Urteil des BGH vom 24.06.2014

BGH: unerlaubte handlung, schweizer recht, lugü, lex fori, schweizerisches bundesgericht, schkg, übereinkommen über die gerichtliche zuständigkeit, eugh, erfolgsort, nachlassvertrag

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
VERSÄUMNISURTEIL
VI ZR 347/12
Verkündet am:
24. Juni 2014
Holmes
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
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Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 24. Juni 2014 durch den Vorsitzenden Richter Galke, die Richter Wellner,
Pauge und Stöhr und die Richterin von Pentz
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Beklagten wird das Teilurteil des 20. Zivilse-
nats des Oberlandesgerichts Köln vom 13. Juli 2012 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsge-
richt zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger verlangt Schadensersatz im Zusammenhang mit dem Ab-
schluss eines Vermögensverwaltungsvertrags.
Die Beklagte zu 1 ist eine in der Schweiz ansässige Vermögensverwal-
tung, die in Deutschland nicht über eine Erlaubnis gemäß § 32 Abs. 1 Satz 1
KWG zur Erbringung von Finanzdienstleistungen verfügt. Diese war in erhebli-
chem Umfang in Deutschland tätig und bediente sich zur Akquise deutscher
Anleger auch zweier hier ansässiger Call-Center. Das Verfahren gegen sie ist
unterbrochen. Der Beklagte zu 2 ist Verwaltungsrat der Beklagten zu 1 und in
dieser Funktion deren gesetzliches Vertretungsorgan.
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Der Kläger wurde nach einem vorausgegangen Anruf durch ein von der
Beklagten zu 1 beauftragtes Call-Center am 19. Oktober 2005 unaufgefordert
an seinem Arbeitsplatz in Deutschland von einem für die Beklagte zu 1 tätigen
Vertriebsmitarbeiter aufgesucht und damit umworben, mit professioneller Hilfe
der Beklagten zu 1 Kapital in der Schweiz anzulegen. Aufgrund der Information
des Vertriebsmitarbeiters unterzeichnete er an diesem Tag einen Vermögens-
verwaltungsantrag in Höhe von 50.000 CHF. Er verpflichtete sich zur sofortigen
Zahlung einer Auslandsbearbeitungsgebühr in Höhe von 1.700 €, die er an den
Vertriebsmitarbeiter leistete. Die Anlagesumme sollte durch ein "Schweizer
Vermögensaufbauprogramm" innerhalb von zehn Jahren aufgebaut werden.
Mit Schreiben vom 25. Oktober 2005 nahm die Beklagte zu 1 auf die bei
ihr eingegangenen Unterlagen Bezug und teilte mit, dass sie sich freue, für den
Kläger als schweizerische Vermögensverwaltung tätig zu sein. Am 9. Dezember
2005 unterzeichnete der Kläger einen Anlageauftrag in den Räumlichkeiten der
Beklagten zu 1 in Zürich. Ferner unterschrieb er einen ihm von der Beklagten
zu 1 präsentierten Antrag auf Abschluss einer Lebensversicherung. Darüber
hinaus unterzeichnete der Kläger am 14. Februar 2006 einen Vermögensver-
waltungsauftrag, diesmal wieder in Deutschland. Für den Kläger wurde ein Kon-
to bei einer Schweizer Bank eingerichtet. Der vom Kläger gezahlte Betrag von
24.000
€ sowie am 23. Januar 2008 gezahlte weitere 3.000 € wurden dem Kon-
to gutgeschrieben.
Mit Anwaltsschreiben vom 11. Dezember 2008 kündigte der Kläger sämt-
liche Verträge mit der Beklagten zu 1 und erklärte diesbezüglich einen Widerruf.
Mit Anwaltsschreiben vom 17. Februar 2010 kündigte er ferner die Vertragsbe-
ziehungen mit der Schweizer Bank und die Lebensversicherung. Von dieser
erhielt er
umgerechnet 11.110,46 € zurück.
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Das Bezirksgericht Zürich hat am 11. Oktober 2010 eine "definitive Nach-
lassstundung" von sechs Monaten bezüglich der Beklagten zu 1 gewährt, die
bis zum 12. Dezember 2011 verlängert wurde. Den "Nachlassvertrag mit Ver-
mögensabtretung" vom 7. November 2011, dem der Kläger zugestimmt hatte,
bestätigte das Bezirksgericht Zürich unter dem 11. Januar 2012. Die Entschei-
dung ist rechtskräftig.
Das Landgericht hat die Beklagten zur Rückzahlung der restlichen Anla-
gebeträge sowie zur Zahlung entgangenen Gewinns und vorgerichtlicher
Rechtsanwaltskosten, jeweils nebst Rechtshängigkeitszinsen, verurteilt. Die
dagegen eingelegte Berufung des Beklagten zu 2 hatte keinen Erfolg. Mit der
vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte zu 2 seinen
Antrag auf Abweisung der Klage weiter.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht hat die internationale Zuständigkeit deutscher Ge-
richte nach Art. 15 Abs. 1 Buchst. c, Art. 16 Abs. 1 Fall 2 LugÜ II (Übereinkom-
men über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung
von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, geschlossen in Lugano am
30. Oktober 2007, ABl. EU L 339 S. 3) bejaht. Auch wenn ein Schadensersatz-
anspruch nach § 823 Abs. 2 BGB, § 32 KWG verfolgt werde, sei Art. 15 Abs. 1
LugÜ II anwendbar, weil sich die Klage allgemein auf einen Vertrag beziehe
und eine so enge Verbindung hierzu aufweise, dass sie von ihm nicht getrennt
werden könne. Dies gelte auch hinsichtlich des Beklagten zu 2. Jedenfalls folge
die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte aus Art. 5 Nr. 3 LugÜ II, weil
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der Kläger eine im Inland begangene unerlaubte Handlung des Beklagten zu 2
schlüssig dargelegt habe. Die Anwendbarkeit deutschen Rechts folge aus Art.
40 Abs. 1 Satz 1 EGBGB, da die schädigende Handlung - die Entgegennahme
des Antrags durch einen Vertriebsbeauftragten der Beklagten zu 1 - im Inland
stattgefunden habe.
