Urteil des BGH vom 13.09.2018

Leitsatzentscheidung

ECLI:DE:BGH:2018:130918UIIIZR294.16.0
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
III ZR 294/16
Verkündet am:
13. September 2018
P e l l o w s k i
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
ja
BGHR:
ja
BGB § 280 Abs. 1, § 628 Abs. 1 Satz 2 Fall 2
a) Bei einer schuldhaften Fehlleistung des Arztes hat der Patient einen Anspruch auf
Schadensersatz aus § 280 Abs. 1 BGB. Ist die fehlerhafte Leistung des Arztes für
den Patienten ohne Interesse und völlig unbrauchbar, besteht der (Mindest-)
Schaden des Patienten darin, dass er für eine im Ergebnis unbrauchbare ärztliche
Behandlung eine Vergütung zahlen soll. In diesem Fall ist der Schadensersatzan-
spruch unmittelbar auf Befreiung von der Vergütungspflicht gerichtet ist, wenn we-
der der Patient noch seine Versicherung bereits bezahlt haben.
b) Fehlerhaft eingesetzte Implantate sind objektiv und subjektiv völlig wertlos im Sin-
ne des § 628 Abs. 1 Satz 2 Fall 2 BGB, wenn es keine dem Patienten zumutbare
Behandlungsvariante gibt, die zu einem wenigstens im Wesentlichen den Regeln
der zahnärztlichen Kunst entsprechenden Zustand hinreichend sicher führen
könnte. Der Umstand, dass der Patient einzelne Implantate als Notmaßnahme zur
Vermeidung eines eventuell noch größeren Übels weiterverwendet, ändert nichts
an der völligen Unbrauchbarkeit der zahnärztlichen Leistung und dem Entfallen
der Vergütungspflicht insgesamt (im Anschluss an BGH, Urteil vom 29. März 2011
- VI ZR 133/10, NJW 2011, 1674).
BGH, Urteil vom 13. September 2018 - III ZR 294/16 - OLG Celle
LG Verden
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Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 6. September 2018 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Herrmann, die
Richter Tombrink, Dr. Remmert und Reiter sowie die Richterin Dr. Böttcher
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 1. Zivilsenats
des Oberlandesgerichts Celle vom 2. Mai 2016 im Kostenpunkt
und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten erkannt
worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechts-
zugs, an einen anderen Zivilsenat des Berufungsgerichts zurück-
verwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin nimmt die Beklagte aus abgetretenem Recht des Streithel-
fers auf Zahlung von Zahnarzthonorar in Anspruch.
Die Beklagte wurde in dem Zeitraum vom 12. Januar 2010 bis zum
25. Februar 2010 von dem Streithelfer der Klägerin zahnärztlich behandelt. Am
1. Februar 2010 unterschrieb sie eine Aufstellung über die Gesamtkosten der
Behandlung in Höhe von 68.551
,63 €. Daneben unterzeichnete sie eine Einver-
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ständniserklärung unter anderem zur navigierten Versorgung mit Implantaten
nach 3 D-Planung zu einem Gesamtbetrag v
on circa 69.000 €. Am 3. Februar
2010 setzte der Streithelfer jeweils vier Implantate im Ober- und Unterkiefer ein,
versorgte mehrere Zähne mit Keramik-Inlays und erbrachte weitere zahnärztli-
che Leistungen im Rahmen der vereinbarten Gebisssanierung. In der Folgezeit
unterblieb die vorgesehene prothetische Versorgung der Implantate, da die Be-
klagte die Behandlung durch den Streithelfer wegen andauernder gesundheitli-
cher Beschwerden abbrach. Am 6. Mai 2010 und 7. Juni 2010 ließ sie die ein-
gesetzten Implantate durch einen anderen Zahnarzt untersuchen, wobei dieser
unter anderem Fisteln im Kiefer, freiliegende Implantatdeckel und einen Kno-
chenabbau an sämtlichen Implantaten feststellte. Seit dem 31. August 2010
wird die Beklagte von dem Zahnarzt Dr. S. behandelt. Die Implantate
befinden sich derzeit noch im Kieferknochen. Die ursprünglich vorgesehene
zahnprothetische Versorgung ist nicht (mehr) erfolgt.
Unter dem 9. März 2010 stellte die Klägerin, an die der Streithelfer sei-
nen Vergütungsanspruch auf Grund Factoringvertrags abgetreten hat, der Be-
klagten ein zahnärztliches Honorar in Höhe von 34.277,10 € in Rechnung. Die
Beklagte, die die Bezahlung verweigerte, leitete daraufhin vor dem Landgericht
ein selbständiges Beweisverfahren wegen behaupteter Behandlungsfehler ge-
gen den Streithelfer ein. Der vom Gericht bestellte Sachverständige Dr. W.
erstattete ein schriftliches Gutachten sowie zwei Ergänzungsgutachten. Das
selbständige Beweisverfahren endete mit einer mündlichen Anhörung des
Sachverständigen am 16. Oktober 2014.
Gegen die auf Zahl
ung von 34.277,10 € nebst Zinsen, Mahnkosten und
vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten gerichtete Klage hat sich die Beklagte
damit verteidigt, es sei bereits kein wirksamer Behandlungsvertrag zustande
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gekommen, da sie die vorgelegten Unterlagen im Vertrauen auf die Erklärung
des Streithelfers unterschrieben habe, die Kostenobergrenze liege bei 20.000 €.
