Urteil des BGH vom 11.09.2018

Urteil vom 11.09.2018

ECLI:DE:BGH:2018:110918UXIZR64.17.0
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
XI ZR 64/17
Verkündet am:
11. September 2018
Weber
Justizamtsinspektorin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
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Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 11. September 2018 durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. Ellenberger, die
Richter Dr. Grüneberg und Maihold sowie die Richterinnen Dr. Menges und
Dr. Derstadt
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 19. Zivilsenats
des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 14. Dezember
2016 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als das Beru-
fungsgericht
die
Berufung
des
Klägers
betreffend
den
Hilfsantrag - Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von
19.736,53
€ zuzüglich Zinsen - zurückgewiesen hat.
Im Übrigen wird die Revision des Klägers mit der Maßgabe zu-
rückgewiesen, dass auf seine Berufung gegen das Urteil der
1. Zivilkammer des Landgerichts Hanau vom 15. Dezember 2015
die Klage als unzulässig abgewiesen wird, soweit der Kläger be-
antragt hat festzustellen, dass der zwischen den Parteien unter
der Kontonummer
…28 geschlossene Darlehensvertrag
durch den Widerruf des Klägers aufgelöst ist und sich in ein ge-
setzliches Rückgewährschuldverhältnis umgewandelt hat.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens,
an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
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Tatbestand:
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit des Widerrufs der auf den Ab-
schluss eines Verbraucherdarlehensvertrags gerichteten Willenserklärung des
Klägers.
Die Parteien schlossen am 29. August 2005 einen Darlehensvertrag über
331.000
€ mit einem bis zum 30. Juli 2020 festen Nominalzinssatz von
4,00% p.a. Zur Sicherung der Beklagten diente ein Grundpfandrecht. Bei Ab-
schluss des Darlehensvertrags belehrte die Beklagte den Kläger über sein Wi-
derrufsrecht wie folgt im Wesentlichen entsprechend der Belehrung, die Ge-
genstand des Senatsurteils vom 12. Juli 2016 (XI ZR 564/15, BGHZ 211,
123 ff.) war:
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Der Kläger erbrachte Zins- und Tilgungsleistungen. In der ersten Jahres-
hälfte 2013 einigte er sich mit der Beklagten auf eine vorzeitige Beendigung des
Darlehensvertrags. Er führte das Darlehen im Sommer 2013 einschließlich ei-
ner von der Beklagten beanspruchten "Vorfälligkeitsentschädigung" in Höhe
von 19.736,53
€ zurück, behielt sich aber vor, "die Vorfälligkeitsentschädigung
sowohl ihrer Höhe als auch ihrem Rechtsgrund nach zu überprüfen". Unter dem
25. Februar 2015 widerrief er durch seinen vorinstanzlichen Prozessbevoll-
mächtigten seine auf Abschluss des Darlehensvertrags gerichtete Willenserklä-
rung.
Die zuletzt auf Feststellung, dass der Darlehensvertrag durch den Wider-
ruf des Klägers "aufgelöst" sei, und auf Erstattung vorgerichtlich verauslagter
Anwaltskosten, hilfsweise im Falle der Unzulässigkeit der Feststellungsklage
auf Rückzahlung der "Vorfälligkeitsentschädigung" und auf Erstattung vorge-
richtlich verauslagter Anwaltskosten in reduzierter Höhe, gerichtete Klage hat
das Landgericht abgewiesen. Über den Hilfsantrag hat es mangels Eintritts der
prozessualen Bedingung nicht entschieden. Die dagegen gerichtete Berufung,
mit der der Kläger beantragt hat festzustellen, dass der Darlehensvertrag durch
seinen Widerruf "aufgelöst" sei "und sich in ein gesetzliches Rückgewähr-
schuldverhältnis umgewandelt" habe, hilfsweise für den Fall, dass diesem An-
trag nicht entsprochen werde, die Beklagte zu verurteilen, die "Vorfälligkeitsent-
schädigung" zurückzuzahlen, und die Beklagte zur Erstattung vorgerichtlich
verauslagter Anwaltskosten in voller Höhe zu verurteilen, hat das Berufungsge-
richt zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelas-
sene Revision des Klägers, mit der er seine in der Berufungsinstanz gestellten
Anträge weiterverfolgt.