Der Schadensersatzanspruch des Klägers gegen den Beklagten zu 2 er-
gebe sich aus § 823 Abs. 2 BGB, §§ 32, 54 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 KWG. Die Be-
klagte zu 1 habe gewerbsmäßig Finanzdienstleistungen in Form einer Finanz-
portfolioverwaltung gemäß § 1 Abs. 1a Satz 2 Nr. 3 KWG erbracht. Für diese
erlaubnispflichtige Tätigkeit habe sie keine Erlaubnis besessen. Der Beklagte
zu 2 müsse für die damit gegebene unerlaubte Handlung gemäß § 823 Abs. 2
BGB, § 32 KWG einstehen. Da er als Präsident des Verwaltungsrats leitendes
und vertretungsbefugtes Organ der Beklagten zu 1 gewesen sei, habe es ihm
oblegen, dafür Sorge zu tragen, dass das Tätigwerden der Gesellschaft in
Deutschland mit den dort geltenden rechtlichen Regelungen in Einklang ge-
standen habe.
Dem Anspruch des Klägers gegen den Beklagten zu 2 stehe Art. 303 des
Schweizer Gesetzes über die Schuldbetreibung und den Konkurs (SchKG) nicht
entgegen. Auf die Rechtsbeziehungen zwischen dem Beklagten zu 2 und dem
Kläger finde deutsches Recht Anwendung. Eine Anerkennung der Eröffnung
eines ausländischen Insolvenzverfahrens einschließlich dessen Folgewirkungen
gemäß § 343 Abs. 1 Satz 1 InsO komme nicht in Betracht, da Art. 303 Abs. 2
SchKG nicht das Insolvenzverfahren als solches betreffe, sondern lediglich die
Auswirkungen auf Ansprüche gegen nicht am Insolvenzverfahren beteiligte
Personen regle. Die Regelung sei mithin rein zivilrechtlicher Natur.
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II.
Das Berufungsurteil hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.
Über die Revision ist, da der Kläger im Revisionstermin trotz rechtzeitiger
Ladung nicht vertreten war, auf Antrag des Beklagten durch Versäumnisurteil
zu entscheiden. Das Urteil ist jedoch keine Folge der Säumnis, sondern beruht
auf einer Sachprüfung (vgl. nur Senatsurteil vom 30. September 2003 - VI ZR
438/02, BGHZ 156, 216, 217 mwN).
1. Zutreffend hat das Berufungsgericht allerdings die internationale Zu-
ständigkeit deutscher Gerichte, die auch im Revisionsrechtszug von Amts we-
gen zu prüfen ist (vgl. Senatsurteile vom 2. März 2010 - VI ZR 23/09, BGHZ
184, 313 Rn. 7; vom 31. Mai 2011 - VI ZR 154/10, BGHZ 190, 28 Rn. 16; je-
weils mwN), für die gegen den Beklagten zu 2 gerichtete Klage bejaht.
a) Maßgebend ist insoweit das Lugano-Übereinkommen II. Gemäß
Art. 63 Abs. 1 LugÜ II sind die Vorschriften dieses Übereinkommens auf Klagen
anzuwenden, die erhoben worden sind, nachdem dieses Übereinkommen im
Ursprungsstaat in Kraft getreten ist. Das Übereinkommen ist für die Europäi-
sche Gemeinschaft am 1. Januar 2010 in Kraft getreten (BGBl. I 2009 S. 2862;
vgl. Senatsurteile vom 31. Mai 2011 - VI ZR 154/10, aaO Rn. 16; vom 20. De-
zember 2011 - VI ZR 14/11, WM 2012, 852 Rn. 15; vom 23. Oktober 2012 - VI
ZR 260/11, BGHZ 195, 166 Rn. 7). Im Streitfall ging die Klage im Oktober 2010
bei Gericht ein.
Das Übereinkommen findet gemäß Art. 64 Abs. 2 Buchst. a LugÜ II mit
Vorrang vor dem nationalen Prozessrecht Anwendung (vgl. Senatsurteil vom
20. Dezember 2011 - VI ZR 14/11, aaO Rn. 16 mwN; vgl. auch zu Art. 54b
Abs. 2 Buchst. a des Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und
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die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen,
geschlossen in Lugano am 16. September 1988 (BGBl. II 1994 S. 2660, nach-
folgend: LugÜ I) Senatsurteile vom 5. Oktober 2010 - VI ZR 159/09, BGHZ 187,
156 Rn. 9; vom 31. Mai 2011 - VI ZR 154/10, aaO; jeweils mwN).
Die Unterzeichnerstaaten haben sich zu einer möglichst einheitlichen
Auslegung der Bestimmungen verpflichtet (vgl. Präambel und Art. 1 Protokoll 2
nach Art. 75 LugÜ II über die einheitliche Auslegung des Übereinkommens und
den ständigen Ausschuss, Abl. EU 2007 L 339 S. 27). Daher ist zu beachten,
dass die im Übereinkommen verwendeten Begriffe grundsätzlich autonom, d.h.
ohne Rückgriff auf die lex fori oder lex causae auszulegen sind, wobei in erster
Linie die Systematik und die Zielsetzung des Übereinkommens zu berücksichti-
gen sind, um die einheitliche Anwendung des Übereinkommens in allen Ver-
tragsstaaten zu gewährleisten; dies gilt insbesondere für die Begriffe des "Ver-
trags" in Art. 5 Nr. 1 Buchst. a LugÜ II und der "unerlaubten Handlung" in Art. 5
Nr. 3 LugÜ II (vgl. Senatsurteil vom 20. Dezember 2011 - VI ZR 14/11, aaO
Rn. 17 mwN; vgl. auch zum LugÜ I Senatsurteile vom 27. Mai 2008 - VI ZR
69/07, BGHZ 176, 342 Rn. 11; vom 5. Oktober 2010 - VI ZR 159/09, aaO
Rn. 13; vom 31. Mai 2011 - VI ZR 154/10, aaO Rn. 17, 31; jeweils mwN).
b) Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte folgt, wie vom Be-
rufungsgericht im Ergebnis zutreffend gesehen, aus Art. 5 Nr. 3 LugÜ II.
