Urteil des BGH vom 31.07.2018

Urteil vom 31.07.2018

ECLI:DE:BGH:2018:310718UXZR108.16.0
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 108/16
Verkündet am:
31. Juli 2018
Zöller
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
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Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 31. Juli 2018 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck, die
Richter Gröning, Dr. Grabinski und Dr. Deichfuß sowie die Richterin
Dr. Kober-Dehm
für Recht erkannt:
Die Berufung gegen das Urteil des 7. Senats (Nichtigkeitssenats)
des Bundespatentgerichts vom 9. November 2016 wird auf Kosten
der Klägerin zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Beklagte ist Inhaberin des mit Wirkung für die Bundesrepublik
Deutschland erteilten europäischen Patents 1 215 401 (Streitpatents), das eine
Vorrichtung zum Verbinden von Bauteilen betrifft. Das Streitpatent ist unter In-
anspruchnahme der Priorität einer deutschen Patentanmeldung vom 14. De-
zember 2000 am 10. November 2001 angemeldet worden.
Der Patentanspruch 1, auf den sich die nachfolgenden Patentansprüche
2 bis 5 rückbeziehen, lautet in der Verfahrenssprache:
"Vorrichtung zum Verbinden von Bauteilen (10, 12), mit einem zur An-
ordnung an dem einen Bauteil (10) ausgebildeten Basisteil (16), das ei-
ne Gewindebuchse (24) aus Metall aufweist, die im Presssitz in einer
Fassung (26) aus Kunststoff gehalten ist, einem Abstandshalter (18), der
mit dem Basisteil (16) in Gewindeeingriff steht und dazu ausgebildet ist,
sich mit einem Ende an dem anderen Bauteil (12) abzustützen, und ei-
ner reibschlüssig durch den Abstandshalter (18) gesteckten Verbin-
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dungsschraube (20), dadurch gekennzeichnet, dass die Bewegung des
Abstandshalters (18) relativ zum Basisteil (16) in einer Richtung durch
eine am Ende des Gewindeabschnitts des Abstandshalters gebildete
Schulter (34) begrenzt wird, die axial an einem erst nach dem Zusam-
menbau von Abstandshalter (18) und Basisteil (16) wirksam werdenden
Anschlag (38; 54) des Basisteils anstößt, wenn der Abstandshalter sei-
nen maximalen Ausfahrweg erreicht hat, und dass der Anschlag (38; 54)
an der Fassung (26) ausgebildet ist, so dass er den Zusammenbau ge-
stattet."
Die Klägerin hat geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents ge-
he über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung
hinaus und sei nicht patentfähig. Die Beklagte hat das Schutzrecht verteidigt.
Das Patentgericht hat die Klage abgewiesen. Dagegen wendet sich die
Berufung der Klägerin, mit der sie weiterhin die Nichtigerklärung des Streitpa-
tents aus den bereits erstinstanzlich geltend gemachten Gründen anstrebt.
Demgegenüber beantragt die Beklagte, die Berufung zurückzuweisen, und ver-
teidigt das Urteil des Patentgerichts.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin ist zulässig, bleibt aber in der Sache ohne Er-
folg.
I.
Das Streitpatent betrifft eine Vorrichtung zum Verbinden von Bautei-
len.
1. Nach der Beschreibung des Streitpatents dienen derartige Vorrich-
tungen dazu, zwei Bauteile in einem bestimmten Abstand zu verbinden, ohne
dass die Bauteile beim Anziehen der Verbindungsschraube verformt werden.
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Dafür werde die Verbindungsschraube zunächst durch das Bauteil gesteckt,
das sich an dem Abstandshalter abstützen solle, und in ein Innengewinde des
anderen, mit dem Basisteil verbundenen Bauteils eingeschraubt. Bei der Ein-
schraubbewegung werde der Abstandshalter reibschlüssig mitgenommen. Da
das Gewinde zwischen dem Abstandshalter und dem Basisteil ein Linksgewin-
de sei, werde der Abstandshalter weiter aus dem Basisteil herausgeschraubt
und komme dem durch den Kopf der Verbindungsschraube gehaltenen Bauteil
entgegen, bis sich dieses Bauteil gegen die Stirnfläche des Abstandshalters
lege (Abs. 2).
