Urteil des BGH vom 30.08.2018

Urteil vom 30.08.2018

ECLI:DE:BGH:2018:300818B1BGS408.18.0
Bundesgerichtshof
Ermittlungsrichter
1 BGs 408/18
1 ARs 1/18
BESCHLUSS
vom
30. August 2018
in dem Verfahren gemäß § 17 Abs. 4 PUAG
(„Berliner Breitscheidplatz“)
B. S. , M. R. und Dr. K. , als Minderheit von einem Viertel der Mitglieder
des 1. Untersuchungsausschusses der 19. Wahlperiode des Deutschen Bun-
destages,
Antragsteller,
gegen
1. Untersuchungsausschuss der 19. Wahlperiode des Deutschen Bundestages,
vertreten durch den Vorsitzenden, Herrn A. S. ,
Antragsgegner,
- vertreten durch Prof. Dr. B. G. , -
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hat der Ermittlungsrichter I des Bundesgerichtshofs am 30. August 2018 be-
schlossen:
1. Der 1. Untersuchungsausschuss der 19. Wahlperiode des Deut-
schen Bundestages hat nochmals über die Beweisanträge der
Antragsteller vom 1. März 2018, wonach zum gesamten Unter-
suchungsauftrag mit Ausnahme der Ziffer B II 7. Beweis erho-
ben werden soll durch Beiziehung sämtlicher Akten, Dokumen-
te, in Dateien oder auf andere Weise gespeicherter Daten und
sonstiger sächlicher Beweismittel, die im Bundesamt für Ver-
fassungsschutz bzw. beim Bundesnachrichtendienst entstan-
den oder in behördlichen Gewahrsam genommen worden sind
und dem Parlamentarischen Kontrollgremium des Deutschen
Bundestages in der 18. Wahlperiode aufgrund dessen Be-
schluss vom 16. Januar 2017 übermittelt bzw. zur Verfügung
gestellt wurden, beim Bundesministerium des Inneren bzw.
Bundeskanzleramt , abzustimmen und diesen - sollten sie wei-
terhin von einem Viertel der Mitglieder des Ausschusses unter-
stützt werden -, zumindest mehrheitlich zuzustimmen.
2. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
Gründe:
I.
Das Begehren der Antragsteller richtet sich gegen die Ablehnung zweier
im 1. Untersuchungsausschuss der 19. Wahlperiode des Deutschen Bundesta-
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ges gestellter Anträge auf Beweiserhebung durch Beiziehung von Akten und
anderer Beweismittel bei dem Bundesministerium des Inneren bzw. dem Bun-
deskanzleramt.
1. Der 1. Untersuchungsausschuss der 19. Wahlperiode des Deutschen
Bundestages wurde am 1. März 2018 zur Aufklärung der Hintergründe des Ter-
roranschlages vom 19. Dezember 2016 auf dem Berliner Breitscheidplatz ein-
gesetzt (BT-Drucks. 19/943, Plenarprotokoll 19/17, S. 1406). Untersuchungs-
gegenstand ist u.a. die Schaffung eines Gesamtbildes "zu dem Terroranschlag
vom 19. Dezember 2016 auf dem Breitscheidplatz in Berlin, zum Attentäter,
seiner Person und seinen Aliasidentitäten, zu seinem Umfeld und zu seinen
Kontaktpersonen und zu möglichen Mittätern, Hintermännern und Unterstüt-
zern." Insbesondere unterliegt der Klärung des Untersuchungsausschusses
auch der Informationsfluss zwischen den Behörden. So soll u.a. untersucht
werden, "ob Informationen zwischen den einzelnen Behörden zeit- und sachge-
recht ausgetauscht wurden und ob mit Nachrichtendiensten und Sicherheits-
und Strafverfolgungsbehörden im europäischen und außereuropäischen Aus-
land sachgerecht zusammengearbeitet bzw. Informationen ausgetauscht wur-
den" (B I BT-Drucks. 19/943). Überdies ist im Einsetzungsbeschluss unter B II 9
explizit aufgeführt, der Untersuchungsausschuss
solle „insbesondere“ klären,
"welche Erkenntnisse dem Bundesministerium des Inneren, dem Bundesminis-
terium der Justiz und für Verbraucherschutz oder dem Bundeskanzleramt sowie
der Bundesregierung insgesamt zum Attentäter wann vorlagen, ob die gebote-
ne Information des Deutschen Bundestages (Chronologie u.a.) zeitgerecht, um-
fassend und zutreffend erfolgte und ob die Öffentlichkeit angemessen und zu-
treffend informiert wurde" (B II 9 BT-Drucks. 19/943).
