Urteil des BGH vom 30.08.2018

Leitsatzentscheidung

ECLI:DE:BGH:2018:300818UVIIZR243.17.0
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VII ZR 243/17
Verkündet am:
30. August 2018
Boppel,
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
BGB § 312g Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 a.F. (= § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB); Verbraucherrech-
terichtlinie (Richtlinie 2011/83/EU)
Senkrechtlift
Der Ausschlusstatbestand des § 312g Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BGB a.F. (= § 312g Abs. 2
Nr. 1 BGB) gilt jedenfalls regelmäßig nicht für Werkverträge nach § 631 BGB.
BGH, Urteil vom 30. August 2018 - VII ZR 243/17 - OLG Stuttgart
LG Ellwangen
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Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 30. August 2018 durch die
Richter Dr. Kartzke, Halfmeier und Prof. Dr. Jurgeleit, die Richterin Graßnack
und den Richter Röhl
für Recht erkannt:
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des 6. Zivilsenats des
Oberlandesgerichts Stuttgart vom 19. September 2017 wird zu-
rückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens trägt die Beklagte.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger fordert von der Beklagten die Rückgewähr von ihm als Vor-
schuss geleisteter 12.435 € nach der Bestellung eines Senkrechtlifts an der
Außenfassade des von ihm bewohnten Hauses.
Anfang Mai 2015 wandte sich ein Mitarbeiter der Beklagten telefonisch
an den Kläger und fragte, ob er Interesse an der Installation eines Personenlifts
in seinem Wohnhaus habe. Am 13. Mai 2015 suchte ein Mitarbeiter der Beklag-
ten den Kläger in seinem Wohnhaus auf und stellte ihm verschiedene Liftmodel-
le vor. Am Ende des Gesprächs schloss der Kläger mit der Beklagten einen
Vertrag über die Bestellung eines Senkrechtlifts zum Preis von 40.600
€. Die
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Beklagte verpflichtete sich, den Lift innerhalb von "ca. 10 Wochen nach Bau-
aufmaß und geklärter Bestellung" zu liefern und zu montieren. Die Beklagte
wies zudem darauf hin, dass zur Durchführung des Auftrags bauseitige Voraus-
setzungen durch den Besteller zu schaffen seien, die bei Bedarf durch sie nach
erfolgtem Bauaufmaß schriftlich mitgeteilt würden. Unter dem 21. Mai 2015
übersandte die Beklagte dem Kläger Planungsunterlagen bestehend aus den
Konstruktionszeichnungen und Angaben zu den erforderlichen bauseitigen Vo-
raussetzungen zum Einbau des Lifts. Unter der Überschrift "Hinweis" führte die
Beklagte wörtlich aus:
"Die Montage solcher Anlagen ist ein komplexer Vorgang. Die ein-
zelnen Teile des Liftes sind an die jeweilige Einbausituation ange-
passte Maßanfertigungen. Ein reibungsloser Montageablauf erfor-
dert, dass alle bauseitigen Leistungen, exakt wie vorher abge-
stimmt, vor Montage fertiggestellt sind."
Im Anschluss an die Übersendung der Planungsunterlagen erhielt der
Kläger eine Vorschussrechnung und zah
lte auf diese 12.435 €. Eine Freigabe
der Planungsunterlagen erteilte der Kläger in der Folgezeit nicht. Er forderte
vielmehr die Beklagte auf, die Konstruktionszeichnung nachzubessern und so-
dann erneut zur Prüfung und Freigabe zu übersenden. Am 9. Juni 2015 erklärte
der Kläger telefonisch gegenüber einem Mitarbeiter der Beklagten, dass er von
dem Vertrag Abstand nehme. Durch Schreiben vom 22. Juli 2015 wies der Klä-
ger die Beklagte auf den erfolgten "Rücktritt" hin und verlangte die Rückzahlung
des Vorschusses. Am 3. September 2015 übermittelte die Beklagte dem Kläger
eine Berechnung der Werklohnkosten wegen der aus ihrer Sicht erfolgten Kün-
digung. Mit Schreiben vom 25. September 2015 widerrief der Kläger den Ver-
trag und forderte die Beklagte zur Rückzahlung der Anzahlung binnen 14 Tagen
auf.