Wenn jedoch der Abstand zwischen den zu verbindenden Bauteilen grö-
ßer sei als der maximale Verstellweg des Abstandshalters, könne es vorkom-
men, dass beim Einschrauben der Verbindungsschraube der Abstandshalter
ganz aus dem Basisteil herausgeschraubt werde. Den Gewindeeingriff zwi-
schen Abstandshalter und Basisteil wieder herzustellen, sei schwierig, da der
Abstandshalter in dieser Position nicht oder nur schwer zugängig sei (Abs. 3).
Im Anlieferungszustand der Verbindungsvorrichtung sei der Abstandshal-
ter normalerweise ganz in das Basisteil eingeschraubt. Es sei bekannt, dass der
Abstandshalter in dieser Stellung an einem Anschlag anliege und außerdem
durch eine federnde Zunge gehalten werde. Der Widerstand der Zunge müsse
sich jedoch überwinden lassen, wenn die Verbindungsschraube eingeschraubt
werde. Es sei daher nicht ausgeschlossen, dass sich der Abstandshalter vor
dem Einsatz der Verbindungsvorrichtung ganz von dem Basisteil löse und Teile
der Verbindungsvorrichtung auseinander fielen oder verloren gingen (Abs. 4).
2. Vor diesem Hintergrund liegt dem Streitpatent - entsprechend den
Angaben in der Streitpatentschrift (Abs. 6) - die Aufgabe zugrunde, eine Ver-
bindungsvorrichtung zu schaffen, bei der Abstandshalter und das Basisteil un-
verlierbar zusammengehalten werden.
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3. Das soll durch folgende Vorrichtung erreicht werden:
1. Vorrichtung zum Verbinden von Bauteilen (10, 12) mit
2. einem Basisteil (16),
2.1 das zur Anordnung an dem einen Bauteil (10) ausgebildet ist,
2.2 das eine Gewindebuchse (24) aus Metall aufweist,
2.2.1 die im Presssitz in einer Fassung (26) aus Kunststoff
gehalten ist,
3. einem Abstandshalter (18),
3.1 der mit dem Basisteil (16) in Gewindeeingriff steht und
3.2 dazu ausgebildet ist, sich mit einem Ende an dem anderen
Bauteil (12) abzustützen, und
4. einer Verbindungsschraube (20),
4.1 die reibschlüssig durch den Abstandshalter (18) gesteckt ist.
5. Die Bewegung des Abstandshalters (18) wird relativ zum Basisteil
(16) in einer Richtung durch eine Schulter (34) begrenzt, die
5.1 am Ende des Gewindeabschnitts des Abstandshalters gebil-
det ist und
5.2 axial an einem Anschlag (38, 54) des Basisteils anstößt, wenn
der Abstandshalter seinen maximalen Ausfahrweg erreicht
hat.
6. Der Anschlag (38, 54)
6.1 wird erst nach dem Zusammenbau von Abstandshalter (18)
und Basisteil (16) wirksam und
6.2 ist an der Fassung (26) ausgebildet, so dass er den Zusam-
menbau gestattet.
4. Die nachfolgend wiedergegebenen Zeichnungen (Figuren 1 und 2)
stammen aus der Streitpatentschrift und zeigen zwei erfindungsgemäße Aus-
führungsbeispiele:
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5.a) Das Patentgericht hat als Durchschnittsfachmann einen Diplom-
Ingenieur (FH) der Fachrichtung Maschinenbau mit mehrjähriger Erfahrung in
der Entwicklung und Konstruktion von Verbindungselementen- und beschlägen
angesehen.
Aus Sicht eines solchen Fachmanns seien die Merkmale 3 und 3.1
(Merkmal 3 im Urteil des Patentgerichts) dahin zu verstehen, dass das Gewinde
des Abstandshalters unmittelbar in das komplementäre Gewinde der Gewinde-
buchse eingreife. Der nach Merkmalsgruppe 4 (Merkmal 4) vorgesehene Reib-
schluss zwischen Schraube und Abstandshalter sei für das Herausdrehen des
Abstandshalters bzw. die Übertragung des hierfür erforderlichen Drehmoments
zwingend erforderlich. Bei der in Merkmal 5 (Merkmal 5.1) genannten Schulter
handele es sich um einen durch einen radialen Rücksprung an der Außenwan-
dung des Abstandshalters gebildeten, zum Anschlag des Basisteils komple-
mentären Absatz. Da sich die Schulter "am Ende des Gewindeabschnitts des
Abstandshalters" befinde, stehe sie in unmittelbarer räumlicher Beziehung zum
Gewindeabschnitt. Eine Positionierung etwa auf Höhe des Gewindeabschnitts,
aber an anderer Stelle des Abstandshalters sei insoweit nicht hinreichend.