aa) Danach ist eine internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte be-
gründet, wenn der Kläger die erforderlichen Tatsachen für eine im Inland be-
gangene unerlaubte oder dieser gleichgestellten Handlung des Beklagten
schlüssig behauptet (vgl. zu Art. 5 Nr. 3 LugÜ I Senat, Urteile vom 27. Mai 2008
- VI ZR 69/07, aaO; vom 6. November 2007 - VI ZR 34/07, VersR 2008, 1129
Rn. 14; jeweils mwN; zu Art. 5 Nr. 3 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Ra-
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tes vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Aner-
kennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen
(ABl. EG 2001 L 12 S. 1, nachfolgend: EuGVVO): BGH, Urteile vom 13. Juli
2010 - XI ZR 57/08, ZIP 2010, 2004 Rn. 19 und - XI ZR 28/09, WM 2010, 1590
Rn. 21; vom 12. Oktober 2010 - XI ZR 394/08, WM 2010, 2214 Rn. 21; vom
15. November 2011 - XI ZR 54/09, BKR 2012, 78 Rn. 21; vom 12. Dezember
2013 - I ZR 131/12, WRP 2014, 548 Rn. 17; jeweils mwN). Entgegen der Auf-
fassung der Revision muss vom Kläger nicht eine unerlaubte Handlung im Sin-
ne des deutschen Deliktsrechts schlüssig vorgetragen werden. Vielmehr kommt
es auf den schlüssigen Vortrag einer unerlaubten Handlung im Sinne der auto-
nom auszulegenden Vorschrift des Art. 5 Nr. 3 LugÜ II an (so zu Art. 5 Nr. 3
LugÜ I Senat, Urteil vom 6. November 2007 - VI ZR 34/07, aaO Rn. 20; vgl. zu
Art. 5 Nr. 3 EuGVVO EuGH, Urteil vom 19. April 2012 - C-523/10, GRUR 2012,
654 Rn. 26 f. - Wintersteiger; BGH, Urteile vom 12. Dezember 2013 - I ZR
131/12, aaO; zu Art. 5 Nr. 3 des Brüsseler Übereinkommens über die gerichtli-
che Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil-
und Handelssachen vom 27. September 1968 - BGBl. II 1972 S. 774, im Fol-
genden: EuGVÜ - bereits EuGH, vom 27. Oktober 1998 - C-51/97, Slg. 1998,
I-6511 Rn. 22 ff. - Réunion Européenne u.a.).
bb) Für die Auslegung der Lugano Übereinkommen I und II gelten im
Wesentlichen dieselben Auslegungsgrundsätze wie für die Auslegung des
Brüsseler Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Voll-
streckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom
27. September 1968 (EuGVÜ) und der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates
vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerken-
nung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen
(EuGVVO). Nach der gefestigten Rechtsprechung des Gerichtshofs der Euro-
päischen Union (zukünftig: Gerichtshof) beziehen sich die Begriffe "unerlaubte
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Handlung" und "Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist" im
gleichlautenden Art. 5 Nr. 3 EuGVVO auf jede Klage, mit der eine Schadenshaf-
tung geltend gemacht wird und die nicht an einen Vertrag oder Ansprüche aus
einem Vertrag im Sinne des Art. 5 Nr. 1 EuGVVO anknüpft (vgl. EuGH, Urteile
vom 18. Juli 2013 - C-147/12, RIW 2013, 617 Rn. 32 - ÖFAB; vom 13. März
2014 - C-548/12, ZIP 2014, 843 Rn. 20 - Brogsitter; jeweils mwN; ebenso zu
Art. 5 Nr. 3 LugÜ I Senat, Urteile vom 27. Mai 2008 - VI ZR 69/07, aaO; vom
31. Mai 2011 - VI ZR 154/10, aaO Rn. 32; jeweils mwN; zu Art. 5 Nr. 3 EuG-
VVO Senat, Urteil vom 8. Mai 2012 - VI ZR 217/08, VersR 2012, 994 Rn. 13;
BGH, Urteile vom 24. Oktober 2005 - II ZR 329/03, NJW 2006, 689 Rn. 6; vom
13. Juli 2010 - XI ZR 57/08, aaO Rn. 21 mwN, und - XI ZR 28/09, aaO Rn. 23
mwN; vom 12. Oktober 2010 - XI ZR 394/08, aaO Rn. 23 mwN; vom 15. No-
vember 2011 - XI ZR 54/09, aaO Rn. 23 mwN; vom 29. Januar 2013 - KZR
8/10, GRUR-RR 2013, 228 Rn. 12 mwN). Außerdem muss zwischen dem gel-
tend gemachten Schaden und dem ihm zugrunde liegenden Ereignis ein ur-
sächlicher Zusammenhang feststellbar sein (EuGH, Urteile vom 18. Juli 2013
- C-147/12, aaO Rn. 34; vom 16. Juli 2009 - C-189/08, Slg. 2009, I-6917 Rn. 28
- Zuid-Chemie; jeweils mwN).
cc) Eine derartige unerlaubte Handlung macht der Kläger geltend Er
nimmt den Beklagten zu 2 mit der Begründung in Anspruch, dieser habe als
Organ seiner Vertragspartnerin - der Beklagten zu 1 - eine unerlaubte Handlung
begangen, weil er wusste oder zumindest hätte wissen müssen, dass die von
der Beklagten zu 1 angebotenen Finanzdienstleistungen in Deutschland er-
laubnispflichtig waren. Er habe den rechtswidrigen Kundenfang in Deutschland
bewusst mitverantwortet und durch den Einsatz von Call-Centern und Ver-
triebsbeauftragten in Deutschland forciert. Dadurch, namentlich durch ein per-
sönliches Beratungsgespräch eines Vertriebsmitarbeiters der Beklagten zu 1
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am Arbeitsplatz des Klägers, sei es in rechtswidriger Weise zum Vertragsab-
schluss mit dem Kläger gekommen.
dd) Im Streitfall knüpft die Klage nicht an einen Vertrag oder Ansprüche
aus einem Vertrag im Sinne des Art. 5 Nr. 1 Buchst. a LugÜ II an.
(1) Zwar hat der erkennende Senat auf § 823 Abs. 2 BGB, § 32 KWG
gestützte Schadensersatzansprüche gegen den Vertragspartner bereits als An-
sprüche aus einem Vertrag im Sinne des Art. 15 Abs. 1 LugÜ II qualifiziert. Für
die Begründung des Verbrauchergerichtsstands ist danach nicht die Geltend-
machung eines vertraglichen Anspruchs im engeren Sinn erforderlich. Vielmehr
genügt es, dass sich die Klage allgemein auf einen Vertrag bezieht und eine so
enge Verbindung zu diesem Vertrag aufweist, dass sie von ihm nicht getrennt
werden kann (vgl. zu Art. 13 Abs. 1 LugÜ I Senatsurteile vom 5. Oktober 2010
- VI ZR 159/09, aaO Rn. 23; vom 31. Mai 2011 - VI ZR 154/10, aaO Rn. 32;
zum LugÜ II Senatsurteil vom 20. Dezember 2011 - VI ZR 14/11, aaO Rn. 22;
jeweils mwN).