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Der Kläger ist der Auffassung, dass er den in seinem Wohnhaus abge-
schlossenen Vertrag widerrufen könne. Hilfsweise stützt der Kläger seinen An-
spruch darauf, dass er wirksam vom Vertrag zurückgetreten sei, weil die Be-
klagte die nach seiner Behauptung mangelhafte Planung nicht nachgebessert
habe.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben und die Beklagte verurteilt,
an den Kläger 12.435
€ nebst Zinsen zu zahlen. Die gegen das landgerichtliche
Urteil von der Beklagten eingelegte Berufung hat das Berufungsgericht zurück-
gewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die
Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision der Beklagten ist unbegründet.
Auf das Schuldverhältnis ist das Bürgerliche Gesetzbuch in der Fassung
anzuwenden, die für ab dem 13. Juni 2014 und bis zum 31. Dezember 2017
geschlossene Verträge gilt, Art. 229 § 32 Abs. 1, § 39 EGBGB.
I.
Das Berufungsgericht hat im Wesentlichen ausgeführt:
Dem Kläger habe gemäß § 312g Abs. 1 BGB ein Widerrufsrecht zuge-
standen. Die Vorschriften über außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene
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Verträge und Fernabsatzverträge seien gemäß § 312 BGB anwendbar. Der
Kläger habe mit dem Beklagten unstreitig einen Verbrauchervertrag über eine
entgeltliche Leistung der Beklagten außerhalb von Geschäftsräumen geschlos-
sen.
Der Ausschlusstatbestand des § 312g Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BGB greife
nicht. Danach bestehe kein Widerrufsrecht bei Verträgen zur Lieferung von Wa-
ren, die nicht vorgefertigt seien und für deren Herstellung eine individuelle Aus-
wahl oder Bestimmung durch den Verbraucher maßgeblich sei oder die eindeu-
tig auf die persönlichen Bedürfnisse des Verbrauchers zugeschnitten seien.
Diese Regelung finde auf Werkverträge keine Anwendung. Der Schutz des Un-
ternehmers werde bei Werkverträgen durch § 357 Abs. 8 BGB verwirklicht. Die
Parteien hätten auch keinen Werklieferungsvertrag, sondern einen Werkvertrag
geschlossen. Der Hauptzweck des zwischen den Parteien geschlossenen Ver-
trags habe nicht in der Übertragung des Eigentums an spezifischen Waren,
sondern in der Herstellung des geschuldeten Werks bestanden. Die Beklagte
sei verpflichtet gewesen, auf der Basis ihrer Planung eine den konkreten örtli-
chen Verhältnissen angepasste funktionstaugliche bauliche Anlage zu errichten.
Da der Kläger seine Vertragserklärung wirksam widerrufen habe, schulde
die Beklagte die Erstattung der Anzahlung nebst Prozesszinsen.
II.
Das hält der rechtlichen Nachprüfung stand. Dem Kläger steht gegen die
Beklagte ein Anspruch auf Rückgewähr der von ihm geleisteten Anzahlung in
Höhe von 12.435
€ aus § 355 Abs. 3 Satz 1, § 357 Abs. 1 BGB zu. Nach diesen
Regelungen ist ein Unternehmer verpflichtet, empfangene Leistungen einem
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Verbraucher zurückzugewähren, wenn dem Verbraucher ein Widerrufsrecht
durch Gesetz eingeräumt ist und der Verbraucher das Widerrufsrecht rechts-
wirksam ausübt. Diese Voraussetzungen sind gegeben.
1. Dem Kläger stand ein Recht zum Widerruf des zwischen den Parteien
geschlossenen Vertrags nach § 312g Abs. 1, § 355 Abs. 1 Satz 1 BGB zu. Der
Anwendungsbereich von § 312g BGB war eröffnet (a) und das Widerrufsrecht
war nicht nach § 312g Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BGB ausgeschlossen (b).
a) Der Anwendungsbereich von § 312g Abs. 1 BGB ist eröffnet, wenn die
Voraussetzungen von § 312 BGB gegeben sind und es sich um einen Vertrag
handelt,
der
außerhalb
von
Geschäftsräumen
geschlossen
wurde
(§ 312b BGB).
