Urteil des BGH vom 26.03.2007

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
NotZ 39/06
vom
26. März 2007
in dem Verfahren
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
BNotO § 6
Zur Besetzung von Stellen für Anwaltsnotare in Nordrhein-Westfalen gemäß § 17 der
Allgemeinen Verfügung des Justizministeriums über die Angelegenheiten der Nota-
rinnen und Notare vom 8. März 2002 (JMBl. NRW S. 69) in der geänderten Fassung
vom 4. November 2004 (JMBl. NRW S. 256).
BGH, Beschluss vom 26. März 2007 - NotZ 39/06 - OLG Köln
wegen Bestellung zum Notar
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Der Bundesgerichtshof, Senat für Notarsachen, hat durch den Vor-
sitzenden Richter Schlick, den Richter Streck, die Richterin
Dr. Kessal-Wulf sowie die Notarin Dr. Doyé und den Notar Eule
am 26. März 2007
beschlossen:
Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den
Beschluss des Senats für Notarsachen des Oberlandesge-
richts Köln vom 4. September 2006 - 2 VA (Not) 20/05 -
wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfah-
rens zu tragen und dem Antragsgegner sowie dem weite-
ren Beteiligten die im Beschwerdeverfahren entstandenen
außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf
50.000 €
festgesetzt.
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Gründe:
I. Der Antragsteller bewarb sich ebenso wie der weitere Beteiligte
auf eine im Justizministerialblatt für Nordrhein-Westfalen vom
15. Dezember 2004 (JMBl. NRW S. 286) für den Amtsgerichtsbezirk P.
ausgeschriebene Notarstelle. Der Antragsgegner führte das
Auswahlverfahren gemäß § 17 der Allgemeinen Verfügung des Justizmi-
nisteriums über die Angelegenheiten der Notarinnen und Notare vom
8. März 2002 (JMBl. NRW S. 69) in der geänderten Fassung vom
4. November 2004 (JMBl. NRW S. 256; im Folgenden: AVNot 2004)
durch. Für den weiteren Beteiligten wurde die höchste Gesamtpunktzahl
(179 Punkte) ermittelt. Der Antragsteller, der unter den Bewerbern die
sechste Rangstelle einnimmt, wurde mit Verfügung vom 1. Juli 2005 da-
von unterrichtet, dass seiner Bewerbung angesichts einer Gesamtpunkt-
zahl von 123,6 nicht entsprochen werden könne.
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Das Oberlandesgericht hat seinen Antrag auf gerichtliche Ent-
scheidung mit dem Inhalt, den Antragsgegner zu verpflichten, die am
15. Dezember 2004 ausgeschriebene Notarstelle statt mit dem weiteren
Beteiligten mit seiner Person zu besetzen, zurückgewiesen. Hiergegen
richtet sich seine sofortige Beschwerde, mit der er sein Begehren weiter-
verfolgt.
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II. Die sofortige Beschwerde ist gemäß § 111 Abs. 4 BNotO i.V. mit
§ 42 Abs. 4 BRAO zulässig, aber in der Sache unbegründet. Die Aus-
wahlentscheidung des Antragsgegners erweist sich insgesamt als rechts-
fehlerfrei. Er hat den ihm dabei zustehenden Beurteilungsspielraum
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(BGHZ 124, 327) auf der Grundlage der AVNot 2004 zutreffend ange-
wandt und ausgeschöpft.
1. Durch Beschlüsse vom 20. April 2004 (BVerfGE 110, 304 = NJW
2004, 1935 = DNotZ 2004, 560 = ZNotP 2004, 281) und vom 8. Oktober
2004 (NJW 2005, 50) hat das Bundesverfassungsgericht die durch Ver-
waltungsvorschriften einzelner Bundesländer konkretisierte Auslegung
und Anwendung der in § 6 BNotO normierten Auswahlmaßstäbe für die
Besetzung freier Notarstellen für verfassungswidrig erklärt mit der Be-
gründung, die chancengleiche Bestenauslese, die zur Gewährleistung
der verfassungsrechtlich garantierten Berufsfreiheit geboten sei, sei auf
Grundlage dieser Maßstäbe nicht sichergestellt. Zu seiner sachlichen
Überprüfung standen die Niedersächsischen AVNot vom 1. März 2001
(NdsRpfl. S. 100), die Regelung in Hessen (Runderlaß des Hessischen
Ministeriums der Justiz und Europangelegenheiten vom 25. Februar
1999, Buchstabe A., Abschnitt II., JMBl S. 222) sowie die AVNot Baden-
Württemberg vom 10. September 1998 (Die Justiz S. 561). Diese Verwal-
tungsvorschriften enthielten Auswahlkriterien, die im Wesentlichen den in
§ 17 AVNot in der vormaligen Fassung festgelegten entsprechen.
