugleich Rechte der dänischen Schweinezüchter und Schlachthofgesell-
schaften, deren Ansprüche die Klägerin verfolgt, aus Art. 28 EG verletzt hat. Sie
sind auch im Hinblick auf die Verlautbarungen der Beklagten vom 18. und
26. Januar 1993 vor dem Hintergrund der Verhandlungen, die zur Verabschie-
dung der Frischfleischrichtlinie geführt haben, und im Zusammenhang mit dem
Vertragsverletzungsverfahren zu der Überzeugung gelangt, dass es sich inso-
weit um einen hinreichend qualifizierten Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht
gehandelt hat, der die dänischen Schweinezüchter und Schlachthofgesellschaf-
ten dazu veranlasst habe, die Züchtung nicht kastrierter männlicher Schweine
ab Februar 1993 zunächst zurückzufahren und im Herbst 1993 - mit den be-
haupteten Gewinneinbußen - nahezu vollständig einzustellen.
Einen unterschiedlichen Standpunkt haben die Vorinstanzen zur Frage
der Verjährung eines möglichen Schadensersatzanspruches eingenommen.
Das Landgericht hat die dreijährige Verjährungsfrist nach § 852 BGB a.F. für
maßgebend erachtet, für deren Beginn es grundsätzlich ausreicht, dass der
Geschädigte Kenntnis vom Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen hat.
Insoweit ist das Landgericht von einer entsprechenden Kenntnis im Jahr 1993
ausgegangen und hat die Erhebung einer Feststellungsklage von Anfang an für
zumutbar gehalten. Weil die Klägerin aber erst am 6. Dezember 1999 den Er-
lass eines Mahnbescheids beantragt hat, hat es bis zum 6. Dezember 1996
entstandene Ansprüche für verjährt angesehen. Nach Auffassung des Beru-
fungsgerichts spricht zwar ebenfalls alles für die Maßgeblichkeit der Frist des
§ 852 BGB a.F., es meint aber, die Verjährungsfrist habe erst mit dem 31. März
1999 zu laufen begonnen, weil erst zu diesem Zeitpunkt die andauernde Verlet-
zungshandlung der Beklagten durch die Inkraftsetzung der gemeinschaftskon-
formen Fassung des § 17 FlHV ihr Ende gefunden habe. Verjährung sei auch
dann nicht eingetreten, wenn man die Verletzung nicht als Dauerhandlung an-
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sehe. Der Verjährungsbeginn werde nämlich bei unsicherer oder zweifelhafter
Rechtslage hinausgeschoben. Hier sei zu berücksichtigen, dass bis zur Ent-
scheidung des Gerichtshofs vom 5. März 1996 über das Vorabentscheidungs-
ersuchen des Bundesgerichtshofs in der Sache Brasserie du Pêcheur zahlrei-
che Einzelfragen des gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs noch
ungeklärt gewesen seien. Nach dieser Entscheidung habe die Klägerin den
Ausgang des von der Kommission gegen die Beklagte zeitlich kurz danach ein-
geleiteten Vertragsverletzungsverfahrens abwarten dürfen.
II.
Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung nicht in allen Punkten
stand.
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1.
Die Vorinstanzen haben die tatbestandlichen Voraussetzungen des ge-
meinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs zutreffend wiedergegeben.
Danach kommt eine Haftung des Mitgliedstaats in Betracht, wenn er gegen
eine Gemeinschaftsrechtsnorm verstoßen hat, die bezweckt, dem Einzelnen
Rechte zu verleihen, der Verstoß hinreichend qualifiziert ist und zwischen die-
sem Verstoß und dem dem Einzelnen entstandenen Schaden ein unmittelbarer
Kausalzusammenhang besteht (vgl. EuGH, Urteile vom 30. September 2003
- Rs. C-224/01 - Köbler - Slg. 2003, I-10290, 10305 = NJW 2003, 3539 zu
Rn. 30, 31; vom 24. März 2009 - Rs. C-445/06 - Danske Slagterier - aaO S. 336
Rn. 20, jeweils m.umfangr.w.N.; aus der Rechtsprechung des Senats BGHZ
134, 30, 37; 146, 153, 158 f; 161, 224, 233; 162, 49, 51 f; Urteil vom 22. Januar
2009 - III ZR 233/07 - WM 2009, 621, 622 Rn. 12). Ob diese Voraussetzungen
vorliegen, haben die nationalen Gerichte unter Beachtung der vom Gerichtshof
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der Europäischen Gemeinschaften entwickelten Leitlinien festzustellen (vgl.
EuGH, Urteile vom 1. Juni 1999 - Rs. C-302/97 - Konle - Slg. 1999, I-3122,
3139 Rn. 58 f.; vom 4. Juli 2000 - Rs. C-424/97 - Haim II - Slg. 2000, I-5148,
5163 Rn. 44; vom 13. März 2007 - Rs. C-524/04 - Test Claimants in the Thin
Cap Group Litigation - Slg. 2007, I-2157, 2204 Rn. 116).
2.
Die Beklagte hat europäisches Gemeinschaftsrecht verletzt.
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a) Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften war mit dem hier
zu beurteilenden Sachverhalt, insbesondere was die Verlautbarung der Beklag-
ten durch das Schreiben des Bundesministers für Gesundheit vom 26. Januar
1993 angeht, bereits in dem auf Klage der Kommission eingeleiteten Verfahren
gemäß Art. 169 EGV (= Art. 226 EG) in der Rechtssache C-102/96 befasst. Er
hat hierbei in seinem Urteil vom 12. November 1998 (Slg. 1998, I-6890) die für
das anhängige Verfahren zu übernehmende Feststellung getroffen, dass die
Beklagte mit der im Schreiben vom 26. Januar 1993 angekündigten Praxis,
Schlachtkörper von nicht kastrierten männlichen Schweinen der Kennzeichnung
und Hitzebehandlung bereits dann zu unterwerfen, wenn das Fleisch unabhän-
gig vom Körpergewicht der Tiere einen Androstenongehalt von mehr als
0,5 µg/g - festgestellt unter Anwendung des modifizierten Immunoenzymtests
nach Prof. C. - aufweist, und dass sie das Fleisch bei Überschreitung dieses
Grenzwertes als mit einem starken Geschlechtsgeruch belastet betrachtet, der
die Genussuntauglichkeit des Fleisches für den menschlichen Verzehr nach
sich zieht, gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 5 Abs. 1 Buchst. o und Art. 6
Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 64/433/EWG in der Fassung der Richtlinie
91/497/EWG sowie aus Art. 5 Abs.
1, Art. 7 und Art. 8 der Richtlinie
89/662/EWG verstoßen hat.
