Urteil des BGH vom 02.04.1954

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IX ZR 127/99
Verkündet am:
21. September 2000
Bürk
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGB § 591 b, § 675; LwAnpG § 51
a) Die für Ersatzansprüche der Kreispachtgeschädigten entwickelten Regeln (vgl.
BGHZ 127, 285; 127, 297; 129, 282) gelten grundsätzlich auch, wenn ein Land-
wirtschaftsbetrieb unter Einschaltung des Rats der Gemeinde einer Landwirt-
schaftlichen Produktionsgenossenschaft zur Nutzung überlassen worden ist.
b) Zum Umfang der Verpflichtung eines Rechtsanwalts, Rechtsprechung und
Schrifttum bei der Bearbeitung einer Angelegenheit aus einem sich neu entwik-
kelnden Rechtsgebiet zu berücksichtigen.
BGH, Urteil vom 21. September 2000 - IX ZR 127/99 - OLG Naumburg
LG Magdeburg
- 2 -
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 21. September 2000 durch die Richter Dr. Kreft, Stodolkowitz, Kirchhof,
Dr. Fischer und Raebel
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 1. Zivilsenats
des Oberlandesgerichts Naumburg vom 15. März 1999 aufgeho-
ben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung,
auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Beru-
fungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger nimmt den verklagten Rechtsanwalt auf Schadensersatz we-
gen Verletzung anwaltlicher Berufspflichten in Anspruch. Der Kläger war Ei-
gentümer eines in der früheren DDR gelegenen landwirtschaftlichen Betriebs.
Am 15. März 1954 unterzeichnete er folgendes als "Antrag" bezeichnete
Schreiben:
- 3 -
"Ich möchte meinen 45 ha grossen Hof, mit totem und lebenden Inven-
tar, der LPG F. in U., zur Verfügung stellen. Der Grund meines Antrags
ist: Sollrückstände, Futtermangel und Mangel an Arbeitskräften.
Ich bitte meinem Antrag stattzugeben."
Die LPG "F." in U. (im folgenden: LPG) erklärte am gleichen Tage, daß
sie sich verpflichtet sehe, die Wirtschaft zu übernehmen, da der Besitzer nach
jahrelangen Erfahrungen nicht in der Lage sei, seinen Verpflichtungen gegen-
über dem Staat nachzukommen. Auch der Rat der Gemeinde U. befürwortete
den Antrag,
"um damit eine ordnungsgemäße Bewirtschaftung und Ablieferung zu
gewährleisten."
Der Rat des Kreises W. führte in einem Schreiben an den Rat der Ge-
meinde vom 2. April 1954 aus, dem Antrag könne nur stattgegeben werden,
wenn hierfür einige im Einzelnen aufgeführte Voraussetzungen geschaffen
würden. Weiter heißt es:
"(Der Kläger) als Besitzer seines landwirtschaftlichen Vermögens bleibt
für die Sollrückstände voll verantwortlich.
Aus dem Antrag selbst, wie aus der Stellungnahme des Rates der Ge-
meinde und des Vorstandes der LPG geht eindeutig hervor, dass der
Besitzer selbst nicht in der Lage ist seinen landwirtschaftlichen Grund-
besitz ordnungsgemäss weiter zu bewirtschaften. Aus diesem Grunde
kann der Rat des Kreises dem Abschluß eines Pachtvertrages zwischen
dem Antragsteller und der LPG nicht zustimmen und muss in diesem
Falle zwischen dem Rat der Gemeinde und der LPG ein Nutzungsver-
trag nach den gesetzlichen Bestimmungen der VO vom 3.9.53 und den
II. Durchführungsbestimmungen vom 5.2.1954 in Höhe der Grund- und
Vermögenssteuern mit dem Antragsteller abgeschlossen werden. ..."
- 4 -
Am 6. Juli 1954, genehmigt vom Rat des Kreises am 9. Juli 1954,
schlossen der Rat der Gemeinde und die LPG "gemäss § 7 der Verordnung
vom 3.9.1953 über die Bewirtschaftung freier Betriebe und Flächen und die
Schaffung von Betrieben der örtlichen Landwirtschaft" einen Nutzungsvertrag
über den landwirtschaftlichen Betrieb des Klägers für die Dauer von fünf Jah-
ren. In dem Vertragsformular heißt es:
"...
2.)
Die Nutzungsübergabe erfolgt mit dem in der Anlage zu diesem
Vertrage aufgeführten lebenden und toten Inventar.