4
Das
Bundesverfassungsgericht
hat zwar die gesetzlichen Eig-
nungskriterien des § 6 Abs. 3 BNotO gebilligt, weil sie bei der Auswahl
der Anwaltsnotare eine angemessene Berücksichtigung solcher Kennt-
nisse und Fähigkeiten erlauben, die sich speziell auf den Zweitberuf des
Notars beziehen. Es hat jedoch festgestellt, dass die Auslegung und An-
wendung dieser Norm auf der Grundlage der angeführten Verwaltungs-
vorschriften bei der Auswahl der Bewerber aus dem Kreis der Rechtsan-
wälte, die für das Amt des Notars in Betracht kommen, nicht den Vorrang
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desjenigen mit der besten fachlichen Eignung gewährleisten (BVerfGE
110, 304, 326 ff.). Eine nach den bisherigen Maßstäben erstellte Prog-
nose über die Eignung eines Bewerbers für das von ihm erstrebte öffent-
liche Amt oder über seine bessere Eignung bei der Auswahl aus einem
Kreis von Bewerbern lässt vor allem eine konkrete und auf den Einzelfall
bezogene Bewertung der fachlichen Leistungen des Bewerbers vermis-
sen. Erforderlich ist stattdessen eine Neubewertung, bei der auch die
von den Bewerbern bei der Vorbereitung auf das angestrebte Amt ge-
zeigten theoretischen Kenntnisse und praktischen Erfahrungen differen-
ziert zu gewichten sind. Insbesondere diese beiden notarspezifischen
Eignungskriterien müssen mit eigenständigem, höherem Gewicht als bis-
her im Verhältnis zu der Anwaltspraxis und dem Ergebnis des Staatsex-
amens einfließen (BVerfGE aaO S. 326 ff., 336; Senatsbeschlüsse vom
22. November 2004 - NotZ 16/04 - ZNotP 2005, 155, 157 und vom
11. Juli 2005 - NotZ 29/04 - DNotZ 2005, 942, 945).
2. Das Justizministerium in Nordrhein-Westfalen hat mit Blick auf
die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts § 17 AVNot geändert,
um dem früher in Kauf genommenen Defizit an fachbezogener berufli-
cher Praxis (BVerfGE 110, 304, 331) entgegenzuwirken und so eine ver-
fassungsgemäße Handhabung des Gesetzes zu erreichen. Die Kap-
pungsgrenzen für die in den Bereichen Fortbildung und praktische Be-
währung zu vergebenen Punkte sind in ihrer bisherigen Form aufgege-
ben worden. Das Bundesverfassungsgericht (aaO) hatte in diesem Zu-
sammenhang angesichts der (gemeinsamen) Punktzahlbildung für die
theoretische und praktische Vorbereitung auf das angestrebte Notaramt
mit ihrer Kappung auf insgesamt erreichbare 45 Punkte ein unzulässiges
Übergewicht der im zweiten Staatsexamen erzielten - mit dem Faktor 5
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multiplizierten - Note beanstandet. Ebenso hatte es gerügt, dass der
Dauer der Anwaltstätigkeit, für die bis zu 45 Punkte gutgeschrieben wer-
den konnten, für die spezifische Eignungsprognose dasselbe Gewicht
zukam wie der Fortbildung und praktischen Bewährung zusammen. Da-
durch war nach seiner Auffassung eine angemessene Berücksichtigung
der während der bisherigen beruflichen Tätigkeit erworbenen notarspezi-
fischen Kenntnisse und Fähigkeiten nicht gewährleistet; zudem konnte
die Höchstzahl ohne jede notarielle Praxis erreicht werden.