Sie sei auch nicht über die medizinischen Risiken der Behandlung und eventu-
elle Alternativen der Implantatbehandlung aufgeklärt worden. Zudem habe der
Streithelfer ihre Einwilligung durch Täuschung erschlichen, weil die vereinbarte
computernavigierte Implantation nicht durchgeführt worden sei. Dem Streithelfer
seien grobe Behandlungsfehler unterlaufen. Sämtliche Implantate seien un-
brauchbar, weil sie nicht tief genug in den Kieferknochen eingebracht und
schlecht positioniert worden seien. Ein Nachbehandler könne eine den Regeln
der zahnärztlichen Kunst entsprechende prothetische Versorgung des Gebisses
auf Grund der Fehler des Streithelfers nicht mehr bewirken. Bei den noch in
Betracht kommenden Behandlungsalternativen bestehe nur noch die Wahl zwi-
schen "Pest und Cholera". Die abgerechneten Gebühren seien ungeachtet des-
sen überhöht und die zugrunde liegenden Leistungen zum Teil nicht erbracht
worden.
Das Landgericht hat die Klage nach Zeugenvernehmung und sachver-
ständiger Beratung abgewiesen. Auf die hiergegen gerichtete Berufung der
Klägerin hat das Oberlandesgericht - nach Einholung eines Ergänzungsgut-
achtens und erneuter mündlicher Anhörung des Sachverständigen Dr. W. -
das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Beklagte zur Zahlung von
16.957,11
€ nebst Zinsen, Mahnkosten und vorprozessualen Rechtsanwalts-
kosten verurteilt. Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision er-
strebt die Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
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Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Beru-
fungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz.
I.
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im We-
sentlichen ausgeführt:
Zwischen der Beklagten und dem Streithelfer sei ein wirksamer Behand-
lungsvertrag zustande gekommen. Dieser sei nicht gemäß § 134 BGB in Ver-
bindung mit § 263 StGB nichtig. Der gegenüber dem Streithelfer erhobene Vor-
wurf, bei der Abrechnung über die tatsächliche Leistungserbringung getäuscht
zu haben, betreffe nicht den Abschluss des Vertrags, sondern lediglich dessen
Erfüllung. Der Senat könne auch nicht feststellen, dass der Beklagten die Ein-
wendung fehlender Einwilligung zustehe. Die Klägerin habe beweisen können,
dass der Streithelfer die Beklagte zureichend über den Eingriff aufgeklärt habe,
soweit das Setzen der Implantate betroffen gewesen sei. Zwar habe der Streit-
helfer über eine computernavigierte Positionierung der Implantate mittels
Bohrschablonen aufgeklärt, obwohl eine solche Navigation gerade nicht durch-
geführt worden sei; dies führe aber nicht zur Unwirksamkeit der Einwilligung in
die zahnärztliche Behandlung als solche, sondern nur zur fehlenden Abrechen-
barkeit der entsprechenden Gebührenpositionen. Im Übrigen habe die Beweis-
aufnahme ergeben, dass der Streithelfer lediglich Leistungen im Umfang von
20.488,21 € abrechnungsfähig erbracht habe.
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Die Implantatversorgung sei zwar haftungsbegründend behandlungsfeh-
lerhaft gewesen. Sie sei aber nicht - mit der denkbaren Folge eines Untergangs
der Honorarforderung - völlig unbrauchbar, da ihre Weiterverwendung von der
Einschätzung des Nachbehandlers abhänge. Hinsichtlich der streitigen Kera-
mik-Inlays habe ein Behandlungsermessen des Streithelfers bestanden. Kariö-
se Läsionen der betroffenen Kauflächen hätten nicht mit absoluter Sicherheit
ausgeschlossen werden können. Gleiches gelte für die Verwendung des Werk-
stoffs Emdogain. Von einer völlig unsachgemäßen Verwendung könne nicht
zwingend ausgegangen werden.
Zulasten der Beklagten gehe ferner der Umstand, dass sie privatauto-
nom, mündig und ohne jeden Zwang und Eile mit dem Streithelfer gesondert
Abrechnungsfaktoren von 4,0 und höher sowie eine Laserbehandlung verein-
bart habe. Eine Beeinträchtigung ihrer Entschließungsfreiheit sei nicht festzu-
stellen.
Mit Erfolg könne die Beklagte gegen die Forderung der Klägerin mit ei-
nem Schadensersatzanspruch in Höhe von 3.531,10 € aufrechnen, der ihr aus
der Nachbehandlung bei Dr. S. entstanden sei.
II.
Diese Ausführungen halten der rechtlichen Überprüfung in mehreren
Punkten nicht stand. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann auf
der Grundlage der durchgeführten Beweisaufnahme ein Anspruch der Klägerin
auf Honorarzahlung gemäß § 611 Abs. 1, § 612 Abs. 2 in Verbindung mit § 398
BGB in der zuerkannten Höhe nicht bejaht werden.
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Die implantologischen Leistungen des Streithelfers sind für die Beklagte
insgesamt nutzlos, so dass gemäß § 628 Abs. 1 Satz 2 Fall 2 BGB kein Hono-
raranspruch besteht. Für die behandlungsfehlerhafte (nicht indizierte) Versor-
gung mit Keramik-Inlays und die unsachgemäße Anwendung des Präparats
Emdogain muss die Beklagte keine Vergütung bezahlen, da sie insoweit einen
auf Befreiung von der Vergütungspflicht gerichteten Schadensersatzanspruch
nach § 280 Abs. 1 BGB hat. Soweit die Beklagte eine wirksame Honorarverein-
barung, insbesondere die Einigung auf einen erhöhten Gebührensatz, in Abre-
de stellt, sind ergänzende Feststellungen zu treffen.
1.
Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass zwischen
der Beklagten und dem Streithelfer ein wirksamer Behandlungsvertrag zustan-
de gekommen ist. Der Vertragsschluss ist darin zu sehen, dass sich die Beklag-
te am 12. Januar 2010 in die Praxis des Streithelfers begeben und dieser die
zahnärztliche Behandlung übernommen hat (vgl. Palandt/Weidenkaff, BGB, 77.
Aufl., § 630a Rn. 6). Dass der konkrete Umfang der vertraglichen Leistungen zu
diesem Zeitpunkt noch nicht feststand und erst durch die Kostenaufstellung und
die Einverständniserklärung vom 1. Februar 2010 abschließend festgelegt wur-
de, steht dem nicht entgegen. Denn beim Abschluss eines Behandlungsver-
trags wird der konkrete Vertragsinhalt in der Regel noch nicht sofort vereinbart,
weil der Leistungsumfang erst durch Untersuchungen bestimmt werden muss
(Palandt/Weidenkaff aaO Rn. 7). Das Berufungsgericht hat deshalb den Um-
stand, dass der Streithelfer später im Rahmen der Rechnungsstellung nicht er-
brachte Leistungen geltend gemacht hat, zu Recht als für den Vertragsschluss
irrelevant angesehen. Dagegen erhebt die Revision auch keine Einwendungen.
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2.
Dem Berufungsgericht ist ferner darin zuzustimmen, dass der auf die
Sanierung des Gebisses der Beklagten und die zahnprothetische Versorgung
mittels Implantaten gerichtete Behandlungsvertrag insgesamt als Dienstvertrag
über Dienste höherer Art anzusehen ist. Der Zahnarzt verspricht regelmäßig nur
eine den allgemeinen Grundsätzen der zahnärztlichen Wissenschaft entspre-
chende Behandlung, nicht aber ihr - immer auch von der körperlichen und see-
lischen Verfassung des Patienten abhängiges - Gelingen (vgl. nur BGH, Urteile
vom 9. Dezember 1974 - VII ZR 182/73, BGHZ 63, 306, 309 und vom 29. März
2011 - VI ZR 133/10, NJW 2011, 1674 Rn. 7; OLG Naumburg, NJW-RR 2008,
1056; OLG Nürnberg, NJOZ 2009, 4308, 4309; KG, MedR 2011, 45, 46; OLG
Koblenz, MedR 2014, 247, 248 f; OLG Düsseldorf, BeckRS 2016, 13819 Rn. 4,
14; siehe nunmehr den durch das Gesetz zur Verbesserung der Rechte von
Patientinnen und Patienten vom 20. Februar 2013 [BGBl. I S. 277 ] eingefügten
§ 630b BGB, der klarstellt, dass der Behandlungsvertrag ein besonderer
Dienstvertrag ist, auf den grundsätzlich auch die allgemeinen Vorschriften der
§§ 611 ff BGB anwendbar sind). Dieser Beurteilung steht nicht entgegen, dass
der Beklagte auch die technische Anfertigung des vorgesehenen Zahnersatzes
schuldete und insoweit - wegen des werkvertraglichen Charakters dieser Leis-
tung - die Anwendung der werkvertraglichen Gewährleistungsregeln in Betracht
kommt. Denn die Beanstandungen der Beklagten beziehen sich auf die spezi-
fisch zahnärztliche Behandlungsleistung und nicht etwa auf die technische An-
fertigung einer Prothese.
3.
Weil der Zahnarzt als Dienstverpflichteter keinen Erfolg, sondern nur die
Erbringung der von ihm versprochenen Dienste schuldet und das Dienstver-
tragsrecht keine Gewährleistungsregeln kennt, kann der Vergütungsanspruch
bei einer unzureichenden oder pflichtwidrigen Leistung grundsätzlich nicht ge-
kürzt werden oder in Fortfall geraten (OLG Koblenz, MedR 2014, 247, 249;
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OLG Köln, BeckRS 2015, 14256 Rn. 3 f; Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts,
4. Aufl., § 75 Rn. 18; Palandt/Weidenkaff aaO § 630a Rn. 41; vgl. zum Anwalts-
dienstvertrag auch BGH, Urteil vom 15. Juli 2004 - IX ZR 256/03, NJW 2004,
2817). Liegt ein Behandlungsfehler vor, können sich allerdings Rechte und
(Gegen-)Ansprüche des Patienten insbesondere aus § 628 Abs. 1 Satz 2 be-
ziehungsweise § 280 Abs. 1 BGB ergeben (vgl. z.B. KG, MedR 2011, 45, 46;
Palandt/Weidenkaff aaO).
Nach § 628 Abs. 1 Satz 2 Fall 2 BGB hat der Dienstverpflichtete (Arzt),
wenn er durch sein vertragswidriges Verhalten (Behandlungsfehler) die Kündi-
gung des Dienstberechtigten (Patient) gemäß § 626 oder § 627 BGB ausgelöst
hat, keinen Vergütungsanspruch, soweit seine bisherigen Leistungen infolge
der Kündigung für den Dienstberechtigten kein Interesse mehr haben. Bei einer
schuldhaften Fehlleistung des Arztes hat der Patient ferner einen Anspruch auf
Schadensersatz aus § 280 Abs. 1 BGB. Ist die (fehlerhafte) Leistung des Arztes
für den Patienten ohne Interesse und völlig unbrauchbar, besteht der (Mindest-)
Schaden des Patienten unmittelbar darin, dass er für eine im Ergebnis un-
brauchbare ärztliche Behandlung eine Vergütung zahlen soll. In diesem Fall ist
der Schadensersatzanspruch unmittelbar auf Befreiung von der Vergütungs-
pflicht gerichtet, wenn weder der Patient noch seine Versicherung bereits be-
zahlt haben (vgl. OLG Köln, MedR 1994, 198, 199; OLG München, MedR 2006,
596 f; Laufs/Kern aaO; Palandt/Weidenkaff aaO). Sind die Leistungen des
Zahnarztes zwar fehlerhaft, aber nicht völlig unbrauchbar, kommt ein Scha-
densersatzanspruch des Patienten wegen der Kosten für eine fehlerbedingt
erforderlich gewordene Nachbehandlung in Betracht, der dem fortbestehenden
Honoraranspruch des Zahnarztes - gegebenenfalls unter Berücksichtigung et-
waiger Sowiesokosten - im Wege der Aufrechnung entgegengehalten werden
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kann (OLG Köln, BeckRS 2015, 14256 Rn. 4; siehe auch OLG Koblenz, MedR
2014, 247, 249 und OLG Naumburg, NJW-RR 2008, 1056, 1057 f).