In der der konstituierenden Sitzung folgenden, zweiten Sitzung des
1. Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages in der 19. Legisla-
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turperiode (im Folgenden: "Untersuchungsausschuss") am 1. März 2018 legten
die Antragsteller zwei Beweisanträge vor, wonach zum gesamten Untersu-
chungsauftrag mit Ausnahme der Ziffer B II 7. Beweis erhoben werden soll
durch Beiziehung sämtlicher Akten, Dokumente, in Dateien oder auf andere
Weise gespeicherter Daten und sonstiger sächlicher Beweismittel, die im Bun-
desamt für Verfassungsschutz bzw. beim Bundesnachrichtendienst entstanden
oder in behördlichen Gewahrsam genommen worden sind und dem Parlamen-
tarischen Kontrollgremium des Deutschen Bundestages in der 18. Wahlperiode
aufgrund dessen Beschluss vom 16. Januar 2017 übermittelt bzw. zur Verfü-
gung gestellt wurden, beim Bundesministerium des Inneren bzw. Bundeskanz-
leramt, § 18 Abs. 1 Gesetz zur Regelung des Rechts der Untersuchungsaus-
schüsse des Deutschen Bundestages (PUAG). Nachdem die Beschlussfassung
über diese Anträge zunächst wegen rechtlicher Bedenken dahingehend, dass
der Beweiserhebung die Geheimschutzklausel des § 10 des Gesetzes über die
parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes (Kon-
trollgremiumsgesetz - PKGrG) entgegenstehen könnte, zurückgestellt wurde,
brachten die Antragsteller die Anträge erneut ein, ergänzt um eine Begründung,
in der dargelegt wird, dass mit den Beweisanträgen eine unzulässige Kontrolle
des Parlamentarischen Kontrollgremiums und ein Eingriff in die besonders ge-
schützte Arbeit des Gremiums nicht verbunden sei. In der 3. Sitzung des Unter-
suchungsausschusses am 15. März 2018 wurden die Beweisanträge der An-
tragsteller mehrheitlich abgelehnt, da die Mehrheit der Ausschussmitglieder
diese für unzulässig hielt.
2. Die Antragsteller sind der Ansicht, die Ablehnung der beschlussge-
genständlichen Beweisanträge durch den Antragsgegner verstoße gegen § 17
Abs. 2 PUAG, da die begehrte Beweiserhebung zulässig sei. Die Beweiserhe-
bung, die darauf ziele, zu überprüfen, ob die verschiedenen Organe des Deut-
schen Bundestages - Ausschüsse einerseits und Parlamentarisches Kontroll-
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gremium andererseits - von der Bundesregierung die gleichen Informationen
erhalten haben und die Gründe möglicher Unterschiede zu untersuchen und zu
würdigen, sei vom Untersuchungsauftrag gedeckt. Dieser beziehe sich gemäß
B II 9 ausdrücklich auf die Frage, ob die Bundesregierung den Deutschen Bun-
destag "zeitgerecht, umfassend und zutreffend" informiert hat. Auch das Parla-
mentarische Kontrollgremium sei als Hilfsorgan des Deutschen Bundestages,
Art. 45 d Abs. 1 GG, Teil desselben. Überdies decke sich der sachliche Unter-
suchungsgegenstand, zu welchem das Parlamentarische Kontrollgremium von
den Bundesbehörden mit Beschluss vom 16. Januar 2017 Akten angefordert
hatte, mit dem des Untersuchungsausschusses.