Die hauptberufliche Tätigkeit als Rechtsanwältin oder Rechtsan-
walt wird nunmehr mit höchstens 30 Punkten bewertet (§ 17 Abs. 2 Nr. 2
AVNot 2004), während für notarspezifische Fortbildung und Beurkun-
dungstätigkeit jeweils bis zu 60 Punkte erworben werden können (§ 17
Abs. 2 Nr. 3, 4 AVNot 2004). Soweit im Rahmen von Fortbildung und
praktischer Bewährung über die jeweils anrechenbare Höchstpunktzahl
von 60 hinaus Leistungen für Punkte erbracht worden sind, können diese
bis zur Höhe von 30 weiteren Punkten auf den jeweils anderen Bereich
übertragen werden; die Summe der für beide Bereiche anrechenbaren
Punkte beträgt maximal 120 Punkte (§ 17 Abs. 2 Nr. 5 AVNot 2004).
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3. Der Senat hat zur Umsetzung der verfassungsgerichtlichen Ent-
scheidungen vom 20. April 2004 und 8. Oktober 2004 bereits in seinen
Beschlüssen vom 22. November 2004 (NotZ 16/04 - ZNotP 2005, 155)
und vom 11. Juli 2005 (NotZ 29/04 - DNotZ 2005, 942) Stellung genom-
men. Erforderlich ist eine Bewertung der Bewerber, bei der auch die von
ihnen bei der Vorbereitung auf den angestrebten Zweitberuf als Anwalts-
notar gezeigten theoretischen Kenntnisse und praktischen Erfahrungen
differenziert zu berücksichtigen sind. Solange es insoweit an einem aus-
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differenzierten Bewertungssystem noch fehlt, ist eine individuelle Eig-
nungsprognose im weiteren Sinne zu treffen, bei der diese beiden notar-
spezifischen Eignungskriterien mit eigenständigem höheren Gewicht als
bisher im Verhältnis zu der Anwaltspraxis und dem Ergebnis des die ju-
ristische Ausbildung abschließenden, die allgemeine juristische Qualifi-
kation des Bewerbers erfassenden Staatsexamens einfließen müssen.
Der Senat hat vor diesem Hintergrund keine Bedenken, wenn für
das Bewerbungsverfahren grundsätzlich an einem Punktesystem fest-
gehalten wird. Auch das Bundesverfassungsgericht (aaO) hat ein solches
Punktesystem prinzipiell nicht beanstandet; es ist durch die gesetzlichen
Auswahlkriterien des § 6 Abs. 3 BNotO gedeckt (BGHZ 124, 327, 335).
Das Punktesystem ermöglicht ein Auswahlverfahren nach objektiven,
nachvollziehbaren und transparenten Bewertungskriterien (Examensno-
te, Dauer der anwaltlichen Tätigkeit, theoretische Fortbildung, praktische
Beurkundungserfahrungen). Der einzelne Bewerber kann sich auf feste
und für ihn durchschaubare Auswahlkriterien einstellen. Er kann ihnen
entnehmen, welches Anforderungsprofil zu erfüllen ist und auf dieser
Grundlage beantworten, ob eine Bewerbung Erfolg verspricht und welche
Nachweise er für die von ihm erworbenen theoretischen und praktischen
Fähigkeiten in das Bewerbungsverfahren einzuführen hat. Dem Antrags-
gegner wiederum, der das Bewerbungsverfahren auf Grundlage der AV-
Not 2004 durchführt, erlaubt das Punktesystem eine verlässliche Sich-
tung des Bewerberfeldes. Er kann die Bewerber erfassen, die nach ihrer
fachlichen Eignung für die Besetzung der ausgeschriebenen Notarstellen
in Frage kommen; anhand der nach dem Punktesystem vorgegebenen
Kriterien ist eine Vergleichbarkeit ihrer Leistungen und sonstigen Eig-
nungsmerkmale gewährleistet. Dieser Vergleich mit den Verhältnissen
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anderer Bewerber setzt ein gewisses Maß an Abstraktion, Generalisie-
rung und Schematisierung notwendig voraus, damit ein einheitlicher und
nachprüfbarer Maßstab gewonnen werden kann, nach dem sich die Jus-
tizverwaltung zu richten hat (vgl. Senatsbeschluss vom 18. März 2002
- NotZ 19/01 - NJW-RR 2002, 1142, 1143).