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b) Darüber hinaus hat die Beklagte die Frischfleischrichtlinie
64/433/EWG in der Fassung der Richtlinie 91/497/EWG über mehrere Jahre
nicht in das nationale Recht umgesetzt, so dass die für den Vollzug zuständigen
innerstaatlichen Behörden der Länder ihre Kontrollen - deren Umfang im Ein-
zelnen streitig ist - auf einer mit dem Gemeinschaftsrecht nicht vereinbaren
Grundlage wahrnahmen. So sah § 17 Abs. 1 FlHV in der Fassung vom 7. No-
vember 1991 (BGBl. I S. 2066) über den 1. Januar 1993 - das Datum der in
Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 91/497/EWG geforderten Umsetzung - hinaus vor,
dass frisches Fleisch von nicht kastrierten männlichen Schweinen mit einem
Schlachtgewicht über 40 kg weder eingeführt noch sonst in den Geltungsbe-
reich der Verordnung verbracht werden durfte. Hiervon waren nach § 17 Abs. 2
FlHV nur Schlachtkörper über 40 kg aus Mitgliedstaaten ausgenommen, die
unter besonderer Kennzeichnung unmittelbar aus Schlachtbetrieben in Frei-
bankbetriebe oder nach § 11 Abs. 1 Nr. 2 FlHV zugelassene Verarbeitungsbe-
triebe verbracht wurden. Die Ausnahme nach § 17 Abs. 2 FlHV wurde durch
Art. 82 des EWR-Ausführungsgesetzes vom 27. April 1993 (BGBl. I S. 512),
gültig ab 1. Januar 1994, nur dahin erweitert, dass auch Schlachtkörper über 40
kg aus anderen Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirt-
schaftsraum mit Ausnahme von Island und Norwegen unter besonderer Kenn-
zeichnung in Freibankbetriebe oder nach § 11 Abs. 1 Nr. 2 FlHV zugelassene
Verarbeitungsbetriebe verbracht werden durften.
16
In § 17 Abs. 1 FlHV in der Fassung vom 15. März 1995 (BGBl. I S. 327)
blieb das Einfuhrverbot von frischem Fleisch von nicht kastrierten männlichen
Schweinen (unter Wegfall der Gewichtsgrenze, also grundsätzlich in einem wei-
teren Umfang) aufrecht erhalten. Abweichend durfte jedoch nach § 17 Abs. 2
Nr. 1 FlHV das frische Fleisch aus anderen Mitgliedstaaten oder anderen Ver-
tragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum mit
17
- 12 -
Ausnahme von Island verbracht werden, wenn es mit einem geeigneten Immu-
noenzymtest oder einer gaschromatographischen Methode auf 5-alpha-Andro-
stenon untersucht und die Höchstmenge von 0,5 µg/g Fett dabei nicht über-
schritten worden war. Diese Ausnahmeregelung entsprach im Wesentlichen der
Verlautbarung der Beklagten vom 26. Januar 1993. In der seit dem 31. Dezem-
ber 1996 gültigen Fassung vom 19. Dezember 1996 (BGBl. I S. 2120; vgl. auch
Bekanntmachung der Neufassung vom 21. Mai 1997, BGBl. I S. 1138) wurde
die Ausnahmeregelung dahin gelockert, dass nicht mehr eine bestimmte Unter-
suchungsmethode, sondern lediglich ein geeigneter Test verlangt wurde, wobei
es aber weiterhin auf den gleichen Grenzwert ankam. Die Änderungsverord-
nungen vom 6. November 1997 (BGBl. I S. 2665) und 3. Dezember 1997
(BGBl. I S. 2786) beließen es bei diesem Rechtszustand. Erst durch die Ände-
rungsverordnung vom 24. März 1999 (BGBl. I S. 498), gültig ab 1. April 1999,
wurde das Importverbot für frisches Fleisch von nicht kastrierten männlichen
Schweinen auf Tiere mit einem Gewicht des Tierkörpers von über 80 kg aus
anderen Mitgliedstaaten oder anderen Vertragsstaaten des Abkommens über
den Europäischen Wirtschaftsraum beschränkt (§ 17 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d
FlHV) und als Ausnahme hierzu die Einfuhr gestattet, wenn der Herkunfts-
schlachtbetrieb durch Anwendung einer von der zuständigen Behörde aner-
kannten Methode sicherstellt, dass Tierkörper mit starkem Geschlechtsgeruch
festgestellt werden können (§ 17 Abs. 2 Nr. 1 FlHV). Diese Fassung entspricht
den Anforderungen in Art. 6 Abs. 1 Buchst. b Ziffer iii der Frischfleischrichtlinie
64/433/EWG in der Fassung der Richtlinie 91/497/EWG.
3.
Durch die angeführten Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht hat die
Beklagte Rechte der dänischen Schweinezüchter und Schlachthofgesellschaf-
ten aus Art. 28 EG verletzt.
18
- 13 -
a) In seinem Vorlagebeschluss vom 12. Oktober 2006 (aaO S. 363 f
Rn. 12 f) hat es der Senat für zweifelhaft gehalten, ob sich aus den genannten
Richtlinien Rechte der Produzenten und Vermarkter von Schweinefleisch erge-
ben. Die Generalanwältin hat dies in ihren Schlussanträgen vom 4. September
2008 verneint (Rn. 59 bis 73). Der Gerichtshof hat zu dieser Frage nicht isoliert
Stellung genommen, sondern sie im Zusammenhang mit der weiteren Frage
beantwortet, ob sich die Produzenten und Vermarkter von Schweinefleisch bei
einer unzureichenden Umsetzung der Richtlinien auf eine Verletzung von
Art. 28 EG berufen können. Dabei hat er betont, eines der Ziele dieser Richtli-
nien, die darauf gerichtet seien, den innergemeinschaftlichen Handelsverkehr
durch die Beseitigung der derzeitigen Unterschiede zwischen den Gesundheits-
vorschriften der Mitgliedstaaten für frisches Fleisch zu fördern, sei der freie Wa-
renverkehr; das Recht aus Art. 28 EG werde also durch diese Richtlinien präzi-
siert und konkretisiert (aaO S. 336 Rn. 23). Dass den Mitgliedstaaten - nach
Maßgabe der Richtlinien - untersagt sei, die Einfuhr zu verhindern, verleihe dem
Einzelnen das Recht, frisches Fleisch, das den Anforderungen der Gemein-
schaft entspreche, in einem anderen Mitgliedstaat zu vermarkten (Rn. 24). Die
in den Richtlinien enthaltene Harmonisierung verwehre es den Mitgliedstaaten,
die Behinderung des freien Warenverkehrs aus anderen als den in den Richtli-
nien vorgesehenen Gründen zu rechtfertigen (Rn. 25). Der Gerichtshof kommt
daher - in weitgehender Übereinstimmung mit den Überlegungen des Senats zu
Art. 28 EG im Vorlagebeschluss (aaO S. 364 Rn. 15) - zu dem Ergebnis, dass
sich Einzelne, die durch Fehler bei der Umsetzung oder Anwendung der ge-
nannten Richtlinien geschädigt wurden, für die Auslösung eines gemeinschafts-
rechtlichen Staatshaftungsanspruchs auf das Recht auf freien Warenverkehr
berufen können (Rn. 26).
19
- 14 -
b) Der Senat tritt der Beurteilung der Vorinstanzen bei, dass auch die
dänischen Schweinezüchter und Schlachthofgesellschaften zu dem geschütz-
ten Personenkreis gehören. Potentiell anspruchsberechtigt sind alle Marktteil-
nehmer am innergemeinschaftlichen freien Warenverkehr, die von Maßnahmen
betroffen werden, die den freien Warenverkehr behindern. Das betrifft nicht al-
lein die mit dem Export der jeweiligen Waren befassten Unternehmen, sondern
auch die Erzeuger und solche Betriebe, die daran mitwirken, dass ein für den
Export vorgesehenes Produkt hergestellt wird und vermarktet werden kann.