aa) Nach § 312 Abs. 1 BGB ist § 312g BGB auf Verbraucherverträge im
Sinne des § 310 Abs. 3 BGB anzuwenden, die eine entgeltliche Leistung des
Unternehmers zum Gegenstand haben. Verbraucherverträge im Sinne von
§ 310 Abs. 3 BGB sind Verträge zwischen einem Unternehmer (§ 14 BGB) und
einem Verbraucher (§ 13 BGB). Diese Voraussetzungen sind gegeben, da die
Beklagte als juristische Person (§ 13 Abs. 1 GmbHG) in Ausübung ihrer ge-
werblichen Tätigkeit handelte und mit dem Kläger einen dessen privaten Zwe-
cken dienenden Vertrag abschloss. Die Leistung der Beklagten sollte gegen ein
Entgelt von 40.600
€ erfolgen.
Die Anwendbarkeit von § 312g Abs. 1 BGB ist nicht nach § 312 Abs. 2
Nr. 3 BGB ausgeschlossen. Nach dieser Regelung findet § 312g BGB keine
Anwendung auf Verträge über erhebliche Umbaumaßnahmen an bestehenden
Gebäuden. Hierzu hat das Berufungsgericht ausgeführt, dass nach Erwä-
gungsgrund 26 der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und
des Rates vom 25. Oktober 2011 über die Rechte der Verbraucher zur Abände-
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rung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates und der Richtlinie 1999/44/EG des
Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie
85/577/EWG des Rates und der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parla-
ments und des Rates (im Folgenden: Verbraucherrechterichtlinie, ABl. EU Nr.
L 304, S. 64) und der Gesetzesbegründung zur Umsetzung der Richtlinie (BT-
Drucks. 17/12637, S. 46) der Begriff der erheblichen Umbaumaßnahmen im
Sinne des Verbraucherschutzes eng auszulegen sei. Hierunter fielen nur solche
Umbaumaßnahmen, die dem Bau eines neuen Gebäudes vergleichbar seien,
beispielsweise Baumaßnahmen, bei denen nur die Fassade eines alten Ge-
bäudes erhalten bliebe. Maßgeblich seien mithin Umfang und Komplexität des
Eingriffs sowie das Ausmaß des Eingriffs in die bauliche Substanz des Gebäu-
des. Verträge zur Errichtung von Anbauten, ohne dass es sich dabei um erheb-
liche Umbaumaßnahmen handele, seien von der Ausnahme nicht erfasst. Bei
der Bestellung der Aufzugsanlage handele es sich lediglich um einen Anbau.
Diese Ausführungen, die von der Revision nicht angegriffen werden, lassen
Rechtsfehler nicht erkennen.
bb) Den Vertrag haben die Parteien außerhalb von Geschäftsräumen
geschlossen. Nach § 312b Abs. 1 Nr. 1 BGB sind außerhalb von Geschäfts-
räumen geschlossene Verträge solche, die bei gleichzeitiger körperlicher An-
wesenheit des Verbrauchers und des Unternehmers an einem Ort geschlossen
werden, der kein Geschäftsraum des Unternehmers ist. In diesem Sinne sind
Geschäftsräume unbewegliche Gewerberäume, in denen der Unternehmer sei-
ne Tätigkeit dauerhaft ausübt und bewegliche Gewerberäume, in denen der
Unternehmer seine Tätigkeit für gewöhnlich ausübt (§ 312b Abs. 2
Satz 1 BGB).
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Die Parteien haben den Vertrag in der Wohnung des Klägers und damit
außerhalb der in § 312b Abs. 2 Satz 1 BGB genannten Räumlichkeiten ge-
schlossen.
b) Das Widerrufsrecht des Klägers ist nicht nach § 312g Abs. 2 Satz 1
Nr. 1 BGB ausgeschlossen. Vorbehaltlich anderweitiger Vereinbarungen be-
steht nach dieser Norm kein Widerrufsrecht bei Verträgen zur Lieferung von
Waren, die nicht vorgefertigt sind und für deren Herstellung eine individuelle
Auswahl oder Bestimmung durch den Verbraucher maßgeblich ist oder die ein-
deutig auf die persönlichen Bedürfnisse des Verbrauchers zugeschnitten sind.