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Entscheidungsgründe:
Die Revision des Klägers hat in dem aus der Entscheidungsformel er-
sichtlichen Umfang Erfolg. Soweit der Kläger der Sache nach die Feststellung
der Umwandlung des Darlehensvertrags in ein Rückgewährschuldverhältnis
und die Erstattung vorgerichtlich verauslagter Anwaltskosten begehrt, ist die
Revision dagegen unbegründet und mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass
der Feststellungsantrag als unzulässig abzuweisen ist.
I.
Das Berufungsgericht (OLG Frankfurt/Main, Urteil vom 14. Dezember
2016 - 19 U 13/16, juris), das ausweislich der Urteilsgründe auch über den
Hilfsantrag erkannt hat, hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt:
Die Klageanträge seien so wie in zweiter Instanz gestellt zulässig. Insbe-
sondere sei der Feststellungsantrag zulässig, da jedenfalls die Berechnung der
Nutzungsentschädigung nur mit erheblichem Aufwand möglich sei.
Die Klage sei aber unbegründet. Zwar habe die Beklagte den Kläger bei
Abschluss des Darlehensvertrags unzureichend deutlich über das ihm zukom-
mende Widerrufsrecht belehrt, so dass die Willenserklärung des Klägers zu-
nächst über die zweiwöchige Widerrufsfrist hinaus widerruflich gewesen sei. Im
Jahr 2015 sei das Widerrufsrecht indessen verwirkt gewesen. Das Zeitmoment
der Verwirkung sei erfüllt, da der Kläger erst mehr als neun Jahre nach Ab-
schluss des Darlehensvertrags widerrufen habe. Auch das Umstandsmoment
sei gegeben. Dies folge daraus, dass der Darlehensvertrag bereits am 5. Juni
2013 auf Wunsch des Klägers vor Ablauf der Zinsbindungsfrist gegen Vereinba-
rung eines Vorfälligkeitsentgelts beendet worden sei, bevor der Kläger fast zwei
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Jahre später seine auf den Abschluss des Darlehensvertrags gerichtete Wil-
lenserklärung widerrufen habe. Gerade bei beendeten Verbraucherdarlehens-
verträgen - wie hier - könne das Vertrauen des Unternehmers auf ein Unterblei-
ben des Widerrufs nach den vorgenannten Maßgaben schutzwürdig sein, auch
wenn die vom Unternehmer erteilte Widerrufsbelehrung ursprünglich nicht den
gesetzlichen Vorschriften entsprochen und es der Unternehmer in der Folgezeit
versäumt habe, den Verbraucher nachzubelehren. Löse der Verbraucher ein
Verbraucherdarlehen unter Zahlung einer Vorfälligkeitsentschädigung ab, sei
das Umstandsmoment regelmäßig zu bejahen, weil sich die darlehensgebende
Bank oder Sparkasse - im Sinne einer tatsächlichen Vermutung - darauf einrich-
ten dürfe und eingerichtet haben werde, dass der Vorgang aufgrund der willent-
lichen Beendigung des Darlehensverhältnisses durch den Darlehensnehmer
abgeschlossen sei. Für die Annahme einer solchen tatsächlichen Vermutung
spreche vorliegend auch der weitere Umstand, dass der Kläger nach erfolgter
Ablösung des Darlehens und Zahlung der Vorfälligkeitsentschädigung mehr als
19 Monate habe verstreichen lassen, bevor er den Widerruf erklärt habe. In die-
sem Falle sei das Vertrauen der Beklagten gerechtfertigt, der Kläger werde sein
Widerrufsrecht nicht mehr geltend machen.
"[A]m Rande" sei anzumerken, dass dieses Ergebnis auch aus einem
Gestaltungshinweis des Musters für die Widerrufsbelehrung zu Fernabsatzver-
trägen bei Finanzdienstleistungen abgeleitet werden könne. Nach den für Fern-
absatzverträge maßgeblichen Vorschriften sei das Widerrufsrecht vorzeitig er-
loschen, wenn der Vertrag von beiden Seiten auf ausdrücklichen Wunsch des
Verbrauchers erfüllt worden sei, bevor der Verbraucher das Widerrufsrecht
ausgeübt habe. Genau diese Situation sei gegeben, so dass die Annahme einer
Verwirkung der grundsätzlichen Regelungsabsicht des Gesetzgebers entspre-
che, auch wenn die das Fernabsatzrecht beherrschenden Regelungen im vor-
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liegenden Fall wegen des Vorrangs des Verbraucherwiderrufsrechts keine un-
mittelbare Anwendung fänden.
