Urteil des BGH vom 04.09.2018

Leitsatzentscheidung

ECLI:DE:BGH:2018:040918BVIIIZB70.17.0
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
VIII ZB 70/17
vom
4. September 2018
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
ZPO § 233 B, Fd, Ff
a) Bei Stellung eines Fristverlängerungsantrags muss als zusätzliche Fristensi-
cherung auch das hypothetische Ende der beantragten Fristverlängerung bei
oder alsbald nach Einreichung des Verlängerungsantrags im Fristenbuch
eingetragen, als vorläufig gekennzeichnet und rechtzeitig, spätestens nach
Eingang der gerichtlichen Mitteilung überprüft werden, damit das wirkliche
Ende der Frist festgestellt werden kann. Zugleich mit der Eintragung des be-
antragten (voraussichtlichen) Fristenendes ist hierfür auch eine Vorfrist ein-
zutragen (im Anschluss an BGH, Beschlüsse vom 14. Juli 1999 - XII ZB
62/99, NJW-RR 1999, 1663 unter II 1, 2; vom 22. März 2011 - II ZB 19/09,
NJW 2011, 1598 Rn. 12, 14, 16).
b) Dem Prozessbevollmächtigten einer Partei ist ein - ihr zuzurechnendes - Ver-
schulden an der Fristversäumung dann nicht anzulasten, wenn zwar die all-
gemeinen organisatorischen Vorkehrungen oder Anweisungen für eine Frist-
wahrung unzureichend sind, er aber einer Kanzleikraft, die sich bislang als
zuverlässig erwiesen hat, eine konkrete Einzelanweisung erteilt, die bei Be-
folgung die Fristwahrung gewährleistet hätte (im Anschluss an BGH, Be-
schlüsse vom 20. März 2012 - VIII ZB 41/11, NJW 2012, 1737 Rn. 10; vom
10. September 2013 - VI ZB 61/12, NJW-RR 2013, 1467 Rn. 9 mwN; vom
25. Februar 2016 - III ZB 42/15, NJW 2016, 1742 Rn. 12 mwN; vom 13. Juli
2017 - IX ZB 110/16, NJW-RR 2017, 1142 Rn. 15; vom 12. Juni 2018 - II ZB
23/17, juris Rn. 14 mwN). Gleiches gilt, wenn die konkrete Einzelanweisung
zwar nicht allein, jedoch in Verbindung mit einer allgemein bestehenden - für
sich genommen unzureichenden - Anweisung im Falle der Befolgung beider
Anordnungen geeignet gewesen wäre, die Fristversäumung zu verhindern.
BGH, Beschluss vom 4. September 2018 - VIII ZB 70/17 - LG Mainz
AG Mainz
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Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 4. September 2018 durch
die Vorsitzende Richterin Dr. Milger, die Richterin Dr. Fetzer sowie die Richter
Dr. Bünger, Kosziol und Dr. Schmidt
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss der
3. Zivilkammer des Landgerichts Mainz vom 27. November 2017
aufgehoben.
Der Klägerin wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen
die Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung gegen
das Urteil des AmtsgerichtsMainz vom 8. Juni 2017 gewährt.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten
des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zu-
rückverwiesen.
Gegenstandswert der Rechtsbeschwerde:
762,08 €.
Gründe:
I.
Die Klägerin war bis Ende April 2016 Mieterin einer Wohnung des Be-
klagten in G. . Nach ihrem Auszug verrechnete der Beklagte die
von ihr geleistete Kaution mit Kosten für verschiedene Renovierungsarbeiten.
Das Amtsgericht hat mit - dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am
19. Juni 2017 zugestelltem - Urteil vom 8. Juni 2017 deren Klage auf Rückzah-
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lung eines restlichen Kaution
sbetrags von 762,08 € abgewiesen. Hiergegen hat
der Prozessbevollmächtigte der Klägerin fristgerecht beim Landgericht Beru-
fung eingelegt. Auf den am 16. August 2017 beim Landgericht weiter eingegan-
genen Antrag der Klägerin, die Berufungsbegründungsfrist bis zum 21. Sep-
tember 2017 zu verlängern, hat der Vorsitzende der Berufungskammer - unter
Abweisung des Gesuchs im Übrigen - die Begründungsfrist bis zum 19. Sep-
tember 2017 verlängert. Diese als Beschluss bezeichnete Verfügung ist dem
Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 21. August 2017 zugestellt worden.