Die erforderliche enge Verbindung war in den vom Senat entschiedenen
Fällen gegeben, weil der Kläger geltend machte, ihm sei ein Vermögensscha-
den durch das Handeln seines Vertragspartners, gegen den sich damals die
Klage richtete, entstanden, da dieser den Vertrag aufgrund eines gesetzlichen
Verbots nicht habe abschließen dürfen (vgl. Senatsurteile vom 5. Oktober 2010
- VI ZR 159/09, aaO Rn. 24 ff. mwN; vom 31. Mai 2011 - VI ZR 154/10, aaO Rn.
33; vom 20. Dezember 2011 - VI ZR 14/11, aaO Rn. 23).
(2) So liegt es hier aber nicht. Bei der vorliegenden Fallgestaltung fehlt
es an einer engen Verbindung der Klage gegen den Beklagten zu 2 zu dem von
der Beklagten zu 1 mit dem Kläger geschlossenen Vertrag. Denn der Beklagte
zu 2 ist nicht Vertragspartner des Klägers. Werden gegen das Organ der Ver-
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tragspartnerin Ansprüche aus unerlaubter Handlung geltend gemacht, so bilden
den Gegenstand des Verfahrens nicht ein Vertrag oder Ansprüche aus einem
Vertrag im Sinne des Art. 5 Nr. 1 Buchst. a LugÜ II.
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs zum insoweit gleichlauten-
den Art. 5 Nr. 1 Buchst. a EuGVVO (hierzu EuGH, Urteile vom 14. März 2013
- C-419/11, RIW 2013, 292 Rn. 46 f. -
Česká spořitelna; vom 18. Juli 2013
- C-147/12, aaO; jeweils mwN) kann der Begriff "Vertrag oder Ansprüche aus
einem Vertrag" nicht so verstanden werden, dass er eine Situation erfasst, in
der es an einer von einer Partei gegenüber einer anderen freiwillig eingegange-
nen Verpflichtung fehlt. Demnach setzt die Anwendung der besonderen Zu-
ständigkeitsregel, die für einen Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag vor-
gesehen ist, voraus, dass eine von einer Person gegenüber einer anderen frei-
willig eingegangene rechtliche Verpflichtung bestimmt werden kann, auf die sich
die betreffende Klage stützt (vgl. zu Art. 5 Nr. 1 LugÜ I Senatsurteil vom 27. Mai
2008 - VI ZR 69/07, aaO; zu Art. 5 Nr. 1 EuGVVO BGH, Urteile vom 22. April
2009 - VIII ZR 156/07, NJW 2009, 2606 Rn. 13; vom 29. November 2011 - XI
ZR 172/11, NJW 2012, 455 Rn. 14; vom 29. Januar 2013 - KZR 8/10, aaO; je-
weils mwN).
Wird eine Klage gegen ein Organ einer Gesellschaft, mit dem dieses für
Verbindlichkeiten der Gesellschaft haftbar gemacht werden soll, nicht auf eine
von diesem freiwillig eingegangene Verpflichtung gestützt, sondern auf die Be-
hauptung, das Organ sei seinen Verpflichtungen nicht nachgekommen, dann
handelt es sich beim Gegenstand der Klage folglich nicht um einen Vertrag oder
Ansprüche aus einem Vertrag (EuGH, Urteil vom 18. Juli 2013 - C-147/12, aaO
Rn. 36 ff.). Bei auf ein Fehlverhalten von Organmitgliedern gestützten Klagen
liegt nämlich die erforderliche enge Verbindung nicht vor (vgl. EuGH, Urteil vom
18. Juli 2013 - C-147/12, aaO Rn. 39 ff.).
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Damit fehlt es im vorliegenden Fall bei dem gegen den Beklagten zu 2
gerichteten Anspruch ebenfalls an einem Vertrag oder Ansprüchen aus einem
Vertrag im Sinne des Art. 5 Nr. 1 Buchst. a LugÜ II als Klagegegenstand. Denn
der geltend gemachte Schadensersatzanspruch gründet nicht auf ein Handeln
des Beklagten zu 2 im Zusammenhang mit einer von ihm eingegangenen frei-
willigen Verpflichtung, sondern auf einen behaupteten Verstoß gegen eine Ver-
botsnorm als Organ der Beklagten zu 1.
ee) Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs zu Art. 5 Nr. 3
EuGVVO beruht die besondere Zuständigkeit am Ort der unerlaubten Handlung
darauf, dass zwischen der Streitigkeit und anderen Gerichten als denen des
Staates, in dem der Beklagte seinen Wohnsitz hat, eine besonders enge Bezie-
hung besteht, die aus Gründen der Nähe zum Streitgegenstand und der leichte-
ren Beweisaufnahme eine Zuständigkeit dieser Gerichte rechtfertigt. Dabei ist
der Begriff "Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist" in Art. 5 Nr. 3
EuGVVO so zu verstehen, dass er sowohl den Ort des ursächlichen Gesche-
hens (Handlungsort) als auch den Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs
(Erfolgsort) meint. Beide Orte können unter dem Aspekt der gerichtlichen Zu-
ständigkeit eine signifikante Verknüpfung begründen, da jeder von beiden je
nach Lage des Falles für die Beweiserhebung und für die Gestaltung des Pro-
zesses einen besonders sachgerechten Anhaltspunkt liefern kann (EuGH, Ur-
teile vom 16. Juli 2009 - C-189/08, aaO Rn. 23 f. mwN; vom 25. Oktober 2011
- C-509/09 und C-161/10, Slg. 2011, I-10269 Rn. 40 f. mwN - eDate Advertising
u.a.; vom 19. April 2012 - C-523/10, aaO Rn. 18 ff.; vom 25. Oktober 2012
- C-133/11, NJW 2013, 287 Rn. 37 ff. mwN - Folien Fischer und Fofitec; vom
16. Mai 2013 - C-228/11, WM 2013, 1257 Rn. 25 ff. mwN - Melzer; vom 18. Juli
2013 - C-147/12, aaO Rn. 49 ff.; vom 3. Oktober 2013 - C-170/12, NJW 2013,
3627 Rn. 26 f. - Pinckney; zu Art. 5 Nr. 3 LugÜ I Senat, Urteil vom 6. November
2007 - VI ZR 34/07, aaO Rn. 17, 24; zu Art. 5 Nr. 3 EuGVVO BGH, Urteile vom
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13. Juli 2010 - XI ZR 57/08, aaO Rn. 19, 23, und - XI ZR 28/09, aaO Rn. 21, 25;
vom 12. Oktober 2010 - XI ZR 394/08, aaO Rn. 21, 25; vom 15. November
2011 - XI ZR 54/09, aaO Rn. 21, 25; jeweils mwN).