Die Beweiserhebung sei auch im Übrigen zulässig, insbesondere verlet-
ze sie nicht das Beratungsgeheimnis aus § 10 Abs. 1 Satz 1 PKGrG, denn die-
ses werde durch die beantragte Beweiserhebung nicht berührt. Die Beweisan-
träge bezögen sich nicht auf die Beratungen des Parlamentarischen Kontroll-
gremiums, dessen Diskussionen und inhaltliche Befassung; insbesondere wer-
de nicht die Beiziehung dort entstandener Beratungsprotokolle begehrt. Kontrol-
liert werden solle nicht das Parlamentarische Kontrollgremium, sondern die
Bundesregierung. Betreffend die Arbeit des Parlamentarischen Kontrollgremi-
ums würde einzig der Umstand, dass dieses durch den genannten Beschluss
vom 16. Januar 2017 selbst Akten des Bundes zum Untersuchungsgegenstand
"Amri" angefordert habe, thematisiert. Dies habe das Parlamentarische Kon-
trollgremium jedoch durch Veröffentlichung seiner Bewertung vom 31. Mai 2017
(BT-Drucks. 18/1285) bereits selbst öffentlich kund getan. Adressat der Be-
weisanträge sei ausschließlich die Bundesregierung. Der Antrag sei inhaltlich
darauf gerichtet, die Auswahl der Informationen, welche diese dem Parlamenta-
rischen Kontrollgremium vorgelegt habe, zu überprüfen. Sollte es Gründe ge-
ben, die es rechtfertigten, die Informationen, die dem Parlamentarischen Kon-
trollgremium vorgelegt worden sind, dem Untersuchungsausschuss nicht zur
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Verfügung zu stellen, so habe darüber allein die Bundesregierung gemäß § 18
Abs. 2 PUAG zu entscheiden. Durch die Einsetzung des Parlamentarischen
Kontrollgremiums seien die Rechte des Deutschen Bundestages im Bereich der
Nachrichtendienste um eine durchgehende parlamentarische Kontrolle erweitert
worden. Dies entziehe dem Bundestag jedoch nicht das Recht, zu nachrichten-
dienstlichen Tätigkeiten einen Untersuchungsausschuss zu bestellen. Gegen-
stand eines solchen Untersuchungsausschusses könne auch der Informations-
fluss zwischen den Nachrichtendiensten und dem Parlamentarischen Kontroll-
gremium sein. So habe es vorliegend mit Einsetzung des Untersuchungsaus-
schusses und Festlegung dessen Untersuchungsauftrages das Plenum be-
schlossen. Mit den beantragten Beweiserhebungen solle entsprechend Ziffer B
II 9 des Einsetzungsbeschlusses überprüft werden, ob der Deutsche Bundestag
hinreichend informiert worden sei. Nachdem das Parlamentarische Kontroll-
gremium nach der gesetzlichen und verfassungsrechtlichen Konzeption als
"Hilfsorgan des Deutschen Bundestages" tätig sei, stelle seine unzulängliche
Information zugleich eine nicht hinreichende Information des Deutschen Bun-
destages dar.
Die Antragsteller beantragen daher folgendes anzuordnen:
1. Es wird Beweis erhoben zum gesamten Untersuchungsauftrag (BT-
Drucks. 19/943) jedoch mit Ausnahme der Ziff. B II 7 durch Beiziehung sämtli-
cher Akten, Dokumente, in Dateien oder auf andere Weise gespeicherter Daten
und sonstiger sächlicher Beweismittel, die im Bundesamt für Verfassungsschutz
entstanden oder in behördlichen Gewahrsam genommen worden sind und dem
Parlamentarischen Kontrollgremium des Deutschen Bundestages in der
18. Wahlperiode aufgrund dessen Beschlusses vom 16. Januar 2017 übermit-
telt bzw. zur Verfügung gestellt wurden, gemäß § 18 Abs. 1 PUAG beim Bun-
desministerium des Inneren.
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2. Es wird Beweis erhoben zum gesamten Untersuchungsauftrag
(Drucks. 19/943) jedoch mit Ausnahme der Ziffer B II 7 durch Beiziehung sämt-
licher Akten, Dokumente, in Dateien oder auf andere Weise gespeicherter Da-
ten und sonstiger sächlicher Beweismittel, die beim Bundesnachrichtendienst
entstanden oder in behördlichen Gewahrsam genommen worden sind und dem
Parlamentarischen Kontrollgremium des Deutschen Bundestages in der
18. Wahlperiode aufgrund dessen Beschlusses vom 16. Januar 2017 übermit-
telt bzw. zur Verfügung gestellt wurden, gemäß § 18 Abs. 1 PUAG beim Bun-
deskanzleramt.
Hilfsweise beantragen die Antragsteller den 1. Untersuchungsausschuss
der 19. Wahlperiode des Deutschen Bundestages zu verpflichten, nochmals
über die Beweisanträge der Antragstellerin vom 15. März 2018 (Ausschuss-
Drucks. 19 [25/110] und 19 [25111]) abzustimmen und ihnen - zumindest mehr-
heitlich - zuzustimmen.
3. Der Antragsgegner, der keinen expliziten Antrag stellt, ist der Ansicht,
Haupt- und Hilfsanträge seien unzulässig.
§ 17 Abs. 4 PUAG eröffne dem Gericht nicht die Möglichkeit, den be-
gehrten Beweisbeschluss selbst zu treffen. Selbst wenn die Beweisanträge zu
Unrecht zurückgewiesen worden wären, könne das Gericht nur die Rechtswid-
rigkeit der Ablehnung feststellen. Auch der Hilfsantrag sei unzulässig. Einer
Verpflichtung, der begehrten Beweiserhebung mehrheitlich zuzustimmen bedür-
fe es überdies nicht. Ein entsprechender Beschluss könne mehrheitlich auch
bei Stimmenthaltung durch die Mehrheit erfolgen.