Mit Verfügung vom 21. September 2017 - dem Prozessbevollmächtigten
der Klägerin am 25. September 2017 zugestellt - hat der Vorsitzende der Beru-
fungskammer darauf hingewiesen, dass innerhalb der Begründungsfrist eine
Berufungsbegründung nicht eingegangen ist.
Hierauf hat die Klägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten mit am
9. Oktober 2017 eingegangenem Schriftsatz vom 6. Oktober 2017 Wiederein-
setzung in die am 19. September 2017 abgelaufene Berufungsbegründungsfrist
beantragt und zugleich das Rechtsmittel begründet. Zur Begründung ihres Wie-
dereinsetzungsgesuchs hat sie im Wesentlichen ausgeführt und durch Vorlage
einer eidesstattlichen Versicherung der Mitarbeiterin ihres Prozessbevollmäch-
tigten, durch anwaltliche Versicherung und durch Vorlage einer Kopie des
Schreibens des Landgerichts vom 18. August 2017, das mit einer schriftlichen
Verfügung ihres Prozessbevollmächtigten versehen ist, glaubhaft gemacht:
Das Büro ihres Prozessbevollmächtigten sei so organisiert, dass einge-
hende Fristsachen zunächst mit einem Posteingangsstempel versehen und an-
schließend mit der zugehörigen Akte dem Rechtsanwalt vorgelegt würden. Bei
diesem Stempel seien rund um die Datumsangabe verschiedene Felder vorge-
sehen, auf denen der Prozessbevollmächtigte der Klägerin dann durch Ankreu-
zen oder Einkreisung auswählen könne, was mit der Akte geschehen solle. Un-
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ter diesen Auswahlmöglichkeiten befinde sich auch das Feld "Frist notieren",
das dieser in solchen Fällen markiere und zur weiteren Bearbeitung in sein Sek-
retariat zurückgebe. Anschließend trage die ausgesprochen zuverlässige und
gewissenhafte Mitarbeiterin des Prozessbevollmächtigten der Klägerin, Frau
N. Q. , die zu notierende Frist in einen handschriftlich geführten
Fristenkalender sowie in den elektronischen Fristenkalender der Kanzleisoft-
ware ein. Außerdem werde eine Wiedervorlage notiert, die in der Regel von
ihrem Prozessbevollmächtigten so gewählt sei, dass die Akte spätestens eine
Woche vor Fristablauf dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin wieder vorge-
legt werde.
Den Posteingang vom 21. August 2017, darunter auch den Fristverlänge-
rungsbeschluss des Landgerichts vom 17. August 2017, habe die Kanzleimitar-
beiterin Q. am Folgetag bearbeitet. Dem allgemeinen Ablauf folgend sei
die Akte dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin noch am selben Tag vorge-
legt und von ihm mit der Verfügung versehen worden, den Beschluss der Klä-
gerin per E-Mail zu übermitteln, die Frist zu notieren und ihm anschließend die
Akte in zwei Wochen wieder vorzulegen. Entgegen seiner Anordnung seien je-
doch weder die Frist zur Berufungsbegründung noch die verfügte Wiedervorla-
ge notiert worden. Frau Q. sei davon ausgegangen, sämtliche Verfü-
gungen des Prozessbevollmächtigten der Klägerin weisungsgemäß ausgeführt
zu haben und habe wohl angenommen, die im Fristenkalender enthaltenen Ein-
tragungen für den 19. September 2017 beträfen die vorliegende Angelegenheit.
Das Landgericht hat mit Beschluss vom 27. November 2017 den Antrag
der Klägerin auf Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist
zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Es sieht ein der
Klägerin gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Verschulden in einer unter-
lassenen Organisation von Fristsachen darin, dass für sämtliche Fristsachen
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- auch für eine innerhalb einer beantragten Fristverlängerung zu fertigende Be-
rufungsbegründung - eine Vorfrist einzutragen sei. Die vom Prozessbevoll-
mächtigten der Klägerin auf das Ende des beantragten Verlängerungszeitraums
vorgesehene Wiedervorlage von zwei Wochen habe als Vorkehrung gegen eine
Fristversäumung nicht ausgereicht, weil hierdurch nicht sichergestellt gewesen
sei, dass die Berufungsbegründung noch am Tag der Wiedervorlage fertigge-
stellt werde, und der Prozessbevollmächtigte der Klägerin auch nicht auf die
Gewährung einer weiteren Fristverlängerung habe vertrauen dürfen. Vorliegend
habe der Prozessbevollmächtigte der Klägerin lediglich eine allgemeine Anwei-
sung geschildert, die eine Vorfrist nicht vorgesehen habe. Wäre aber die Vor-
frist notiert worden, hätte er bei der Fristenkontrolle festgestellt, dass die Frist
nur bis zum 19. September 2017 gelaufen wäre. Dagegen wendet sich die Klä-
gerin mit ihrer Rechtsbeschwerde.