Im vorliegenden Fall kann offenbleiben, ob der Handlungsort in Deutsch-
land liegt, da jedenfalls der Erfolgsort in Deutschland belegen ist.
(1) Erfolgsort ist nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Ort, an
dem aus einem Ereignis, das für die Auslösung einer Schadensersatzpflicht
wegen unerlaubter Handlung oder wegen einer gleichgestellten Handlung in
Betracht kommt, ein Schaden entstanden ist. Gemeint ist damit der Ort, an dem
das auslösende Ereignis seine schädigende Wirkung entfaltet, d.h. der Ort, an
dem sich der durch das Ereignis verursachte Schaden konkret zeigt (EuGH,
Urteil vom 16. Juli 2009 - C-189/08, aaO Rn. 27 mwN; vgl. auch Urteil vom
19. April 2012 - C-523/10, aaO Rn. 21; zu Art. 5 Nr. 3 LugÜ I vgl. Senatsurteil
vom 6. November 2007 - VI ZR 34/07, aaO Rn. 17 mwN). Die Bestimmung des
Erfolgsorts hat nach der Rechtsprechung zu Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ, die entspre-
chend für die Auslegung der nahezu gleichlautenden Bestimmung des Art. 5
Nr. 3 EuGVVO (vgl. EuGH, Urteile vom 16. Juli 2009 - C-189/08, aaO Rn. 18 f.
mwN; vom 25. Oktober 2011 - C-509/09 und C-161/10, aaO Rn. 39; vom
25. Oktober 2012 - C-133/11, aaO Rn. 31 f.; vom 18. Juli 2013 - C-147/12, aaO
Rn. 28 f.) und damit auch von Art. 5 Nr. 3 LugÜ II herangezogen werden kann,
losgelöst von nationalen Vorschriften über die außervertragliche zivilrechtliche
Haftung zu erfolgen (so EuGH, Urteil vom 19. September 1995 - C-364/93, Slg.
1995, I-2719 Rn. 18 f. - Marinari; vgl. auch EuGH, Urteil vom 16. Mai 2013
- C-228/11, aaO Rn. 34 mwN).
(2) Der Begriff des Erfolgsortes im Sinne des Art. 5 Nr. 3 EuGVVO wird
aufgrund des Ausnahmecharakters der Vorschrift in der Rechtsprechung des
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Gerichtshofs restriktiv ausgelegt. Der Schadenserfolg ist in diesem Zusammen-
hang an dem Ort verwirklicht, an dem das haftungsauslösende Ereignis den
unmittelbar Betroffenen direkt schädigt. Die Wendung "Ort, an dem das schädi-
gende Ereignis eingetreten ist" kann also nicht so weit ausgelegt werden, dass
sie jeden Ort erfasst, an dem die schädigenden Folgen eines Umstands spürbar
werden können, der bereits an einem anderen Ort einen primären Schaden
bzw. eine primäre Rechtsgutsverletzung verursacht hat; lediglich mittelbare
Schadensfolgen stellen keinen Erfolgsort im Sinne des Art. 5 Nr. 3 EuGVVO dar
(vgl. zu Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ EuGH, Urteile vom 11. Januar 1990 - C-220/88, Slg.
1990, I-49 Rn. 20 f. - Dumez France und Tracoba; vom 19. September 1995
- C-364/93, aaO Rn. 14 f.;vom 27. Oktober 1998 - C-51/97, aaO Rn. 30 f.; vom
10. Juni 2004 - C-168/02, Slg. 2004, I-6009, Rn. 19 - Kronhofer; ebenso zu Art.
5 Nr. 3 LugÜ I Senatsurteile vom 6. November 2007 - VI ZR 34/07, aaO Rn. 17
mwN; vom 27. Mai 2008 - VI ZR 69/07, aaO Rn. 16).
Die bloße Belegenheit des Vermögens des Geschädigten zum Zeitpunkt
der Entstehung der Schadensersatzpflicht kann nach dieser Rechtsprechung
für die Ermittlung des Erfolgsorts nicht maßgeblich sein, da es hier an einer Be-
ziehung zu dem dem Rechtsstreit zugrunde liegenden Sachverhalt und damit
an der erforderlichen Sachnähe fehlen kann (EuGH, Urteil vom 19. September
1995 - C-364/93, aaO Rn. 20). Auch bei Kapitalanlagedelikten kann der Er-
folgsort demgemäß nicht schon deshalb am Klägerwohnsitz liegen, weil dort der
Mittelpunkt von dessen Vermögen liegt, da dies dem Ziel der Rechtssicherheit
für die Parteien hinsichtlich des Gerichtsstandes und der grundsätzlichen Zu-
ständigkeit der Gerichte am Wohnsitz des Beklagten zuwiderliefe (vgl. EuGH,
Urteil vom 10. Juni 2004 - C-168/02, aaO Rn. 20 f. - Kronhofer; BGH, Urteile
vom 13. Juli 2010 - XI ZR 57/08, aaO Rn. 29, und - XI ZR 28/09, aaO Rn. 31;