Diese Regelung findet keine Anwendung, da der zwischen den Parteien ge-
schlossene Vertrag nicht als Vertrag über die Lieferung von Waren im Sinne
des § 312g Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BGB einzustufen ist.
aa) Dem Wortlaut nach umfasst § 312g Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BGB Verträ-
ge, die auf die Lieferung von Waren gerichtet sind. Damit werden nach dem
allgemeinen Sprachgebrach Kaufverträge (§ 433 BGB) und Verträge über die
Lieferung herzustellender oder zu erzeugender beweglicher Sachen (Werkliefe-
rungsverträge, § 651 BGB) erfasst.
Dies entspricht der Verbraucherrechterichtlinie, deren Umsetzung unter
anderem § 312g BGB dient. Nach Art. 2 Nr. 5 Verbraucherrechterichtlinie ist ein
"Kaufvertrag" jeder Vertrag, durch den der Unternehmer das Eigentum an Wa-
ren an den Verbraucher überträgt oder deren Übertragung zusagt und der Ver-
braucher hierfür den Preis zahlt oder dessen Zahlung zusagt, einschließlich von
Verträgen, die sowohl Waren als auch Dienstleistungen zum Gegenstand ha-
ben. Damit werden von dieser Definition Kauf- und Werklieferungsverträge um-
fasst, und zwar auch dann, wenn sich der Unternehmer gegenüber dem Ver-
braucher zur Montage der zu liefernden Waren verpflichtet hat. Eine entspre-
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chende Regelung enthalten § 474 Abs. 1 Satz 2, § 434 Abs. 2 Satz 1,
§§ 433, 651 Satz 1 BGB.
In Abgrenzung zum "Kaufvertrag" ist dagegen ein "Dienstleistungsver-
trag" jeder Vertrag, der kein Kaufvertrag ist und nach dem der Unternehmer
eine Dienstleistung für den Verbraucher erbringt oder deren Erbringung zusagt
und der Verbraucher hierfür den Preis zahlt oder dessen Zahlung zusagt, Art. 2
Nr. 6 Verbraucherrechterichtlinie. Nach dieser Definition sind Werkverträge
(§ 631 BGB) jedenfalls regelmäßig nicht als auf die Lieferung von Waren ge-
richtete Verträge einzustufen. Ob Werkverträge im Sinne des deutschen Rechts
in Ausnahmefällen als Verträge über die Lieferung von Waren im Sinne des
§ 312g Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BGB einzustufen sind, braucht nicht entschieden zu
werden.
Diese am Wortlaut orientierte Auslegung entspricht der Systematik der
Regelungen zu Verbraucherverträgen. Den Schutz der Unternehmer, die Wer-
kleistungen erbringen (vgl. Art. 16 a) Verbraucherrechterichtlinie), hat der Ge-
setzgeber nicht durch einen Ausschluss des Widerrufsrechts nach § 312g
Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BGB verwirklicht, sondern durch die Regelung in § 357
Abs. 8 Satz 1 BGB. Nach dieser Vorschrift schuldet der Verbraucher dem Un-
ternehmer unter den weiteren Voraussetzungen von § 357 Abs. 1 Satz 2 und 3
BGB Wertersatz für die bis zum Widerruf erbrachte Dienstleistung, wenn der
Verbraucher von dem Unternehmer ausdrücklich verlangt hat, dass dieser mit
der Leistung vor Ablauf der Widerrufsfrist beginnt. Der in § 357 Abs. 8 Satz 1
BGB benutzte Begriff der "Dienstleistung" entspricht der Definition in Art. 2 Nr. 6
Verbraucherrechterichtlinie und erfasst damit jedenfalls regelmäßig auch Werk-
verträge.
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bb) Der Vertrag der Parteien ist nicht als Vertrag über die Lieferung von
Waren einzuordnen, da er nach den Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbu-
ches als Werkvertrag und nach den Regelungen der Verbraucherrechterichtlinie
als Dienstleistungsvertrag zu qualifizieren ist.