Insofern ist die hier zu beurteilende Konstellation ähnlich wie der Fall "Brasserie
du Pêcheur" zu beurteilen, in dem der Gerichtshof dem Hersteller von Bier, der
nicht mit der Einfuhr seines Produkts nach Deutschland befasst war, prinzipiell
die Berufung auf die Warenverkehrsfreiheit zugestanden hat (Urteil vom 5. März
1996 - verbundene Rs. C-46/93 und C-48/93 - Slg. 1996, I-1131, 1150 = NJW
1996, 1267, 1270 Rn. 54; hierzu Senatsurteil BGHZ 134, 30, 38). Auch im vor-
liegenden Fall hat der Gerichtshof die Frage, ob sich die Produzenten und Ver-
markter von Schweinefleisch auf die Verletzung von Art. 28 EG berufen können,
ohne Einschränkung bejaht.
20
4.
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist ein Verstoß gegen das
Gemeinschaftsrecht hinreichend qualifiziert, wenn der betreffende Mitgliedstaat
bei der Wahrnehmung seiner Rechtsetzungsbefugnisse die Grenzen, die der
Ausübung seiner Befugnisse gesetzt sind, offenkundig und erheblich überschrit-
ten hat (EuGH, Urteile vom 5. März 1996 - verbundene Rs. C-46/93 und
C-48/93 - aaO Rn. 55; vom 13. März 2007 - Rs. C-524/04 - aaO S. I-2205
Rn. 118; aus der Rechtsprechung des Senats vgl. BGHZ 134, 30, 38 ff; Urteil
vom 22. Januar 2009 aaO S. 623 Rn. 22). Dies haben die Vorinstanzen unter
Heranziehung der vom Gerichtshof hierfür genannten Kriterien ohne Rechtsfeh-
ler angenommen. Die Schreiben vom 18. und 26. Januar 1993 verdeutlichten
21
- 15 -
schon ihrem eingestandenen Inhalt nach, dass die Beklagte die Richtlinien nicht
so umsetzen wollte, wie diese es vorsahen: Die Beklagte wollte nicht die Ge-
nusstauglichkeitskennzeichnungen der zuständigen Behörden der Herkunfts-
länder anerkennen und sich auf eine stichprobenartige Prüfung des eingeführ-
ten Schweinefleisches beschränken, sondern sie kündigte an, die Genusstaug-
lichkeit männlicher nicht kastrierter Schweine nur auf der Grundlage einer von
ihr für richtig gehaltenen Methode am Bestimmungsort zu überprüfen. Klarer
konnte der Verstoß gegen die beiden Richtlinien, die die Veterinärkontrollen von
den Binnengrenzen in den Versandmitgliedstaat verlagerten und ein harmoni-
siertes System gesundheitsbehördlicher Kontrollen einführten, nicht sein. We-
gen der Einzelheiten dieser Beurteilung nimmt der Senat auf das Berufungsur-
teil Bezug, dem er sich insoweit in vollem Umfang anschließt.
5.
Einem Schadensersatzanspruch der Klägerin steht § 839 Abs. 3 BGB
nicht entgegen. Nach dieser Bestimmung tritt die Ersatzpflicht bei einer Amts-
pflichtverletzung nicht ein, wenn der Verletzte vorsätzlich oder fahrlässig unter-
lassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden.
22
a) Der Senat, der bereits im Urteil BGHZ 156, 294, 297 f die Regelung
des § 839 Abs. 3 BGB auf den gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsan-
spruch für anwendbar gehalten hat, hat in seinem Vorlagebeschluss vom
12. Oktober 2006 (aaO S. 368 Rn. 49) unter Bezugnahme auf Rechtsprechung
des Gerichtshofs (Urteil vom 5. März 1996 aaO S. 1157 Rn. 84) die Auffassung
vertreten, der von den nationalen Gerichten zu beachtende Grundsatz der
Effektivität werde bei sachgerechter Anwendung des § 839 Abs. 3 BGB auf den
gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruch nicht beeinträchtigt. Der Ge-
richtshof hat in seinem Urteil vom 5. März 1996 nämlich entschieden, das nati-
onale Gericht dürfe bei der Bestimmung des ersatzfähigen Schadens prüfen, ob
23
- 16 -
sich der Geschädigte in angemessener Form um die Verhinderung des Scha-
denseintritts oder um die Begrenzung des Schadensumfangs bemüht und ob er
insbesondere rechtzeitig von allen ihm zur Verfügung stehenden Rechts-
schutzmöglichkeiten Gebrauch gemacht habe. Dabei hat er auch den Fall eines
vollständigen Anspruchsverlusts erwogen (aaO Rn. 85). Allerdings hat er in sei-
nem Urteil vom 8. März 2001 (verbundene Rechtssachen C-397/98 und
C-410/98 - Metallgesellschaft - Slg. 2001, I-1760,1791 Rn. 104) betont, der Ge-
schädigte dürfe nicht auf eine unzumutbare Rechtsschutzmöglichkeit verwiesen
werden. Diese Grundsätze hat der Gerichtshof in seinem auf die Vorlage er-
gangenen Urteil vom 24. März 2009 bestätigt (aaO S. 339 Rn. 60 bis 64). Vor
allem hat er auch darauf hingewiesen, dass das mit Art. 234 EG eingerichtete
Verfahren ein Instrument der Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und
den nationalen Gerichten darstellt, das darauf abzielt, den nationalen Gerichten
die Anwendung des Gemeinschaftsrechts zu erleichtern, so dass die Inan-
spruchnahme eines Rechtsmittels nicht deshalb unzumutbar ist, weil es mögli-
cherweise Anlass zu einem Vorabentscheidungsersuchen gibt (Rn. 65).
b) Für das vorliegende Verfahren meint die Beklagte, es komme nicht
allein auf die Rechtsschutzmöglichkeiten an, die der Klägerin bzw. den däni-
schen Schweinezüchtern und Schlachthofgesellschaften zu Gebote gestanden
hätten, sondern es seien auch die mit dem Import und Export befassten Unter-
nehmen wie die mit der Klägerin verbundene Firma E. -F. in den Blick zu
nehmen, die jeweils gegen Beanstandungen Rechtsschutz hätten in Anspruch
nehmen können. Dem ist nicht zu folgen.
24
Nach der Rechtsprechung des Senats ist der Begriff des Rechtsmittels
zwar nicht auf die in den Verfahrensvorschriften vorgesehenen Behelfe be-
schränkt, sondern umfasst auch andere, rechtlich mögliche und geeignete
25
- 17 -
- förmliche oder formlose - Rechtsbehelfe, ist also in einem weiten Sinn zu ver-
stehen (vgl. BGHZ 123, 1, 7; 137, 11, 23). Der Rechtsbehelf muss sich jedoch
unmittelbar gegen die schädigende Amtshandlung oder Unterlassung selbst
richten und ihre Beseitigung oder Vornahme bezwecken und ermöglichen. In-
soweit ist angesichts des der Beklagten zur Last fallenden Verstoßes gegen
das Gemeinschaftsrecht vor allem von Bedeutung, dass sie es an einer recht-
zeitigen Umsetzung der Richtlinien durch Anpassung der für den Vollzug durch
die Länder maßgeblichen Bestimmung des § 17 FlHV hat fehlen lassen. Von
der Vollzugspraxis selbst war die Klägerin nicht unmittelbar betroffen, sondern
die mit dem Import/Export befassten Unternehmen, die durch Beanstandungen
allerdings einen anderen Schaden erlitten, als er dem hier geltend gemachten
Anspruch zugrunde liegt. Man mag es zwar als naheliegend ansehen, dass ein
Unternehmen, das mit der Klägerin in Geschäftsverbindung stand oder gar ge-
sellschaftsrechtlich mit ihr verbunden war, sich gegen eine Einfuhrbeschrän-
kung zur Wehr setzte und Rechtsschutz vor den Verwaltungsgerichten suchte,
wozu es an näheren Feststellungen fehlt. Das Unterlassen eines solchen
Rechtsbehelfs kann jedoch nur die möglichen Schadensersatzansprüche be-
rühren, die sich aus einer Zurückweisung einzuführender Waren für die betrof-
fenen Unternehmen ergaben. Um solche Ansprüche geht es hier nicht.