Der Antrag sei überdies unbegründet, da die Ablehnung der Beweisan-
träge rechtmäßig sei.
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Zum einen bezögen sich die Beweisanträge auf sämtliche Akten, die
dem Parlamentarischen Kontrollgremium vorgelegt wurden. Der Antrag umfas-
se damit zwangsläufig auch Beweismittel, die dem Untersuchungsausschluss
bereits aufgrund gefasster Beweiserhebungsbeschlüsse vorliegen bzw. vorge-
legt werden müssen. Zudem sei der Antrag unklar. So ergebe sich aus der An-
tragsbegründung nicht zweifelsfrei, ob durch die Beweiserhebung dem Unter-
suchungsausschuss die dem Parlamentarischen Kontrollgremium vorgelegten
Akten einschließlich des Zuganges zu deren Inhalt verschafft werden sollen
oder vielmehr lediglich eine Übersicht über die dem Kontrollgremium vorgeleg-
ten Akten begehrt werde.
Die durch die Antragsteller beantragte Beweiserhebung verstoße über-
dies gegen § 17 Abs. 2 PUAG i.V.m. § 10 Abs. 1 PKGrG. Das Beratungsge-
heimnis des § 10 Abs. 1 PKGrG gelte auch gegenüber Untersuchungsaus-
schüssen. § 10 Abs. 1 PKGrG umfasse nicht allein den Vorgang der Beratung,
sondern auch die dem Parlamentarischen Kontrollgremium vorliegenden Infor-
mationen und schütze diese vor der Weitergabe an andere Organe und Gremi-
en des Deutschen Bundestages einschließlich der Untersuchungsausschüsse.
Das Beratungsgeheimnis korrespondiere mit den spezifischen Aufgaben, Funk-
tionen und Befugnissen des Parlamentarischen Kontrollgremiums, die sich von
jenen der Untersuchungssauschüsse unterscheiden. Die erhöhten Geheim-
schutzanforderungen seien Voraussetzung dafür, dass die Bundesregierung
gegenüber dem Kontrollgremium deshalb keine Informationen zurückhalten dür-
fe, weil sie befürchtet, die Vertraulichkeit werde nicht gewahrt und so die Funk-
tionsfähigkeit der Nachrichtendienste gefährdet. Lediglich in eng umgrenzten, in
§ 10 PKGrG enumerativ aufgezählten Fällen, sehe das Gesetz eine Durchbre-
chung des Beratungsgeheimnisses vor. Durch die begehrte Aktenvorlage werde
das Beratungsgeheimnis des § 10 Abs. 1 PKGrG verletzt, nachdem die vorge-
legten Akten Rückschlüsse auf die Art und den Inhalt der Beratungen im Kon-
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trollgremium, die der Anforderung vorausgegangen sind und daher in der An-
forderungen einen konkreten Ausdruck gefunden haben, ermöglichen. Damit
würde ein wesentlicher Teil der vertraulichen Arbeit des Parlamentarischen
Kontrollgremiums offenbart. Dem stehe auch nicht entgegen, dass dieses die
Ergebnisse seiner Untersuchung im Fall „Amri“ der Öffentlichkeit am 31. Mai
2017 in einer öffentlichen Bewertung nach § 10 Abs. 2 PKGrG (BT-Drucks.
18/12585) bekannt gegeben habe. Überdies habe die Ausschussmehrheit mit
der Ablehnung der Beweisanträge auch nicht in unzulässiger Art und Weise
einer Prüfung vorgegriffen, zu der allein die Bundesregierung in der Bearbei-
tung der Beweisanträge zuständig und berechtigt gewesen sei. Gegenstand
des vorliegenden Rechtsstreits sei die grundsätzliche Möglichkeit unterschiedli-
cher Aktenvorlagen, nicht die Vorlage einzelner Akten oder Aktenteile. Denn
das Parlamentarische Kontrollgremium könne und habe selbst zu überprüfen,
ob es hinreichend und korrekt unterrichtet wurde. Um dies sicherzustellen sehe
das Gesetz über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätig-
keit des Bundes in Paragrafen 4 und 5 diverse Instrumente der Informationsge-
winnung durch das Kontrollgremium vor. Ferner habe das Parlamentarische
Kontrollgremium auch die Möglichkeit, auf ein unkorrektes Verhalten der Nach-
richtendienste öffentlich aufmerksam zu machen und gezielt weitergehende
Kontrollen anzustoßen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Verfahrensbetei-
ligten wird auf die Antragsschrift vom 4. Juni 2018 nebst Anlagen und Erwide-
rung des Vertreters des Gegners vom 7. August 2018 Bezug genommen.
II.
Das Begehren der Antragsteller hat im Hilfsantrag Erfolg.