3.) Der Nutzende verpflichtet sich, die übernommenen Flächen ord-
nungsgemäss zu bewirtschaften. Er geniesst die Vergünstigungen nach
§ 7 der o.a. Verordnung nebst den hierzu ergangenen Durchführungs-
bestimmungen.
4.) Als Nutzungsgebühr wird die Zahlung der Grund- und Vermögen-
steuer #zugrunde gelegt.
#sowie die Zahlung eines Altenteils in Höhe von 150,- DM monatl. an
Frau A. M., U.
..."
Der Vertrag enthielt in seinem Eingang den Zusatz: "gem. Verzichtser-
klärung des Eigentümers ... (Kläger) ....". Ihm war eine auf den 15. März 1954
datierte Liste des übergebenen toten und lebenden Inventars beigefügt.
Mit Schreiben vom 5. Dezember 1958 teilte der Rat der Gemeinde dem
Kläger mit, daß die LPG den Nutzungsvertrag gekündigt habe. Diese
"wäre bereit die Bewirtschaftung weiterhin durchzuführen, wenn der be-
stehende Vertrag eingehalten wird. Anderenfalls wird Ihnen der Hof ein-
schließlich Wirtschaftsfläche nach Ablauf des Vertrages ab 1.10.1959
wieder zur Verfügung gestellt."
- 5 -
Mit der "Einhaltung" des Vertrages war der Umstand gemeint, daß der
Kläger unter anderem eine nicht ihm, sondern seinem Großvater gehörende
Mühle nicht mit übergeben hatte.
Am 15. Juli 1959 richtete der Kläger folgendes Schreiben an den Rat der
Gemeinde:
"Ich erkläre hiermit, dass ich auch weiterhin nicht in der Lage bin die
Bewirtschaftung meines 39,- ha großen Betriebes auszuführen.
Unter Berücksichtigung einer Altenteilzahlung in Höhe von 150 DM mo-
natlich an meine Großmutter Frau A. M. stelle ich meinen gesamten Be-
trieb einschließlich Wohnhaus, Mühle, Wirtschaftsgebäude sowie
39,82,82 ha landwirtschaftliche Nutzfläche weitere 5 Jahr dem Rat der
Gemeinde zur Verfügung."
Daraufhin genehmigte der Rat des Kreises am 1. September 1959 einen
weiteren Nutzungsvertrag zwischen dem Rat der Gemeinde und der LPG, in
dem auf die schon im Vertrag vom 6. Juli 1954 erwähnte Verordnung vom
3. September 1953 und die dazu ergangene Zweite Durchführungsbestimmung
vom 5. Februar 1954 hingewiesen wurde. Er wurde für die Dauer von fünf Jah-
ren geschlossen und sollte sich - wie schon der erste Vertrag - jeweils um ein
Jahr verlängern, sofern er nicht vorher gekündigt wurde. Das Vertragsformular
enthält unter Nummer 2 folgende Angaben:
"Inventar ist nicht mitübergeben worden.
Das in der Anlage II zu diesem Vertrage aufgeführte lebende und tote
Inventar ist mitübergeben worden *).
*) Nichtzutreffendes streichen."
Von diesem Text ist nichts gestrichen.
- 6 -
Im übrigen stimmt die Vertragsurkunde mit den Regelungen in Num-
mern 3 und 4 des Vertrags vom 6. Juli 1954 inhaltlich im wesentlichen überein.
Mit Schreiben vom 3. Juli 1990 kündigte der Kläger gegenüber der Ge-
meinde U.
"den seinerzeit durch die Gemeinde U. verfaßten LPG-Nutzungsvertrag
vom 9.7.1954, der seither jährlich stillschweigend jeweils um ein Jahr
verlängert wurde, nunmehr fristgemäß ...".
Unter dem 3. August 1990 antwortete die "Gemeindeverwaltung":
"Der Nutzungsvertrag vom 01.09.1959 wurde von der Gemeinde U. ab
sofort für ungültig erklärt.
Die Gemeinde U. gibt somit die durch die Erklärung von Herrn ... (Klä-
ger) vom 15.03.1954 erhaltene Verfügungsgewalt über sein Eigentum
wieder an Herrn ... (Kläger) zurück."
Die Rechtsnachfolgerin der LPG übergab dem Kläger den Betrieb am
13. Februar 1992 ohne Inventar.
Im Jahre 1991 beauftragte der Kläger den Beklagten mit der Geltendma-
chung seiner Rechte im Zusammenhang mit dem landwirtschaftlichen Betrieb.