Die Klägerin selbst ist, was den ihr nachteiligen Rechtszustand anging,
keineswegs untätig gewesen, sondern hat nach den Feststellungen des Land-
gerichts bereits im Februar 1993 über den dänischen Landwirtschaftsminister
versucht, bei der Beklagten eine Einhaltung des Gemeinschaftsrechts anzu-
mahnen. Eine förmliche Feststellungsklage gegen die Beklagte als Normgeber
stand ihr nicht zur Verfügung. Ziel einer Feststellungsklage muss nach § 43
Abs. 1 VwGO die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines
Rechtsverhältnisses oder - was hier im Hinblick auf die beiden Verlautbarungen
26
- 18 -
vom 18. und 26. Januar 1993 nicht in Betracht kommt - der Nichtigkeit eines
Verwaltungsakts sein. Eine Klage mit dem alleinigen Ziel der Nichtigkeitsfest-
stellung einer Rechtsnorm kann nicht auf § 43 VwGO gestützt werden, da eine
solche Klage auf kein Rechtsverhältnis abzielt, sondern eine Umgehung des
§ 47 VwGO ermöglichen würde. Dies gilt auch für eine Klage auf Feststellung
der Unanwendbarkeit einer Rechtsnorm wegen eines Verstoßes gegen Europa-
recht (vgl. BVerwGE 129, 199, 204 Rn. 20). Unter einem Rechtsverhältnis im
Sinne von § 43 Abs. 1 VwGO sind die sich aus einem konkreten Sachverhalt
ergebenden rechtlichen Beziehungen für das Verhältnis von Personen unter-
einander oder zu einer Sache zu verstehen. Wird - wie hier - die in Rede ste-
hende Rechtsnorm durch die Behörden der Länder angewendet, besteht nur zu
diesen ein Rechtsverhältnis, nicht hingegen zu dem Bund als Normgeber (vgl.
BVerwGE aaO Rn. 21 f; anders etwa im Fall der Festlegung von Abflugrouten in
der bundeseigenen Luftverkehrsverwaltung, BVerwGE 111, 276). Da auch in
der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts - vom Ausnah-
mefall der zulässigen Normerlassklagen (vgl. hierzu BVerfGE 115, 81, 95 f) ab-
gesehen - kein Bedürfnis für eine weitere Fallgruppe der "atypischen Feststel-
lungsklage" gegen den Normgeber gesehen wird (vgl. BVerwGE aaO S. 205
Rn. 23), war den betroffenen Schweinezüchtern und Schlachthofgesellschaften,
die ihre Ansprüche an die Klägerin abgetreten haben, die Erhebung einer ent-
sprechenden Klage in dem hier in Rede stehenden Zeitraum nicht zuzumuten.
6.
Einem möglichen Schadensersatzanspruch der Klägerin steht die von
der Beklagten erhobene Verjährungseinrede nicht entgegen.
27
a) Allerdings vermag der Senat dem Berufungsgericht nicht darin zu fol-
gen, dass die Verjährung erst zu laufen begonnen habe, als die Beklagte die
Vorschrift des § 17 FlHV mit Wirkung zum 1. April 1999 gemeinschaftskonform
28
- 19 -
ausgestaltet habe, und dass die Klägerin das Urteil im anhängigen Vertragsver-
letzungsverfahren habe abwarten dürfen.
aa) Der Senat sieht in dem Verhalten der Beklagten keine bis zur Her-
stellung einer gemeinschaftsrechtskonformen innerstaatlichen Rechtslage an-
dauernde Dauerhandlung, für deren Folgen die Verjährung erst mit dem Ende
der Verletzungshandlung beginnt, sondern mehrere, sich in gleichartiger Weise
wiederholende unerlaubte Handlungen (vgl. Senatsbeschluss vom 12. Oktober
2006 aaO S. 367 Rn. 37 bis 42).
29
Im Ausgangspunkt wird in Rechtsprechung und Literatur zwar ange-
nommen, dass bei einer (einheitlichen) Dauerhandlung die Verjährung erst mit
deren Beendigung beginnt (vgl. BGH, Urteil vom 28. September 1973 - I ZR
136/71 - NJW 1973, 2285; RG JW 1932, 938, 939; OLG Frankfurt, VersR 1989,
260, 261 bei einer auf falscher Anschuldigung beruhenden Inhaftierung; Stein,
in: MünchKomm-BGB, 3. Aufl. 1997, § 852 Rn. 23; Grothe, in: MünchKomm-
BGB, 5. Aufl. 2006, § 199 Rn. 13; Staudinger/Peters, BGB, Neubearb. 2004,
§ 199 Rn. 21; Palandt/Heinrichs, BGB, 68. Aufl. 2009, § 199 Rn. 21), wobei in-
soweit darauf abgestellt wird, dass der deliktische Eingriff bis zur Beendigung
der Handlung fortdauere. Die Abgrenzung zu einer wiederholten Handlung ist
jedoch praktisch kaum möglich (in diesem Sinn auch Grothe, in: MünchKomm-
BGB, aaO; Staudinger/Peters aaO). Weil eine Dauerhandlung sich häufig aus
sie unterstützenden Einzelakten zusammensetzt, aus denen jeweils Ansprüche
hergeleitet werden können, hat sie in der Rechtsprechung des Bundesgerichts-
hofs eine eher theoretische Bedeutung erlangt: Im Allgemeinen ist in den
zugrunde liegenden Fällen ein wiederholtes, selbständige verjährungsrechtliche
Folgen auslösendes Verhalten angenommen und eine Dauerhandlung abge-
lehnt (vgl. BGH, Urteile vom 26. Januar 1984 - I ZR 195/81 - NJW 1985, 1023,
30
- 20 -
1024; vom 14. Januar 1999 - I ZR 203/96 - GRUR 1999, 751, 754; in der Sache
BGH, Urteil vom 18. Februar 1972 - I ZR 82/70 - GRUR 1972, 558, 560 ging es
um einen Beseitigungsanspruch; vgl. auch RGZ 106, 283, 286; 134, 335, 340 f)
oder deren Vorliegen offen gelassen worden (vgl. BGH, Urteil vom 17. April
2002 - VIII ZR 139/01 - NJW-RR 2002, 1256, 1257).
Diese
Abgrenzungsschwierigkeiten
bestehen auch in der vorliegenden
Sache. Es ist eine Frage des Blickwinkels, ob man in der Fortdauer einer
Rechtslage, die seit Ablauf der Umsetzungsfrist für die Frischfleischrichtlinie
64/433/EWG nicht mehr mit dem Gemeinschaftsrecht in Einklang stand, eine
- in einer Unterlassung bestehende - Dauerhandlung sieht oder ob man die ver-
schiedenen Versuche einer Änderung der Fleischhygieneverordnung (s.
oben II 2 b), die allerdings über mehrere Jahre unzureichend blieben, als selb-
ständige Handlungen bewertet, die zu einer Wiederholung oder Fortdauer wei-
terer gleichartiger Schäden führten.
