Urteil des BGH vom 13.09.2018

Urteil vom 13.09.2018

ECLI:DE:BGH:2018:130918BVZB57.18.0
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
V ZB 57/18
vom
13. September 2018
in der Abschiebungshaftsache
- 2 -
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 13. September 2018 durch die
Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, die Richterin Dr. Brückner und die
Richter Dr. Kazele, Dr. Göbel und Dr. Hamdorf
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde wird festgestellt, dass der Beschluss
des Amtsgerichts Aurich vom 5. Februar 2018 und der Beschluss
der 7. Zivilkammer des Landgerichts Aurich vom 2. März 2018 den
Betroffenen in seinen Rechten verletzt haben.
Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur
zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen
des Betroffenen in allen Instanzen werden dem Land Niedersach-
sen auferlegt.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt
5.000
€.
Gründe:
I.
Der Betroffene, ein marokkanischer Staatsangehöriger, reiste im De-
zember 2016 und erneut am 4. Februar 2018 in das Bundesgebiet ein. Auf An-
trag der beteiligten Behörde hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 5. Februar
2018 Haft zur Sicherung der Abschiebung des Betroffenen bis zum 2. April
1
- 3 -
2018 angeordnet. Das Landgericht hat die Beschwerde mit der Maßgabe zu-
rückgewiesen, dass die Dauer der Abschiebungshaft bis zum 27. März 2018
befristet worden ist. Mit der Rechtsbeschwerde beantragt der zwischenzeitlich
nach Marokko abgeschobene Betroffene die Feststellung, durch die Beschlüsse
des Amts- und des Landgerichts in seinen Rechten verletzt worden zu sein.
II.
Das Beschwerdegericht meint, das Amtsgericht habe die Sicherungshaft
gegen den Betroffenen zu Recht angeordnet. Der Haftantrag genüge den An-
forderungen des § 417 Abs. 2 FamFG. Insbesondere seien die Erforderlichkeit
der Haft und die notwendige Haftdauer ausreichend dargelegt worden, ebenso
die Voraussetzungen der Abschiebung sowie deren Durchführbarkeit innerhalb
von acht Wochen. Es lägen die Haftgründe des § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und
Nr. 2 AufenthG vor. Lediglich hinsichtlich der Dauer sei die Haftanordnung um
wenige Tage zu verkürzen, da nach der im Beschwerdeverfahren erfolgten Mit-
teilung der beteiligten Behörde die Abschiebung zwischenzeitlich auf den
27. März 2018 terminiert worden sei.
III.
Die gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 FamFG mit dem Feststellungsantrag
nach § 62 FamFG statthafte und auch im Übrigen (§ 71 FamFG) zulässige
Rechtsbeschwerde ist begründet. Der Betroffene ist durch den die Haft anord-
nenden Beschluss des Amtsgerichts und die Beschwerdeentscheidung in sei-
nen Rechten verletzt.
1. Es fehlt an einem zulässigen Haftantrag.
2
3
4
- 4 -
a) Das Vorliegen eines zulässigen Haftantrags ist eine in jeder Lage des
Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Zulässig ist
der Haftantrag der beteiligten Behörde nur, wenn er den gesetzlichen Anforde-
rungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind Darlegungen zu der
zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungsvoraussetzungen, zu der
Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbarkeit der Abschiebung und zu der
notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG). Zwar dürfen
die Ausführungen zur Begründung des Haftantrags knapp gehalten sein, sie
müssen aber die für die richterliche Prüfung des Falls wesentlichen Punkte an-
sprechen. Fehlt es daran, darf die beantragte Sicherungshaft nicht angeordnet
werden (st. Rspr., vgl. Senat, Beschluss vom 20. September 2017 - V ZB 74/17,
juris Rn. 6 mwN).
b) Dem wird der Haftantrag nicht gerecht.
aa) Die beteiligte Behörde verweist in dem Haftantrag darauf, dass die
Dauer der Haft
„von längstens acht Wochen“ erforderlich sei, da zunächst ein
Abschiebungsersuchen an das zuständige Landeskriminalamt gerichtet werden
müsse, von dort werde über ein Reisebüro der nächstmögliche Flug nach Ma-
rokko gebucht. Unter Beachtung des Beschleunigungsgebots werde hierbei
stets der nächstmögliche Termin gewählt, so dass die Durchführung einer Ab-
schiebung grundsätzlich vor Ablauf der beantragten Haftdauer beabsichtigt sei.
