Urteil des BGH vom 19.01.1949

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IX ZR 374/98
Verkündet am:
12. Juli 2001
Bürk
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
GesO § 12 Abs. 1 Satz 1; DüngemittelsicherungsG § 2 Abs. 1 und 2
Die Vorschriften des § 2 Abs. 1 und 2 des Düngemittelsicherungsgesetzes vom
19. Januar 1949 (WiGBl S. 8; BGBl III 403-11) gelten nicht in der Insolvenz (Ge-
samtvollstreckung) des Schuldners.
BGH, Urteil vom 12. Juli 2001 - IX ZR 374/98 - OLG Oldenburg
LG Oldenburg
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 12. Juli 2001 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Kreft und die Richter
Stodolkowitz, Dr. Zugehör, Dr. Ganter und Raebel
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 8. Zivilsenats
des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 24. September 1998 auf-
gehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung,
auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Beru-
fungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger ist Nachfolger des Beklagten als Gesamtvollstreckungsver-
walter der LPG W. Er wirft dem Beklagten vor, zum Schaden der Masse Forde-
rungen in voller Höhe erfüllt zu haben, obwohl der Gläubigerin kein Recht zur
abgesonderten Befriedigung zugestanden habe. Die beglichenen Forderungen
rührten daher, daß die Gläubigerin die Gemeinschuldnerin in der Zeit vom
20. März bis zum 9. Juli 1991 mit Düngemitteln beliefert hatte. Der Beklagte
rechtfertigt sein Vorgehen damit, daß der Gläubigerin die Ernte des Jahres
1991 für ihre voll beglichenen Forderungen gesetzlich verpfändet gewesen sei.
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Das Landgericht hat den Beklagten verurteilt, der Masse die beanstan-
deten Zahlungen zu ersetzen. Seine Berufung ist erfolglos geblieben. Mit der
Revision erstrebt er weiterhin die Abweisung der Klage. Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe:
Die Revision ist begründet.
I.
Das Berufungsgericht hat angenommen, der Beklagte habe durch
grundlose abgesonderte Befriedigung der Düngemittellieferantin die Masse in
Höhe der geleisteten Zahlungen geschädigt. Diesen Schaden müsse der Be-
klagte ersetzen, weil er vor Bezahlung der Düngemittel die Getreideernte, zu
deren Erzeugung die Düngemittel nach seinem Vorbringen gedient hätten, ver-
kauft und durch Entfernung vom Grundstück ein möglicherweise bestehendes
Früchtepfandrecht zum Erlöschen gebracht habe.
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II.
Die Ausführungen des Berufungsgerichtes halten der rechtlichen Nach-
prüfung nicht stand. Der Beklagte haftet nach § 8 Abs. 1 Satz 2 GesO hier nicht
schon deshalb, weil er die Düngemittellieferungen mit Mitteln der Masse be-
zahlt hat, ohne zu prüfen, ob möglicherweise das entstandene Früchtepfand-
recht der Gläubigerin nach Verfahrenseröffnung wieder erloschen war.
1. Das Berufungsgericht und die Parteien sind zutreffend davon ausge-
gangen, daß das Gesetz zur Sicherung der Düngemittel- und Saatgutversor-
gung (Düngemittelsicherungsgesetz) vom 19. Januar 1949 (WiGBl S. 8) auch
für das Beitrittsgebiet des Einigungsvertrages in Kraft gesetzt war. Dies folgt
aus Art. 8 des Einigungsvertrages, da das ursprünglich bizonale Gesetz im
Zeitpunkt des Beitritts zum allgemeinen Bundesrecht zählte.
2. Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 7. Dezember 1992 (BGHZ
120, 368 ff) entschieden, daß durch Entfernung der reifen Früchte vom Grund-
stück im Rahmen der Ernte das Früchtepfandrecht nach § 2 Abs. 1 des Dün-
gemittelsicherungsgesetzes auch dann erlösche, wenn der Pfandgläubiger der
Entfernung widersprochen habe oder davon nichts wisse. Hierauf stützt sich
das Berufungsgericht. Wie der Beklagte dagegen zu Recht eingewendet hat,
richtet sich die Verwertung pfandhaftender Früchte durch den Gesamtvollstrek-
kungsverwalter aber nach § 12 Abs. 1 GesO. Diese Vorschrift verdrängt in ih-
rem Anwendungsbereich § 2 Abs. 1 und 2 des Düngemittelsicherungsgesetzes.