31
Der Senat hält es für sachgerechter, von mehrfachen, wiederholten
Handlungen auszugehen. Hierfür spricht nicht nur eine natürliche Betrach-
tungsweise, sondern auch der Umstand, dass die gedankliche Konstruktion ei-
ner Dauerhandlung mit der Nichtumsetzung der Richtlinie nur ein - wenngleich
wichtiges - Element des Geschehens herausgreift, zu dem auch die - im Einzel-
nen streitige - Kontrollpraxis der Landesbehörden im Vollzug der Rechtslage
nach der Fleischhygieneverordnung gehört. Ein Bedürfnis für die von der Kläge-
rin für richtig gehaltene Betrachtungsweise besteht nicht. Vielmehr sprechen
Sinn und Zweck der dem materiellen Recht zugeordneten Regeln über die Ver-
jährung, die durch den Gedanken des Schuldnerschutzes sowie des Rechts-
friedens und der Rechtssicherheit gekennzeichnet sind und Schwierigkeiten
Rechnung tragen, die mit der zuverlässigen Feststellung länger zurückliegender
32
- 21 -
Tatsachen unvermeidlich verbunden sind, gegen ein Hinausschieben des Ver-
jährungsbeginns, wenn die Voraussetzungen, gegen den Ersatzpflichtigen kla-
geweise vorzugehen, schon zu einem früheren Zeitpunkt gegeben sind. An ei-
ner solchen Einordnung ist der Senat auch nicht durch Grundsätze des Ge-
meinschaftsrechts gehindert. Der Gerichtshof hat hierzu entschieden, die Aus-
übung der durch das Gemeinschaftsrecht verliehenen Rechte werde nicht prak-
tisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert, wenn die Verjährungsfrist
bei Eintritt der ersten Schadensfolgen zu laufen beginne (Urteil vom 24. März
2009 aaO S. 338 Rn. 49), sofern das nationale Recht sicherstelle, dass der Ge-
schädigte vom Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen Kenntnis erlangt
habe (Rn. 52).
bb) Das vor dem Gerichtshof eingeleitete Vertragsverletzungsverfahren
gegen die Beklagte in der Rechtssache C-102/96 hat auf den Lauf der Verjäh-
rungsfrist ebenfalls keinen Einfluss.
33
Im Anwendungsbereich des § 852 Abs. 1 BGB a.F. hängt der Beginn des
Laufs der Verjährungsfrist allein von der Kenntnis des Schadens und der Per-
son des Ersatzpflichtigen ab. Ähnliches gilt - mit kleinen Abweichungen - auch
für den Beginn der regelmäßigen Verjährungsfrist nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB.
Dann ist der Geschädigte in der Regel in der Lage, eine - die Verjährung unter-
brechende (oder nach neuem Recht hemmende) - hinreichend aussichtsreiche
und ihm daher zumutbare Klage zu erheben (vgl. BGHZ 102, 246, 248; Senats-
urteile BGHZ 122, 317, 324 f; BGHZ 138, 247, 252). Risikolos muss eine solche
Klage nicht sein, um dem Geschädigten zugemutet werden zu können. Deswe-
gen hat es auf den Lauf der Verjährungsfrist grundsätzlich keinen Einfluss,
wenn bestimmte Fragen in einem Parallelverfahren - dort vielleicht schon in der
Revisionsinstanz - ebenfalls zu beantworten sind und der Geschädigte den
34
- 22 -
Ausgang eines solchen Verfahrens abwarten möchte. Will er unter solchen Um-
ständen den Ablauf der Verjährung vermeiden, muss er einen Verzicht des
Gegners auf die Einrede der Verjährung herbeiführen oder mit ihm ein "pactum
de non petendo" schließen (vgl. etwa Senatsurteil vom 23. April 1998 - III ZR
7/97 - NJW 1998, 2274, 2276 f).
Unberührt hiervon bleibt freilich eine Klage des Geschädigten, mit der er
sich im Wege des Primärrechtsschutzes gegen die rechtswidrigen staatlichen
Maßnahmen selbst wendet. Insoweit kommt der Inanspruchnahme fachgericht-
lichen Primärrechtsschutzes im Sinn des § 839 Abs. 3 BGB verjährungsunter-
brechende Wirkung analog § 209 Abs. 1, § 211 BGB a.F. beziehungsweise ver-
jährungshemmende Wirkung analog § 204 Abs. 1 Nr. 1, § 209 BGB auch für
den Amtshaftungsprozess zu (vgl. Senatsurteile BGHZ 95, 238, 242; BGHZ
122, 317, 323 f). Primärrechtsschutz in diesem Sinne hat die Klägerin indes,
ohne dass ihr das vorzuwerfen wäre (s.o. II 5 b), nicht ergriffen.
35
Das
Vertragsverletzungsverfahren
kann einem Verfahren auf Erlangung
von Primärrechtsschutz nicht gleichgestellt werden. Wird die Kommission - wie
die Klägerin hier geltend gemacht hat - auf die Beschwerde eines von einem
Gemeinschaftsrechtsverstoß Betroffenen hin tätig, bleibt es doch ihrem Ermes-
sen überlassen, ob sie nach der Einleitung der in Art. 226 EG vorgesehenen
Schritte Klage vor dem Gerichtshof erhebt. Auch wenn das Rechtsschutzinte-
resse für ein Vertragsverletzungsverfahren, dessen Streitgegenstand durch die
mit Gründen versehene Stellungnahme der Kommission bestimmt wird, nicht
dadurch wegfällt, dass der Mitgliedstaat nach Ablauf der gemäß Art. 226 Abs. 2
EG gesetzten Frist den gerügten Mangel behebt, sondern fortbesteht, weil die
Grundlage für eine Haftung des Mitgliedstaates geschaffen werden kann (vgl.
hierzu EuGH, Urteil vom 30. Mai 1991 - Rs. C-361/88 - Slg. 1991, I-2596, 2605
36
- 23 -
Rn. 31), handelt es sich doch um ein objektives Verfahren, das der Einfluss-
nahme möglicher Betroffener entzogen ist und anders als eine vom Betroffenen
im Primärrechtsschutz erhobene Klage dem Schädiger nicht vermittelt, mit wel-
chen Schadensersatzansprüchen er nach Abschluss dieses Verfahrens noch zu
rechnen hat. Wollte man, wie dies von der Klägerin vertreten wird, einem Ver-
tragsverletzungsverfahren grundsätzlich verjährungsunterbrechende Bedeutung
beimessen oder jedenfalls in Fällen, in denen nach nationalem Recht zumutba-
re Rechtsmittel des Primärrechtsschutzes nicht zur Verfügung stehen, würde
dies auf eine Sonderbehandlung des gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungs-
anspruchs hinauslaufen, die für vergleichbare Verfahren nach nationalem Recht
ohne Parallele wäre und den aus der Sicht des Senats wünschenswerten
Gleichlauf der Folgen bei Verstößen gegen das nationale Recht und das Ge-
meinschaftsrecht stören würde.