4. Das in anderen Bundesländern eingeführte Punktesystem hat
der Senat für die geänderten Verwaltungsvorschriften in Hessen (Be-
schlüsse vom 24. Juli 2006 - NotZ 3/06 - ZNotP 2006, 392; NotZ 7/06;
NotZ 11/06 - ZNotP 2006, 435; NotZ 14/06, 17/06, 18/06 und 21/06; so-
weit unterlegene Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde erhoben
haben, sind diese vom Bundesverfassungsgericht durch Beschlüsse vom
31. August 2006 - 1 BvR 2110/06 - und vom 18. September 2006 - 1 BvR
2222/06 und 2223/06 - nicht zur Entscheidung angenommen worden;
vom 20. November 2006 - NotZ 15/06 - ZNotP 2007, 70; NotZ 16/06 und
22/06; auch hier blieben die von unterlegenen Mitbewerbern eingelegten
Verfassungsbeschwerden ohne Erfolg; Beschlüsse vom 19. Dezember
2006 - 1 BvR 3065/06; vom 20. Dezember 2006 - 1 BvR 2944/06 - und
vom 9. Januar 2007 - 1 BvR 11/07) und Schleswig-Holstein gebilligt (Be-
schluss vom 20. November 2006 - NotZ 4/06 - ZNotP 2007, 109). Auch
für die vom Antragsgegner zugrunde gelegten AVNot 2004 gilt nichts an-
deres. Die seitens des Antragstellers erhobenen Beanstandungen greifen
nicht durch.
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5. Innerhalb des jetzt geltenden Punktesystems wird die allgemei-
ne juristische Qualifikation des Bewerbers dadurch angemessen erfasst,
dass das Ergebnis der die juristische Ausbildung abschließenden Staats-
prüfung zu berücksichtigen ist (§ 17 Abs. 2 Nr. 2 AVNot 2004); Weiteres
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sieht § 6 Abs. 3 BNotO für dieses Eignungsmerkmal nicht vor. Durch die
ganz erhebliche Heraufsetzung der bisherigen Kappungsgrenzen erhal-
ten die Examensnoten - wie vom Bundesverfassungsgericht gefordert -
zudem ein geringeres Gewicht gegenüber der damit zugleich erfolgten
Stärkung der fachbezogenen Anforderungen. Denn nach den vom Bun-
desverfassungsgericht aufgestellten Zugangskriterien zum Anwaltsnota-
riat ist es gerade erforderlich, eine stärkere Ausrichtung an der Notar-
funktion - bei demgegenüber zurücktretender Bedeutung der Examens-
note - vorzunehmen (vgl. Senatsbeschluss vom 24. Juli 2006 - NotZ
11/06 aaO S. 436 Rn. 8).
a) Es bedarf in diesem Zusammenhang keiner Entscheidung, ob
dem Antragsteller darin zu folgen ist, dass der Examensnote auch nach
der Neufassung des § 17 durch die AVNot 2004 unverändert eine zu
große Bedeutung zukommt und Bewerber, die sich durch besondere
fachliche Leistungen auszeichnen, keine Chance haben, sich gegenüber
Konkurrenten durchzusetzen, die ein leistungsstarkes zweites Staatsex-
amen aufweisen. Es trifft zwar zu, dass durch den notarspezifischen
Vorbereitungsaufwand maximal so viele Punkte (120) erzielt werden
können, wie sie über die Examensnote und die bisherige anwaltliche Tä-
tigkeit zu erreichen sind (zusammen ebenfalls 120 Punkte). Darauf
kommt es hier jedoch nicht an. Der weitere Beteiligte hat seine juristi-
sche Ausbildung mit befriedigendem Ergebnis abgeschlossen und kann
- bei Multiplikation mit dem Faktor 5 - auf 36,5 Punkte verweisen, wäh-
rend der Antragsteller selbst 32,6 Punkte erlangt hat. Daraus folgt ein
Unterschied von 3,9 Punkten, der durch eine längere Anwaltstätigkeit
des Antragstellers (30 Punkte) gegenüber dem weiteren Beteiligten (22,5
Punkte) ohne weiteres ausgeglichen wird, so dass der Antragsteller in
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dem Bereich, der die allgemeine juristische Qualifikation und berufliche
Erfahrung umfasst, vor dem weiteren Beteiligten liegt.