(1) Für die Abgrenzung von Kauf- und Werklieferungsverträgen einer-
seits und Werkverträgen andererseits ist nach der Rechtsprechung des Bun-
desgerichtshofs maßgeblich, auf welcher der Leistungen bei der gebotenen
Gesamtbetrachtung der Schwerpunkt liegt. Liegt der Schwerpunkt des Vertrags
auf der mit dem Warenumsatz verbundenen Übertragung von Eigentum und
Besitz, liegt ein Kauf- oder Werklieferungsvertrag vor. Liegt der Schwerpunkt
des Vertrags dagegen nicht auf dem Warenumsatz, sondern schuldet der Un-
ternehmer die Herstellung eines funktionstauglichen Werks, ist ein Werkvertrag
anzunehmen (vgl. BGH, Urteil vom 19. Juli 2018 - VII ZR 19/18 Rn. 19; Urteil
vom 2. Juli 2016 - VII ZR 348/13 Rn. 11, BauR 2016, 1478 = NZBau 2016, 558;
Urteil vom 7. März 2013 - VII ZR 162/12 Rn. 18, BauR 2013, 946 = NZBau
2013, 297).
Diese Grundsätze zur rechtlichen Einordnung von Verträgen über die
Lieferung von Waren stehen im Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichts-
hofs der Europäischen Union (NZBau 2018, 283 Rn. 37, 38, 44 - Schottelius)
zur Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom
25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Ga-
rantien für Verbrauchsgüter (im Folgenden: Verbrauchsgüterkaufrichtlinie -
ABl. EG Nr. L 171, S. 12 ff.). Danach liegt ein Kaufvertrag im Sinne der Ver-
brauchsgüterkaufrichtlinie vor, wenn der Vertrag die Dienstleistung der Montage
des verkauften Gutes im Verbund mit dem Kaufabschluss vorsieht und die
Dienstleistung den Verkauf lediglich ergänzt, nicht jedoch wenn die Dienstleis-
tung als Hauptgegenstand des Vertrags anzusehen ist (EuGH, NZBau 2018,
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283 Rn. 37, 38, 44 - Schottelius; siehe zudem BGH, Urteil vom 19. Juli 2018 -
VII ZR 19/18 Rn. 20). Die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen
Union zur Verbrauchsgüterkaufrichtlinie entspricht den Definitionen des "Kauf-
vertrags" und des "Dienstleistungsvertrags" in Art. 2 Nr. 5 und Nr. 6 Verbrau-
cherrechterichtlinie in Verbindung mit Erwägungsgrund 26 Verbraucherrechte-
richtlinie und kann deshalb auf diese übertragen werden. Die Erwägungen se-
hen einen Vertrag, mit dem sich der Unternehmer verpflichtet, einen Wintergar-
tenanbau zu errichten, als Dienstleistungsvertrag an, obwohl für die Herstellung
des Wintergartens bewegliche Sachen zu liefern sind, aus denen der Wintergar-
ten zusammengesetzt wird. In diesen Fällen stellt also die Dienstleistung keine
bloße Ergänzung eines Kauf- oder Werklieferungsvertrags dar, sondern ist als
Hauptgegenstand des Vertrags anzusehen.
Aufgrund der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union
zur Verbrauchsgüterkaufrichtlinie in Verbindung mit Erwägungsgrund 26 zur
Verbraucherrechterichtlinie ist die Abgrenzung zwischen "Kaufverträgen" und
"Dienstleistungsverträgen" im Sinne der Verbraucherrechterichtlinie als nicht
zweifelhaft anzusehen. Es bedarf deshalb keiner Vorlage nach Art. 267 AEUV
an den Gerichtshof der Europäischen Union.
(2) Auf dieser Grundlage ist das Vertragsverhältnis der Parteien als
Werkvertrag, der nicht ausnahmsweise im Sinne der Verbraucherrechterichtlinie
auf die Lieferung von Waren gerichtet ist, anzusehen.
Nach dem Vertragsinhalt lag der Schwerpunkt des Vertrags nicht in ei-
nem Warenumsatz, sondern in der Planung des Lifts und der funktionstaugli-
chen Einpassung entsprechend der Planung der für die Errichtung des Lifts zu
liefernden Einzelteile an die Außenfassade des Wohnhauses des Klägers.