Der Gerichtshof ist diesen Argumenten im Wesentlichen gefolgt und hat
hierzu bemerkt, da ein Geschädigter Schadensersatz verlangen könne, ohne
ein den Verstoß feststellendes Urteil abwarten zu müssen, werde ihm die Aus-
übung seiner Rechte nicht unmöglich gemacht oder außerordentlich erschwert,
wenn die Erhebung der Vertragsverletzungsklage die Verjährung nicht unter-
breche oder hemme (Urteil vom 24. März 2009 aaO S. 337 Rn. 39). Bei der Be-
urteilung der Gleichwertigkeit sei den Besonderheiten des Verfahrens nach
Art. 226 EG Rechnung zu tragen (Rn. 42), die darin bestünden, dass die Kom-
mission kein Rechtsschutzinteresse nachzuweisen brauche, weil ihr kraft ihres
Amtes die Aufgabe zufalle, die Ausführung des Gemeinschaftsrechts im allge-
meinen Interesse zu überwachen (Rn. 43). In diesem Bereich verfüge die
Kommission über ein Ermessen, das ein Recht Einzelner, von ihr eine Stellung-
nahme in einem bestimmten Sinn zu verlangen, ausschließe (Rn. 44). Deshalb
werde auch der Grundsatz der Gleichwertigkeit nicht verletzt, wenn das natio-
37
- 24 -
nale Recht einer Vertragsverletzungsklage der Kommission keinen Einfluss auf
den Lauf der Verjährung einräume (vgl. aaO S. 338 Rn. 45). Ergänzt werden
diese Überlegungen durch die bereits dargestellte Auffassung des Gerichtshofs,
die mögliche Pflicht, den Schaden auch durch die Inanspruchnahme der ver-
fügbaren Rechtsschutzmöglichkeiten abzuwenden, werde nicht durch die An-
hängigkeit einer Vertragsverletzungsklage berührt (vgl. aaO S. 339 Rn. 67 und
oben zu II 5 a).
b) Im Ergebnis ist jedoch Verjährung nicht eingetreten, weil unter Beach-
tung von Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts von der Regelverjährung von
30 Jahren nach § 195 BGB a.F. auszugehen ist.
38
Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften hat entschieden, die
Mitgliedstaaten hätten die Folgen eines verursachten Schadens, für den sie
nach dem Gemeinschaftsrecht einzustehen hätten, im Rahmen ihres nationalen
Haftungsrechts zu beheben. Mangels einer gemeinschaftsrechtlichen Regelung
sei es Sache der nationalen Rechtsordnung, die zuständigen Gerichte zu
bestimmen und das Verfahren für die Klagen auszugestalten, die den vollen
Schutz der dem Einzelnen aus dem Gemeinschaftsrecht erwachsenden Rechte
gewährleisten sollen. Dabei dürfen die im Schadensersatzrecht der einzelnen
Mitgliedstaaten festgelegten Voraussetzungen nicht ungünstiger sein als bei
ähnlichen Klagen, die nur nationales Recht betreffen (Grundsatz der Gleichwer-
tigkeit), und nicht so ausgestaltet sein, dass sie die Erlangung einer Entschädi-
gung praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Grundsatz der
Effektivität; vgl. EuGH, Urteile vom 19. November 1991 - Rs. C-6/90 und
C-9/90 - Francovich - Slg. 1991, I-5403, 5415 f Rn. 42, 43; vom 5. März 1996
- Rs. C-46/93 und C-48/93 - Brasserie du Pêcheur und Factortame - Slg. 1996,
I-1131, 1153, 1155, 1157 Rn. 67, 74, 83; vom 10. Juli 1997 - Rs. C-261/95 -
39
- 25 -
Palmisani - Slg. 1997, I-4037, 4046 Rn. 27; Urteil vom 24. März 2009 aaO
S. 337 Rn. 31). Da es an einer unmittelbar anzuwendenden Verjährungsvor-
schrift im Gemeinschaftsrecht fehlt - die Regelung des Art. 46 (= Art. 43 a.F.)
der Satzung des Gerichtshofs betrifft die aus außervertraglicher Haftung der
Gemeinschaften hergeleiteten Ansprüche -, ist die von der Beklagten erhobene
Verjährungseinrede nach nationalem Recht zu prüfen.
aa) Nach der zum 1. Januar 2002 in Kraft getretenen Neuregelung des
Verjährungsrechts durch das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts vom
26. November 2001 (BGBl. I S. 3138) beträgt die regelmäßige Verjährungsfrist
drei Jahre (§ 195 BGB). Einer längeren Verjährungsfrist unterliegen Rechte an
einem Grundstück (§ 196 BGB) und sonstige, in § 197 BGB aufgeführte An-
sprüche, um die es vorliegend nicht geht. Die regelmäßige Verjährungsfrist von
drei Jahren beginnt mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstan-
den ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen
und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässig-
keit erlangen müsste (§ 199 Abs. 1 BGB). Dieser regelmäßigen Verjährungsfrist
unterliegen z.B. Amtshaftungsansprüche nach nationalem Recht wegen amts-
pflichtwidrigen Verhaltens eines Beamten im haftungsrechtlichen Sinn (§ 839
BGB), für die die öffentliche Hand nach Art. 34 GG zu haften hat, und Entschä-
digungsansprüche aus dem richterrechtlich entwickelten Institut des enteig-
nungsgleichen Eingriffs; auch der gemeinschaftsrechtliche Staatshaftungsan-
spruch verjährt nach dieser Regelung. Der Gerichtshof hat entschieden, dass
die Festsetzung angemessener Ausschlussfristen für die Rechtsverfolgung im
Interesse der Rechtssicherheit unter dem Gesichtspunkt des Grundsatzes der
Effektivität mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist und dass eine nationale
Verjährungsfrist von drei Jahren angemessen ist (Urteil vom 24. März 2009 aaO
S. 337 Rn. 32).
40
- 26 -
bb) Für die Frage, ob die Ansprüche der Klägerin im Zeitpunkt der Kla-
geerhebung bereits verjährt waren, ist nach der Überleitungsvorschrift des
Art. 229 § 6 EGBGB jedoch das frühere Recht anzuwenden. Nach diesem
Recht betrug die regelmäßige Verjährungsfrist 30 Jahre (§ 195 BGB a.F.). Die-
se Regelung war gesetzlich durch eine Reihe von Ausnahmetatbeständen zwei-
und vierjähriger Fristen durchbrochen. Für Amtshaftungsansprüche richtete sich
die Verjährung nach § 852 Abs. 1 BGB a.F., einer verjährungsrechtlichen Son-
dervorschrift aus dem Recht der unerlaubten Handlungen, an der sich im We-
sentlichen die Regelverjährung nach neuem Recht orientiert hat. Denn diese
Ansprüche verjährten grundsätzlich in drei Jahren von dem Zeitpunkt an, in
welchem der Verletzte von dem Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen
Kenntnis erlangte. Demgegenüber verjährten Ansprüche aus enteignungsglei-
chem Eingriff - von landesrechtlichen Besonderheiten abgesehen - in der re-
gelmäßigen Frist von 30 Jahren (vgl. Senatsurteil BGHZ 117, 287, 294).