Der Beklagte unterließ zunächst im Hinblick auf die unklare Rechtslage weitere
Schritte und erhob erst im Dezember 1996 vor dem Landwirtschaftsgericht M.
Klage gegen die Rechtsnachfolgerin der LPG auf Zahlung von 123.370,00 DM
Schadensersatz wegen der Nichtrückgabe des Inventars. Diese Klage wurde
mit Urteil vom 15. April 1997 rechtskräftig mit der Begründung abgewiesen,
etwaige Ansprüche des Klägers seien verjährt.
- 7 -
Der Kläger nimmt den Beklagten auf Schadensersatz wegen des Pro-
zeßverlustes sowie ihm hierdurch entstandener Verfahrenskosten in Anspruch.
Er macht ihm zum Vorwurf, daß er mit der gerichtlichen Geltendmachung der
Ansprüche gegen die LPG bis nach Verjährungseintritt zugewartet und ihn so-
dann nicht über das Prozeßrisiko der Verjährung belehrt habe. Seine auf Zah-
lung von zuletzt 149.070,55 DM nebst Zinsen gerichtete Klage ist in den Vorin-
stanzen ohne Erfolg geblieben. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Kla-
gebegehren weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.
Das Berufungsgericht hat angenommen, der Beklagte habe zwar
schuldhaft seine anwaltlichen Pflichten verletzt, weil er bei der an der Recht-
sprechung zu den sog. Kreispachtverträgen (BGHZ 127, 285; 127, 297; 129,
282) ausgerichteten Klage gegen die Rechtsnachfolgerin der LPG nicht be-
rücksichtigt habe, daß nach dieser Rechtsprechung ein derartiger Anspruch
spätestens am 31. Juli 1995 verjährt sei; der Kläger habe jedoch durch die
Pflichtverletzung des Beklagten keinen Schaden erlitten, weil ihm kein Scha-
densersatzanspruch wegen des Verlusts des Inventars zugestanden habe. Im
letztgenannten Punkt hält das Berufungsurteil der Revisionsprüfung nicht
stand.
I.
- 8 -
Der Kläger hatte die rechtliche Möglichkeit, einen Anspruch auf Ersatz
des von der LPG genutzten und ihm nicht zurückgegebenen Inventars durch-
zusetzen.
1. Nach Ansicht des Berufungsgerichts stand der Kläger nicht nur zur
LPG, sondern auch zu den staatlichen Behörden in keiner vertraglichen, die
Nutzung seines Hofes betreffenden Beziehung. Vielmehr sei, so hat das Beru-
fungsgericht ausgeführt, der "Antrag" des Klägers vom 15. März 1954 als Ver-
zichtserklärung behandelt oder doch in eine solche umgedeutet worden. Eine
derartige Umdeutung sei nicht schlechthin abwegig gewesen, denn der Kläger
habe sich der "Bürde" des unter den damaligen Verhältnissen von ihm nicht
mehr zu bewirtschaftenden Hofes entledigen wollen. Bei dieser tatrichterlichen
Würdigung hat das Berufungsgericht, wie die Revision zu Recht rügt, wesentli-
che Teile des Prozeßstoffs nicht berücksichtigt; es ist auch von einem teilweise
unzutreffenden Verständnis der damals geltenden einschlägigen Bestimmun-
gen des DDR-Rechts ausgegangen. Die den "Verzicht" des Klägers betreffen-
den tatrichterlichen Feststellungen sind deshalb für das Revisionsgericht nicht
bindend.
a) Den Ausführungen des Berufungsgerichts ist nicht mit Sicherheit zu
entnehmen, ob nach seiner Meinung der "Verzicht" des Klägers für diesen den
Verlust des Eigentums zur Folge gehabt haben soll. Das Eigentum am Grund
und Boden konnte der Kläger nach den damals in der DDR noch geltenden
Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs nicht ohne Eintragung im Grund-
buch verlieren. Dafür ist es gleichgültig, ob eine Eigentumsaufgabe (§ 928
- 9 -
Abs. 1 BGB) oder eine Übertragung des Eigentums auf die LPG oder eine
staatliche Stelle in Betracht gezogen wird. Wenn der Kläger aber Eigentümer
des Grundstücks blieb, galt das nach § 926 Abs. 1, § 97 Abs. 1, § 98 Nr. 2
BGB grundsätzlich auch für das lebende und tote Inventar. Es ist nichts dafür
ersichtlich, daß der Kläger sich unabhängig vom Grundeigentum einzig und
allein des Inventars "entledigen" wollte.
b) Möglicherweise hat das Berufungsgericht gemeint, der Kläger habe
auch dann keine vertraglichen Ansprüche aufgrund der Fremdnutzung des
landwirtschaftlichen Betriebs erworben, wenn die Sachen in seinem Eigentum
geblieben seien; dem Geschehensablauf im Jahre 1954 sei unter Berücksichti-
gung der damals geltenden Vorschriften zu entnehmen, daß im Verhältnis zum
Kläger ein vertragsloser Zustand geherrscht habe. Auch in einer solchen Be-
urteilung kann dem Berufungsgericht nicht gefolgt werden.