vom 12. Oktober 2010 - XI ZR 394/08, aaO Rn. 31; vom 15. November 2011
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- 15 -
- XI ZR 54/09, aaO Rn. 31; ebenso zu Art. 5 Nr. 3 LugÜ I Senatsurteil vom
6. November 2007 - VI ZR 34/07, aaO Rn. 21).
(3) Dem vorstehend genannten Urteil des Gerichtshofs vom 10. Juni
2004 lag allerdings ein wesentlich anderer Sachverhalt als im vorliegenden Fall
zugrunde, weil die unerlaubte Handlung erst nach Überweisung des Anlageka-
pitals von einem Konto am Wohnsitz des Anlegers auf ein im Ausland geführtes
Konto verübt wurde (vgl. BGH, Urteile vom 13. Juli 2010 - XI ZR 57/08, aaO,
und - XI ZR 28/09, aaO; vom 12. Oktober 2010 - XI ZR 394/08, aaO; vom
15. November 2011 - XI ZR 54/09, aaO; jeweils mwN).Dieser - einen besonde-
ren Fall betreffenden - Entscheidung kann aber auch entnommen werden, dass
unter anderen Umständen der Erfolgsort durchaus im Wohnsitzstaat des Klä-
gers gelegen sein kann (vgl. BGH, Urteile vom 13. Juli 2010 - XI ZR 57/08,
aaO, und - XI ZR 28/09, aaO; vom 12. Oktober 2010 - XI ZR 394/08, aaO; vom
15. November 2011 - XI ZR 54/09, aaO; jeweils mwN). So ist etwa bei einem
Geschäftsmodell, das von vornherein bewusst darauf abzielt, uninformierte,
leichtgläubige Menschen unter sittenwidriger Ausnutzung ihres Gewinnstrebens
und ihres Leichtsinns als Geschäftspartner zu gewinnen und sich auf deren
Kosten zu bereichern, und das auf Seiten des Anlegers einen Kenntnisrück-
stand voraussetzt, ohne den ein vernünftig denkender Anleger sich auf die
Geldanlage nicht eingelassen hätte, bereits die durch den Anleger veranlasste
Überweisung des Anlagekapitals der Deliktserfolg, so dass der den Gerichts-
stand begründende Erfolgsort im Sinne des Art. 5 Nr. 3 EuGVVO dann der Ort
der Minderung des Kontoguthabens ist (BGH, Urteile vom 13. Juli 2010 - XI ZR
57/08, aaO Rn. 30, und - XI ZR 28/09, aaO Rn. 32; vom 12. Oktober 2010
- XI ZR 394/08, aaO Rn. 32; vom 15. November 2011 - XI ZR 54/09, aaO Rn.
32; jeweils mwN; vgl. auch Beschluss des Senats vom 15. Februar 2011 - VI
ZR 189/10, juris, mit dem er sich der Rechtsprechung des XI. Zivilsenats ange-
schlossen hat).
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- 16 -
(4) Im vorliegenden Fall ist - unabhängig vom Ort des Mittelpunkts des
Vermögens des Klägers - von einem in Deutschland gelegenen Erfolgsort aus-
zugehen.
(a) Bei reinen Vermögensdelikten ist in Anknüpfung an die Rechtspre-
chung des Gerichtshofs zum Primärschaden mangels einer primären Rechts-
gutsverletzung der Ort des ersten unmittelbar verletzten Interesses maßgeblich
(vgl. PG/Pfeiffer, ZPO, 6. Aufl., Art. 5 EuGVO Rn. 12; Wagner in Stein/Jonas,
ZPO, 22. Aufl., Art. 5 EuGVVO Rn. 161). Ist schon die Herbeiführung oder An-
bahnung eines Rechtsgeschäfts rechtswidrig, so stellt der Ort den Erfolgsort
dar, an dem dieses Fehlverhalten des Schädigers die erste Wirkung entfaltet
hat (sog. "Handlungswirkungsort", vgl. Huber, IPrax 2009, 134, 137; Ten Wolde/
Knot/Weller in Simons/Hausmann, Brüssel I-Verordnung, Art. 5 Nr. 3 Rn. 50).
(b) Dieser Ort liegt nach dem Vortrag des Klägers in Deutschland. Der
Beklagte zu 2 war danach als gesetzliches Vertretungsorgan seiner Vertrags-
partnerin - der Beklagten zu 1 - für eine dort begangene unerlaubte Handlung
maßgeblich verantwortlich, weil er wusste oder zumindest hätte wissen müs-
sen, dass die von der Beklagten zu 1 angebotenen Finanzdienstleistungen er-
laubnispflichtig waren. Er hat den rechtswidrigen Kundenfang in Deutschland
bewusst mitverantwortet und durch den Einsatz von Call-Centern und Ver-
triebsbeauftragten forciert. Zudem hat der Kläger an seinem Arbeitsplatz in
Köln den ersten - und später einen weiteren - Vermögensverwaltungsauftrag
unterzeichnet, also die (Erst-)Anlageentscheidungen getroffen, die Grundlage
für seine Geldanlagen waren (ähnlich OLG Hamm, Urteil vom 18. Juli 2013
- 6 U 215/11, juris Rn. 28). Darüber hinaus hat er in Köln die erste Barzahlung
in Gestalt der sog. Auslandsbearbeitungsgebühr an den Vertriebsmitarbeiter
der Beklagten zu 1 geleistet, wodurch bereits unmittelbar sein im Inland bele-
genes Vermögen geschädigt wurde (vgl. OLG Dresden, IPRspr 2007, Nr. 140,
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- 17 -
392, 395; OLG München, Urteil vom 30. Oktober 2013 - 20 U 603/12, juris
Rn. 24; für einen Erfolgsort am Ort des Erstvermögensschadens bei aufsichts-
rechtlich unzulässigem Vertrieb auch Engert/Groh, IPrax 2011, 458, 463 f.). Der
Schwerpunkt der Interessenverletzung des Klägers liegt demnach in Deutsch-
land als Ort der ersten Anlageentscheidung und des Eintritts des Erstvermö-
gensschadens.
(5) Ein in Deutschland gelegener Erfolgsort wird den vom Gerichtshof
angeführten Zielsetzungen der europäischen Zuständigkeitsvorschriften - und
damit auch den Zielen der entsprechenden Bestimmungen der Lugano Über-
einkommen - gerecht.