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Der Antragsgegner ist verpflichtet, sich nochmals mit den im Tenor ge-
nannten Anträgen der Antragsteller vom 15. März 2018 zu befassen und diesen
- sollten sie weiterhin von einem Viertel der Mitglieder des Ausschusses unter-
stützt werden - zumindest mehrheitlich i.S. von § 9 Abs. 4 Satz 1 PUAG zuzu-
stimmen.
1. Der Hauptantrag ist unzulässig, denn der Ermittlungsrichter des Bun-
desgerichtshofs kann die Entscheidung des Untersuchungsausschusses nicht
ersetzten (vgl. BGH, Ermittlungsrichter, Beschluss vom 20. Februar 2009
- I ARs 3/2008, 1 BGs 20/09, zitiert nach juris, dort Rn. 47/48).
2. Der Hilfsantrag ist zulässig, insbesondere ist er statthaft und hinrei-
chend bestimmt. Ein Rechtsschutzbedürfnis der Antragsteller ist gegeben.
a) Der Antrag ist statthaft. Die Antragsteller repräsentieren mindestens
ein Viertel der Mitglieder des Untersuchungsausschusses. Sie erfüllen auch das
Quorum nach Art. 44 Abs. 1 Satz 1 GG, denn sie repräsentieren auch mehr als
ein Viertel der Mitglieder des 19. Deutschen Bundestages (vgl. BGH, Beschluss
vom 23. Februar 2017 - 3 ARs 20/16, BGHSt 62, 60 Rdn. 19 ff.).
b) Der Hilfsantrag ist hinreichend bestimmt.
Der Umfang der begehrten Beweiserhebung - hier die körperliche Bei-
ziehung der genannten Akten und sonstigen Beweismittel - ergibt sich zweifels-
frei aus dem Wortlaut der Beweisanträge der Antragsteller. Soweit die Antrag-
steller in ihrer Antragsschrift vom 4. Juni 2018 ausführen, Zweck der begehrten
Beweiserhebung sei die Überprüfung, ob verschiedene Organe des Deutschen
Bundestages gleiche Informationen erhalten haben, steht dies dem Wortlaut der
Beweisanträge nicht entgegen, sondern dient lediglich der Erläuterung des Be-
weiszweckes. Ob der erstrebte Beweiszweck nur durch die körperliche Vorlage
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der Beweismittel oder als milderes Mittel durch eine bloße Auflistung der dem
Parlamentarischen Kontrollgremium vorgelegten Beweismittel, erreicht werden
kann, ist keine Frage der Bestimmtheit des Antrages, sondern der Verhältnis-
mäßigkeit der begehrten Beweiserhebung, die im Rahmen der Frage des Miss-
brauches des Antragsrechts zu prüfen ist.
c) Ein Rechtsschutzbedürfnis ist gegeben. Insbesondere steht diesem
die zwischenzeitlich durch den Ausschuss umfänglich gegenüber dem Bundes-
amt für Verfassungsschutz und dem Bundesnachrichtendienst angeordnete
Beweiserhebung nicht entgegen. Denn der durch die Antragsteller formulierte
Zweck der Beweiserhebung, hier die Überprüfung, ob die verschiedenen Orga-
ne des Deutschen Bundestages - Ausschüsse einerseits und Parlamentari-
sches Kontrollgremium andererseits - von der Bundesregierung die gleichen
Informationen erhalten haben, kann durch die bislang erhobenen bzw. noch zu
erhebenden Beweise nicht erreicht werden. Aus der bislang durch den Untersu-
chungsausschuss angeordneten Beweiserhebung ergibt sich naturgemäß nicht,
ob die dem Untersuchungsausschuss vorgelegten Beweismittel auch dem Par-
lamentarischen Kontrollgremium vorgelegen haben. Soweit dem Parlamentari-
schen Kontrollgremium zur Verfügung gestellte Beweismittel dem Untersu-
chungsausschuss bereits aufgrund dessen Beweisbeschlüssen vorgelegt wur-
den, werden sich die verpflichteten Stellen auf einen Hinweis, dass diese Be-
weismittel bereits vorliegen, begnügen können.
3. Der Antrag hat in der Sache Erfolg. Die Beweisanträge durften von der
Ausschussmehrheit nicht abgelehnt werden, da keiner der Ablehnungsgründe
des § 17 Abs. 2 PUAG vorlag.
a) Die angestrebte Beweiserhebung ist von dem Untersuchungsgegen-
stand gedeckt (zur Unzulässigkeit der Beweiserhebung nach § 17 Abs. 2 PUAG
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wegen Überschreitung des Untersuchungsauftrages vgl. Waldhoff/Gärditz/Gär-
ditz, PUAG, § 17 Rn 13).