b) Soweit der Antragsteller beanstandet, dass die Maximalpunkt-
zahl von 120 für die theoretische und praktische Vorbereitung auf den
Zweitberuf des Anwaltsnotars nicht allein durch die Teilnahme an notar-
spezifischen Vorbereitungskursen erreicht werden kann, ist nicht er-
kennbar, dass er hierdurch im vorliegenden Auswahlverfahren beschwert
ist. Denn er erreicht mit den von ihm erbrachten Leistungen die Kap-
pungsgrenze nicht einmal annähernd, so dass er durch die Nichtberück-
sichtigung von Punkten auch nicht benachteiligt worden sein kann; für
die absolvierten Fortbildungsveranstaltungen, für die er bis zu 90 Punkte
hätte erzielen können, waren insgesamt nur 61 Punkte gut zu bringen.
Auf die vom Bundesverfassungsgericht eingeforderte Qualitätssicherung
durch Bewertung fachspezifischer Leistungen kommt es hier nicht an,
weil der Antragsteller jedenfalls nicht darlegt, gegenüber dem weiteren
Beteiligten im Vorteil zu sein, insbesondere Veranstaltungen besucht zu
haben, bei denen strengere Leistungskontrollen stattgefunden haben als
bei den durch den weiteren Beteiligten absolvierten Fortbildungen. Der
Antragsteller erhebt lediglich pauschale Beanstandungen, führt aber
nicht aus, welche der von ihm erbrachten, gegenüber dem weiteren Be-
teiligten vorzugswürdigen Leistungen keinen Eingang bei der Auswahl-
entscheidung des Antraggegners gefunden haben.
13
6. Allerdings ergibt sich für Examensnote, Dauer der anwaltlichen
Tätigkeit und theoretischer Fortbildung ein Punktevorsprung des An-
tragstellers (insgesamt 123,6 Punkte) vor dem weiteren Beteiligten, der
auf lediglich 54 Fortbildungspunkte verweisen kann und daher in den drei
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genannten Bereichen insgesamt nur 113 Punkte erlangt hat. Der weitere
Beteiligte nimmt im Bewerberfeld die erste Rangstelle allein deshalb ein,
weil ihm 73,3 Beurkundungspunkte gut zu bringen waren, so dass er für
den notarspezifischen Vorbereitungsaufwand - unter Berücksichtung der
gemeinsamen Kappungsgrenze für die theoretische und praktische Vor-
bereitung auf den Notarberuf - die Höchstpunktzahl von 120 erreicht hat,
während der Antragsteller über keine Beurkundungserfahrung verfügt
und insoweit auch keine Punkte beanspruchen kann. Das erklärt die Ge-
samtpunktzahl des weiteren Beteiligten (179), mit der er deutlich vor dem
Antragsteller (123,6 Punkte) liegt.
a) Der Senat hat - in Übereinstimmung mit dem Bundesverfas-
sungsgericht (BVerfGE 110, 304, 332 ff) - die Bedeutung einer auf den
angestrebten Zweitberuf des Anwaltsnotars spezifisch ausgerichteten be-
rufspraktischen Erfahrung hervorgehoben (Beschluss vom 24. Juli 2006
- NotZ 3/06 - ZNotP 2006, 392, 394 Rn. 18). Hat ein Bewerber - wie hier
der weitere Beteiligte - in diesem Bereich Qualifikationen erworben,
müssen sie das ihnen gebührende Gewicht erhalten. Nur auf diese Wei-
se kann dem wichtigen Gemeinwohlbelang der vorsorgenden Rechts-
pflege bestmöglich gedient werden; allein dann ist gewährleistet, dass
tatsächlich von allen potentiellen Bewerbern derjenige gefunden wird,
der den Anforderungen nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leis-
tung am ehesten entspricht (BVerfGE 73, 280, 296).