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Die auch geschuldete Montage stellte nicht eine bloße Ergänzung der
Lieferung der einzelnen Elemente des Lifts dar. Die Beklagte hatte die Ver-
pflichtung, nach der von ihr zu erstellenden Planung eine den konkreten örtli-
chen Verhältnissen angepasste, funktionstaugliche Liftanlage zu errichten. Der
Annahme einer solchen Verpflichtung steht nicht entgegen, dass es dem Kläger
oblag, bauseitige Änderungen umzusetzen. Denn diese waren auf der Grundla-
ge der von der Beklagten zu erstellenden Vorgaben zu verwirklichen. Des Wei-
teren steht der Annahme eines Werkvertrags im Rahmen der gebotenen Ge-
samtbetrachtung nicht entgegen, wie die Revision geltend macht, dass der Wa-
renwert mit fast dem Vierfachen der Montagekosten anzusetzen sein könnte.
2. Der Kläger hat sein Widerrufsrecht rechtswirksam ausgeübt.
a) Der Kläger hat spätestens mit Schreiben vom 25. September 2015
den Widerruf des Vertrags gegenüber der Beklagten in eindeutiger Weise er-
klärt (§ 355 Abs. 1 Satz 1 bis 3 BGB).
b) Der Kläger hat die 14-tägige Widerrufsfrist (§ 355 Abs. 2 Satz 1 BGB),
die grundsätzlich mit Vertragsschluss beginnt (§ 355 Abs. 2 Satz 2 BGB), ge-
wahrt, da die Beklagte den Kläger nicht über die Bedingungen, die Fristen und
das Verfahren für die Ausübung des Widerrufsrechts unterrichtet hatte (§ 356
Abs. 3 Satz 1 BGB; Art. 246a § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EGBGB). In diesem Fall
erlischt das Widerrufsrecht erst 12 Monate und 14 Tage nach Vertragsschluss
(§ 356 Abs. 3 Satz 2 BGB). Ausgehend vom Vertragsschluss am 13. Mai 2015
war damit der Widerruf vom 25. September 2015 rechtzeitig.
c) Der Ausübung des Widerrufsrechts steht die Erklärung des Klägers
vom 9. Juni 2015, von dem Vertrag Abstand zu nehmen, nicht entgegen. Inso-
weit hat die Beklagte in der Berufungsinstanz geltend gemacht, in dieser Erklä-
rung liege eine Kündigung des Vertrags nach § 649 BGB. Selbst wenn man
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dem folgen würde, was nicht naheliegt, wäre das Widerrufsrecht des Klägers
aus § 312g Abs. 1 BGB nicht ausgeschlossen. Nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs ist es Sinn des Widerrufsrechts, dem Verbraucher ein an
keine materiellen Voraussetzungen gebundenes, einfach auszuübendes Recht
zur einseitigen Loslösung vom Vertrag in die Hand zu geben, das neben und
unabhängig von den allgemeinen Rechten besteht, die jedem zustehen, der
einen (Werk-)Vertrag schließt (vgl. BGH, Urteil vom 25. November 2009
- VIII ZR 318/08
Rn. 17,
BGHZ 183,
235;
Urteil
vom
16. März 2016
- VIII ZR 146/15 Rn. 16, NJW 2016, 1951). Der Verbraucher kann deshalb (in-
nerhalb der Widerrufsfrist) frei wählen, ob er das Widerrufsrecht geltend macht.
Dem Kläger war es daher unbenommen, nach einer etwaigen Kündigung ge-
mäß § 649 BGB sein Widerrufsrecht auszuüben.
3. Aufgrund des rechtswirksamen Widerrufs des Vertrags ist die Beklagte
verpflichtet, den von dem Kläger gezahlten Vorschuss an diesen zurück zu ge-
währen (§ 355 Abs. 3 Satz 1, § 357 Abs. 1 BGB). Demgegenüber steht der Be-
klagten kein Wertersatzanspruch für etwaige bis zum Widerruf etwa erbrachte
Leistungen nach § 357 Abs. 8 Satz 1 BGB zu, weil die Beklagte den Kläger
über die Bedingungen, die Fristen und das Verfahren für die Ausübung des Wi-
derrufsrechts sowie das Muster-Widerrufsformular nicht unterrichtet hat (§ 357
Abs. 8 Satz 2 BGB, Art. 246a § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EGBGB).
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III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Kartzke
Halfmeier
Jurgeleit
Graßnack
Röhl
Vorinstanzen:
LG Ellwangen, Entscheidung vom 04.03.2016 - 5 O 332/15 -
OLG Stuttgart, Entscheidung vom 19.09.2017 - 6 U 76/16 -
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