Durch die Formulierung in Merkmal 5.2, dass es sich um einen "Anschlag des
Basisteils" handele, werde zum Ausdruck gebracht, dass der Anschlag Be-
standteil des mehrteiligen Basisteils sei, wie etwa auch die Gewindebuchse
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nach Merkmal 2.2 (Merkmal 2.1). Der Anschlag nach den Merkmalen 6 und 6.2
(Merkmal 5.4) müsse einteilig mit der Fassung hergestellt und schon vor dem
Zusammenbau an dieser vorhanden sein.
b) Die Auslegung des Patentgerichts aus Sicht des von diesem zutref-
fend bestimmten Fachmanns hält den Beanstandungen der Berufung stand.
(1) Der Berufung ist darin beizutreten, dass der in Merkmal 3.1 vorgese-
hene Gewindeeingriff zwischen Abstandhalter und Basisteil die Funktion hat, es
dem Abstandshalter beim Einschrauben der Gewindeschraube aus dem Basis-
teil zu ermöglichen, sich (gegenläufig) in Richtung des "anderen Bauteils" zu
schrauben, so dass er dieses "mit einem Ende" abstützen kann (vgl. auch
Streitpatentschrift, Abs. 2, 8, 17).
Die Merkmalsgruppe 3 beschränkt sich aber nicht darauf, diese Funktion
zu benennen, sondern legt auch die räumlich-körperlichen Mittel fest, mit denen
selbige ausgeübt werden soll, nämlich dadurch, dass der Abstandshalter mit
dem Basisteil in einem Gewindeeingriff steht. In Patentanspruch 1 sind die Teile
des Abstandshalters und des Basisteils benannt, die in Gewindeeingriff stehen.
Auf Seiten des Abstandshalters ist dies die in Merkmal 2.2 vorgesehene Ge-
windebuchse aus Metall, die im Presssitz in einer Fassung aus Kunststoff ge-
halten ist, und auf Seiten des Basisteils ist dies der in Merkmal 5.1 aufgeführte
Gewindeabschnitt, an dessen Ende eine Schulter gebildet ist, die an einem An-
schlag des Basisteils anstößt, wenn der Abstandshalter seinen maximalen Aus-
fahrweg erreicht hat. Diese anspruchsgemäß vorgesehenen räumlich-
körperlichen Vorgaben, die im Übrigen auch bei den beiden erfindungsgemä-
ßen Ausführungsbeispielen verwirklicht sind (vgl. Rn. 16, 23; Figuren 1 und 2),
schließen einen "mittelbaren" Gewindeeingriff durch nicht näher bezeichnete
weitere Bauteile zwischen dem Abstandshalter und dem Basisteil aus.
(2) Die nach Merkmalsgruppe 4 reibschlüssig durch den Abstandshalter
gesteckte Verbindungsschraube hat die Aufgabe, ein aus der Drehbewegung
der Verbindungsschraube beim Einschrauben resultierendes Drehmoment auf
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den Abstandshalter zu übertragen, so dass sich dieser (gegenläufig) aus dem
Basisteil herausschraubt (vgl. Rn. 2, 17).
Es mag sein, dass es - wie die Berufung einwendet - für die Erfüllung
dieser Aufgabe letztlich nur darauf ankommt, dass das durch die Verbindungs-
schraube ausgeübte Drehmoment die gewünschte Ausfahrbewegung des Ab-
standshalters in Richtung des abzustützenden "anderen Bauteils" bewirkt. Auch
insoweit beschränkt sich die Lehre aus Patentanspruch 1 jedoch nicht auf eine
Beschreibung dieser Funktion, sondern bestimmt, dass ein Reibschluss zwi-
schen dem Abstandshalter und der durch diesen gesteckten Verbindungs-
schraube bestehen soll, um beim Einschrauben ein Drehmoment von der
Schraube auf den Abstandshalter zu übertragen. Das schließt nicht aus, dass
der Reibschluss zwischen der Mittelbohrung des Abstandshalters und dem Ge-
winde der Verbindungsschraube über ein zwischen diesen angeordnetes Bau-
teil wie den in den Ausführungsbeispielen des Streitpatents gezeigten Federring
(32) hergestellt wird (vgl. Abs. 16, Figuren 1 und 2).