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Zur
speziellen
Befähigung für das Amt des Notars gehört grund-
sätzlich auch, dass beim jeweiligen Bewerber ein möglichst ausgewoge-
nes Verhältnis der fachspezifischen Leistungen zueinander gegeben ist
(Senatsbeschluss vom 24. Juli 2006 aaO). Die Einseitigkeit der vom An-
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tragsteller erworbenen Fähigkeiten und Kenntnisse tritt indes offen zuta-
ge; das Gewicht ist deutlich zugunsten einer rein theoretischen Vorberei-
tung auf das angestrebte Notaramt - bei gleichzeitig völlig fehlender
praktischer Einarbeitung - verschoben, obwohl sich die fachliche Eignung
regelmäßig nur unter Heranziehung beider Komponenten - der theoreti-
schen Fortbildung ebenso wie der praktisch erworbenen Fähigkeiten und
Kenntnisse - zuverlässig beurteilen lässt (Senatsbeschluss vom 24. Juli
2006 aaO). Der weitere Beteiligte weist hingegen das erforderliche aus-
gewogene Verhältnis zwischen theoretischer und praktischer Vorberei-
tung auf das angestrebte Notaramt auf. Den 54 Fortbildungspunkten ste-
hen 73,3 Punkte gegenüber, die aus der Beurkundungstätigkeit erzielt
wurden und von denen - angesichts der bestehenden Kappungsgrenzen
(§ 17 Abs. 2 Nr. 4, 5 AVNot 2004) - 66 Punkte berücksichtigungsfähig
waren. Vor diesem Hintergrund ist die Auswahlentscheidung des An-
tragsgegners nicht zu beanstanden.
b) Der Antragsteller macht allerdings geltend, er sei als Einzelan-
walt gegenüber anderen Bewerbern - wie dem weiteren Beteiligten - be-
nachteiligt, die Sozietäten angehörten, in denen ein oder mehrere Mit-
glieder zugleich den Zweitberuf des Anwaltsnotars ausübten. Solche Be-
werber erhielten bevorzugt Gelegenheit, durch Vertretertätigkeit Beur-
kundungserfahrung und damit die für den Nachweis der praktischen Vor-
bereitung auf den Notarberuf erforderlichen Punkte zu erwerben. Da-
durch finde eine Vorselektion der Bewerber auf Anwaltsebene statt; die
verfassungsrechtlich (Art. 12 Abs. 1, 33 Abs. 2 GG) gebotene Chancen-
gleichheit auf Zugang zum Notaramt sei nicht gewährleistet. An Mitkon-
kurrenten werde die Höchstpunktzahl nur deshalb vergeben, weil sie eine
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Beurkundungstätigkeit ausgeübt hätten, die anderen Bewerbern von
vornherein verschlossen sei. Dem vermag der Senat nicht zu folgen.