Nach Ziffer B II 9 des Einsetzungsbeschlusses vom 1. März 2018
(BT-Drucks. 19/943, Plenarprotokoll 19/17, S. 1406), soll der Untersuchungs-
ausschuss u.a. klären, ob die Bundesregierung den Deutschen Bundestag
"zeitgerecht, umfassend und zutreffend" über den Fall „Amri“ informiert hat. Da
das
Parlamentarische Kontrollgremium ein „Hilfsorgan“ des Deutschen Bundes-
tages ist, Art 45d Abs. 1 GG (vgl. Maunz/Dürig/Klein, GG, Stand: Januar 2018,
Art. 45d Rn. 12), ist die durch die Antragsteller angestrebte Beweiserhebung
von dem Einsetzungsbeschluss nach dessen Wortlaut umfasst.
Anhaltspunkte dafür, den Einsetzungsbeschluss entgegen seinem Wort-
laut einschränkend auszulegen, bestehen nicht. Dies dürfte auch der Auslegung
durch den Antragsgegner entsprechen, der gerade nicht ausführt, die von den
Antragstellern erstrebte Beweiserhebung sei nicht von dem Einsetzungsbe-
schluss gedeckt.
Auch eine Verfassungswidrigkeit des Einsetzungsbeschlusses, die den
Ermittlungsrichter zur Vorlage an das Bundesverfassungsgericht veranlassen
würde, § 36 Abs. 2 PUAG, ist weder ersichtlich, noch vorgetragen.
Im Hinblick auf das gesetzlich vorgesehene „Nebeneinander“ von
Untersuchungsausschuss und Parlamentarischen Kontrollgremium, § 1 Abs. 2
PKGrG, Art 45d Abs. 2 GG, begegnet es keinen rechtlichen Bedenken, einen
Untersuchungsausschuss auch mit der Frage der hinreichenden Information
des Parlamentarischen Kontrollgremiums durch die Bundesregierung bzw. ei-
nem Abgleich des Informationsflusses an dieses mit der Unterrichtung anderer
Gremien des Deutschen Bundestages zu betrauen.
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Das Parlamentarische Kontrollgremium stellt ein zusätzliches Instrument
parlamentarischer Kontrolle der Regierung im Bereich der Nachrichtendienste
dar, das parlamentarische Informationsrechte nicht verdrängt, § 1 Abs. 2
PKGrG, Art. 45d Abs. 2 GG (vgl. BVerfG, Beschluss vom 1. Juli 2009 - 2 BvE
5/06, BVerfGE 124, 161 Rn. 126; Huber in: Schenke/Graulich/Ruthig, Sicher-
heitsrecht des Bundes, PKGrG § 1 Rn. 9/10). Seine Tätigkeit unterscheidet sich
nach dem auf Grundlage von Art. 45d Abs. 2 GG ergangenem Gesetz über die
parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes von
der der Untersuchungsausschüsse. Im Einzelnen:
Dem Parlament sollen durch das Parlamentarische Kontrollgremium
nicht einzelfallbezogen, sondern kontinuierlich und umfassend Informationen
über die Nachrichtendienste verschafft werden, vgl. § 2 ff. PKGrG. Die parla-
mentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes durch ein
ständiges Gremium schließt eine Lücke in der Kontrolle der Nachrichtendienste.
So kann die allgemeine parlamentarische Kontrolle ihre Grenzen an der Ge-
heimhaltungsbedürftigkeit von Vorgängen finden. Durch die Besonderheiten der
Ausgestaltung des Parlamentarischen Kontrollgremiums, für dessen Arbeit - im
Gegensatz zu der der Untersuchungsausschüsse - nicht das Öffentlichkeits-
prinzip, sondern vielmehr eine strenge Geheimhaltungspflicht gilt, § 10 PKGrG,
wird die Vertraulichkeitsgewähr erhöht
. Als „Gegenleistung“ für die hohe Ver-
traulichkeitsgewähr darf das Parlamentarische Kontrollgremium faktisch alles
erfahren, was den Bereich der Nachrichtendienste betrifft. Das Recht Informati-
onen zurückzuhalten ist auf wenige Fälle beschränkt (vgl. Christopeit/Wolff, Die
Reformgesetzte zur parlamentarischen Kontrolle der Nachrichtendienste, ZG
2010, 77, 80/81).