II.
Die zulässige Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
1. Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2
Satz 1 ZPO statthafte und auch den Form- und Fristerfordernissen genügende
Rechtsbeschwerde ist zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Recht-
sprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574
Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Die angefochtene Entscheidung verletzt die Verfahrens-
grundrechte der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1
GG) und wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem
Rechtsstaatsprinzip). Danach darf einer Partei die Wiedereinsetzung in den vo-
rigen Stand nicht aufgrund von Anforderungen an die Sorgfaltspflichten ihres
Prozessbevollmächtigten versagt werden, die nach höchstrichterlicher Recht-
sprechung nicht verlangt werden beziehungsweise die den Parteien den Zu-
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gang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer,
aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschweren (st. Rspr.;
vgl. nur BVerfG, AnwBl 2015, 976, 977 mwN; Senatsbeschlüsse vom 4. No-
vember 2014 - VIII ZB 38/14, NJW 2015, 253 Rn. 6; vom 1. März 2016 - VIII ZB
57/15, NJW 2016, 2042 Rn. 12; vom 12. Juli 2016 - VIII ZB 55/15, WuM 2016,
632 Rn. 1; vom 9. Mai 2017 - VIII ZB 69/16, NJW 2017, 2041 Rn. 9). Darüber
hinaus hat das Berufungsgericht - wie die Rechtsbeschwerde zutreffend geltend
macht - den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör auch dadurch verletzt,
dass es den Vortrag der Klägerin zur gesetzten Wiedervorlagefrist inhaltlich
nicht hinreichend erfasst hat.
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Die Klägerin hat zwar die
(verlängerte) Berufungsbegründungsfrist versäumt. Ihr ist jedoch auf ihren
rechtzeitig und ordnungsgemäß gestellten Antrag (§ 234 Abs. 1 Satz 2, § 236
Abs. 2 ZPO) hin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, weil sie
ohne ein eigenes oder ihr zuzurechnendes Verschulden ihres Prozessbevoll-
mächtigen (§ 85 Abs. 2 ZPO) daran gehindert war, die Frist zur Begründung
ihrer Berufung einzuhalten (§ 233 ZPO). Das Berufungsgericht hat bei seiner
abweichenden Beurteilung das - glaubhaft gemachte - Vorbringen der Klägerin
zum Ablauf der Bearbeitung der streitgegenständlichen Fristsache in seinem
Inhalt nicht hinreichend erfasst und die Anforderungen an die Sorgfaltspflichten
eines Rechtsanwalts überspannt.
a) Noch zutreffend hat das Berufungsgericht angenommen, dass der am
9. Oktober 2017 eingegangene Schriftsatz die Frist zur Begründung der Beru-
fung nicht gewahrt hat, denn die vom Vorsitzenden der Berufungskammer ver-
längerte Berufungsbegründungsfrist endete mit Ablauf des 19. September
2017. Da die Berufungsbegründung erst am 9. Oktober 2017 beim Berufungs-
gericht eingegangen ist, wäre eine Fristversäumung selbst dann eingetreten,
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wenn der Vorsitzende - wie vom Prozessbevollmächtigten entsprechend der
ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (siehe nur BGH, Beschlüs-
se vom 15. August 2007 - XII ZB 82/07, NJW-RR 2008, 76 Rn. 7 f.; vom
10. März 2009 - VII ZB 87/08, NJW-RR 2010, 209 Rn. 6) beantragt - die Be-
gründungsfrist bis zum 21. September 2017 verlängert hätte.