aa) Es lässt sich bereits die vom Antragsteller behauptete generel-
le und bewusste Diskriminierung einer ganzen Bewerbergruppe nicht er-
kennen. Der Antragsteller übersieht, dass Anwaltsnotare nicht aus-
schließlich "Großkanzleien" angehören und anfallende Vertretergeschäf-
te ihren Sozien oder im Angestelltenverhältnis beschäftigten Rechtsan-
wälten übertragen. Anwaltsnotare sind ebenso in von ihnen allein geführ-
ten Kanzleien tätig. Sie müssen, sollte sich Vertretungsbedarf ergeben,
auf einen Kollegen aus der örtlichen Anwaltschaft zurückgreifen. Bei der
Auswahl des Vertreters werden sie sich nicht daran orientieren, welcher
Rechtsanwalt im Hinblick auf eine beabsichtigte eigene Bewerbung als
Anwaltsnotar auf Beurkundungserfahrung angewiesen ist, sondern sich
vorrangig von der Erwägung leiten lassen, welchem Kollegen sie persön-
lich und fachlich hinreichend Vertrauen entgegenbringen, um ihn die
Amtsgeschäfte vertretungsweise führen zu lassen. Erfüllt der Kollege die
in ihn gesetzten Erwartungen, wird es nahe liegen, ihn auch zukünftig als
Vertreter - unter Ausschluss der übrigen Mitglieder der Rechtsanwalt-
schaft - zu berücksichtigen. Angesichts des nach § 39 Abs. 3 Satz 3
BNotO vorgesehenen Vorschlagsrechts des amtierenden Notars wird die
Aufsichtsbehörde für die Zeit seiner Abwesenheit oder Verhinderung in
aller Regel den ihr benannten Vertreter auch tatsächlich bestellen, ohne
dass andere, den Zweitberuf des Anwaltsnotars ebenfalls anstrebende
Rechtsanwälte zum Zuge kommen. Von einem "strukturellen Ungleich-
gewicht" zwischen den Bewerbergruppen der Einzelanwälte einerseits
und der Sozietätsanwälte andererseits kann daher nicht die Rede sein,
zumal Rechtsanwälte, die "Großkanzleien" angehören, nicht allein des-
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halb damit rechnen können, zum Notarvertreter bestellt zu werden. Die
dort tätigen Anwaltsnotare können andere Sozietätsmitglieder bevorzu-
gen und als Vertreter vorschlagen, hinter denen die übrigen anwaltlichen
Kollegen zurückstehen müssen, auch wenn sie gleichfalls beabsichtigen,
sich auf eine Notarstelle zu bewerben. Das in der AVNot 2004 beibehal-
tene Punktesystem zielt auch nicht, wie der Antragsteller meint, auf eine
Benachteiligung gerade der als Einzelanwälte tätigen Bewerber ab; eine
absolute Chancengleichheit aller Bewerber wäre zudem mit keinem Aus-
wahlsystem zu garantieren (vgl. Senatsbeschluss vom 20. November
2006 - NotZ 4/06 - ZNotP 2007, 109, 112 Rn. 19).
Jedenfalls lässt sich eine Ausblendung der durch Mitbewerber
- wie hier dem weiteren Beteiligten - erworbenen Beurkundungserfahrung
oder ein völliger Verzicht auf notarielle Praxis, wie dies der Antragsteller
für sich verlangt, nicht rechtfertigen; denn damit würde ein wesentliches
Merkmal für die Eignungsprognose fast vollständig entwertet (vgl.
BVerfGE 110, 304, 335). Das gilt umso mehr, als es sich bei den AVNot
2004 in ihrer jetzigen Fassung lediglich um eine Übergangsregelung
handelt, bis die gesetzlichen Grundlagen für eine notarielle Fachprüfung
geschaffen worden sind (vgl. dazu den Gesetzesantrag u.a. des Landes
Nordrhein-Westfalen zur Neuordnung des Zugangs zum Anwaltsnotariat
vom 8. Dezember 2006, BR-Drucks. 895/06).
19
bb) Der Antragsteller hat überdies nicht dargelegt, weshalb es ihm
- bezogen auf seine eigene Bewerbersituation - nicht möglich war, Beur-
kundungserfahrung zu erlangen, etwa weil in seinem beruflichen Umfeld
ausschließlich Notare tätig sind, die anfallende Vertretergeschäfte be-
stimmten anwaltlichen Sozietätsmitgliedern übertragen. Er hat noch nicht
20
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einmal deutlich gemacht, welche Initiative er im Einzelnen entfaltet hat,
um Notarvertretungen übernehmen zu können. Die von ihm eingereichte,
erst im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der Ausschreibung
der streitbefangenen Notarstelle eingeholte Auskunft der Notarkammer
für den Oberlandesgerichtsbezirk Hamm vom 14. Dezember 2004 reicht
dazu ebenso wenig aus wie sein pauschaler Vortrag, er habe bei "Dut-
zenden von Notaren" vergeblich vorgesprochen. Sein Angriff, Bewerber
aus "Großkanzleien" seien bevorzugt, wenn es darum gehe, umfassende
Beurkundungserfahrung zu sammeln, bleibt allgemein gehalten und ohne
Bezug zum konkreten Auswahlverfahren.