41
(1) In welcher Frist der gemeinschaftsrechtliche Staatshaftungsanspruch
verjährt, ist bis zum Vorlagebeschluss des Senats vom 12. Oktober 2006 (aaO
S. 365 Rn. 23) höchstrichterlich nicht entschieden gewesen. Der Gesetzgeber
hat davon abgesehen, nach der Entwicklung des gemeinschaftsrechtlichen
Staatshaftungsanspruchs durch den Gerichtshof der Europäischen Gemein-
schaften hierfür besondere Regelungen zu schaffen, und hat die Frage dem-
entsprechend der Rechtspraxis überlassen. Das ist ein Vorgang, der zum juris-
tischen Alltag der mit dem nationalen Recht vertrauten Anwaltschaft, die bei
erstinstanzlich bei den Landgerichten anzubringenden Klagen zwingend hinzu-
gezogen werden muss, und der Gerichte gehört und mit den üblichen juristi-
schen Auslegungsmethoden zu bewältigen ist. Der damit verbundene Klä-
rungsprozess kann allerdings einen gewissen Zeitraum in Anspruch nehmen,
42
- 27 -
während dessen eine hinreichend sichere Einordnung nicht möglich oder er-
schwert ist.
(2) Der Senat hat in seinem Vorlagebeschluss die Verjährungsvorschrift
des § 852 Abs. 1 BGB a.F. für analog anwendbar gehalten, weil im Hinblick auf
das Rechtsschutzziel und auf weitgehende Parallelen zum nationalen Amtshaf-
tungsanspruch Gründe der Sachgerechtigkeit für eine solche Lösung sprechen
(aaO S. 365 Rn. 23). Er hat sich insoweit auch auf Stimmen in der Literatur be-
zogen, die ihre Auffassung zum Teil nur knapp begründet, zum Teil zu einem
Zeitpunkt geäußert haben, in dem die Information für die Klägerin zu spät kam
(vgl. im Einzelnen Maurer, in: Festschrift für Boujong, 1996, S. 591, 606;
Streinz/Leible, ZIP 1996, 1931, 1938; Huff, NJW 1996, 3190, 3191; Deckert,
EuR 1997, 203, 233; Hidien, Die gemeinschaftsrechtliche Staatshaftung der
EU-Mitgliedstaaten, 1999, S. 71; Berg, in: Schwarze, EU-Kommentar, 2000,
Art. 288 EGV Rn. 94; Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, 2. Aufl. 2002,
Art. 288 EG-Vertrag Rn. 58; Mankowski, in: Rengeling/Middeke/Gellermann,
Handbuch des Rechtsschutzes in der Europäischen Union, 2. Aufl. 2003, § 37
Rn. 131; Schulze, in: Gebauer/Wiedmann, Zivilrecht unter europäischem Ein-
fluss, 2005, Kapitel 16 Rn. 47). Daneben haben sich Stimmen in der Literatur
für eine analoge Anwendung des Art. 46 (= Art. 43 a.F.) der Satzung des
Gerichtshofs ausgesprochen (vgl. Prieß, NVwZ 1993, 118, 124; Detterbeck,
VerwArch 85 [1994], 159, 190 f; Detterbeck/Windthorst/Sproll, Staatshaftungs-
recht, 2000, § 6 Rn. 79; vom Stein, in: Anwaltkommentar BGB, 2005, § 839
Rn. 37; wohl auch Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 5. Aufl. 1998, S. 520, der
allerdings die Anwendung der Frist des § 852 BGB a.F. nicht als Verstoß gegen
das Erschwerungs- und Vereitelungsgebot ansieht). Schließlich ist zu beachten,
dass die Frage in Standardkommentaren zum Bürgerlichen Gesetzbuch entwe-
der gar nicht angesprochen (vgl. Palandt/Thomas, BGB, 55. Aufl. 1996, § 852
43
- 28 -
Rn. 1; Stein, in: MünchKomm-BGB, 3. Aufl. 1997, § 852 Rn. 3 f; Papier, eben-
da, § 839 Rn. 97 bis 99; Vinke, in: Soergel, BGB 12. Aufl. 1998, § 839 Rn. 247
bis 249; Zeuner, ebenda, § 852 Rn. 4) oder – ohne eigenen Vorschlag - als un-
geklärt bezeichnet wurde (Staudinger/Wurm, BGB, Bearbeitung 2002, § 839
Rn. 543). Wenn sich auch im wissenschaftlichen Schrifttum - soweit ersichtlich -
niemand für die von der Klägerin für richtig gehaltene Anwendung der Regelver-
jährung von 30 Jahren ausgesprochen hat, kam sie als Möglichkeit in Betracht,
unterlagen der Regelverjährung doch auch andere vornehmlich richterrechtlich
entwickelte Anspruchsgrundlagen wie Ansprüche aus culpa in contrahendo und
aus enteignungsgleichem Eingriff.
(3) Der Gerichtshof hat zu der - nur in einer Nebenbemerkung des Vorla-
gebeschlusses (aaO S. 365 Rn. 24) aufgeworfenen - Frage, ob das Gemein-
schaftsrecht einer analogen Anwendung von Verjährungsbestimmungen entge-
genstehe, geantwortet, eine Verjährungsfrist müsse im Voraus festgelegt wer-
den, um ihren Zweck, die Rechtssicherheit zu gewährleisten, zu erfüllen. Eine
durch erhebliche Rechtsunsicherheit geprägte Situation könne einen Verstoß
gegen den Grundsatz der Effektivität darstellen, da der Ersatz von Schäden
außerordentlich erschwert sein könnte, wenn die Einzelnen nicht in der Lage
wären, die anwendbare Verjährungsfrist mit hinreichender Sicherheit zu ermit-
teln (Urteil vom 24. März 2009 aaO S. 337 Rn. 33). Auch unter dem Gesichts-
punkt des Grundsatzes der Gleichwertigkeit müsse das nationale Gericht prü-
fen, ob die Voraussetzungen für den Ersatz von Schäden wegen einer solchen
analogen Anwendung nicht möglicherweise ungünstiger waren als diejenigen
für den Ersatz vergleichbarer Schäden innerstaatlicher Natur (Rn. 35).
44
- 29 -
(4) Im Hinblick auf diese Ausführungen hält der Senat an der im Vorlage-
beschluss geäußerten Rechtsauffassung, im vorliegenden Fall könne der gel-
tend gemachte gemeinschaftsrechtliche Staatshaftungsanspruch nach § 852
Abs. 1 BGB a.F. (teilweise) verjährt sein, nicht mehr fest. Zwar sprachen für die
Anwendung der Vorschrift die im Vorlagebeschluss des Senats (aaO S. 365
Rn. 23) angeführten Gründe. Aus der Sicht des Senats hätte auch kein Rechts-
anwalt zur Verjährung eine Auskunft geben dürfen, ohne auf die Möglichkeit
einer Anwendung des § 852 Abs. 1 BGB a.F. hinzuweisen, was zu erklären
vermag, weshalb der Senat im Zusammenhang mit dem gemeinschaftsrechtli-
chen Staatshaftungsanspruch noch in keinem Fall mit Verjährungsfragen be-
fasst war und es auch im Übrigen an Nachweisen in der Rechtsprechung fehlte.