4.
Soweit die Klägerin ein zahnärztliches Honorar für das Setzen von acht
Implantaten (16, 17, 23, 27, 36, 37, 46 und 47) begehrt, besteht gemäß § 628
Abs. 1 Satz 2 Fall 2 BGB keine Vergütungspflicht, da der Streithelfer durch
schuldhaft vertragswidriges Verhalten die Beklagte zur Kündigung des Behand-
lungsvertrags veranlasst hat und die erbrachten implantologischen Leistungen
infolge der Kündigung für sie "kein Interesse" mehr haben.
a) Da der Behandlungsvertrag - wie oben unter 2. bereits ausgeführt
wurde - als Dienstvertrag über Dienste höherer Art anzusehen ist, konnte die
Beklagte gemäß § 627 BGB jederzeit auch ohne Gründe kündigen. Bei einem
Dienstverhältnis, das kein Arbeitsverhältnis im Sinne des § 622 BGB ist, ist
nach § 627 Abs. 1 BGB die Kündigung auch ohne die in § 626 BGB bezeichne-
te Voraussetzung eines wichtigen Grundes zulässig, wenn der zur Dienstleis-
tung Verpflichtete, ohne in einem dauernden Dienstverhältnis zu stehen, Diens-
te höherer Art zu leisten hat, die auf Grund besonderen Vertrauens übertragen
zu werden pflegen. Dies ist bei einem (Zahn-)Arzt regelmäßig der Fall (BGH,
Urteil vom 29. März 2011 - VI ZR 133/10, NJW 2011, 1674 Rn. 8). Indem die
Beklagte die weitere Behandlung durch den Streithelfer nach dem aus ihrer
Sicht missglückten Setzen der Implantate abbrach, im Mai/Juni 2010 die vom
Streithelfer erbrachten implantologischen Leistungen durch einen anderen
Zahnarzt begutachten und sich seit dem 31. August 2010 von dem Zahnarzt
Dr. S. weiterbehandeln ließ, hat sie den Behandlungsvertrag mit dem
Streithelfer vorzeitig und einseitig durch konkludente Kündigung nach § 627
Abs. 1 BGB beendet (vgl. OLG Naumburg, NJW-RR 2008, 1056, 1057).
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b) Der Streithelfer hat die Kündigung der Beklagten durch vertragswidri-
ges Verhalten im Sinne des § 628 Abs. 1 Satz 2 Fall 2 BGB veranlasst.
aa) Veranlassung bedeutet, dass zwischen dem vertragswidrigen Verhal-
ten und der Kündigung ein unmittelbarer Zusammenhang bestehen muss. Dies
ist dann der Fall, wenn die Vertragsverletzung Motiv für die außerordentliche
Kündigung
war und sie adäquat kausal verursacht hat (BeckOGK/Günther,
BGB, § 628 Rn. 71 f [Stand: 1. Juni 2018]).
bb) Das Merkmal "Veranlassung" setzt ferner ein schuldhaftes Verhalten
im Sinne der §§ 276, 278 BGB voraus (BGH, Urteil vom 29. März 2011 - VI ZR
133/10, NJW 2011, 1674 Rn. 13 m. zahlr. wN; BeckOGK/Günther aaO Rn. 70;
MüKoBGB/Henssler, BGB, 7. Aufl., § 628 Rn. 17; Staudinger/Preis, BGB, Neu-
bearbeitung 2016, § 628 Rn. 25). Bei einer Kündigung nach § 627 BGB ist al-
lerdings nicht erforderlich, dass das vertragswidrige Verhalten als schwerwie-
gend oder als wichtiger Grund im Sinne des § 626 BGB anzusehen ist. Eine
derartige Einschränkung, für die weder der Wortlaut der Vorschrift noch ihre
Entstehungsgeschichte Anhaltspunkte enthalten, wäre bei Kündigung eines
ärztlichen Behandlungsvertrags nicht sachgerecht. Dieser wird im Regelfall
durch ein besonderes Vertrauensverhältnis geprägt, das eine erleichterte, je-
derzeitige Lösungsmöglichkeit vom Vertrag erfordert (BGH aaO Rn. 14; kritisch
dazu MüKoBGB/Henssler aaO Rn. 21). Allerdings lässt ein bloß geringfügiges
vertragswidriges Verhalten die Pflicht unberührt, die bis zur Kündigung erbrach-
ten Leistungen nach § 628 Abs. 1 Satz 1 BGB zu vergüten. Da das Recht zur
fristlosen Kündigung eines Dienstvertrags ein Rücktrittsrecht nach § 323 BGB
ersetzt und letzteres im Falle einer Schlechtleistung bei einer nur unerheblichen
Pflichtverletzung ausgeschlossen ist (§ 323 Abs. 5 Satz 2 BGB), gilt unter dem
Gesichtspunkt des aus § 242 BGB folgenden Übermaßverbots eine entspre-
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chende Einschränkung im Rahmen der §§ 627, 628 BGB auch für die Vergü-
tung gekündigter Dienste höherer Art (BGH aaO Rn. 15; BeckOGK/Günther
aaO Rn. 75).