b) Das Berufungsgericht hat jedoch rechtsfehlerhaft der Klägerin eine
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungs-
begründungsfrist versagt. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat zwar
- entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde - nicht die von ihm nach
höchstrichterlicher Rechtsprechung zu verlangenden allgemeinen organisatori-
schen Vorkehrungen gegen eine Fristversäumung getroffen. Er hat jedoch eine
Einzelanweisung gegeben, die in Verbindung mit der bestehenden allgemeinen
Organisation des Fristenwesens geeignet war, eine Versäumung der Beru-
fungsbegründungsfrist zu verhindern, wenn sie von der Kanzleimitarbeiterin
ordnungsgemäß ausgeführt worden wäre.
aa) Ein Rechtsanwalt hat nach ständiger Rechtsprechung des Bundes-
gerichthofs durch organisatorische Vorkehrungen sicherzustellen, dass ein
fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig gefertigt und innerhalb der laufenden
Frist beim zuständigen Gericht eingeht. Hierzu hat er grundsätzlich sein Mög-
lichstes zu tun, um Fehlerquellen bei der Eintragung und Behandlung von
Rechtsmittel- und Rechtsmittelbegründungsfristen auszuschließen (st. Rspr.;
vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 4. November 2014 - VIII ZB 38/14, aaO Rn. 8;
vom 22. September 2015 - XI ZB 14/14, juris Rn. 11; vom 29. September 2016
- I ZB 31/16, juris Rn. 11; vom 9. Mai 2017 - VIII ZB 5/16, NJW-RR 2017, 953
Rn. 8; jeweils mwN). Ein bestimmtes Verfahren ist insoweit zwar weder vorge-
schrieben noch allgemein üblich (BGH, Urteil vom 21. Dezember 1988 - VIII ZR
84/88, NJW 1989, 2393 unter II 2; Beschlüsse vom 9. Dezember 2009 - XII ZB
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154/09, VersR 2011, 89 Rn. 15; vom 13. Juli 2010 - VI ZB 1/10, NJW 2011, 151
Rn. 6; vom 27. Januar 2015 - II ZB 21/13, NJW 2015, 2038 Rn. 7; jeweils
mwN). Auf welche Weise der Rechtsanwalt sicherstellt, dass die Eintragung im
Fristenkalender und die Wiedervorlage der Handakten rechtzeitig erfolgen,
steht ihm grundsätzlich frei (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 9. De-
zember 2009 - XII ZB 154/09, aaO; vom 13. Juli 2013 - VI ZB 1/10, aaO; vom
28. Mai 2013 - VI ZB 6/13, NJW 2013, 2821 Rn. 9; vom 27. Januar 2015 - II ZB
21/13, aaO; vom 29. September 2016 - I ZB 31/16, aaO). Sämtliche organisato-
rischen Maßnahmen müssen aber so beschaffen sein, dass auch bei unerwar-
teten Störungen des Geschäftsablaufs, etwa durch Überlastung oder Erkran-
kung der zuständigen Angestellten, Verzögerungen der anwaltlichen Bearbei-
tung oder ähnliche Umstände, bei Anlegung eines äußersten Sorgfaltsmaßsta-
bes die Einhaltung der anstehenden Frist gewährleistet ist (BGH, Beschlüsse
vom 13. Juli 2010 - VI ZB 1/10, aaO; vom 27. Januar 2015 - II ZB 21/13, aaO;
jeweils mwN).
(1) Hiervon ausgehend darf der Rechtsanwalt zwar die Berechnung und
Notierung von Fristen einer gut ausgebildeten, als zuverlässig erprobten und
sorgfältig überwachten Bürokraft übertragen. Jedoch hat er durch geeignete
organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass die Fristen zuverlässig
festgehalten und kontrolliert werden (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom
25. September 2014 - III ZR 47/14, NJW 2014, 3452 Rn. 8; Senatsbeschlüsse
vom 5. Februar 2003 - VIII ZB 115/02, NJW 2003, 1815 unter II 3 a; vom
22. Juni 2010 - VIII ZB 12/10, NJW 2010, 3305 Rn. 9; jeweils mwN). Weiter hat
er seine Tätigkeit für die Partei so einzurichten, dass auch mögliche Unregel-
mäßigkeiten und Zwischenfälle, sofern sie nicht außerhalb des Bereichs der
vernünftigerweise anzustellenden Berechnungen liegen, kein Hindernis für die
Wahrung der Frist bilden. Deshalb muss in der Organisation des Fristenwesens
einer Anwaltskanzlei gewährleistet sein, dass außer der eigentlichen Rechtsmit-
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telbegründungsfrist auch eine Vorfrist notiert wird, mit der sichergestellt werden
soll, dass dem sachbearbeitenden Rechtsanwalt für die Fertigung der Rechts-
mittelschrift oder Rechtsmittelbegründung hinreichend Zeit verbleibt (st. Rspr.;
vgl. BGH, Beschlüsse vom 19. Juli 2011 - X ZR 16/11, juris Rn. 16; vom 9. Mai
2017 - VIII ZB 5/16, aaO; jeweils mwN).