(3) Die nach der Merkmalsgruppe 5 am Ende des Gewindeabschnitts
des Abstandshalters gebildete Schulter hat in Zusammenwirken mit dem An-
schlag des Basisteils den Zweck, die Bewegung des Abstandshalters relativ
zum Basisteil zu begrenzen, wenn der Abstandshalter seinen maximalen Aus-
fahrweg erreicht hat. Damit kann sich der Abstandshalter in Richtung des "an-
deren Bauteils" nicht vollständig aus dem Basisteil herausschrauben. Der Ab-
standshalter und das Basisteil werden insoweit zusammengehalten, so dass
der Abstandshalter unverlierbar gesichert ist (vgl. Abs. 3 und 8).
Entgegen der Ansicht der Berufung definiert die in der Merkmalsgruppe 5
gewählte Formulierung "einer am Ende des Gewindeabschnitts des Abstands-
halters gebildeten Schulter" nicht allgemein eine Lage der Schulter in der Um-
gebung des Endes des Gewindeabschnitts. Vielmehr wird damit eine Anord-
nung der Schulter als Bestandteil des Abstandshalters in axialer und radialer
Ausrichtung im Anschluss an dessen Gewindeabschnitt festgelegt, so wie dies
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im Übrigen auch in beiden erfindungsgemäßen Ausführungsbeispielen des
Streitpatents gezeigt ist.
Dem steht nicht entgegen, dass eine solche räumliche Anordnung der
Schulter sprachlich auch auf andere Weise, etwa durch die Wendung "durch
das Ende" statt - wie in Merkmal 5.1.1 - "am Ende" hätte ausgedrückt werden
können. Denn Grundlage für die Auslegung eines Patentanspruchs ist allein
dessen tatsächlicher Wortlaut und sind nicht Alternativformulierungen, die nicht
in den Patentanspruch aufgenommen worden sind.
(4) Nach Merkmal 6.1 soll der Anschlag erst nach dem Zusammenbau
von Abstandshalter und Basisteil wirksam werden.
Merkmal 6.2 ergänzt dies um zwei weitere Vorgaben. Der Anschlag soll
an der Fassung ausgebildet sein, so dass er den Zusammenbau gestattet.
Daraus folgt zum einen, dass der Anschlag bereits vor dem Zusammen-
bau von Abstandshalter und Basisteil an der Fassung vorhanden sein muss.
Obwohl der Anschlag nach dem Zusammenbau von Abstandshalter und
Basisteil in Zusammenwirken mit der am Abstandshalter ausgebildeten Schulter
die Aufgabe hat, beide Bauteile verliersicher zusammenzuhalten, soll es zum
anderen möglich sein, den Abstandshalter und das Basisteil vorab zusammen-
zubauen. Dabei ist es nicht erforderlich, dass es gerade die Art der Ausbildung
des Anschlags an der Fassung ist, die den Zusammenbau ermöglicht. Vielmehr
ist es hinreichend, wenn der Anschlag an der Fassung so ausgebildet ist, dass
er dem Zusammenbau von Abstandshalter und Basisteil nicht entgegensteht.
Denn allein das letztgenannte Verständnis erlaubt es, dass beide in der Be-
schreibung der Streitpatentschrift als erfindungsgemäß bezeichnete Ausfüh-
rungsbeispiele zur Ausfüllung der in Merkmal 6.2 verwendeten Begriffe heran-
gezogen werden können (vgl. BGH, Urteil vom 2. Juni 2015 - X ZR 103/13,
GRUR 2015, 972 Rn. 23 - Kreuzgestänge).
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Zwar würde das in Figur 1 gezeigte erfindungsgemäße Ausführungsbei-
spiel auch unter die genannte engere Definition der zweiten Vorgabe des
Merkmals 6.2 fallen. Denn bei diesem ist der Anschlag so ausgebildet, dass er
den Zusammenbau dadurch ermöglicht, dass er als eine an der Fassung aus-
gebildete, radial nach innen ragende federnde Zunge verwirklicht ist, die beim
Einschrauben des Abstandshalters (18) zunächst nach innen gebogen wird, so
dass sie diesem zunächst ausweicht, und beim weiteren Einschrauben des Ab-
standshalters entlang des Außengewindes gleitet, bis sie schließlich über die
Schulter (34) hinweggleitet und wieder in ihre ursprüngliche Position zurückfe-
dern kann, in der sie als Anschlag für die Schulter (34) wirksam ist (vgl.
Abs. 21).