cc) Da beim Antragsteller die Beurkundungserfahrung völlig fehlt
und er deshalb in diesem Bereich in keinem unmittelbaren Vergleich zum
weiteren Beteiligten steht, kommt es schließlich nicht darauf an, ob die
zugunsten des weiteren Beteiligten gewerteten Urkundsgeschäfte das
ihnen zukommende spezifische Gewicht erhalten haben, wenn der An-
tragsgegner entsprechend § 17 Abs. 2 Nr. 4 AVNot 2004 zwischen ihrer
Anzahl, ihrer zeitlichen Vornahme und ihrer Bewältigung während einer
Notarvertretung von mindestens zwei Wochen differenziert. Im Übrigen
verweist der Senat dazu auf seinen Beschluss vom 24. Juli 2006 (NotZ
11/06 - ZNotP 2006, 435, 436 Rn. 10).
21
dd) Ohnehin könnte der Antragsteller die von ihm gesehene Be-
nachteiligung mit Erfolg erst nach Ausschöpfung sämtlicher Möglichkei-
ten, die das gegenwärtige Punktesystem zum Ausgleich fehlender Beur-
kundungserfahrung vorsieht, geltend machen. Das hat er indes nicht ge-
tan, insbesondere von den nach § 17 Abs. 2 Nr. 5 AVNot 2004 auf den
Bereich der praktischen Vorbereitung übertragbaren 30 zusätzlichen
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Fortbildungspunkten nur einen erworben. Auch eine Vergabe von Son-
derpunkten gemäß § 17 Abs. 2 Nr. 6 AVNot 2004 kommt nicht in Be-
tracht, die er auch ohne praktische Beurkundungserfahrung hätte erwer-
ben können, so nach Buchst. e (benotete Leistungsnachweise für den
Besuch notarspezifischer Fortbildungskurse; bis zu 10 Punkte), Buchst. f
(Vortragstätigkeit im Rahmen beruflicher Organisationen, bis zu
10 Punkte) und Buchst. g (Veröffentlichungen zu notarspezifischen The-
men, bis zu 10 Punkte). Eine besondere "Notarnähe" seiner anwaltlichen
Tätigkeit ist noch nicht einmal im Ansatz dargetan; sie wird auch nicht
durch den Umstand belegt, dass der Antragsteller berechtigt ist, die Be-
zeichnung "Fachanwalt für Arbeitsrecht" zu führen. Zwar kann die Tätig-
keit als Fachanwalt Hinweise darauf geben, inwieweit der jeweilige
Schwerpunkt der Anwaltstätigkeit "notarnäher" oder "notarferner" aus-
gestaltet ist (vgl. Senatsbeschluss vom 24. Juli 2006 - NotZ 11/06 -
ZNotP 2006, 435, 437 Rn. 16). Allerdings kann die bloße Verleihung ei-
ner Fachanwaltsbezeichnung für sich allein nicht genügen, um der an-
waltlichen Tätigkeit ein "notarnahes" Gepräge zu geben. Die Qualifikati-
on als Fachanwalt muss vielmehr auf einem Gebiet erworben werden,
das typischerweise den materiellen Kernbereich notarieller Tätigkeit be-
rührt; das kann für das Familienrecht, das Erbrecht, das Immobilienrecht,
das Gesellschaftsrecht oder das Steuerrecht zu bejahen sein (Senatsbe-
schluss vom 24. Juli 2006 aaO Rn. 17); für das Arbeitsrecht ist dies hin-
gegen regelmäßig nicht anzunehmen. Für seine - schon über zehn Jahre
zurückliegende - Tätigkeit als Syndikusanwalt (vgl. Senatsbeschluss vom
14. Juli 2003 - NotZ 2/03 - DNotZ 2003, 790) gilt im Ergebnis nichts an-
deres, da der Antragsteller nur allgemein darauf verweist, er sei in dieser
Zeit "beratend und vertragsgestaltend" für verschiedene Unternehmen
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tätig geworden und gesellschaftsrechtliche Fragen "seien an der Tages-
ordnung" gewesen.
Schlick Streck Kessal-Wulf
Doyé Eule
Vorinstanz:
OLG Köln, Entscheidung vom 04.09.2006 - 2 VA (Not) 20/05 -