Urteil des BGH vom 30.08.2018

Urteil vom 30.08.2018

ECLI:DE:BGH:2018:300818B4STR296.18.0
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 296/18
vom
30. August 2018
in der Strafsache
gegen
wegen Körperverletzung u.a.
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundes-
anwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 30. August 2018 ge-
mäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Land-
gerichts Essen vom 16. April 2018 mit den Feststellungen
aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung,
auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere
Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten von den Vorwürfen der Körperver-
letzung in sechs Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Beleidigung und in
einem weiteren Fall in Tateinheit mit Beleidigung und Bedrohung, sowie des
Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit versuchter Körper-
verletzung und Beleidigung freigesprochen und seine Unterbringung in einem
psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen richtet sich die mit der
nicht ausgeführten Sachrüge begründete Revision des Angeklagten. Das
Rechtsmittel hat Erfolg.
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1. Nach den Feststellungen versetzte der Angeklagte am 9. April 2016
dem Zeugen Sch. , nachdem es zunächst zu einem verbalen Streit zwi-
schen ihnen über Geldschulden gekommen war, mit der Hand einen Schlag in
das Gesicht (Tat II. B. 1.). Am 12. Juni 2017 stieß er auf der geschlossenen
Station eines Krankenhauses eine mit Reinigungsarbeiten beschäftigte Mit-
arbeiterin gegen ihren Reinigungswagen, um an ihr vorbei zu gelangen und so
von der Station zu flüchten (Tat II. B. 2.). Am 13. Juli 2017 trat er in einem Lini-
enbus gegen die Außenseite des Fußes der ihm gegenüber sitzenden Zeugin
E. , nachdem die Zeugin zuvor ihr Bein ausgestreckt und der Ange-
klagte dies auf sich bezogen hatte; darüber hinaus beleidigte er die Zeugin
(Tat II. B. 3.). Anschließend geriet er mit zwei weiteren Fahrgästen des Linien-
busses und mit dessen Fahrer in eine Auseinandersetzung mit gegenseitigen
Handgreiflichkeiten, in deren Verlauf er den Geschädigten Schläge versetzte
und überdies den Fahrer bedrohte und beleidigte (Taten II. B. 4. bis 6.). Als Po-
lizeibeamte hinzugerufen wurden, widersetzte er sich deren Anweisungen und
versuchte, nachdem ihm Handschellen angelegt worden waren, die Beamten
mit Kopfstößen zu treffen; zudem beleidigte er die Beamten (Tat II. B. 7.).
Sachverständig beraten ist das Landgericht davon ausgegangen, dass
der Angeklagte an einer Psychose schizophrenen Typs leide und seine Affekt-
kontrolle massiv gestört sei. Aufgrund dieser Erkrankung sei seine Steuerungs-
fähigkeit bei den Taten II. B. 3. bis 6. aufgehoben und bei den Taten II. B. 1., 2.
und 7. zumindest erheblich vermindert, möglicherweise aber auch in diesen
2. Die Unterbringungsentscheidung hält sachlich-rechtlicher Überprüfung
nicht stand.
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a) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB)
darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubrin-
gende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund einer nicht nur vorüberge-
henden psychischen Störung im Sinne der in § 20 StGB genannten Eingangs-
merkmale schuldunfähig (§ 20 StGB) oder vermindert schuldfähig (§ 21 StGB)
war, und die Tatbegehung hierauf beruht. Der erforderliche symptomatische
Zusammenhang besteht, wenn der festgestellte, für die Schuldfähigkeit bedeut-
same Zustand des Täters für die Anlasstat kausal geworden ist, wobei Mit-
ursächlichkeit genügt (BGH, Urteil vom 9. Mai 2017
– 1 StR 658/16, NStZ-RR
2017, 272, 273). In den Urteilsgründen ist darzulegen, wie sich die festgestellte
psychische Störung in der jeweiligen Tatsituation auf die Einsichts- oder die
Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat und warum die Anlasstaten auf den ent-
sprechenden Zustand zurückzuführen sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse
vom 4. August 2016
– 4 StR 230/16, juris Rn. 11, insofern nicht abgedruckt in
NStZ-RR 2017, 86; vom 26. Juli 2016
– 3 StR 211/16, RuP 2016, 268; vom
10. November 2015
– 1 StR 265/15, NStZ-RR 2016, 76; vom 29. Mai 2012
– 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307).
b) Das Landgericht hat den für eine Unterbringungsanordnung vorausge-
setzten symptomatischen Zusammenhang zwischen den Anlasstaten und der
psychischen Erkrankung des Angeklagten nicht tragfähig belegt.