Das in Figur 2 gezeigte zweite erfindungsgemäße Ausführungsbeispiel
lässt sich jedoch allein unter das weite Verständnis der zweiten Vorgabe des
Merkmals 6.2 subsumieren, bei dem der Anschlag durch einen starren Vor-
sprung (54) verwirklicht ist, der dem Zusammenbau von Abstandshalter und
Basisteil nur deshalb nicht entgegensteht, weil der Abstandshalter (18) von
rechts in Figur 2 in die Gewindebuchse eingeschraubt werden kann, nachdem
zuvor die Gewindebuchse (24) des Basisteils (16) mit dem Abstandshalter ver-
schraubt und danach die Gewindebuchse (24) in die Fassung (26) des Basis-
teils (16) gepresst worden ist (Abs. 25).
Dies erfolgt im Übrigen unabhängig davon, ob der Abstandshalter (18)
- wie in den Figuren 2 und 3 gezeigt - auch noch über einen Flansch (40) mit
einer Ausnehmung (56) verfügt, durch die der Anschlag (54) hindurchtreten
kann (Abs. 25), da lediglich optional vorgesehen ist, dass der Abstandshalter
einen solchen Flansch (40) aufweist (vgl. Unteransprüche 4 und 5).
Damit steht allein das Verständnis von Merkmal 6.2, dass der Anschlag
an der Fassung so ausgebildet sein muss, dass er dem Zusammenbau von Ab-
standshalter und Basisteil nicht entgegensteht, in Einklang mit der Beschrei-
bung und den Zeichnungen des Streitpatents, so dass dieses Verständnis
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maßgeblich ist, da weder dem Patentanspruch noch der Beschreibung oder den
Zeichnungen dieser Auslegung entgegenstehende Anhaltspunkte zu entneh-
men sind.
II. Die Annahme des Patentgerichts, der Gegenstand des erteilten Pa-
tentanspruchs 1 gehe nicht über den Offenbarungsgehalt der Ursprungsanmel-
dung hinaus, hält den Angriffen der Berufung stand.
1. Das Patentgericht hat zur Begründung ausgeführt, der Patentinhaber
habe die Teilmerkmale "eine Gewindebuchse aus Metall und eine Fassung aus
Kunststoff" bzw. "eine Gewindebuchse aus Metall, die im Presssitz in einer
Fassung aus Kunststoff gehalten ist" aus den Patentansprüchen 3 und 4 der
Ursprungsanmeldung in Patentanspruch 1 des Streitpatents aufnehmen dürfen,
ohne zugleich den Anschlag des Basisteils auf starre und federnde Ausgestal-
tungen zu beschränken, obwohl diese Merkmale ebenfalls in Patentanspruch 3
("federnde Zunge", die "an der Fassung ausgebildet ist") und Patentanspruch 4
("Anschlag", der "starr an der Fassung ausgebildet ist") der Ursprungsanmel-
dung enthalten gewesen seien. Es sei zulässig, von mehreren Merkmalen eines
Ausführungsbeispiels nur einzelne in den Patentanspruch aufzunehmen, wenn
der Fachmann die beanspruchte Gesamtkombination den ursprünglichen Unter-
lagen als mögliche Ausgestaltung der Erfindung habe entnehmen können. Das
sei im Streitfall gegeben, weil der Fachmann keinen Grund für die Annahme
gehabt habe, dass die Ausgestaltung des Basisteils mit einer im Presssitz in
einer Kunststofffassung gehaltenen Gewindebuchse des Basisteils technisch
nur dann einen Sinn ergebe, wenn der Anschlag an der Fassung als Federele-
ment oder als starrer Vorsprung ausgebildet sei. Vielmehr sei ein "erst nach
Zusammenbau von Abstandshalter und Basisteil wirksam werdender Anschlag"
ganz allgemein in Patentanspruch 1 der Ursprungsanmeldung offenbart.
2. Die dagegen von der Berufung vorgetragenen Beanstandungen grei-
fen nicht durch.