II.
Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung in
wesentlichen Punkten nicht stand.
1. Zu Unrecht ist das Berufungsgericht von der Zulässigkeit der Feststel-
lungsklage ausgegangen. Für den - ohnehin nur nach Ergänzung der maßgeb-
lichen
Widerrufserklärung
hinreichend
bestimmten
(Senatsurteil
vom
7. November 2017 - XI ZR 369/16, WM 2018, 45 Rn. 14) - Antrag festzustellen,
der Darlehensvertrag habe sich aufgrund des Widerrufs in ein Rückgewähr-
schuldverhältnis umgewandelt, fehlt, wie der Senat nach Erlass des Berufungs-
urteils näher ausgeführt hat (Senatsurteile vom 24. Januar 2017 - XI ZR 183/15,
WM 2017, 766 Rn. 11 ff., vom 21. Februar 2017 - XI ZR 467/15, WM 2017, 906
Rn. 13 ff., vom 14. März 2017 - XI ZR 442/16, WM 2017, 849 Rn. 19, vom
16. Mai 2017 - XI ZR 586/15, WM 2017, 1258 Rn. 16, vom 4. Juli 2017
- XI ZR 741/16, WM 2017, 1602 Rn. 16, vom 23. Januar 2018 - XI ZR 359/16,
WM 2018, 664 Rn. 12 und vom 27. Februar 2018 - XI ZR 160/17, WM 2018,
729 Rn. 14), das Feststellungsinteresse.
Die Feststellungsklage ist auch nicht nach den Maßgaben des Senatsur-
teils vom 24. Januar 2017 (XI ZR 183/15, WM 2017, 766 Rn. 16) ausnahms-
weise zulässig, weil nicht feststeht, dass der Rechtsstreit die Meinungsver-
schiedenheiten der Parteien endgültig bereinigen wird (vgl. Senatsurteile vom
10. Oktober 2017 - XI ZR 456/16, WM 2017, 2254 Rn. 13 und - XI ZR 457/16,
WM 2017, 2256 Rn. 21).
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2. Überdies weisen die Überlegungen des Berufungsgerichts, das auf der
Grundlage des nach Art. 229 § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 22 Abs. 2, § 32 Abs. 1,
§ 38 Abs. 1 EGBGB maßgeblichen Rechts zutreffend davon ausgegangen ist,
die Beklagte habe den Kläger unrichtig über das ihm zustehende Widerrufs-
recht nach § 495 Abs. 1 BGB belehrt (Senatsurteile vom 12. Juli 2016
- XI ZR 564/15, BGHZ 211, 123 Rn. 17 ff., 20 ff. und vom 7. November 2017
- XI ZR 369/16, WM 2018, 45 Rn. 15), zur Verwirkung revisionsrechtlich erheb-
liche Rechtsfehler auf.
Ob eine Verwirkung vorliegt, richtet sich nach den vom Tatrichter festzu-
stellenden und zu würdigenden Umständen des Einzelfalls, ohne dass insofern
auf Vermutungen zurückgegriffen werden kann (Senatsurteile vom 11. Oktober
2016
- XI ZR 482/15,
BGHZ 212,
207
Rn. 30,
vom
14. März
2017
- XI ZR 442/16, WM 2017, 849 Rn. 27 und vom 3. Juli 2018 - XI ZR 702/16,
WM 2018, 1601 Rn. 9; Senatsbeschluss vom 23. Januar 2018 - XI ZR 298/17,
WM 2018, 614 Rn. 9). Gegen diesen Grundsatz hat das Berufungsgericht ver-
stoßen, indem es angenommen hat, löse "der Verbraucher ein Verbraucherdar-
lehen unter Zahlung einer Vorfälligkeitsentschädigung ab", sei "das Umstands-
moment regelmäßig zu bejahen, weil sich die darlehensgebende Bank oder
Sparkasse - im Sinne einer tatsächlichen Vermutung - darauf einrichten" dürfe
und werde, "dass der Vorgang auf Grund der willentlichen Beendigung des Dar-
lehensverhältnisses durch den Darlehensnehmer abgeschlossen" sei. Überdies
hat das Berufungsgericht, wie der Senat in seinem einen Parallelfall betreffen-
den Urteil vom 3. Juli 2018 (aaO, Rn. 10 ff.) näher dargelegt hat, rechtsfehler-
haft angenommen, aus nicht einschlägigen Regelungen des Fernabsatzrechts
eine auch für die Verwirkung des Widerrufsrechts bei Verbraucherdarlehensver-
trägen maßgebliche "
grundsätzliche[…] Regelungsabsicht des Gesetzgebers"
ableiten zu können. Den Urteilsgründen lässt sich nicht entnehmen, das Beru-
fungsgericht sei zur Verwirkung selbständig tragend auch unabhängig von der
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von ihm postulierten tatsächlichen Vermutung und dem von ihm aus den Rege-
lungen des Fernabsatzrechts abgeleiteten Grundsatz gelangt.