Richtig ist allerdings, daß die LPG den Betrieb nicht aufgrund eines zwi-
schen ihr und dem Kläger abgeschlossenen Pachtvertrags zur Nutzung erhal-
ten hat. Solche Verträge mit Eigentümern landwirtschaftlicher Betriebe waren in
§ 2 der Verordnung über die Bewirtschaftung freier Betriebe und Flächen und
die Schaffung von Betrieben der örtlichen Landwirtschaft vom 3. September
1953 (GBl. DDR S. 983; Bewirtschaftungsverordnung) und in § 2 Abs. 1 der
Zweiten Durchführungsbestimmung zu dieser Verordnung vom 5. Februar 1954
(GBl. DDR S. 225) vorgesehen. Sie bedurften nach Art. VI des Gesetzes Nr. 45
des Kontrollrats vom 20. Februar 1947 der Genehmigung durch die zuständi-
gen deutschen Behörden und wurden später durch § 2 der Verordnung über
die einheitliche Bewirtschaftung landwirtschaftlicher Nutzflächen und die
Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften vom 20. Januar 1955 (GBl.
- 10 -
DDR S. 97) dahin umgestaltet, daß anstelle der Landwirtschaftlichen Produkti-
onsgenossenschaft der zuständige Rat des Kreises und damit der Staat in sie
eintrat (sog. Kreispachtverträge). Einen solchen Vertrag mag der Kläger sei-
nerzeit angestrebt haben; er ist aber wegen der durch den Rat des Kreises am
2. April 1954 ausgesprochenen Versagung der Genehmigung nicht zustande
gekommen.
Aus den im Schreiben des Rats des Kreises vom 2. April 1954 genann-
ten Gründen hat anstelle des Klägers der Rat der Gemeinde den Nutzungsver-
trag mit der LPG geschlossen. Rechtsgrundlage hierfür waren § 7 der Bewirt-
schaftungsverordnung und § 7 Abs. 2 der Zweiten Durchführungsbestimmung
(aaO). Nach diesen Vorschriften konnten die Räte der Gemeinden Grundstük-
ke aus den "Betrieben der örtlichen Landwirtschaft" unter anderem Landwirt-
schaftlichen Produktionsgenossenschaften im Wege von Nutzungsverträgen
zur Verfügung stellen. Ein Betrieb der örtlichen Landwirtschaft umfaßte neben
volkseigenen Kreis- und Gemeindebetrieben auch solche "Betriebe, die von
ihren Eigentümern bis zum 30. September 1953 nicht zurückgenommen wor-
den sind und die sich in der Nutzung der Gemeinden befinden" (§ 6 Abs. 1 der
Bewirtschaftungsverordnung). Es kann mit dem Berufungsgericht davon aus-
gegangen werden, daß der Hof des Klägers unter Hinweis auf seine "Ver-
zichtserklärung" dem "Betrieb der örtlichen Landwirtschaft" einverleibt und so-
dann vom Rat der Gemeinde der LPG zur Nutzung überlassen worden ist.