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a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind bei der Aus-
schöpfung des Offenbarungsgehalts der Ursprungsanmeldung Verallgemeine-
rungen der Ausführungsbeispiele zulässig, wenn sich ein in der Anmeldung be-
schriebenes Ausführungsbeispiel der Erfindung für den Fachmann als Ausge-
staltung der im Anspruch umschriebenen allgemeineren Lehre darstellt und die-
se Lehre in der beanspruchten Allgemeinheit für ihn bereits der Anmeldung als
zur Erfindung gehörend entnehmbar ist. Das gilt auch dann, wenn von mehre-
ren Merkmalen eines Ausführungsbeispiels, die zusammengenommen, aber
auch für sich betrachtet dem erfindungsgemäßen Erfolg förderlich sind, nur ei-
nes oder nur einzelne in den Anspruch aufgenommen worden sind (BGH, Urteil
vom 11. Februar 2014 - X ZR 107/12, BGHZ 200, 63 Rn. 23 = GRUR 2014, 542
Rn. 24 - Kommunikationskanal; Urteil vom 17. Februar 2015 - X ZR 161/12,
GRUR 2015, 573 Rn. 29 - Wundbehandlungsvorrichtung; Urteil vom 7. Novem-
ber 2017 - X ZR 63/15, GRUR 2018, 175 Rn. 30 - Digitales Buch).
b) Danach ist es nicht zu beanstanden, dass das Patentgericht eine un-
zulässige Erweiterung des Gegenstands von Patentanspruch 1 über den Offen-
barungsgehalt der Ursprungsanmeldung hinaus verneint hat.
In den beiden Ausführungsbeispielen der Ursprungsanmeldung weist das
Basisteil eine Gewindebuchse aus Metall auf, die im Presssitz in einer Fassung
aus Kunststoff gehalten ist (Anmeldung, S. 3, Z. 23 ff.; S. 5, Z. 28 ff., Figuren 1
und 2; vgl. auch Patentansprüche 3 und 4). In dem ersten Ausführungsbeispiel
wird der Anschlag durch eine an der Fassung (26) ausgebildete federnde Zun-
ge (38) gebildet (Anmeldung, S. 4, Z. 6 ff.). In dem zweiten Ausführungsbeispiel
wird der Anschlag durch einen an der Fassung (26) ausgebildeten starren Vor-
sprung (54) gebildet.
Im Hinblick darauf, dass der Anschlag in den Ausführungsbeispielen der
Ursprungsanmeldung sowohl in der Ausgestaltung als federnde Zunge (38), als
auch in der Ausgestaltung als starrer Vorsprung (54) an der Fassung (26) des
Basisteils ausgebildet ist, offenbart es sich dem Fachmann, dass der Anschlag
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allgemein an der Fassung vorgesehen sein kann, zumal die Beschreibung ganz
allgemein einen "Anschlag des Basisteils" vorsieht (S. 2, Z. 11).
Der Beschreibung und Patentanspruch 1 der Ursprungsoffenbarung ent-
nimmt er zudem, dass die Erfindung darauf ausgerichtet ist, die durch die Be-
grenzung der Bewegung des Abstandshalters relativ zum Basisteil in eine Rich-
tung durch eine am Ende des Gewindeabschnitts des Abstandshalters gebilde-
te Schulter, die mit dem Anschlag des Basisteils zusammenwirkt, verwirklichte
Verliersperre erst nach dem Zusammenbau von Abstandshalter und Basisteil
wirksam werden zu lassen (vgl. Anmeldung, S. 2, Z. 7 ff.; Patentanspruch 1).
Liest er vor diesem Hintergrund die beiden Ausführungsbeispiele, erschließt es
sich ihm ohne weiteres, dass es dem erfindungsgemäßen Erfolg förderlich ist,
wenn der Anschlag einem Zusammenbau von Basisteil und Abstandshalter vor
seinem Wirksamwerden als Verliersperre nicht entgegensteht und dies nicht nur
dann gilt, wenn der Anschlag als federnde Zunge (38) oder als starrer Vor-
sprung (54) ausgebildet ist.
III. Auch die Entscheidung des Patentgerichts, der Gegenstand des
Streitpatents sei patentfähig, hält der Überprüfung im Berufungsverfahren
stand.
1. Das Patentgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im We-
sentlichen folgendes ausgeführt:
Der Gegenstand von Patentanspruch 1 sei neu.
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Die europäische Patentanmeldung 955 479 (D2) zeige in den - nachfol-
gend wiedergegebenen - Figuren 6 und 7 eine Ausgestaltung, bei der durch
mehrere Schultern (70) auf Höhe des unteren Endes des Gewindeabschnitts
des Abstandshal-
ters (22) auf der
gegenüberliegen-
den Seite des Ge-
windeabschnitts
die maximale Aus-
fahrbewegung
in
Verbindung
mit
hierzu komplementären Anschlägen (72) am Basisteil (68) axial begrenzt wer-
de. Der in der D2 offenbarte Abstandshalter unterscheide sich von dem erfin-
dungsgemäßen Abstandshalter dadurch, dass er nicht mit dem Basisteil in Ge-
windeeingriff stehe, sondern in ein zusätzliches Stellelement, den Gewindering
(38), eingreife. Erst dieser stehe dann mit dem Basisteil (68) bzw. deren Ge-
windebuchse (20) über einen weiteren Gewindeeingriff in Verbindung. Bei der
D2 bilde die Verbindungsschraube nicht mit dem Basisteil, sondern mit dem
Klemmteil des Gewinderings (38) eine Reibschlussverbindung. Zudem sei bei
der D2 die metallische Gewindebuchse (20) in die Kunststofffassung (68) ein-
gespritzt und nicht eingepresst.