Die mit dem erhöhten Informationsrecht verbundene Geheimhaltung hat
zur Folge, dass einzelne Abgeordnete, die Fraktionen und das Plenum des
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Deutschen Bundestages nicht über das Parlamentarische Kontrollgremium auf
Informationen zugreifen können, die die Bundesregierung diesem zur Verfü-
gung gestellt hat. Dem Deutschen Bundestag muss daher, um mit der Einrich-
tung des Parlamentarischen Kontrollgremiums nicht eine Verschlechterung der
Informationsmöglichkeiten des Parlaments einhergehen zu lassen, neben der
Einrichtung desselben in nachrichtendienstlichen Angelegenheiten eine eigene
Informationsmöglichkeit, z.B. über die Einsetzung von Untersuchungsaus-
schüssen verbleiben (vgl. BVerfG, aaO Rn. 128).
Wenn damit die nachrichtendienstliche Kontrolle dem Parlament durch
die Tätigkeit des Parlamentarischen Kontrollgremiums nicht entzogen ist, ist
kein Grund ersichtlich, warum es dem Deutschen Bundestag verwehrt sein soll-
te, (auch) zur Überprüfung der ordnungsgemäßen Information seines „Hilfsor-
gans“ bzw. eines Abgleichs des Informationsflusses an dieses mit der Unter-
richtung anderer Gremien des Deutschen Bundestages einen Untersuchungs-
ausschuss einzurichten. Soweit der Antragsgegner ausführt, das Parlamentari-
sche Kontrollgremium könne und habe selbst zu überprüfen, ob es hinreichend
und korrekt unterrichtet werde, so ist dies zutreffend, schließt indes eine Kon-
trolle durch das Parlament nicht aus. Bestünde diese externe Kontrollmöglich-
keit nicht, läge ein Kontrolldefizit in Bezug auf das Gremium vor, für dessen
Rechtfertigung plausible Gründe nicht ersichtlich sind.
b) Dahingestellt bleiben kann, ob ein Verstoß gegen das Geheimhal-
tungsgebot des § 10 Abs. 1 PKGrG die Unzulässigkeit der Beweiserhebung zur
Folge hat oder vielmehr lediglich dazu führen kann, dass die angeforderte Stelle
berechtigt ist, die Übersendung der Beweismittel abzulehnen (zur Unzulässig-
keit der Beweiserhebung gemäß § 17 Abs. 2 PUAG wegen Verstoßes gegen
geltendes Recht vgl. Waldhoff/Gärditz/Gärditz, PUAG, § 17 Rn 12). Denn ein
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Verstoß gegen das Geheimhaltungsgebot des § 10 Abs. 1 PKGrG ist nicht zu
besorgen.
Wie vorstehend ausgeführt ist das Geheimhaltungsgebot des § 10 Abs. 1
PKGr
G quasi der „Preis“ für die dem Parlamentarischen Kontrollgremium in be-
sonders hohem Maße gewährte Vertraulichkeit. Umfasst von dem Geheimhal-
tungsgebot gemäß § 10 Abs. 1 PKGrG sind nicht lediglich die Beratungen und
durch das Gremium selbst erstellten Unterlagen, sondern auch die durch dieses
beigezogenen Beweismittel, unabhängig davon, ob diese geheimhaltungsbe-
dürftig sind (vgl. BVerfG, aaO Rn. 128). Lediglich in enumerativ normierten Fäl-
len wird dieses Prinzip durchbrochen. So darf das Parlamentarische Kontroll-
gremium nach § 10 Abs. 2 PKGrG bei Zustimmung einer Mehrheit von zwei
Dritteln seiner anwesenden Mitglieder Vorgänge bewerten und diese Bewertung
veröffentlichen. Auch in diesem Fall darf jedoch nur ein Urteil über das Verhal-
ten der Dienste abgegeben werden, geheimhaltungsbedürftige Vorgänge dürfen
nicht veröffentlicht werden (vgl. BVerfG aaO Rn. 127).
Vorliegend begehren die Antragsteller gerade nicht den ihnen nach § 10
Abs. 1 PKGrG verwehrten Zugang zu den genannten Beweismitteln über das
Parlamentarische Kontrollgremium. Vielmehr sollen die relevanten Beweismittel
durch die Bundesregierung, die grundsätzlich auch gegenüber Untersuchungs-
ausschüssen zu Auskünften über nachrichtendienstliche Vorgänge verpflichtet
ist, ausgehändigt werden (vgl. BVerfG aaO Rn. 128).