Damit war indessen für den Kläger nicht, wie das Berufungsgericht of-
fenbar angenommen hat, notgedrungen ein Eigentumsverlust (s. dazu oben
I 1 a) oder ein dem in den Wirkungen gleichkommender Rechtsverlust verbun-
den. Das zeigt schon die Regelung in § 2 Abs. 2 der Zweiten Durchführungs-
- 11 -
bestimmung; danach konnten mit "Eigentümern von Betrieben, die sich in Nut-
zung von Betrieben der örtlichen Landwirtschaft befinden, ... Nutzungsverträge
für die Dauer von mindestens fünf Jahren" abgeschlossen werden; den Ab-
schluß eines solchen Vertrages konnte der Eigentümer beim Rat des Kreises
"anbieten". Ein derartiger Vertrag ist zwar mit dem Kläger nicht ausdrücklich
und jedenfalls nicht in schriftlicher Form geschlossen worden. Die - vom Beru-
fungsgericht nicht gewürdigten - Umstände dieses Falles zeigen jedoch in ihrer
Gesamtheit, daß die Beteiligten damals nicht von einem vertragslosen Zustand,
sondern von einem zumindest pachtähnlichen Rechtsverhältnis zwischen dem
Rat der Gemeinde und dem Kläger ausgegangen sind. Das wird schon darin
deutlich, daß im Schreiben des Rats des Kreises vom 2. April 1954 davon ge-
sprochen wird, daß "zwischen dem Rat der Gemeinde und der LPG ein Nut-
zungsvertrag nach den gesetzlichen Bestimmungen ... in Höhe der Grund- und
Vermögenssteuern mit dem Antragsteller" abgeschlossen werden müsse. Die-
se Ausdrucksweise ist zwar rechtlich unscharf; sie läßt aber doch hinreichend
deutlich erkennen, daß der Kläger in irgendeiner Form in das Nutzungsverhält-
nis einbezogen war. Bestätigt wird dies durch die Übernahme der an sich vom
Kläger geschuldeten Grund- und Vermögensteuern - das entsprach der Rege-
lung in Nr. 3 der Ersten Durchführungsbestimmung zur Bewirtschaftungsver-
ordnung vom 30. September 1953 (GBl. DDR S. 1013), wonach die Landwirt-
schaftlichen Produktionsgenossenschaften die Grund- und Vermögensteuern
zu übernehmen hatten, gleichzeitig aber von deren Entrichtung an den Staat
befreit wurden - und der Altenteilszahlungen zugunsten der Frau A. M. Entge-
gen der Ansicht des Berufungsgerichts war letzteres durch die Bestimmungen
der von ihm selbst herangezogenen Anordnung über die Zahlung von Nut-
zungsgebühren für freie Betriebe und Flächen vom 7. August 1954 (ZentrBl
S. 423) gedeckt. Dort ist in Nr. 7 von der Befugnis der Räte der Kreise die Re-
- 12 -
de, über die Zahlung einer Nutzungsgebühr "an andere Personen als den Ei-
gentümer" zu entscheiden. Schließlich bringt auch die vom Berufungsgericht zu
Unrecht für seine gegenteilige Ansicht angeführte Bestimmung in Nr. 6 jener
Anordnung zum Ausdruck, daß Flächen und Betriebe, die von den Räten der
Gemeinde - im dortigen Zusammenhang an private Bauern - "in Nutzung gege-
ben" worden waren, damit nicht aus der Rechtszuständigkeit des Eigentümers
ausschieden; denn dort heißt es, daß "den Eigentümern dieser Betriebe oder
Flächen in jedem Falle die eingezogenen Nutzungsgebühren unter Abzug einer
(vom Rat der Gemeinde einbehaltenen) Verwaltungsgebühr von 10 % gutzu-
bringen" seien.
Diese rechtliche Beurteilung wird durch die spätere, vom Berufungsge-
richt ebenfalls außer Betracht gelassene Verfahrensweise bestätigt. Mit
Schreiben vom 5. Dezember 1958 unterrichtete der Gemeindebürgermeister
den Kläger, daß die LPG den Nutzungsvertrag zum 30. September 1959 ge-
kündigt habe; gleichzeitig wies er daraufhin, daß dem Kläger "der Hof ein-
schließlich Wirtschaftsfläche ... ab 1.10.1959 wieder zur Verfügung gestellt"
werde, wenn bestimmte Voraussetzungen für die weitere Bewirtschaftung
durch die LPG (insbesondere Übergabe auch der Mühle) nicht erfüllt würden.
Der Kläger antwortete mit Schreiben vom 15. Juli 1959, er stelle seinen ge-
samten Betrieb für weitere fünf Jahre dem Rat der Gemeinde zur Verfügung.
Am 1. September 1959 wurde sodann ein erneuter Nutzungsvertrag zwischen
dem Rat der Gemeinde und der LPG vom Rat des Kreises genehmigt. Daraus
ergibt sich mit aller Deutlichkeit, daß sämtliche Beteiligten weder von einem
Eigentumsverlust noch von einem Verzicht auf sonstige vergleichbare Rechte
des Klägers, sondern von einer zeitlich befristeten, pachtähnlichen Überlas-
sung des Betriebs an den Rat der Gemeinde ausgingen.