Zudem beruhe der Gegenstand von Patentanspruch 1 auf einer erfinde-
rischen Tätigkeit.
Die deutsche Offenlegungsschrift 42 24 575 (D1) offenbare zwar die
Merkmalsgruppen 1 bis 4 mit Ausnahme einer aus Metall gefertigten Gewinde-
buchse, wobei es sich insoweit nur um eine im Ermessen des Fachmanns ste-
hende Materialauswahl handele. Zudem könne der Fachmann veranlasst ge-
wesen sein, bei der Vorrichtung nach der D1 eine Ausfahrbegrenzung vorzuse-
hen, zumal ihm der Gedanke einer Verliersicherung unter anderem aus der D2
bekannt gewesen sei. Einer Übertragung der aus der D2 bekannten Verliersi-
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cherung mit an der Innenseite der Fassung (68) nach innen gerichteten An-
schlägen (72), die mit an der Außenseite des Abstandshalters (22) angebrach-
ten Gegenanschlägen (70) zusammenwirken, komme jedoch nicht in Betracht,
da das Außengewinde des Abstandshalters (5) der D1 und ein entsprechend
der Verliersicherung der D2 vorgesehener, nach innen ragender Anschlag der
Fassung miteinander kollidieren könnten und sich nicht ohne zusätzliche Maß-
nahmen kombinieren ließen. Der Fachmann erhalte aus der D2 zwar eine An-
regung, eine Verliersicherung mittels Anschlägen vorzusehen, jedoch keinen
Hinweis, der ihm eine erfindungsgemäße Ausgestaltung nahegelegt habe.
Auch der weiterhin von der Klägerin vorgelegte Stand der Technik habe
den Fachmann nicht zu der Lösung des Streitpatents führen können.
2. Die Begründung des Patentgerichts hält den Angriffen der Berufung
stand.
a) Die erfindungsgemäße Lehre ist neu.
Der Gegenstand von Patentanspruch 1 ist der D2 nicht zu entnehmen.
(1) Es fehlt an einer Offenbarung des Merkmals 3.1 (Merkmal 3).
Bei der in den Figuren 6 und 7 der D2 gezeigten Vorrichtung übernimmt
der "Stützkörper 22" die Funktion eines Abstandshalters im erfindungsgemäßen
Sinne, da er sich beim Einschrauben der Gewindeschraube (Verbindungs-
schraube 14) - gegenläufig zu dieser - in Richtung des "anderen Bauteils" (Bau-
teil 12) bewegt, bis dieses zwischen dem Stützkörper (22) und der Unterleg-
scheibe (16) eingespannt ist und dadurch abgestützt wird (D2, Sp. 3, Z. 19 ff.;
das gilt auch für das in den Figuren 6 und 7 gezeigte Ausführungsbeispiel).
Das Basisteil wird durch die Gewindebuchse aus Metall (Stützkörper 20)
und das Gehäuse aus Kunststoff (68) gebildet, in das die Gewindebuchse ein-
gespritzt ist (D2, Sp. 5, Z. 20 ff.). Der Stützkörper (20) ist zur Anordnung an
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dem "einen Bauteil" (Bauteil 10) ausgebildet (vgl. D2, Sp. 3, Z. 11 ff.; Figuren 1
und 2).
Zwischen dem Abstandshalter (Stützkörper 22) und dem Basisteil (Stütz-
körper 20 und Gehäuse 68) ist der Gewindering (38) als ein weiteres Stellele-
ment angeordnet. Bei der in der D2 offenbarten Vorrichtung stehen also nicht
der Abstandshalter und das Basisteil in Gewindeeingriff, sondern greifen einer-
seits die Gewinde des Abstandshalters und des Gewinderings (38) und ande-
rerseits die Gewinde des Gewinderings und des Basisteils ineinander, so dass
es an einer Offenbarung des Merkmals 3.1 fehlt.