(2) Für den Fall eines Fristverlängerungsantrags bestehen zusätzliche
Anforderungen an das Fristenwesen. In diesen Fällen muss als zusätzliche
Fristensicherung auch das hypothetische Ende der beantragten Fristverlänge-
rung bei oder alsbald nach Einreichung des Verlängerungsantrags im Fristen-
buch eingetragen, als vorläufig gekennzeichnet und rechtzeitig, spätestens
nach Eingang der gerichtlichen Mitteilung überprüft werden, damit das wirkliche
Ende der Frist festgestellt werden kann (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse
vom 14. Juli 1999 - XII ZB 62/99, NJW-RR 1999, 1663 unter II 1; vom 13. Juli
2010 - VI ZB 1/10, aaO; vom 22. März 2011 - II ZB 19/09, NJW 2011, 1598
Rn. 12; vom 28. Mai 2013 - VI ZB 6/13, aaO; vom 22. September 2015 - XI ZB
14/14, aaO Rn. 14; jeweils mwN). Zugleich mit der Eintragung des beantragten
(voraussichtlichen) Fristenendes ist hierfür auch eine Vorfrist einzutragen (BGH,
Beschlüsse vom 14. Juli 1999 - XII ZB 62/99, aaO unter II 2; vom 22. März
2011 - II ZB 19/09, aaO Rn. 14, 16). Auf diese Weise kann die Fristwahrung in
der Regel selbst dann gewährleistet werden, wenn die Eintragung der ursprüng-
lichen Frist versehentlich gelöscht worden und die Eintragung der verlängerten
Frist versehentlich unterblieben ist (BGH, Beschluss vom 22. März 2011 - II ZB
19/09, aaO).
bb) Diese Anforderungen hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin
nicht in vollem Umfang beachtet.
(1) Nach dem glaubhaft gemachten Vorbringen der Klägerin besteht in
der Kanzlei ihres Prozessbevollmächtigten die Handhabung, dass dieser jeweils
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nach Eingang eines fristgebundenen Schriftstücks die Eintragung der Frist ver-
fügt und zugleich die Anweisung gibt, eine von ihm konkret bestimmte Wieder-
vorlagefrist zu notieren, die in der Regel so gewählt ist, dass ihm die Akte spä-
testens eine Woche vor Fristablauf wieder vorgelegt wird. Es fehlt damit an ei-
ner allgemeinen Anweisung bezüglich der Eintragung von laufenden Rechtsmit-
tel- oder Rechtsmittelbegründungsfristen und sich hierauf beziehenden Vorfris-
ten. Die zuständige Mitarbeiterin wird in Fristsachen erst tätig, wenn der Pro-
zessbevollmächtigte der Klägerin im Rahmen einer Einzelanweisung die Eintra-
gung der Frist und der Wiedervorlagefrist verfügt hat.
(a) Dies ist zwar entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerdeerwide-
rung nicht bereits deswegen zu beanstanden, weil anstelle einer Vorfrist eine
- vor Fristablauf vorzunehmende - Wiedervorlage gewählt worden ist. Denn die
Verfügung einer Wiedervorlage stellt nichts anderes dar als die Anweisung, die
Akte zu einem bestimmten Zeitpunkt dem Prozessbevollmächtigten vorzulegen.
Sie soll letztlich - ebenso wie eine Vorfrist - dazu dienen, dass die Akte dem
Prozessbevollmächtigten der Klägerin rechtzeitig zur Bearbeitung vorgelegt
wird. Damit erfüllt auch sie, sofern - wie hier vorgetragen und glaubhaft ge-
macht - die Weisung besteht, sie einzutragen, den einer Vorfrist zukommenden
Zweck, dem sachbearbeitenden Rechtsanwalt zu ermöglichen, sich rechtzeitig
auf die bevorstehende Fertigung der Rechtsmittelbegründung einzustellen (vgl.