Der Generalbundesanwalt hat hierzu ausgeführt:
„Soweit das Landgericht im Anschluss an den Sachverständigen aus-
führt, bei der zu II. B. 1. festgestellten Tat habe der Angeklagte
‚seine
krankheitsbedingte massive Impulsivität infolge des Konfliktes mit dem
Zeugen Sch.
nicht zu bremsen‘ gewusst und sei bei den zu
II. B. 3. bis 7. festgestellten Taten gleichfalls nicht in der Lage gewe-
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sen, seine
‚Affekte angemessen zu kontrollieren und regulieren‘,
nachdem er
‚unter krankheitsbedingter Verkennung der Realität‘ an-
genommen habe, die Zeugin E. habe ihn
‚durch das Heben
ihres Fußes beleidigt
‘, wird daraus nicht deutlich, ob und inwieweit bei
dem Angeklagten zu den Tatzeitpunkten tatsächlich krankheitsbeding-
te Impulskontrollstörungen vorhanden waren und wie sich diese auf
seine Tatmotivation und seine Handlungsmöglichkeiten ausgewirkt
haben.
Die von dem Angeklagten begangenen Taten
– je nach Ausgestaltung
Körperverletzungen nach einem Streit (unter Bekannten), Beleidigun-
gen und Bedrohungen
– sind im Grundsatz Delikte der allgemeinen
Kriminalität, bei denen auch im Fall einer Psychose aus dem schizo-
phrenen Formenkreis die Annahme einer aufgehobenen oder erheb-
lich verminderten Steuerungsfähigkeit nicht unbedingt auf der Hand
liegt. Sie sind nicht von einem einheitlichen Begehungsmuster ohne
Anlass geprägt und lassen eine psychotische Handlungsmotivation
nicht erkennen. Der Faustschlag des Angeklagten nach dem Streit mit
dem Zeugen Sch.
um das ‚Drogengeld‘ (II. B. 1.) sowie die tätliche
Auseinandersetzung im Bus mit anschließender Beleidigung und Be-
drohung, die in ihrem Verlauf insbesondere durch die Interaktion Drit-
ter wesentlich eskalierte, und die sich anschließenden Widerstands-
handlungen und Beleidigungen des Angeklagten bei dem Polizei-
einsatz (II. B. 3. bis 7.) enthalten für sich genommen keinen Hinweis
auf ein psychotisches Erleben oder ein grundlegendes Verkennen der
Situation.
Dabei ist insbesondere auch zu berücksichtigen, dass das Landgericht
nicht davon ausgegangen ist, dass der Angeklagte dauerhaft in seiner
Steuerungsfähigkeit eingeschränkt ist, sondern es hat seiner Ent-
scheidung die Einschätzung zugrunde gelegt, dass er lediglich situativ
in einen solchen Zustand geraten kann. Belege dafür, dass den Taten
des Angeklagten ein durchgreifender Mangel der Impulskontrolle zu-
grunde gelegen hat, finden sich aber nicht. Die Taten sind vielmehr
ebenso gut normal-
psychologisch erklärbar.“
Dem tritt der Senat bei und bemerkt mit Blick auf die Tat zum Nachteil
der Zeugin E. (II. B. 3.) ergänzend, dass selbst wenn der Angeklagte
das Ausstrecken des Beines durch die Zeugin krankheitsbedingt auf sich bezo-
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gen haben sollte
– was das Landgericht nicht festgestellt, jedoch bei der Prü-
fung der Unterbringungsvoraussetzungen angenommen hat
–, diese Tat für
sich genommen aufgrund ihres geringen Schweregrades nicht geeignet wäre,
eine Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus
nach § 63 StGB zu rechtfertigen.
3. Die Anordnung der Maßregel nach § 63 StGB kann daher nicht beste-
hen bleiben. Die Sache bedarf neuer Verhandlung und Entscheidung. Wegen
der hier ersichtlich schwierigen Abgrenzungsfragen zum Krankheitsbild des An-
geklagten kann es sich empfehlen, einen weiteren Sachverständigen hinzuzu-
ziehen.
Mit Blick auf die Vorschrift des § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO hebt der Senat
auch den Freispruch des Angeklagten auf. Es ist nicht auszuschließen, dass die
neue tatgerichtliche Verhandlung und die zur Erstellung einer aktuellen Gefähr-
lichkeitsprognose erforderliche erneute Begutachtung des Angeklagten eine
abweichende Beurteilung seiner Schuldfähigkeit bei Begehung der Anlasstaten
ergeben könnte (vgl. BGH, Beschlüsse vom 16. Mai 2018
– 2 StR 132/18, juris
Rn. 10; vom 11. April 2018
– 5 StR 54/18, juris Rn. 7). Das neue Tatgericht
bleibt jedoch gehindert, nach Aufhebung der isoliert angeordneten Unterbrin-
gung in einem psychiatrischen Krankenhaus erneut die Unterbringung anzuord-
nen und zugleich erstmals Strafe zu verhängen (vgl. BGH, Beschlüsse vom
24. Oktober 2013
– 3 StR 349/13, NStZ-RR 2014, 89 [Ls]; vom 14. September
2010
– 5 StR 229/10, StraFo 2011, 55).
Der Senat sieht von der Aufrechterhaltung der für sich genommen
rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum Tatgeschehen ab, um dem neu
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zur Entscheidung berufenen Tatgericht insgesamt eine neue und widerspruchs-
freie Sachentscheidung zu ermöglichen.
Sost-Scheible
Roggenbuck
Cierniak
Feilcke
Paul