III.
Soweit das Berufungsgericht die Berufung betreffend den Feststellungs-
antrag und den Hilfsantrag - Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von
19.736,53
€ zuzüglich Zinsen - zurückgewiesen hat, unterliegt das Berufungsur-
teil der Aufhebung (§ 562 ZPO), weil es sich auch nicht aus anderen Gründen
als richtig darstellt (§ 561 ZPO).
Soweit das Berufungsgericht den Antrag des Klägers auf Erstattung vor-
gerichtlich verauslagter Anwaltskosten zurückgewiesen hat, ist das Berufungs-
urteil aus anderen Gründen richtig (§ 561 ZPO), so dass der Senat die Revision
insoweit zurückweist. Dem Kläger steht unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt
ein Anspruch auf Erstattung vorgerichtlich verauslagter Anwaltskosten zu (Se-
natsurteile vom 21. Februar 2017 - XI ZR 467/15, WM 2017, 906 Rn. 23 ff.,
34 f., vom 25. April 2017 - XI ZR 314/16, BKR 2017, 373 Rn. 15, vom
7. November 2017 - XI ZR 369/16, WM 2018, 45 Rn. 19, vom 23. Januar 2018
- XI ZR 397/16, juris Rn. 13 und vom 24. Juli 2018 - XI ZR 305/16, juris Rn. 18).
IV.
Soweit das Berufungsgericht die Berufung betreffend den Feststellungs-
antrag zurückgewiesen hat, kann der Senat in der Sache selbst auf die Unzu-
lässigkeit dieses Antrags erkennen (§ 563 Abs. 3 ZPO). Die Frage der Zuläs-
sigkeit des Feststellungsantrags ist von Amts wegen zu berücksichtigen. Sie ist
- wie aus der Hilfsantragstellung ersichtlich - schon in den Vorinstanzen Gegen-
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stand der Erörterung gewesen. Eine Abweisung der Klage als unzulässig statt
als unbegründet ist auch auf ein Rechtsmittel des Klägers ohne Verstoß gegen
das Verbot der reformatio in peius statthaft. Anders als in Fällen, in denen der
Verbraucher anstelle der zulässigen Leistungsklage eine seine Ansprüche aus
§ 357 Abs. 1 Satz 1 BGB in der bis zum 12. Juni 2014 geltenden Fassung in
Verbindung mit §§ 346 ff. BGB betreffende unzulässige positive Feststellungs-
klage erhebt, muss dem Kläger, der schon in den Vorinstanzen mittels der For-
mulierung eines Hilfsantrags auf Bedenken gegen die Zulässigkeit seines Fest-
stellungsantrags reagiert hat, vor einer Abweisung nicht Gelegenheit gegeben
werden, seinen Antrag umzustellen (Senatsurteil vom 7. November 2017
- XI ZR 369/16, WM 2018, 45 Rn. 20 mwN).
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V.
Soweit sich das Berufungsurteil nicht aus anderen Gründen als richtig
darstellt oder der Senat über den Feststellungsantrag in der Sache selbst ent-
scheidet, ist die Sache nicht zur Endentscheidung reif und zur neuen Verhand-
lung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563
Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Ellenberger
Grüneberg
Maihold
Menges
Derstadt
Vorinstanzen:
LG Hanau, Entscheidung vom 15.12.2015 - 1 O 673/15 -
OLG Frankfurt am Main, Entscheidung vom 14.12.2016 - 19 U 13/16 -
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