Senatsbeschluss vom 9. Mai 2017 - VIII ZB 5/16, aaO mwN).
(b) Die Festlegung und Eintragung des Wiedervorlagedatums ist vorlie-
gend jedoch - anders als dies regelmäßig bei einer generell bestimmten und
von der zuständigen Kanzleikraft ohne das Erfordernis weiterer Weisungen ein-
zutragenden Vorfrist der Fall ist - von einer zusätzlichen Einzelverfügung des
Prozessbevollmächtigen der Klägerin abhängig, der in jeder Fristsache die
Länge der Wiedervorlagefrist bestimmt. Dass und welche Vorkehrungen dage-
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gen getroffen worden sind, dass der Prozessbevollmächtigte der Klägerin eine
aufgrund seiner Kanzleiorganisation gebotenen Einzelanweisung - etwa wegen
Abwesenheit oder Arbeitsüberlastung - unterlässt, ist dem Vorbringen der Klä-
gerin nicht zu entnehmen.
(2) Aus ihrem Vortrag ergibt sich auch nicht, welche Verfahrensweise im
Falle der Beantragung einer Fristverlängerung in der Kanzlei ihres Prozessbe-
vollmächtigten gilt. Es ist weder dargelegt noch glaubhaft gemacht worden,
dass der Zeitpunkt des voraussichtlichen Endes der beantragten Fristverlänge-
rung im Fristenkalender eingetragen und hierzu eine (ausreichende) Vorfrist
eingetragen wurde.
cc) Trotz der beschriebenen unzureichenden allgemeinen Vorkehrungen
gegen Fristversäumnisse in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten der Klä-
gerin ist ihr bezüglich der nicht eingehaltenen Berufungsbegründungsfrist Wie-
dereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 233 ZPO). Denn die
lückenhaften allgemeinen organisatorischen Maßnahmen im Büro ihres Pro-
zessbevollmächtigten sind nach ihrem glaubhaft gemachten Vorbringen im vor-
liegenden Verfahren durch eine schriftliche Einzelanweisung ergänzt worden,
die im Falle ihrer ordnungsgemäßen Befolgung durch die zuständige Mitarbeite-
rin geeignet gewesen wäre, eine Fristversäumung zu verhindern.
(1) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist dem
Prozessbevollmächtigten einer Partei ein - ihr zuzurechnendes - Verschulden
an der Fristversäumung dann nicht anzulasten, wenn zwar die allgemeinen or-
ganisatorischen Vorkehrungen oder Anweisungen für eine Fristwahrung unzu-
reichend sind, er aber einer Kanzleikraft, die sich bislang als zuverlässig erwie-
sen hat, eine konkrete Einzelanweisung erteilt, die bei Befolgung die Fristwah-
rung gewährleistet hätte (vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 8. Februar 2010 - II ZB
10/09, juris Rn. 9 mwN; vom 20. März 2012 - VIII ZB 41/11, NJW 2012, 1737
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Rn. 10; vom 10. September 2013 - VI ZB 61/12, NJW-RR 2013, 1467 Rn. 9
mwN; vom 25. Februar 2016 - III ZB 42/15, NJW 2016, 1742 Rn. 12 mwN; vom
13. Juli 2017 - IX ZB 110/16, NJW-RR 2017, 1142 Rn. 15; vom 12. Juni 2018
- II ZB 23/17, juris Rn. 14 mwN). Dabei darf er grundsätzlich darauf vertrauen,
dass die gegenüber einer zuverlässigen Büromitarbeiterin ausgesprochene
Einzelanweisung befolgt wird (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 11. Feb-
ruar 2003 - VI ZB 38/02, NJW-RR 2003, 935 unter [II] 1 mwN; vom 8. Februar
2010 - II ZB 10/09, aaO mwN; vom 20. März 2012 - VIII ZB 41/11, aaO Rn. 11;
vom 10. September 2013 - VI ZB 61/12, aaO mwN).
