Urteil des BGH vom 25.11.2010

Leitsatzentscheidung zu Gerichtliche Zuständigkeit, Argentinien, Republik, Pfändung, Produktion

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
VII ZB 120/09
vom
25. November 2010
in dem Zwangsvollstreckungsverfahren
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
ZPO § 23
Deutsche Vollstreckungsgerichte sind nicht zuständig für die Vollstreckung in
Zoll- und Steuerforderungen der Republik Argentinien.
BGH, Beschluss vom 25. November 2010 - VII ZB 120/09 - LG Braunschweig
AG
Wolfsburg
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Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 25. November 2010 durch
den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kniffka und die Richter Dr. Kuffer, Dr. Eick,
Halfmeier und Leupertz
beschlossen:
Auf die Rechtsmittel der Schuldnerin werden der Beschluss der
5. Zivilkammer des Landgerichts Braunschweig vom 3. Dezember
2009, der Beschluss des Amtsgerichts Wolfsburg vom
10. September 2009 sowie der Pfändungs- und Überweisungsbe-
schluss des Amtsgerichts Wolfsburg vom 29. Januar 2009 aufge-
hoben, soweit die Pfändung und Überweisung von Steuer- und
Zollforderungen gegen die Drittschuldnerinnen 1 und 2 angeordnet
worden ist.
Der Antrag der Gläubigerin auf Erlass eines Pfändungs- und
Überweisungsbeschlusses wird zurückgewiesen, soweit die Pfän-
dung und Überweisung von Steuer- und Zollforderungen der
Schuldnerin gegen die Drittschuldnerinnen 1 und 2 begehrt worden
ist.
Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens trägt die Gläubigerin;
die übrigen Kosten werden gegeneinander aufgehoben.
Gegenstandswert: 46.052,01 €
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Gründe:
I.
Die Gläubigerin betreibt gegen die Schuldnerin, die Republik Argentinien,
die Zwangsvollstreckung aus einem Kostenfestsetzungsbeschluss des Landge-
richts F., nach dem die Gläubigerin Zahlung von 46.052,01 € nebst Zinsen bean-
spruchen kann.
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Auf Antrag der Gläubigerin hat das Amtsgericht - Vollstreckungsgericht -
am 29. Januar 2009 die Pfändung von angeblichen Forderungen der Schuldne-
rin gegen die Drittschuldnerinnen angeordnet und die Ansprüche an die Gläubi-
gerin überwiesen. Im Einzelnen sind, soweit im Rechtsbeschwerdeverfahren
noch von Relevanz, folgende Forderungen gepfändet worden:
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Gegenüber der Drittschuldnerin zu 1:
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Steuer- und Zollforderungen im Zusammenhang mit Lieferungen von vorgefertig-
ten Komponenten nach Argentinien, insbesondere für die Produktion der Fahr-
zeugtypen "S." und "F.", für die Produktion von Getrieben am Standort C. und für
die Produktion des Fahrzeugtyps "R." am Standort P.
Gegenüber der Drittschuldnerin zu 2:
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Steuer- und Zollforderungen im Zusammenhang mit
- Lieferung von Gasturbinen des Typs SGT5-4000F, Dampfturbi-
nen des Typs SST-5000, Abhitzedampferzeugern und von
Elektrotechnik für die Kraftwerke in C. in der Provinz B. A. und in
T. nahe der Stadt R. in der Provinz S. F. (Kraftwerke: J. und M.),
- Lieferungen von vorgefertigten Komponenten im Zusammenhang
mit dem Ausbau bzw. Neubau der U-Bahn-Linien A, B, F, G, H
und I in B. A.,
- Lieferungen von Signalisierungs- und intelligenter Systemtechnik
für den U-Bahn-Betrieb, wie beispielsweise "Automatic Train
Operation",
- der Lieferung von Medizintechnik.
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Die hiergegen gerichtete Erinnerung und die sofortige Beschwerde der
Schuldnerin sind erfolglos geblieben. Mit der vom Beschwerdegericht zugelas-
senen Rechtsbeschwerde verfolgt die Schuldnerin die Aufhebung des Pfän-
dungs- und Überweisungsbeschlusses weiter.
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II.
Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat Er-
folg. Sie führt zur Aufhebung der bisher ergangenen Beschlüsse und zur Zu-
rückweisung des Antrags auf Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbe-
schlusses.
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1. Das Beschwerdegericht hat sich durch umfassende Bezugnahme die
Ausführungen des Amtsgerichts zu Eigen gemacht.
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Das Amtsgericht sei gemäß § 828 Abs. 2, § 23, § 35 ZPO international
zuständig. Nachdem die Schuldnerin keinen allgemeinen inländischen Gerichts-
stand habe, richte sich die gerichtliche Zuständigkeit nach § 23 ZPO. Bei Forde-
rungen sei der Ort, an dem das Vermögen sich befinde, der Sitz des Drittschuld-
ners. Hieraus ergebe sich ein hinreichender Inlandsbezug. Etwas anderes würde
nur dann gelten, wenn die zu pfändenden Steuer- und Zollforderungen der Staa-
tenimmunität unterfielen. Dies sei nicht der Fall.