(2) Zudem ist die Verbindungsschraube (14) bei der D2 nicht - wie in
Merkmal 4.1 - reibschlüssig durch den Abstandshalter (Stützkörper 22), son-
dern durch den Gewindering (38) gesteckt.
(3) Bei der Vorrichtung nach den Figuren 6 und 7 der D2 sind schließlich
die Schultern (vorspringende Zähne 70) des Abstandshalters (22), die an die
Anschläge (Lippen 72) des Basisteils (68, 20) stoßen, wenn der Abstandshalter
seinen maximalen Ausfahrweg erreicht hat, entgegen Merkmal 5.1.1 nicht am
Ende des Gewindeabschnitts des Abstandshalters gebildet. Wie ausgeführt,
definiert die in der Merkmalsgruppe 5 gewählte Formulierung "einer am Ende
des Gewindeabschnitts des Abstandshalters gebildeten Schulter" nicht allge-
mein eine Lage der Schulter in der Umgebung des Endes des Gewindeab-
schnitts, sondern legt eine Anordnung der Schulter als Bestandteil des Ab-
standshalters in axialer und radialer Ausrichtung nach dem Gewindeabschnitt
fest. Demgegenüber befinden sich die Schultern (70) bei der in den Figuren 6
und 7 der D2 gezeigten Vorrichtung auf der dem Gewindeabschnitt gegenüber-
liegenden Seite des Abstandshalters (22).
(4) Der Gegenstand von Patentanspruch 1 offenbarte sich dem Fach-
mann auch dann nicht aus der D2, wenn zugunsten der Klägerin angenommen
wird, dass der Gewindering (38) als Teil des Basisteils (Stützkörper 20 und Ge-
häuse 68) oder des Abstandshalters (Stützkörper 22) angesehen werden kann,
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so wie dies in der Berufungsbegründung auf den Seiten 12 und 13 durch Kolo-
rierung der Figur 7 der D2 veranschaulicht worden ist.
Wird der Gewindering (38) - entsprechend der ersten Alternative - dem
aus dem Stützkörper (20) und Gehäuse (68) gebildeten Basisteil zugeordnet,
fehlt es - entsprechend den obigen Ausführungen - weiterhin an einer Offenba-
rung der Merkmale 4.1 sowie 5.1.1, weil die Verbindungsschraube dann reib-
schlüssig durch das Basisteil und nicht den Abstandshalter gesteckt ist und die
Schulter (vorspringende Zähne 70) nicht auf der Seite und damit am Ende des
Gewindeabschnitts des Abstandshalters gebildet ist, sondern auf der gegen-
überliegenden Seite des Abstandshalters.
Wird der Gewindering (38) hingegen - entsprechend der zweiten Alterna-
tive - dem Stützkörper (22) als Abstandshalter zugeordnet, fehlt es an einer Of-
fenbarung des Merkmals 5.1.1, da die als erfindungsgemäße Schulter in Be-
tracht kommenden vorspringenden Zähne (70) weder in axialer noch in radialer
Ausrichtung am Ende des Gewindeabschnitts des Abstandshalters gebildet
sind.
b) Der Gegenstand von Patentanspruch 1 war auch nicht nahegelegt.
Insoweit kann zur Begründung auf die zutreffenden Ausführungen des
Patentgerichts verwiesen werden.
Diesen Ausführungen ist die Klägerin allein noch mit dem Argument ent-
gegengetreten, dass, wenn Merkmal 2.2.1 dahin auszulegen sei, dass die Ge-
windebuchse in die Fassung eingepresst worden sein müsse, es für den Fach-
mann jedenfalls naheliegend gewesen sei, den in der D2 offenbarten Stützkör-
per (20) in das Kunststoffgehäuse (68) einzupressen, statt diesen, wie in der D2
offenbart, in das Kunststoffgehäuse (68) einzuspritzen.
Selbst wenn der Klägerin in dieser Argumentation gefolgt würde, fehlte
es an einer Anregung für die - wie erläutert - in der D2 nicht offenbarten Merk-
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male 3.1, 4.1 und 5.1.1, so dass der Gegenstand des Patentanspruchs 1 dem
Fachmann durch die D2 auch unter Berücksichtigung des weiter vorgetragenen
Standes der Technik nicht nahegelegt worden ist.
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 PatG und § 97
Abs. 1 ZPO.
Meier-Beck
Gröning
Grabinski
Deichfuß
Kober-Dehm
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 09.11.2016 - 7 Ni 13/15 (EP) -
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