Auf diese aus dem Anwaltsvertrag folgende Pflichtenstellung für den "sichersten
Weg" kann jedoch nicht abgestellt werden; maßgebend sind vielmehr die An-
forderungen, die sich für das nationale Recht aus den Grundsätzen der Gleich-
wertigkeit und der Effektivität ergeben. Sie stehen einer analogen Anwendung
der Bestimmung des § 852 Abs. 1 BGB a.F. entgegen, weil sich die Frage bis
zum Vorlagebeschluss des Senats nicht mit hinreichender Sicherheit ermitteln
ließ. Dabei hat für den Senat vor allem Gewicht, dass sich die Standardliteratur
mit dieser Frage nicht beschäftigte, obwohl es durchaus Anspruchskonstellatio-
nen gab, für die schon zu früherer Zeit eine analoge Anwendung des § 852
Abs. 1 BGB a.F. anerkannt war, etwa für Ansprüche aus Art. 5 Abs. 5 der Euro-
päischen Menschenrechtskonvention (Senatsurteil BGHZ 45, 58, 70 ff, 75 f)
und für Ersatzansprüche nach § 22 WHG (Senatsurteile BGHZ 57, 170, 176 f;
98, 235, 237). Fehlte es damit im hier maßgeblichen Zeitraum im Anschluss an
das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vom 5. März
1996 (Rs. C-46/93 und C-48/93 - Brasserie du Pêcheur und Factortame - Slg.
1996, I-1131), mit dem geklärt wurde, dass auch in Fällen legislativen Unrechts
eine Ersatzpflicht eintritt, die nicht auf Schäden an bestimmten individuellen
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- 30 -
Rechtsgütern beschränkt ist, den entgangenen Gewinn mit einschließt und Zeit-
räume erfassen kann, die vor Erlass eines Urteils liegen, mit dem der Gerichts-
hof einen Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht feststellt, an einer weitge-
hend einhelligen Auffassung im wissenschaftlichen Schrifttum zur Verjährungs-
frage, die eine revisionsgerichtliche Klärung hätte entbehrlich machen können,
befindet sich der Geschädigte, der einen gemeinschaftsrechtlichen Staatshaf-
tungsanspruch geltend machen will, nicht in einer gleichwertigen Lage wie ein
Kläger, der Amtshaftungsansprüche verfolgt. Er kann auch zu der Auffassung
gelangen, dass die 30jährige Regelverjährung anwendbar ist, die für alle An-
sprüche gilt, für die es an einer speziellen Regelung fehlt.
Dass sich der Senat im Vorlagebeschluss (zunächst) für eine analoge
Anwendung des § 852 Abs. 1 BGB a.F. ausgesprochen hatte, bleibt im prakti-
schen Ergebnis ohne Auswirkung. Für die Klägerin, die sich spätestens bis zur
Jahresmitte 1999 zur Klageerhebung entschließen musste, kam diese - prinzi-
piell mögliche - Klärung zu spät. Für die Zukunft ist der Vorlagebeschluss ge-
genstandslos, weil der gemeinschaftsrechtliche Staatshaftungsanspruch seit
dem 1. Januar 2002 nach neuem Recht der Regelverjährung von drei Jahren
unterliegt. Für etwaige noch anhängige Altfälle aus der Zeit vor dem 1. Januar
2002 ist daher zunächst die 30jährige Verjährungsfrist des § 195 BGB a.F. und
nach Maßgabe der Überleitungsvorschrift des Art. 229 § 6 EGBGB das neue
Recht anzuwenden. Die Klägerin hat damit ihre Klage in unverjährter Zeit erho-
ben.
46
7.
Das Landgericht hat ohne nähere Beweiserhebung angenommen, die
von der Klägerin geltend gemachten Mehrkosten beziehungsweise geminderten
Erträge stellten einen ersatzfähigen Schaden dar, der unmittelbar auf die
Rechtsverletzung der Beklagten zurückzuführen sei. Das hat die Beklagte
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bestritten und insbesondere geltend gemacht, die Änderung des Verhaltens der
dänischen Schweinezüchter und Schlachthofgesellschaften beruhe auf der Ein-
sicht, dass der Verkauf unkastrierter männlicher Schweine auf dem deutschen
Markt nicht ausreichend akzeptiert werde, also auf einem autonomen, betriebs-
wirtschaftlich begründeten Entschluss der Klägerin. Hierfür spreche zum einen,
dass bis zum Zeitpunkt der Entscheidung, das Male-Pig-Projekt einzustellen,
nur äußerst wenige Beanstandungen in einem einzigen Exportland vorgelegen
hätten, das lediglich 33 % des gesamten Exportmarkts ausgemacht habe, zum
anderen der Umstand, dass die dänischen Schweinezüchter und Schlachthof-
gesellschaften nach Herstellung einer dem Gemeinschaftsrecht entsprechen-
den Rechtslage nicht zur angeblich wirtschaftlich günstigeren Vermarktung un-
kastrierter Schweine zurückgekehrt seien.
Das Berufungsgericht hat sich zur Frage, ob zwischen dem Verstoß ge-
gen das Gemeinschaftsrecht und dem dem Einzelnen entstandenen Schaden
ein "unmittelbarer Kausalzusammenhang" besteht, und zu den Einwänden der
Beklagten, die jedenfalls nicht von vornherein von der Hand zu weisen sind,
nicht abschließend geäußert, sondern - ohne diesbezüglichen Beweisantritten
nachzugehen - lediglich ausgeführt, es bestehe eine hinreichende Wahrschein-
lichkeit für einen kausal eingetretenen Schaden. Das genügt für den Erlass ei-
nes Grundurteils nicht, weil es hiernach nicht ausgeschlossen ist, dass der Tat-
richter im weiteren Verfahren, das eigentlich nur noch der Feststellung der
Schadenshöhe dienen soll, den Kausalzusammenhang nicht feststellen kann.
Der Senat vermag dem Berufungsurteil, das sich hauptsächlich mit den Ge-
schehnissen im Jahr 1993 beschäftigt, auch nicht zu entnehmen, dass die Ent-
scheidung der dänischen Schweinezüchter und Schlachthofgesellschaften, von
der Vermarktung unkastrierter männlicher Schweine abzusehen, für den ge-
samten in Rede stehenden Zeitraum, also bis in das Jahr 1999, unmittelbar auf
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die Gemeinschaftsrechtsverstöße der Beklagten zurückgeht, zumal ihr wohl das
Recht zugestanden hätte, im Wege einer Stichprobenkontrolle die Genusstaug-
lichkeit von eingeführtem Schweinefleisch zu prüfen. Soweit das Berufungsge-
richt den Erlass des Grundurteils damit rechtfertigt, ein unmittelbar kausal ver-
ursachter Schaden stehe insoweit fest, als es durch zahlreiche Kontrollen zu
Zurückweisungen von Einfuhren gekommen sei, kann dem nicht gefolgt wer-
den, weil Schäden dieser Art nicht Gegenstand dieses Rechtsstreits sind. Zur
Klärung der Frage, ob das Verhalten der dänischen Schweinezüchter, die auf
Initiative der Klägerin und der Schlachthofgesellschaften über eine Änderung
der Anlieferungsverträge dazu gebracht worden sind, von der Aufzucht unkast-
rierter männlicher Schweine abzusehen, unmittelbar auf das gemeinschaftswid-
rige Verhalten der Beklagten zurückzuführen ist, sind daher weitere Feststel-
lungen erforderlich.
Schlick
Dörr
Hucke
Seiters
Schilling
Vorinstanzen:
LG Bonn, Entscheidung vom 30.01.2004 - 1 O 459/00 -
OLG Köln, Entscheidung vom 02.06.2005 - 7 U 29/04 -