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Die Schuldnerin habe in § 12 Abs. 4 Unterabsatz 1 der Anleihebedingun-
gen unwiderruflich auf ihre Immunität in Bezug auf ihre Verpflichtungen aus den
Schuldverschreibungen verzichtet.
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Steuer- und Zollforderungen seien auch nicht nach § 851 ZPO unpfänd-
bar. Nach dieser Norm sei eine Forderung in Ermangelung besonderer Vorschrif-
ten der Pfändung nur insoweit unterworfen, als sie übertragbar ist. Steuern unter-
lägen keiner besonderen Zweckbindung. Entsprechendes gelte für Zölle. Weder
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das Recht der Republik Argentinien noch das deutsche Recht enthielten Nor-
men, die die Übertragung von Steuerforderungen ausdrücklich verböten.
2. Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
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Es kann sowohl dahingestellt bleiben, ob die Immunität der Schuldnerin
der Pfändung und Überweisung ihrer Steuer- und Zollforderungen entgegensteht
als auch ob argentinische Steuer- und Zollforderungen wegen § 851 ZPO über-
haupt pfändbar sind. Die deutschen Gerichte sind jedenfalls für die Zwangsvoll-
streckung in solche Forderungen international nicht zuständig.
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a) Das Beschwerdegericht übersieht, dass trotz der Regelung des § 23
ZPO eine internationale Zuständigkeit nicht begründet ist, weil die Zwangsvoll-
streckung in eine öffentlich-rechtliche Forderung eines anderen Staates erfolgt.
Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte für das Zwangsvollstre-
ckungsverfahren setzt voraus, dass die Zwangsvollstreckung in Vermögen erfol-
gen soll, das sich im Inland befindet, denn nur darauf kann staatliche Zwangs-
gewalt ausgeübt werden ("Territorialitätsprinzip"). Vollstreckungsmaßnahmen in
Gegenstände, die in dem Hoheitsgebiet eines anderen Staates liegen, sind hin-
gegen ausschließlich dessen Angelegenheit (BGH, Beschluss vom
4. Oktober 2005 - VII ZB 9/05, NJW-RR 2006, 198 m.w.N.). Die Verpflichtung der
Drittschuldnerin, Steuer- und Zollforderungen der Republik Argentinien zu befrie-
digen, ist im Hoheitsgebiet der Schuldnerin und nicht in Deutschland zu lokalisie-
ren. Insoweit gilt nichts anderes als für die Verpflichtung einer Drittschuldnerin,
öffentlich-rechtliche Gebührenforderungen ausländischer Staaten zu befriedigen
;
IPRax 2007, 109 ff.).
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b) Es existiert keine zwischenstaatliche Vereinbarung, die der Republik
Argentinien die Durchsetzung ihrer Steuer- und Zollforderungen im Bundesgebiet
möglich machen würde. Das Abkommen vom 13. Juli 1978 zwischen der Bun-
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desrepublik Deutschland und der Argentinischen Republik zur Vermeidung der
Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern von Einkommen und Vermögen
(BGBl. II 1979, S. 585 ff.), in Kraft getreten am 25. November 1979 (BGBl. II
1979, S. 1332), geändert durch das Protokoll vom 16. September 1996 zum Ab-
kommen vom 13. Juli 1978 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der
Republik Argentinien zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet
der Steuern vom Einkommen und Vermögen (BGBl. II 1998, S. 18 ff.), in Kraft
getreten am 30. Juni 2001 (BGBl. II 2001, S. 694) enthält zur Durchsetzung einer
argentinischen Steuer- oder Zollforderung im Gebiet der Bundesrepublik
Deutschland keine Regelung.
c) Es muss nicht entschieden werden, ob die Anleihebedingungen so
auszulegen sind, dass sich die Schuldnerin der internationalen Zuständigkeit der
deutschen Gerichte auch hinsichtlich des Vollstreckungsverfahrens unterworfen
hat. Eine solche Vereinbarung der internationalen Zuständigkeit ist nicht wirksam
getroffen. Die internationale Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland wird,
soweit nicht vorrangig völkerrechtliche Verträge zu beachten sind, indiziert, wenn
die örtliche Zuständigkeit eines deutschen Gerichts gegeben ist. Diese ist - wie
ausgeführt - nicht gegeben. Eine Prorogation ist gemäß § 40 Abs. 2 Nr. 2 ZPO
unzulässig, weil die Vollstreckungsgerichtsstände ausschließlich sind, § 802
ZPO.
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III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs 1, § 97 Abs. 1 ZPO.
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Kniffka Kuffer
Eick
Halfmeier
Leupertz
Vorinstanzen:
AG Wolfsburg, Entscheidung vom 10.09.2009 - 11a M 9616/08 -
LG Braunschweig, Entscheidung vom 03.12.2009 - 5 T 947/09 -