(2) Im Streitfall hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin eine konkre-
te Einzelanweisung erteilt, indem er am 22. August 2017 schriftlich die Wieder-
vorlage der Akte in zwei Wochen verfügt hat. Diese Einzelanweisung wäre zwar
nicht für sich allein genommen, wohl aber in Verbindung mit der allgemein be-
stehenden Anweisung, die jeweils verfügten Wiedervorlagefristen ebenfalls zu
notieren, im Falle der Befolgung beider Anordnungen geeignet gewesen, die
Versäumung der verlängerten Berufungsbegründungsfrist zu verhindern. Damit
liegen die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
vor, weil der Prozessbevollmächtigte der Klägerin ausreichende Vorkehrungen
zur Fristwahrung getroffen hat und die Fristversäumung letztlich allein der
Kanzleimitarbeiterin anzulasten ist, die weder die verlängerte Berufungsbe-
gründungsfrist noch das Wiedervorlagedatum notiert hat. Deren Verschulden
wird der Klägerin aber nicht nach § 85 Abs. 2 ZPO zugerechnet (vgl. BGH, Be-
schluss vom 18. Januar 2018 - IX ZB 4/17, juris Rn. 5).
Das Berufungsgericht hat das Vorbringen der Klägerin missverstanden.
Es hat verkannt, dass deren Prozessbevollmächtigter - anders als in der vom
Bundesgerichtshof am 14. Juli 1999 (XII ZB 62/99, aaO unter II) entschiedenen
Fallgestaltung - die Wiedervorlage der Akte nicht auf das Ende des beantragten
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Verlängerungszeitraums angeordnet hat. Vielmehr hat er nach dem durch die
Vorlage einer Kopie der schriftlichen Anordnung ihres Prozessbevollmächtigten,
durch dessen anwaltliche Versicherung und durch die eidesstattliche Versiche-
rung der zuständigen Kanzleimitarbeiterin glaubhaft gemachten Vorbringen der
Klägerin eine Wiederverlage in zwei Wochen, gerechnet ab dem 22. August
2017, verfügt. Die Vorlage der Akten hätte daher seiner Anweisung nach am
5. September 2017, und damit zwei Wochen vor dem Ende der bis zum
19. September 2017 verlängerten Frist, erfolgen sollen.
Da zudem nach dem glaubhaft gemachten Vorbringen der Klägerin die
generelle Weisung bestand, eine von ihrem Prozessbevollmächtigten verfügte
Wiedervorlagefrist auch zu notieren, waren von diesem im vorliegenden Fall
ausreichende organisatorische Vorkehrungen gegen eine Versäumung der ver-
längerten Berufungsfrist getroffen worden. Dass die allgemeine Anweisung be-
steht, die in Fristsachen im Einzelfall verfügten Wiedervorlagen auch einzutra-
gen, ist zunächst durch die anwaltliche Versicherung des Prozessbevollmäch-
tigten der Klägerin glaubhaft gemacht. Entgegen der Auffassung der Rechtsbe-
schwerdeerwiderung hat zudem auch dessen Kanzleimitarbeiterin in ihrer ei-
desstattlichen Versicherung das Bestehen einer Anweisung zur Eintragung ei-
ner verfügten Wiedervorlage bestätigt. Sie hat nämlich angegeben, sie sei da-
von ausgegangen, dass sie die Frist und die Wiedervorlage bereits notiert ge-
habt habe. Ihrer eidesstattlichen Versicherung lässt sich zwar nicht entnehmen,
ob die Eintragung einer Wiedervorlage als konkrete Einzelanweisung oder - wie
von der Klägerin geschildert und von ihrem Prozessbevollmächtigten anwaltlich
versichert - als eine allgemeine Weisung erteilt worden ist. Die Natur dieser
- sich auf die Ausführung der konkret verfügten Wiedervorlage beziehenden -
Weisung ist jedoch vorliegend für die Frage der Wiedereinsetzung in den vori-
gen Stand ohne Belang. Gleichgültig, ob es sich auch insoweit um eine Einzel-
anweisung oder um einen Bestandteil der allgemeinen organisatorischen Vor-
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kehrungen handelt, wäre sie in Verbindung mit der verfügten Wiedervorlagefrist
(zwei Wochen ab dem 22. August 2017) geeignet gewesen, im Falle ihrer Be-
achtung durch die Kanzleimitarbeiterin die eingetretene Fristversäumung zu
verhindern.
Dr. Milger
Dr. Fetzer
Dr. Bünger
Kosziol
Dr. Schmidt
Vorinstanzen:
AG Mainz, Entscheidung vom 08.06.2017 - 83 C 343/16 -
LG Mainz, Entscheidung vom 27.11.2017 - 3 S 65/17 -