cc) Nach den gemäß § 559 ZPO bindenden Feststellungen der Vor-
instanzen ist nicht zweifelhaft, dass der Streithelfer durch ein schuldhaftes und
nicht nur geringfügiges vertragswidriges Verhalten die Beklagte zur Kündigung
veranlasst hat. Abzustellen ist dabei auf die im Zusammenhang mit dem Setzen
der Implantate erbrachten Leistungen des Streithelfers, die wegen anhaltender
Beschwerden zum Abbruch der Behandlung durch die Beklagte geführt haben
(vgl. BGH aaO Rn. 16 mwN). Wie das Landgericht - sachverständig beraten -
im Einzelnen dargelegt hat, wurden sämtliche Implantate unter Verletzung
des geschuldeten Facharztstandards (siehe dazu Palandt/Weidenkaff aaO
Rn. 10) fehlerhaft positioniert. Nach den Ausführungen des Sachverständigen
Dr. W. weisen die verwendeten Implantate einen beschichteten Teil (mit
Gewinde) und einen unbeschichteten Teil auf. Das vollständige Einbringen des
beschichteten Bereichs in den Knochen ist Voraussetzung für eine erfolgreiche
Implantation. Liegen die Schraubenwindungen zum Teil frei, stellt dies eine An-
griffsfläche für Krankheitserreger dar mit der Folge, dass es zu einer Entzün-
dung des Implantatbettes mit Knochenabbau (Periimplantitis) kommen kann.
Wie der Sachverständige mehrfach eingehend mündlich erläutert hat, hat der
Streithelfer sämtliche Implantate nicht tief genug eingesetzt, so dass bis zu sie-
ben Schraubenwindungen freiliegen. Anhaltspunkte für einen nachträglichen
Knochenabbau konnte der Sachverständige nicht feststellen (Protokolle der
mündlichen Verhandlungen vom 26. Juni 2014, S. 5 ff = GA III 426 ff und vom
14. März 2016, S. 4, 14 f, 18 = GA V 955, 965 f, 969; Protokoll der Sachver-
ständigenanhörung vom 16. Oktober 2014 in dem selbständigen Beweisverfah-
ren 14 OH 3/11, S. 2 ff = BA III 333 ff). Hinzukommen weitere Unzulänglichkei-
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ten bei einzelnen Implantaten (z.B. zu großer Abstand zwischen dem Implantat
23 und dem Zahn 24, nicht richtig eingedrehte Deckschraube bei dem Implantat
27). Dementsprechend ist auch das Berufungsgericht davon ausgegangen,
dass die Implantatversorgung durch den Streithelfer insgesamt "haftungsbe-
gründend behandlungsfehlerhaft" gewesen ist.
c) Die dem Streithelfer bei dem Setzen der Implantate unterlaufenen Be-
handlungsfehler haben dazu geführt, dass die von ihm erbrachten implantologi-
schen Leistungen für die Beklagte im Sinne von § 628 Abs. 1 Satz 2 BGB kein
Interesse mehr haben.
aa) Eine Leistung ist für den Dienstberechtigten infolge der Kündigung
ohne Interesse, wenn er sie nicht mehr wirtschaftlich verwerten kann, sie also
für ihn nutzlos geworden ist (Senat, Urteil vom 7. Juni 1984 - III ZR 37/83, NJW
1985, 41). Es genügt demnach zum einen nicht, dass die Leistung objektiv
wertlos ist, wenn der Dienstberechtigte sie gleichwohl nutzt, zum anderen aber
auch nicht, dass der Dienstberechtigte sie nicht nutzt, obwohl er sie wirtschaft-
lich verwerten könnte (BGH aaO Rn. 18; BeckOGK/Günther aaO Rn. 76 f;
MüKoBGB/Henssler aaO Rn. 24, 35). Letzteres kommt beim Zahnarztvertrag
dann in Betracht, wenn ein nachbehandelnder Zahnarzt auf Leistungen des
Erstbehandlers aufbauen oder durch eine Nachbesserung des gefertigten
Zahnersatzes Arbeit gegenüber einer Neuherstellung ersparen könnte (BGH
aaO; BeckOGK/Günther aaO Rn. 95; MüKoBGB/Henssler aaO Rn. 36). Wird
die ärztliche Dienstleistung hingegen so schlecht erbracht, dass die Behebung
des durch die Schlechterfüllung herbeigeführten Zustands nicht möglich oder
dem Dienstberechtigten nicht zumutbar ist, sind die bisher erbrachten Dienste
ohne Wert (vgl. OLG Düsseldorf, BeckRS 2016, 13819 Rn. 15 ff, 22; OLG
Hamburg, MDR 2001, 799; OLG Köln, VersR 2013, 1004, 1005; OLG Naum-
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burg, NJW-RR 2008, 1056, 1057). Entscheidend ist stets der (Fort-)Bestand
eines selbständig verwertbaren Arbeitsanteils (BeckOGK/Günther aaO Rn. 77).
Daran fehlt es im Streitfall.
bb) Die von dem Streithelfer im Zusammenhang mit dem Setzen der Im-
plantate erbrachten Leistungen sind für die Beklagte nutzlos. Die abweichende
Auffassung des Berufungsgerichts, wonach die weitere Verwendbarkeit der
implantologischen Leistungen "jedenfalls eine Option" sei, ist rechtsfehlerhaft.