Hat der Verwalter die Ablösung des Pfandrechts gewählt, muß er die entspre-
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chenden Zahlungen dem Berechtigten spätestens nach Verwertung des Ab-
sonderungsgutes leisten.
a) Zum Absonderungsrecht des Vermieters nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 KO
hat schon das Reichsgericht entschieden, daß sein Bestand unabhängig davon
ist, ob die Voraussetzungen des Vermieterpfandrechts nach Konkurseröffnung
fortdauern. Das Pfandrecht verwandelt sich mit Konkurseröffnung in ein Ab-
sonderungsrecht, für welches die Klagfrist des § 561 Abs. 2 Satz 2 BGB nicht
gilt (RG, Urt. v. 19. Januar 1914 - VI 494/13, LZ 1914, Sp. 1045 f; vgl. auch
OLG Hamm OLGE 17, 3, 4; OLG Hamburg OLGE 21, 203, 204; Jaeger/Lent,
KO 8. Aufl. § 49 Rn. 20, 21; Kuhn/Uhlenbruck, KO 11. Aufl. § 49 Rn. 8; Stau-
dinger/Emmerich, BGB 13. Bearb. 1994 § 560 Rn. 29, § 561 Rn. 52;
MünchKomm-BGB/Voelskow, 3. Aufl. § 561 Rn. 4; Francke GruchBeitr 51, 556,
563; a.A. Petersen/Kleinfeller, KO 4. Aufl. 1900 § 49 Anm. 11). Die Entfernung
der eingebrachten Sachen zum Zweck der Verwertung für die Masse (§ 127
Abs. 1 Satz 1 KO) fällt nicht unter die Vorschriften der §§ 560, 561 BGB. Ein
Widerspruch (§ 560 Satz 1 BGB) ist zur Erhaltung des Absonderungsrechts
nach § 127 KO nicht notwendig. Auch für die Einzelzwangsvollstreckung ordnet
das Gesetz nach den §§ 563 BGB, 805 ZPO die Folgen der Verwertung anders
als bei einer Entfernung der eingebrachten Sachen durch den Mieter selbst.
Der Vermieter kann der Entfernung eingebrachter Sachen im Zuge ihrer Ver-
wertung nach § 127 Abs. 1 Satz 2 KO nicht widersprechen, obwohl die Ver-
wertung nicht mehr im regelmäßigen Betrieb des Geschäfts des Mieters (§ 560
Satz 2 BGB) erfolgt. Dafür setzt sich das Recht des Vermieters nach § 127
Abs. 1 Satz 2 KO am Erlös der eingebrachten Sachen fort. Zieht der Konkurs-
verwalter den Erlös zur Masse und erlischt dadurch das Ersatzabsonderungs-
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recht - was hier offenbleiben kann - insgesamt, so tritt an seine Stelle eine Ma-
sseschuld nach § 59 Abs. 1 Nr. 4 KO.
b) Die genannten Grundsätze des Vermieterpfandrechts gelten für die
konkursrechtlichen Wirkungen des Früchtepfandrechts nach dem Düngemittel-
sicherungsgesetz entsprechend.
Nach einhelliger Ansicht im Schrifttum, welcher der Senat folgt, gewährt
das Früchtepfandrecht des Düngemittelsicherungsgesetzes dem Pfandgläubi-
ger im Konkurs des Eigentümers nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 KO das Recht zur ab-
gesonderten Befriedigung wegen seiner Pfandforderungen (vgl. Jaeger/Lent,
KO 8. Aufl. § 49 Rn. 10a; Kuhn/Uhlenbruck, KO 11. Aufl. § 49 Rn. 4, 19; Ebe-
ling, Das Früchtepfandrecht, 1955, S. 57 f; Kreuzer, Das Früchtepfandrecht,
1955, S. 24; Sichtermann, Früchtepfandrechtsgesetz, 1955, S. 44; Eller, Kom-
mentar zum Früchtepfandrecht, 1988, S. 55).
§ 2 Abs. 1 des Düngemittelsicherungsgesetzes lehnt sich an § 560 BGB
an. Ebensowenig wie der Vermieter kann daher der Düngemittellieferant einer
Entfernung der seinem Pfandrecht unterliegenden Früchte widersprechen,
wenn sie für die Masse verwertet werden sollen. Dafür setzt sich sein Absonde-
rungsrecht am Erlös der Früchte fort (vgl. BGHZ 139, 319, 322 ff). Hat der Ge-
samtvollstreckungsverwalter nach § 12 Abs. 1 Satz 1 GesO die Ablösung des
Früchtepfandrechts durch Zahlung gewählt, kann der Pfandgläubiger auch den
Sonderungsanspruch nach § 3 Abs. 1 des Düngemittelsicherungsgesetzes
nicht mehr erheben.
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c) Der Beklagte brauchte nicht - wie § 127 Abs. 1 Satz 1 KO noch vor-
schreibt - nach den Regeln über den Pfandverkauf vorzugehen; denn der Ge-
samtvollstreckungsverwalter darf gemäß § 12 Abs. 1 GesO bewegliche Sachen
in seinem Besitz, an denen ein Absonderungsrecht besteht, ebenso wie der
Insolvenzverwalter nach § 166 Abs. 1 InsO auch ohne Zustimmung des Be-
rechtigten freihändig verwerten.