Mit der Anforderung der Beweismittel, die dem Parlamentarischen Kon-
trollgremium vorgelegen haben, über die Bundesregierung wird das Geheimhal-
tungsgebot des § 10 Abs. 1 PKGrG auch nicht umgangen. Sinn des § 10 Abs. 1
PkGrG ist es insoweit - wie vorstehend ausgeführt, zu verhindern, dass ge-
heimhaltungsbedürftige Vorgänge, die zwar dem Parlamentarischen Kontroll-
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gremium, nicht aber dem Deutschen Bundestag selbst übermittelt werden kön-
nen, über das Gremium dorthin gelangen. Diese Gefahr besteht vorliegend je-
doch nicht. Soweit sich unter den Beweismitteln Unterlagen befinden, die aus
Sicht der Bundesregierung aus Geheimhaltungsgründen zwar dem Parlamenta-
rischen Kontrollgremium, nicht jedoch dem Untersuchungsausschuss vorgelegt
werden können, so liegt es in deren alleinigen Entscheidungsbefugnis entspre-
chende Unterlagen zurückzuhalten.
Durch die begehrte Beweiserhebung wird das Beratungsgeheimnis auch
nicht dadurch umgangen, als die Mitteilung der dem Parlamentarischen Kon-
trollgremium übergebenen Unterlagen und Beweismittel Rückschlüsse auf die
Beratungen des Gremiums zuließe.
Das Parlamentarische Kontrollgremium hat zum einen
zu dem Fall „Anis
Amri“ unter dem 31. Mai 2017 (BT-Drucks. 18/12585) eine öffentliche Bewer-
tung nach § 10 Abs. 2 PKGrG abgegeben. Darin ist u.a. ausgeführt, von wel-
chen Stellen Akten beigezogen und - ohne Benennung konkreter Umstände -
welche angeforderten Stellen dem Ersuchen nur eingeschränkt nachgekommen
sind (BT-Drucks. 18/12585, S. 2). Zum anderen richtet sich der Antrag nicht auf
die Vorlage des Anforderungsbeschlusses vom 16. Januar 2017, sondern nur
auf Vorlage der Akten, die im Hinblick darauf tatsächlich übersandt wurden. Aus
der begehrten Beweiserhebung ergibt sich damit z.B. nicht, ob und bejahenden-
falls welche vom Parlamentarischen Kontrollgremium erbetenen Akten die Bun-
desregierung nicht übersandt hat. Ein Rückschluss auf geheimhaltungsbedürfti-
gen Inhalt der Beratungen des Parlamentarischen Kontrollgremiums ist damit
nicht zu besorgen.
c) Die Beweisanträge sind auch nicht rechtsmissbräuchlich.
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Zwar kann eine unverhältnismäßige Beweiserhebung, deren Aufwand in
keinem Verhältnis zu dem zu erwartenden Erkenntnisgewinn steht und dadurch
eine effektive Aufklärung nur verzögert, missbräuchlich und daher abzulehnen
sein (vgl. Waldhoff/Gärditz/Gärditz, PUAG, § 17 Rn. 17). Hierfür bestehen vor-
liegend jedoch keine Anhaltspunkte. Eine Rechtsmissbräuchlichkeit wird durch
den Antragsgegner nicht vorgetragen. Dahingestellt bleiben kann damit letztlich,
ob die Übermittlung einer Auflistung der dem Parlamentarischen Kontrollgremi-
um übersandten Akten dem Beweiszweck genügen würde. Die körperliche
Übersendung der Akten und sonstigen Beweismittel, die - wie der Antragsgeg-
ner selbst vorträgt - in großen Teilen dem Ausschuss ohnehin bereits vorliegen
dürften bzw. aufgrund der gefassten Beweisbeschlüsse noch vorzulegen sind,
stellt gegenüber der Auflistung der Akten keinen so erhöhten Mehraufwand dar,
dass insoweit von einer Missbräuchlichkeit des Beweisantragsrechts ausge-
gangen werden könnte.
III.
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.
Ein Gebührentatbestand bezüglich der Gerichtskosten ist weder im Un-
tersuchungsausschussgesetz noch in oder für die hier sinngemäß anzuwen-
dende Strafprozessordnung (Art. 44 Abs. 2 Satz 1 GG) gegeben; zudem wür-
den solche Gebühren nicht erhoben (§ 2 GKG). Auch für die Überführung der
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Kosten und Auslagen des Antragsgengers mangelt es an einer Rechtsgrundla-
ge (vgl. zudem § 35 PUAG).
Wimmer
Richterin am Bundesgerichtshof
Rechtsmittelbelehrung
Gegen diesen Beschluss kann der Antragsgegner Beschwerde einlegen
(§ 36 Abs. 3 PUAG). Die Beschwerde ist schriftlich oder zu Protokoll bei dem
Gericht einzureichen, das die angegriffene Entscheidung erlassen hat, also
beim Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs. Sie ist an keine Frist gebun-
den. Auch besteht für die Einlegung der Beschwerde sowie ihre Begründung
kein "Anwaltszwang", Verfahrensbeteiligte können das Rechtsmittel also auch
durch ein selbst verfasstes Schreiben einlegen und begründen.