Sie verkennt, dass nicht jede technische Möglichkeit, auf der Leistung des Vor-
behandlers in irgendeiner Weise aufzubauen, die Nutzlosigkeit entfallen lässt.
Vielmehr muss die Weiterverwendung der fehlerhaften Leistung für den Patien-
ten auch zumutbar sein, was regelmäßig nur der Fall ist, wenn sie zu einer Lö-
sung führt, die wenigstens im Wesentlichen mit den Regeln der zahnärztlichen
Kunst vereinbar ist. Das Berufungsgericht hat in diesem Zusammenhang über-
dies die Ausführungen des Sachverständigen Dr. W. unvollständig gewür-
digt und deren Kerngehalt letztlich verkannt.
(1) Nach § 286 Abs. 1 ZPO hat das Gericht unter Berücksichtigung des
gesamten Inhalts der Verhandlung und des Ergebnisses einer etwaigen Be-
weisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche
Behauptung wahr oder nicht wahr ist. Diese Würdigung ist grundsätzlich Sache
des Tatrichters, an dessen Feststellungen das Revisionsgericht gemäß § 559
Abs. 2 ZPO gebunden ist. Dieses kann lediglich überprüfen, ob das Berufungs-
gericht die Voraussetzungen und die Grenzen des § 286 ZPO gewahrt hat.
Damit unterliegt der Nachprüfung nur, ob sich der Tatrichter mit dem Prozess-
stoff und den etwaigen Beweisergebnissen umfassend und widerspruchsfrei
auseinandergesetzt hat, die Würdigung also vollständig und rechtlich möglich
ist und nicht gegen Denkgesetze- und Erfahrungssätze verstößt (z.B. Senat,
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Urteile vom 10. November 2011 - III ZR 81/11, WM 2011, 2353 Rn. 16 und vom
21. Januar 2016 - III 171/15, juris Rn. 17; jeweils mwN).
(2) Gemessen an diesen Kriterien erweist sich die Wertung des Beru-
fungsgerichts als fehlerhaft. Der Sachverständige hat insbesondere bei seiner
mündlichen Anhörung vor dem Berufungsgericht am 14. März 2016 ausführlich
dargelegt, dass die dem Nachbehandler zur Verfügung stehenden Optionen nur
als Wahl zwischen "Pest und Cholera", also zwischen zwei gleich großen
Übeln, anzusehen seien, und es keine Möglichkeit gebe, auf der Grundlage der
implantologischen Vorarbeiten des Streithelfers eine den Regeln der zahnärztli-
chen Kunst entsprechende zahnprothetische Versorgung des Gebisses der Be-
klagten hinreichend sicher zu bewirken. Bei Beibehaltung der fehlerhaft positio-
nierten Implantate, deren Lage auch durch Nachbehandlungsmaßnahmen nicht
mehr korrigiert werden könne, bestehe mittel- oder langfristig ein erhöhtes Ver-
lustrisiko, weil die Implantatwindungen und der beschichtete, die Ansiedlung
von Krankheitserregern besonders begünstigende Bereich der Implantate frei-
lägen, so dass Bakterien eine Angriffsfläche hätten und es zu einer Periimplan-
titis (mit Knochenabbau) kommen könne. Bei einer Entfernung der Implantate
bestehe das Risiko, dass ein neuer erheblicher Knochendefekt herbeigeführt
werde und nicht sicher sei, dass das neue Implantat wieder ausreichend befes-
tigt werden könne (Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 16. März 2016,
S. 18 = GA V 969). Auf dieses Dilemma des Nachbehandlers, zwischen "Pest
und Cholera" wählen zu müssen, ist das Berufungsgericht bei seiner Würdigung
unter Verstoß gegen § 286 ZPO nicht eingegangen. Es hat insbesondere nicht
erörtert, dass die Weiterverwendung einzelner Implantate durch den Nachbe-
handler - um den Preis der Inkaufnahme erheblicher Gesundheitsrisiken - als
bloße Notmaßnahme zur Vermeidung eines eventuell noch größeren Übels an-
zusehen wäre. Dagegen hat das Landgericht zutreffend darauf hingewiesen,
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der Umstand, dass die Beklagte "notgedrungen" gezwungen sei, einige der Im-
plantate wiederzuverwenden, ändere an der Unbrauchbarkeit der zahnärztli-
chen Leistung nichts.
cc) Der Senat kann die unterbliebene vollständige Würdigung des Be-
weisergebnisses selbst vornehmen, da die Ausführungen des Sachverständi-
gen Dr. W. in sich schlüssig und umfassend sind und weitere tatsächliche
Feststellungen nicht in Betracht kommen (vgl. Senat, Urteil vom 16. März 2017
- III ZR 489/16, WM 2017, 708 Rn. 28). Danach ist davon auszugehen, dass die
Vergütung des Streithelfers für die implantologischen Leistungen gemäß § 628
Abs.1 Satz 2 Fall 2 BGB auf Null zu reduzieren ist. Die eingesetzten Implantate
sind objektiv und subjektiv völlig wertlos, da es keine der Beklagten zumutbare
Behandlungsvariante gibt, die zu einem wenigstens im Wesentlichen den Re-
geln der zahnärztlichen Kunst entsprechenden Zustand hinreichend sicher füh-
ren könnte. Insbesondere ist ihr nicht zuzumuten, zumindest einzelne Implanta-
te weiterzuverwenden und das mit deren fehlerhafter Positionierung untrennbar
verbundene erhöhte Entzündungsrisiko jahrelang hinzunehmen. Dementspre-
chend hat der Sachverständige die Entfernung aller Implantate als fachlich ver-
tretbar und medizinisch indiziert bezeichnet (Protokoll der mündlichen Verhand-
lung vom 26. Juni 2014, S. 6 f = GA III 427 f). Soweit er darüber hinaus die
Möglichkeit ins Spiel gebracht hat, einzelne Implantate "stillzulegen" bzw.