Die geforderte Nähe zum Streitgegenstand und die Möglichkeit einer
leichteren Beweisaufnahme (vgl. EuGH, Urteil vom 16. Juli 2009 - C-189/08,
aaO mwN vom 16. Mai 2013 - C-228/11, aaO Rn. 27) liegen bei einer Zustän-
digkeit deutscher Gerichte vor, da im Zentrum des Rechtsstreits das ohne die
erforderliche Erlaubnis zur Erbringung von Finanzdienstleistungen gemäß § 32
Abs. 1 Satz 1 KWG erfolgte Handeln des Vertriebsbeauftragten in Deutschland
und der vom Kläger dort unterschriebene Vermögensverwaltungsauftrag ste-
hen. Auch der Vorhersehbarkeit der Zuständigkeitsvorschriften für beide Partei-
en und der Gewährleistung von Rechtssicherheit (EuGH, Urteile vom 25. Okto-
ber 2011 - C-509/09 und C-161/10, aaO Rn. 50 mwN; vom 19. April 2012 - C-
523/10, aaO Rn. 23; vom 25. Oktober 2012 - C-133/11, aaO Rn. 45 mwN; vom
18. Juli 2013 - C-147/12, aaO Rn. 52; vom 16. Januar 2014 - C-45/13, NJW
2014, 1166 Rn. 28 - Kainz) ist hierdurch Genüge getan. Denn der Ort, an dem
durch die Erbringung unerlaubter Finanzdienstleistungen eine Auftragserteilung
und eine (erste) Zahlung durch den Anleger vorgenommen wurden, wodurch
das Interesse des Klägers zuerst unmittelbar verletzt worden ist, ist sowohl für
den Kläger als auch für den Beklagten ersichtlich. Insbesondere führt ein in
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- 18 -
Deutschland gelegener Erfolgsort zur Zuständigkeit desjenigen Gerichts, das
objektiv am besten in der Lage ist, die Begründetheit der geltend gemachten
Verletzung zu beurteilen (vgl. EuGH, Urteile vom 3. Oktober 2013 - C-170/12,
aaO Rn. 34 mwN; vom 16. Mai 2013 - C-228/11, aaO Rn. 28 mwN; vom
16. Januar 2014 - C-45/13, aaO Rn. 24). Denn der Kläger stützt seine Klage
gerade auf die Verletzung einer inländischen Vorschrift des Finanzdienstleis-
tungsaufsichtsrechts, die nach deutschem Deliktsrecht zu einer Schadenser-
satzverpflichtung auch des Beklagten zu 2 führen soll.
(6) Der erkennende Senat ist nicht gehalten, den Gerichtshof gemäß
Art. 267 Abs. 1 und 3 AEUV um eine Vorabentscheidung zur Auslegung des
Art. 5 Nr. 3 LugÜ II zu ersuchen. Für das LugÜ II besteht zwar eine Ausle-
gungszuständigkeit des Gerichtshofs (Präambel zum Protokoll 2 nach Art. 75
LugÜ II über die einheitliche Auslegung des Übereinkommens und den ständi-
gen Ausschuss; vgl. auch Senatsurteile vom 20. Dezember 2011 - VI ZR 14/11,
WM 2012, 852 Rn. 28 mwN; vom 23. Oktober 2012 - VI ZR 260/11, BGHZ 195,
166 Rn. 22). Die Vorlagepflicht letztinstanzlicher Gerichte der Mitgliedstaaten
entfällt aber, wenn die betreffende gemeinschaftsrechtliche Bestimmung bereits
Gegenstand einer Auslegung durch den Gerichtshof war oder wenn die richtige
Anwendung des Gemeinschaftsrechts derart offenkundig ist, dass für einen
vernünftigen Zweifel kein Raum mehr bleibt (vgl. EuGH, Urteile vom 6. Oktober
1982 - 283/81, Slg. 1982, 3415 Rn. 13 ff. - C.I.L.F.I.T/Ministero della Sinita und
vom 15. September 2005 - C-495/03, Slg. 2005, I-8191 Rn. 33 und ständig; Se-
nat, Urteile vom 20. Dezember 2011 - VI ZR 14/11, aaO mwN; vom 23. Oktober
2012 - VI ZR 260/11, aaO; vom 25. Februar 2014 - VI ZR 144/13, VersR 2014,
593 Rn. 23; BGH, Beschluss vom 22. März 2010 - NotZ 16/09, BGHZ 185, 30
Rn. 33). Dies ist hier der Fall. Insbesondere ist in der Rechtsprechung des Ge-
richtshofs anerkannt, dass die Entscheidung, ob finanzielle Verluste eines Klä-
gers in seinem Heimatstaat eingetreten sind, den nationalen Gerichten obliegt
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- 19 -
(vgl. EuGH, Urteil vom 5. Februar 2004 - C-18/02, Slg. 2004, I-1417, Rn. 43
- DFDS Torline, zu Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ; zu Art 5 Nr. 3 LugÜ I Senatsurteil vom
6. November 2007 - VI ZR 34/07, VersR 2008, 1129 Rn. 22; zu Art. 5 Nr. 3
EuGVVO BGH, Urteil vom 12. Oktober 2010 - XI ZR 394/08, aaO Rn. 36).
2. a) Das Berufungsgericht hat zutreffend angenommen, dass sich der
vom Kläger geltend gemachte Schadensersatzanspruch im Ansatz nach deut-
schem Recht beurteilt (Art. 40 Abs. 1 EGBGB). Dagegen wenden sich die Par-
teien nicht.
b) Die Beklagten können als Organe der M. AG an nicht erlaubter Fi-
nanzportfolioverwaltung (§ 1 Abs. 1a Satz 2 Nr. 3 KWG) mitgewirkt haben und
deshalb persönlich wegen Verletzung eines Schutzgesetzes haften (§ 823
Abs. 2 i.V.m. § 32 Abs. 1 Satz 1, § 54 Abs. 1 Nr. 2 Fall 2, Abs. 2 KWG, § 14
Abs. 1 Nr. 1 StGB).
aa) Handelt es sich bei dem Schutzgesetz um ein Strafgesetz, so kommt
als Schadensersatzpflichtiger in Betracht, wer als Täter oder Teilnehmer gegen
eine entsprechende Strafvorschrift verstoßen kann (BGH, Urteil vom 11. Juni
2013 - II ZR 389/12, NJW 2013, 3303 Rn. 13). Ein Verstoß gegen § 32 Abs. 1
Satz 1 KWG ist gemäß § 54 Abs. 1 Nr. 2 KWG strafbewehrt, wobei sich im Falle
juristischer Personen die Verantwortlichkeit insbesondere nach § 14 Abs. 1
Nr. 1 StGB richtet, der darauf abstellt, dass jemand als vertretungsberechtigtes
Organ einer juristischen Person oder als Mitglied eines solchen Organs handelt
(vgl. Senatsurteile vom 11. Juli 2006 - VI ZR 339/04, VersR 2006, 1374 Rn. 25,
- VI ZR 340/04, WM 2006, 1896 Rn. 23 und - VI ZR 341/04, EBE/BGH 2006,
302, 304; vom 19. März 2013 - VI ZR 56/12, BGHZ 197, 1 Rn. 30).