- 13 -
2. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bestehen in den
Fällen der sog. Kreispachtverträge keine Ansprüche des Eigentümers gegen
die heutigen Landkreise oder das jeweilige Bundesland; die jetzt zuständige
Kreisbehörde hat jedoch dem Eigentümer einen etwaigen Schadensersatzan-
spruch gegen die Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft, in deren
Nutzung sich der Betrieb befand, (bzw. deren Rechtsnachfolger) abzutreten,
wobei in der Entgegennahme einer Kündigung durch die Kreisbehörde in der
Regel eine entsprechende stillschweigende Abtretung zu sehen ist (BGHZ 127,
285, 288 ff; 127, 297, 305 ff; 129, 282, 288). Das kann dem Grundsatz nach
nicht anders sein, wenn in das Nutzungsverhältnis nicht der Rat des Kreises,
sondern, wie hier, der Rat der Gemeinde eingeschaltet war; denn auch dieser
war nicht anders als der Rat des Kreises im System des "demokratischen Zen-
tralismus" ein nachgeordnetes Staatsorgan mit bestimmten Verwaltungszu-
ständigkeiten. Im Streitfall war die LPG nach den Nutzungsverträgen vom
6. Juli 1954 und 1. September 1959 (dort jeweils Nr. 3) dem Rat der Gemeinde
gegenüber zu einer - nach den in der DDR jeweils geltenden Maßstäben - ord-
nungsmäßigen Wirtschaftsführung verpflichtet (vgl. BGHZ 127, 297, 315). Der
Rat der Gemeinde war seinerseits im Verhältnis zum Kläger als Pächter im
Sinne des § 596 BGB anzusehen (vgl. BGHZ 127, 297, 312-314). Nach der
Einführung der Selbstverwaltung der Gemeinden und Landkreise in der ehe-
maligen DDR durch Gesetz vom 17. Mai 1990 (GBl. DDR S. 255) fielen die
Räte der Gemeinden und der Kreise weg. Nach der neuen Kommunalverfas-
sung ist bei Kreispachtverhältnissen der Landkreis (Landrat) als "zuständige
Kreisbehörde" im Sinne des § 51 LwAnpG (BGHZ 121, 88, 90; 127, 297, 317 f;
vgl. auch Urt. v. 16. Juni 2000 - LwZR 13/99, WM 2000, 1764, 1765) verpflich-
tet, in Abwicklung der früheren Rechtsverhältnisse zugunsten des Staates ent-
- 14 -
standene Schadensersatzansprüche an den Eigentümer abzutreten (BGHZ
127, 297, 314 f).
Es kommt hier nicht darauf an, ob dasselbe für die unter Mitwirkung des
Rats der Gemeinde zustande gekommenen Nutzungsverhältnisse gilt oder ob
in einem solchen Fall nunmehr die Gemeinde für die Abwicklung zuständig wä-
re. Im letzteren Fall wäre schon in der Entgegennahme der Kündigung des
Klägers durch die Gemeinde U. und der im Schreiben der "Gemeindeverwal-
tung" vom 3. August 1990 ausgesprochenen "Ungültigerklärung" des Nut-
zungsvertrags eine stillschweigende Abtretung etwaiger Schadensersatzan-
sprüche gegen die LPG bzw. deren Rechtsnachfolgerin zu sehen (vgl. BGHZ
127, 297, 318). Sicherheitshalber hätte auch die Abtretungserklärung des zu-
ständigen Landkreises rechtzeitig vor Eintritt der Verjährung herbeigeführt wer-
den können und müssen (s. dazu unten I 3, II). Der Landkreis hat später die
Abtretung mit Schreiben vom 24. März 1997 nur im Hinblick auf die damals be-
reits eingetretene Verjährung abgelehnt.
3. Wie in den Fällen der Kreispachtverträge (vgl. dazu im einzelnen
BGHZ 127, 297, 315 ff) kam danach für den Kläger ein aus dem Vertragsver-
hältnis zwischen dem Rat der Gemeinde und der LPG oder deren Rechts-
nachfolgerin hergeleiteter Schadensersatzanspruch wegen Nichtrückgabe des
Inventars in Betracht. Die Erhaltungspflichten waren durch die Nutzungsverträ-
ge vom 6. Juli 1954 und 1. September 1959 auf die LPG übertragen. Dazu ge-
hörte die Verpflichtung, das überlassene Inventar in den Grenzen ordnungs-
mäßiger Wirtschaftsführung zu erhalten und eine Schätzwertdifferenz bei
Rückgabe auszugleichen ("eisernes Inventar"; vgl. BGHZ 127, 297, 315). Da
das Inventar bei der Rückgabe des Betriebs an den Kläger am 13. Februar
- 15 -
1992 unstreitig nicht mehr vorhanden war, stand diesem - aus dem Recht des
Rats der Gemeinde oder des Rats des Kreises - ein Schadensersatzanspruch
nach den §§ 104, 105 Abs. 2 des Vertragsgesetzes zu. Dieser Anspruch ver-
jährte in sechs Monaten nach Rückgabe des Hofs an den Kläger. Die Verjäh-
rung war jedoch wegen der zunächst ungeklärten Rechtslage bis zum
31. Januar 1995 gehemmt, so daß sie - erst - am 31. Juli 1995 eintrat (vgl.
BGHZ 129, 282, 287 ff).