"schlummern zu lassen" und etwas "oben drüber" zu bauen, läuft diese Variante
darauf hinaus, die (unbrauchbare) Leistung des Streithelfers nicht weiter zu
verwenden und zugleich größere Eingriffe in den Kieferknochen zu vermeiden
(Protokoll vom 26. Juni 2014, S. 30 = GA V 981). An der Wertlosigkeit der Leis-
tung ändert dies allerdings nichts.
29
- 17 -
Da die Beklagte wegen völliger Nutzlosigkeit der implantologischen Leis-
tungen keine Vergütung schuldet, kann dahinstehen, ob ihre Einwilligung in die
Behandlung infolge unzureichender Aufklärung über die Art und Weise des Ein-
setzens der Implantate ("frei Hand" unter Verzicht auf eine computergesteuerte
Navigation) unwirksam war und - wie die Beklagte in der mündlichen Verhand-
lung vor dem Senat geltend gemacht hat - (auch) aus diesem Grund keine ver-
gütungspflichtige Leistung vorliegt.
5.
Für die nicht indizierte unnötige Versorgung mit Keramik-Inlays und die
völlig unsachgemäße Anwendung des Präparats Emdogain muss die Beklagte
keine Vergütung entrichten, weil ihr insoweit ein Schadensersatzanspruch nach
§ 280 Abs. 1 BGB zusteht, der auf Befreiung von der Vergütungspflicht gerich-
tet ist.
a) Hinsichtlich der Keramik-Inlays und der Emdogain-Verwendung ist die
Vergütungspflicht nicht bereits nach § 628 Abs. 1 Satz 2 Fall 2 BGB entfallen,
da diese (fehlerhaften) Maßnahmen für den Abbruch der Behandlung nicht mo-
tivierend waren und deshalb kein Kausalzusammenhang mit der Kündigung
nach § 627 BGB besteht.
b) Die Auffassung des Berufungsgerichts, die Entscheidung des Streit-
helfers zum Einsatz von Keramik-Inlays habe in dessen Behandlungsermessen
gelegen, beruht wiederum auf einer unvollständigen Befassung mit dem Ergeb-
nis der Beweisaufnahme. Zu Recht rügt die Revision, den Darlegungen des
Sachverständigen könne gerade nicht entnommen werden, dass für den Streit-
helfer das Vorliegen kleiner kariöser Defekte nicht ausschließbar gewesen sei.
Denn der Sachverständige hat bereits in dem schriftlichen Gutachten vom
14. Juli 2012, erstattet im selbständigen Beweisverfahren, festgestellt, dass auf
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- 18 -
der Basis der zu Behandlungsbeginn angefertigten Röntgenbilder und Situati-
onsmodelle die medizinische Indikation für die Keramik-Inlays an den Zähnen
25, 34, 35, 44 und 45 nicht nachvollzogen werden könne (S. 30 ff). Unter dem
28. April 2013 hat er ergänzend ausgeführt (S. 3 f), dass auf Grund der vorlie-
genden Röntgenbilder eine kariöse Läsion für die jeweils vorderen und hinteren
Zahnflächen ausgeschlossen werden könne. Für die Kauflächen müsse die In-
dikation für eine Füllungstherapie stark angezweifelt werden. Zwar seien kariö-
se Läsionen an den Kauflächen auf Röntgenbildern nicht immer eindeutig er-
kennbar. Jedoch hätten vorhandene Zahnschmelzdefekte auf den am Tag der
Erstuntersuchung angefertigten Situationsmodellen grundsätzlich abgebildet
werden müssen. Da Zahnschmelzdefekte anhand der Situationsmodelle nicht
nachvollziehbar waren (was der Sachverständige bereits in dem Gutachten vom
14. Juli 2012 im Einzelnen beschrieben hatte), ging er auch in seinem Ergän-
zungsgutachten weiterhin von der fehlenden medizinischen Indikation für
Keramik-Inlays aus, wobei er sich lediglich nicht in der Lage sah, initiale kariöse
Läsionen an den Kauflächen "mit absoluter Sicherheit" auszuschließen. Bei
seiner abschließenden mündlichen Anhörung vor dem Berufungsgericht blieb
der Sachverständige bei seiner Einschätzung, dass die angeblichen kariösen
Defekte weder auf den vorhandenen Röntgenbildern noch auf den Situations-
modellen nachzuvollziehen seien und kariöse Defekte auf den Kauflächen le-
diglich zu 100 Prozent nicht auszuschließen seien (Protokoll vom 14. März
2016, S. 27 = GA V 978).
Danach findet die Würdigung des Berufungsgerichts, die Versorgung mit
Keramik-Inlays sei aus medizinischer Sicht nicht zu beanstanden, in den Fest-
stellungen des Sachverständigen keine Stütze. Der Sachverständige hat viel-
mehr eine Indikation für die Inlays verneint, da sich auf der Basis der Röntgen-
bilder und der Situationsmodelle keine Anhaltspunkte für kariöse Zahnschmelz-
34
- 19 -
defekte ergaben. Es war daher von einem Behandlungsfehler und einer für die
Beklagte nutzlosen Leistung auszugehen (Ausführung einer überflüssigen, me-
dizinisch nicht indizierten Maßnahme). Dem steht nicht entgegen, dass der
Sachverständige kariöse Defekte nicht völlig ausschließen konnte. Für die rich-
terliche Überzeugungsbildung sind weder eine unumstößliche Gewissheit noch
eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit erforderlich. Vielmehr genügt
ein für das praktische Leben brauchbarer Grad an Gewissheit, der Zweifeln
Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (z.B. Senat, Urteil vom
17. Februar 1970 - III ZR 139/67, BGHZ 53, 245, 256; BGH, Urteil vom 4. No-
vember 2003 - VI ZR 28/03, NJW 2004, 777, 778). So liegt der Fall hier. Der
Senat kann diese Würdigung selbst vornehmen, da der Sachverhalt durch die
Feststellungen des Sachverständigen hinreichend geklärt ist und auch auf
Grund des Parteivorbringens in den Vorinstanzen und im Revisionsrechtszug
weitere Aufklärung nicht zu erwarten ist.