Hierbei sei zu beachten, dass bei den in Frage kommenden Luftverkehrsgesell-
schaften nur ein geringes Kontingent an verfügbaren Plätzen zur Verfügung
stehe. Darüber hinaus sei aufgrund der gegen den Betroffenen geführten straf-
rechtlichen Verfahren wegen Körperverletzung und Einbruchsdiebstahls eine
Sicherungsbegleitung durch die Bundespolizei erforderlich. Die Organisation
dauere nach Auskunft des Landeskriminalamts derzeit
„bis zu acht Wochen“.
5
6
7
- 5 -
bb) Diese Ausführungen sind vor dem Hintergrund, dass die Haft auf die
kürzest mögliche Dauer zu beschränken ist (vgl. § 62 Abs. 1 Satz 2 AufenthG),
unzureichend. Die Angabe einer Höchstdauer kann die Erforderlichkeit der
Haftdauer für den konkreten Antrag nicht begründen und rechtfertigt nicht die
- vorsorgliche - Haftanordnung bis zu diesem Zeitpunkt (vgl. Senat, Beschluss
vom 22. Juni 2017 - V ZB 8/17, juris Rn. 8). Vielmehr bedarf es der Darlegung
der für die Abschiebung voraussichtlich erforderlichen Zeitspanne; dazu sind
die einzelnen erforderlichen Schritte unter Angabe ihrer jeweiligen Dauer durch
die den Haftantrag stellende Behörde zu erläutern, damit das Gericht in die La-
ge versetzt wird zu prüfen, wie lange die Freiheitsentziehung des Betroffenen
zur Sicherung der Abschiebung notwendig ist (vgl. Senat, Beschluss vom
10. Mai 2012 - V ZB 246/11, FGPrax 2012, 225 Rn. 9 f.; Beschluss vom
20. September 2017 - V ZB 74/17, juris Rn. 9).
2. Dieser Fehler ist nicht geheilt worden.
a) Mängel des Haftantrages können behoben werden, indem die Behör-
de von sich aus oder auf richterlichen Hinweis ihre Darlegungen ergänzt und
dadurch die Lücken in ihrem Haftantrag schließt oder indem der Haftrichter
selbst die Voraussetzungen zur Durchführbarkeit der Ab- oder Zurückschiebung
des Ausländers und zu der dafür erforderlichen Haftdauer in seiner Entschei-
dung feststellt (vgl. zum Ganzen Senat, Beschluss vom 16. Juli 2014
- V ZB 80/13, InfAuslR 2014, 384 Rn. 21 ff.). Zwingende weitere Voraussetzung
für eine Heilung ist in einem solchen Fall, dass der Betroffene zu den ergän-
zenden Angaben persönlich angehört wird (st. Rspr., vgl. nur Senat, Beschluss
vom 25. Januar 2018 - V ZB 201/17, juris Rn. 8).
8
9
10
- 6 -
b) Vorliegend hat die beteiligte Behörde zwar im Beschwerdeverfahren
ergänzend vorgetragen, die Abschiebung des Betroffenen sei durch die Bun-
despolizei inzwischen für den 27. März 2018 terminiert worden. Diese Angaben
waren auch grundsätzlich ausreichend, um die Erforderlichkeit der verbleiben-
den Haftzeit zu belegen (vgl. Senat, Beschluss vom 17. November 2016
- V ZB 90/16, juris Rn. 9; Beschluss vom 20. September 2017 - V ZB 74/17,
juris Rn. 12). Der Betroffene wurde hierzu aber durch das Beschwerdegericht
nicht persönlich angehört.
3. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden (§ 74 Abs. 6 Satz 1
FamFG). Da die angeordnete Haftzeit bereits abgelaufen ist, hätte eine Nach-
holung der unterlassenen Anhörung des Betroffenen durch das Beschwerdege-
richt auf die Rechtswidrigkeit der Haftanordnung keine Auswirkung. Denn eine
Heilung kann nur mit Wirkung für die Zukunft erfolgen.
11
12
- 7 -
IV.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 81 Abs. 1, § 83 Abs. 2, § 430
FamFG, Art. 5 EMRK analog. Der Gegenstandswert bestimmt sich nach § 36
Abs. 3 GNotKG.
Stresemann Brückner Kazele
Göbel Hamdorf
Vorinstanzen:
AG Aurich, Entscheidung vom 05.02.2018 - 16a XIV 2/18 -
LG Aurich, Entscheidung vom 02.03.2018 - 7 T 68/18 -
13