II.
Der infolge der Verjährung des Ersatzanspruchs gegen die LPG einge-
tretene Rechtsverlust des Klägers beruht, wie das Berufungsgericht im Ergeb-
nis zu Recht angenommen hat und auch die Revisionserwiderung nicht in
Zweifel zieht, auf einer schuldhaften Verletzung der Anwaltspflichten des Be-
klagten.
1. Der Rechtsanwalt hat seine Tätigkeit für den Mandanten in erster Li-
nie an der höchstrichterlichen Rechtsprechung auszurichten; denn diese hat
richtungweisende Bedeutung für Entwicklung und Anwendung des Rechts
(BGH, Urt. v. 30. September 1993 - IX ZR 211/92, NJW 1993, 3323, 3324). Der
Anwalt muß sich deshalb über die Entwicklung der höchstrichterlichen Recht-
sprechung nicht nur anhand der amtlichen Sammlungen, sondern auch der
einschlägigen Fachzeitschriften unterrichten (BGHZ 85, 252, 259 ff; Urt. v.
10. Dezember 1957 - VIII ZR 243/56, NJW 1958, 825). Eine Pflicht des
Rechtsanwalts, darüber hinaus die veröffentlichte Instanzrechtsprechung und
- 16 -
das Schrifttum sowie hierbei insbesondere die Aufsatzliteratur heranzuziehen,
besteht zwar grundsätzlich nur in beschränktem Maße; strengere Anforderun-
gen sind jedoch zu stellen, wenn ein Rechtsgebiet ersichtlich in der Entwick-
lung begriffen und (weitere) höchstrichterliche Rechtsprechung zu erwarten ist.
Dann muß ein Anwalt, der eine Angelegenheit aus diesem Bereich zu bear-
beiten hat, auch Spezialzeitschriften in angemessener Zeit durchsehen (vgl.
BGH, Beschl. v. 20. Dezember 1978 - IV ZB 115/78, NJW 1979, 877). Ihm muß
dabei freilich insgesamt ein "realistischer Toleranzrahmen" zugebilligt werden
(Vollkommer, Anwaltshaftungsrecht, 1989, Rn. 149; Zugehör, Handbuch der
Anwaltshaftung, 1999, Rn. 576).
2. Der Beklagte war nach dem für die Revisionsinstanz als richtig zu
unterstellenden Vortrag des Klägers seit 1991 in dieser Angelegenheit beauf-
tragt. Er hatte sich wegen der infolge des Umbruchs in der ehemaligen DDR
entstandenen unklaren Rechtslage zunächst abwartend verhalten und insbe-
sondere von einer Klageerhebung abgesehen, ohne jedoch das Mandat zu be-
enden. In dieser Situation, die sich jederzeit durch einschlägige Gerichtsent-
scheidungen ändern konnte, war der Beklagte zur Wahrung der Interessen des
Klägers verpflichtet, die Rechtsentwicklung besonders sorgfältig zu beobach-
ten; dabei mußte er insbesondere auch die für die Rechtsmaterie dieses Falles
einschlägigen Fachzeitschriften im Auge behalten. In zwei Urteilen vom
4. November 1994 entschied der Bundesgerichtshof, daß der Eigentümer eines
Kreispachtbetriebs zwar gegen die jeweilige Landwirtschaftliche Produktions-
genossenschaft keinen Schadensersatzanspruch aus eigenem Recht habe,
daß er sich aber vom zuständigen Landkreis als unterer Landesbehörde etwai-
ge Schadensersatzansprüche wegen Nichtrückgabe oder Verschlechterung der
Pachtsache abtreten lassen könne (BGHZ 127, 285; 127, 297). Der Beklagte
- 17 -
hat, wie sein späterer Prozeßvortrag in dem für den Kläger geführten Rechts-
streit gegen die Rechtsnachfolgerin der LPG zeigt, aus diesen Entscheidungen
zu Recht den Schluß gezogen, daß die Annahme entsprechender Rechtsfolgen
für einen unter Mitwirkung des Rats der Gemeinde geschlossenen Pachtver-
trag zumindest nahelag und daß darauf eine Klage für den Kläger gestützt
werden konnte. In dem Urteil BGHZ 127, 297, das ab Januar 1995 in den