c) Soweit das Berufungsgericht pauschal feststellt, dass von einer völli-
gen Untauglichkeit des bei der Parodontosebehandlung eingesetzten Präparats
Emdogain und von einer völlig unsachgemäßen Verwendung im Fall der Be-
klagten nicht zwingend ausgegangen werden könne, rügt die Revision zu
Recht, dass die gebotene Würdigung der davon abweichenden Ausführungen
des Sachverständigen unterblieben ist. Denn der Sachverständige hat bei sei-
ner mündlichen Anhörung vor dem Landgericht am 26. Juni 2014 - anknüpfend
an die Aussage des Zeugen Dr. B. , wonach in der Praxis des Streithelfers
das Präparat Emdogain mittels einer kleinen Spritze oberflächlich auf das Zahn-
fleisch aufgetragen wurde - erklärt, dass die Parodontitis-Therapie behand-
lungsfehlerhaft gewesen sei. Es dürfe einem Arzt schlechterdings nicht passie-
ren, das Emdogain so aufzutragen, wie es von dem Zeugen geschildert worden
sei (Protokoll vom 26. Juni 2014, S. 6 f = GA III 427 f). Bei seiner Anhörung am
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- 20 -
14. März 2016 vor dem Berufungsgericht hat der Sachverständige bestätigt,
dass Emdogain, wenn es nur grob aufgestrichen und nicht in die Tiefe einge-
bracht werde, nicht korrekt angewendet und deshalb nicht abrechnungsfähig sei
(Protokoll vom 14. März 2016, S. 24 = GA V 975).
Da der Sachverhalt hinreichend geklärt ist und weitere Feststellungen
nicht zu treffen sind, nimmt der Senat die bislang unterbliebene Beweiswürdi-
gung selbst vor. Danach muss davon ausgegangen werden, dass der Streithel-
fer das Präparat generell von den Herstellerangaben abweichend und auf für
den Patienten nutzlose Weise verwendet hat, indem es nur oberflächlich aufge-
tragen wurde, so dass es seine Wirkung nicht entfalten konnte. Dafür, dass dies
im Fall der Beklagten anders gewesen sein könnte, ist nichts ersichtlich. Es liegt
im Ergebnis eine völlig unbrauchbare Behandlung vor, für die eine Vergütung
nicht bezahlt werden muss.
6.
Die Rüge der Beklagten, das Berufungsgericht habe ihr durch Antrag auf
Parteivernehmung unter Beweis gestelltes Vorbringen übergangen, der Streit-
helfer habe ihr die Kostenpläne 1, 2, 3, 5 und 9 in betrügerischer Absicht unter-
geschoben (Schriftsatz der Beklagten vom 28. Februar 2015, S. 6 f = GA V
816 f), ist begründet. Denn das Berufungsurteil geht auf dieses für die Verein-
barung einer abweichenden Gebührenhöhe (§ 2 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 GOZ)
beziehungsweise einer Verlangensleistung (§ 1 Abs. 2 Satz 2, § 2 Abs. 3 GOZ)
erhebliche Vorbringen nicht ein und stellt lediglich pauschal fest, dass die Be-
klagte "privatautonom, mündig und ohne jeden Zwang und Eile" gesondert Ab-
rechnungsfaktoren von 4,0 und höher sowie eine Laserbehandlung vereinbart
habe, und nicht festgestellt werden könne, dass sie in ihrer Entschließungsfrei-
heit unzumutbar beeinträchtigt worden sei. Damit hat das Gericht den wesentli-
chen Kern des Tatsachenvortrags der Beklagten zu einer Frage, die für das
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- 21 -
Verfahren von zentraler Bedeutung ist, unberücksichtigt gelassen. Die unter-
bliebene Würdigung muss nunmehr - gegebenenfalls nach Anhörung oder Par-
teivernehmung der Beklagten - nachgeholt werden.
III.
Das angefochtene Urteil ist demnach aufzuheben, soweit zum Nachteil
der Beklagten erkannt worden ist (§ 562 Abs. 1 ZPO). Im Umfang der Aufhe-
bung ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Beru-
fungsgericht zurückzuverweisen, weil sie noch nicht zur Endentscheidung reif
ist (§ 563 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 ZPO). Das Berufungsgericht wird insbeson-
dere diejenigen Positionen aus der Rechnung vom 9. März 2010 ermitteln müs-
sen, die nach Abzug der Vergütung für die nicht beziehungsweise nutzlos er-
brachten Leistungen als berechtigt verbleiben. Darüber hinaus sind ergänzende
Feststellungen zu der behaupteten Gebührenvereinbarung zu treffen.
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- 22 -
Der Senat hat von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, nach § 563 Abs. 1
Satz 2 ZPO zu verfahren.
Herrmann
Tombrink
Remmert
Reiter
Böttcher
Vorinstanzen:
LG Verden, Entscheidung vom 24.07.2014 - 5 O 18/11 -
OLG Celle, Entscheidung vom 02.05.2016 - 1 U 78/14 -
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