3. Im Streitfall bedarf keiner Entscheidung, ob der Gläubiger die Ablöse-
zahlung für das Früchtepfand gegenüber dem Gesamtvollstreckungsverwalter
bis zum 1. April des auf die Ernte folgenden Jahres gerichtlich geltend machen
muß, weil andernfalls das Früchtepfandrecht selbst außerhalb des Gesamtvoll-
streckungsverfahrens nach § 4 des Düngemittelsicherungsgesetzes mit diesem
Tage erloschen wäre. Zwar hat der Beklagte nach einer Abschlagszahlung von
100.000 DM die Ablöseschuld gegenüber der Gläubigerin erst am 22. April
1992 - also nach diesem Stichtag - vollen Umfanges berichtigt. Diese Leistung
war jedoch zumindest aufgrund des schriftlichen Anerkenntnisses des Beklag-
ten gegenüber der Gläubigerin vom 20. März 1992 (Anlage K 8 = GA 60) nicht
rechtsgrundlos, ebenso wie das Anerkenntnis vom 20. März 1992 selbst seinen
Rechtsgrund in der gewählten Pfandablösung fand.
III.
Der Senat kann in der Sache nicht abschließend entscheiden.
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1. Eine Haftung des Beklagten gegenüber der Masse nach § 8 Abs. 1
Satz 2 GesO käme dann in Betracht, wenn er irrtümlich ein schon bei Verfah-
renseröffnung nicht oder nicht mehr bestehendes Früchtepfandrecht abgelöst
haben sollte. Zwischen den Parteien ist die Entstehung eines solchen Rechtes
streitig, da der Kläger behauptet hat, die von der Gläubigerin gelieferten Dün-
gemittel habe die Gemeinschuldnerin nicht für die vom Beklagten verwertete
Getreideernte des Jahres 1991 verwendet. Das Berufungsgericht hat - von sei-
nem Standpunkt aus folgerichtig - hierzu tatsächliche Feststellungen nicht ge-
troffen. Dazu ist ihm mit der Zurückverweisung Gelegenheit zu geben.
2. Eine Haftung des Beklagten gegenüber der Masse nach § 8 Abs. 1
Satz 2 GesO käme auch dann in Betracht, wenn er sein Wahlrecht nach § 12
Abs. 1 Satz 1 GesO erkennbar zum Nachteil der Masse ausgeübt haben sollte.
Der Kläger verweist darauf, daß der Beklagte den Betrag der erzielten Ern-
teerlöse nicht vorgetragen habe, und macht damit geltend, der Beklagte habe
die Forderungen der Gläubigerin über die Ernteerlöse hinaus aus der freien
Masse erfüllt. Danach wäre es massegünstiger gewesen, wenn der Beklagte
der Gläubigerin die pfandhaftenden Früchte herausgegeben hätte. Dem ist der
Beklagte mit der Behauptung entgegengetreten, daß er Ernteerlöse für die
pfandhaftenden Früchte mindestens in Höhe der pfandgesicherten Forderun-
gen der Düngemittellieferantin erzielt habe. Auch zu diesem Streitpunkt fehlen
bisher die notwendigen tatrichterlichen Feststellungen.
3. Das Berufungsgericht hat bei seiner bisherigen Schadensberechnung
nicht beachtet, daß die Gläubigerin für ihre Düngemittellieferungen von der
Masse zumindest die Gesamtvollstreckungsquote beanspruchen konnte und
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die Masse auch von dieser Konkursforderung durch die abgesonderte Befriedi-
gung freigeworden ist.
Das Berufungsgericht hat ferner nicht berücksichtigt, daß die Gläubige-
rin dem Kläger zur Herausgabe nach den Vorschriften über die ungerechtfer-
tigte Bereicherung verpflichtet wäre, soweit sie auf Kosten der Masse ohne
Rechtsgrund - wie der Kläger meint - abgesonderte Befriedigung erlangt hat.
Die Wahl des Beklagten zugunsten der Pfandablösung und das Teilanerkennt-
nis eines Ablöseanspruchs der Gläubigerin vom 20. März 1992 wären nämlich
ohne Rechtsgrund erfolgt, soweit tatsächlich ein Pfandrecht der Gläubigerin bei
Konkurseröffnung nicht oder nicht mehr bestand. Dieser Umstand müßte dazu
führen, daß der Beklagte nur Zug um Zug gegen Abtretung des Bereiche-
rungsanspruchs zum Schadensersatz verurteilt würde, wenn der Beklagte sich
insoweit auf sein Zurückbehaltungsrecht beruft (vgl. bereits Seite 6 der Beru-
fungsbegründung, GA 133).
Kreft Stodolkowitz Zugehör
Ganter Raebel