Fachzeitschriften veröffentlicht wurde (ZIP 1995, 79 [13. Januar 1995]; AgrarR
1995, 15 [Januar 1995]; VIZ 1995, 165 [10. März 1995]; DtZ 1995, 88 [15. März
1995]) führte der Bundesgerichtshof u.a. aus, daß sich Pachtverhältnisse auf-
grund von Verträgen, die vor dem Wirksamwerden des Beitritts der DDR zur
Bundesrepublik geschlossen worden waren, von diesem Zeitpunkt an nach den
§§ 581 bis 597 BGB richteten (BGHZ 127, 297, 312). Das lenkte den Blick auf
die Vorschrift des § 591 b BGB, wonach Ersatzansprüche des Verpächters in
einer Frist von sechs Monaten nach Rückgabe der Pachtsache verjähren. Die-
se naheliegende Konsequenz wurde auch tatsächlich in einem im Januarheft
der Zeitschrift "Agrarrecht" erschienenen Aufsatz von Wenzel gezogen (AgrarR
1995, 1, 8 f). Der Beklagte hätte deshalb nach dem Grundsatz des sichersten
Weges (vgl. BGH, Urt. v. 4. Juni 1996 - IX ZR 51/95, WM 1996, 1824, 1825)
von dieser kurzen Verjährungsfrist ausgehen müssen. Zwar wäre die sechsmo-
natige Frist seit der Rückgabe des Hofs an den Kläger im Jahr 1992 inzwi-
schen längst verstrichen gewesen. Es mußte sich jedoch der Gedanke auf-
drängen, daß die Verjährung nicht beginnen konnte, bevor der Eigentümer den
Anspruch frühestens geltend machen konnte (so ausdrücklich Wenzel aaO).
Dies führte später zu der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 28. April
1995, wonach die Verjährung bis zum 31. Januar 1995 (angenommener Zeit-
punkt der Veröffentlichung der oben erwähnten Urteile vom 4. November 1994)
als gehemmt anzusehen ist (BGHZ 129, 282, 289 f). Daß dieses Urteil erst ab
- 18 -
Juni 1995 in den Fachzeitschriften abgedruckt wurde (ZIP 1995, 949; AgrarR
1995, 205; WM 1995, 1151), ist nach dem oben Gesagten ohne Bedeutung.
Der Beklagte hätte auf der Grundlage des Wissensstands, den er sich in den
ersten Monaten des Jahres 1995 hätte verschaffen müssen, noch ausreichend
Zeit gehabt, die zur Verjährungsunterbrechung erforderlichen Maßnahmen (s.o.
I 2 a.E.) rechtzeitig vor Eintritt der Verjährung am 31. Juli 1995 zu treffen.
III.
Das Berufungsurteil ist danach aufzuheben. Die Sache ist nicht ent-
scheidungsreif und muß deshalb an das Berufungsgericht zurückverwiesen
werden. Dieses wird nunmehr die notwendigen Feststellungen zur Höhe des
dem Kläger durch die Pflichtverletzung des Beklagten entgangenen Anspruchs
zu treffen haben. Der Umfang, in dem eine rechtzeitige Klage gegen die
Rechtsnachfolgerin der LPG Erfolg gehabt hätte, wird auch darüber entschei-
den, zu welchem Anteil der Beklagte dem Kläger die Kosten des wegen der bei
Klageerhebung bereits eingetretenen Verjährung nutzlosen Prozesses zu er-
setzen hat. Ein Ersatzanspruch besteht insoweit grundsätzlich nur in Höhe der
Quote, in der die Kosten bei rechtzeitiger Klageerhebung dem Kläger nicht
auferlegt worden wären. Eine etwaige in dem Prozeß geltend gemachte Zu-
vielforderung dürfte dem Beklagten nicht anzulasten sein, weil er sich grund-
sätzlich auf die Angaben des Klägers zum Wert der Inventargegenstände ver-
lassen durfte.
Die Zurückverweisung gibt dem Berufungsgericht auch Gelegenheit,
sich mit der Behauptung des Beklagten, das Mandat habe nicht durchgehend
- 19 -
bis 1996 bestanden, sondern sei bereits im Jahre 1992 - vorübergehend - be-
endet worden, und der im Zusammenhang damit erhobenen Verjährungseinre-
de zu befassen.
Kreft Stodolkowitz Kirchhof
Fischer Raebel