bb) Die Frage der Organstellung der Beklagten nach § 14 Abs. 1 Nr. 1
StGB ist, da es sich bei der Beklagten zu 1 um eine ausländische Gesellschaft
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handelt, nach dem Gesellschaftsstatut zu beurteilen (vgl. nur BGH, Urteil vom
11. Juni 2013 - II ZR 389/12, aaO Rn. 19).
Dem ist das Berufungsgericht nachgekommen. Es hat - von der Revision
unangegriffen - den Inhalt des Schweizer Rechts dahingehend ermittelt, dass
der Beklagte zu 2 als Präsident des Verwaltungsrates ein vertretungsbefugtes
Organ der Beklagten zu 1 war.
cc) Allerdings tragen die Feststellungen des Berufungsgerichts eine Haf-
tung des Beklagten zu 2 wegen der vom Kläger verlangten entgangenen Anla-
gezinsen nicht. Zwar enthält § 252 Satz 2 BGB für den Geschädigten eine die
Regelung des § 287 ZPO ergänzende Beweiserleichterung, weshalb sich der
Geschädigte auf die Behauptung und erforderlichenfalls den Nachweis der An-
knüpfungstatsachen beschränken kann, bei deren Vorliegen die in § 252 Satz 2
BGB geregelte Vermutung eingreift (vgl. Senatsurteil vom 23. Februar 2010
- VI ZR 331/08, VersR 2010, 550 Rn. 13; BGH, Urteil vom 24. April 2012 - XI
ZR 360/11, NJW 2012, 2266 Rn. 13; jeweils mwN). Für die Wahrscheinlichkeit
einer Gewinnerzielung im Sinne von § 252 BGB aufgrund einer zeitnahen alter-
nativen Investitionsentscheidung des Geschädigten und deren Umfang sind
aber Feststellungen dazu nötig, für welche konkrete Form der Kapitalanlage
sich der Anleger ohne das schädigende Ereignis entschieden hätte (vgl. zum
Ganzen BGH, Urteil vom 24. April 2012 - XI ZR 360/11, aaO mwN). Solche
Feststellungen enthält das Berufungsurteil nicht.
3. Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht nicht geprüft, ob dem
Schadensersatzanspruch des Klägers nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 32
Abs. 1 Satz 1 KWG ein Einwand nach Schweizer Recht entgegensteht. Es
kommt in Betracht, dass der Anspruch nach Art. 303 Abs. 2 des Bundesgeset-
zes über Schuldbeitreibung und Konkurs (SchKG) untergegangen ist.
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- 21 -
Diese Vorschrift bestimmt, dass ein Gläubiger, welcher dem Nachlass-
vertrag zugestimmt hat, seine Rechte gegen Mitschuldner und andere [nur
dann] wahrt, sofern er ihnen mindestens zehn Tage vor der Gläubigerversamm-
lung deren Ort und Zeit mitgeteilt und ihnen die Abtretung seiner Forderung ge-
gen Zahlung angeboten hat.
a) Im Streitfall stimmte der Kläger dem vom Nachlassrichter beim Be-
zirksgericht Zürich bestätigten Nachlassvertrag vorbehaltlos zu. Ob der Kläger
dadurch zugleich seine Schadensersatzansprüche gegen die (mit)-haftenden
Beklagten verlor, bestimmt sich gemäß § 335 InsO nach Schweizer Recht
(ebenso OLG Hamm, Urteil vom 18. Juli 2013 - 6 U 215/11, juris Rn. 31; OLG
Brandenburg, Urteil vom 27. März 2014 - 12 U 182/12, juris Rn. 21; OLG Mün-
chen, Urteile vom 30. Oktober 2013 - 20 U 603/12, juris Rn. 28 ff., - 20 U
605/12, juris Rn. 50 ff., und - 20 U 1699/13, ZInsO 2014, 785, 787). Nach § 335
InsO unterliegen das Insolvenzverfahren und seine Wirkungen, soweit nichts
anderes bestimmt ist, dem Recht des Staats, in dem das Verfahren eröffnet
worden ist.
b) Zwar findet grundsätzlich für alle Voraussetzungen und Rechtsfolgen
einer deliktischen Haftung - hier die Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2
BGB i.V.m. § 32 Abs. 1 Satz 1 KWG - das Deliktsstatut und damit deutsches
Recht Anwendung (so bereits Senatsurteil vom 14. Juni 1960 - VI ZR 81/59,
VersR 1960, 990, 991). Das Deliktsstatut umfasst im Regelfall alle Einreden
und Einwendungen, die dem Anspruch entgegengehalten werden können, wie
etwa eine Verjährung des Anspruchs (vgl. Senat, Urteil vom 31. Mai 1983
- VI ZR 182/81, VersR 1983, 858, 859), einen Verzicht (Senat, Urteil vom
10. Februar 2009 - VI ZR 28/08, VersR 2009, 558 Rn. 8, 15 ff.) oder eine Ver-
wirkung (zum Ganzen MünchKommBGB/Junker, 5. Aufl., Art. 40 EGBGB,
Rn. 100; BeckOK-EGBGB/Spickhoff, Art. 40 Rn. 10 (Stand: 1. Februar 2013);
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Staudinger/von Hoffmann, BGB Neubearb. 2001, Vorbem. zu Art. 40 EGBGB
Rn. 46 f.). Im vorliegenden Fall ist aber, worauf die Revision zu Recht hinweist,
gemäß § 335 InsO das Insolvenzstatut maßgeblich, da es sich bei einem etwai-
gen Untergang des Anspruchs gegen Mitschuldner nach Schweizer Recht um
einen als insolvenzrechtlich zu qualifizierenden Erlöschensgrund handelt.
c) Die gerichtliche Bestätigung des Schweizer Nachlassvertrages wird
gemäß § 343 Abs. 2, Abs. 1 Satz 1 InsO im Inland anerkannt.
aa) Der Senat hat bereits entschieden, dass es sich beim Schweizer
Nachlassverfahren um ein ausländisches Insolvenzverfahren im Sinne des
deutschen internationalen Insolvenzrechts handelt (Versäumnisurteil vom
20. Dezember 2011 - VI ZR 14/11, aaO Rn. 32 ff. mwN). Die Eröffnung dieses
ausländischen Insolvenzfahrens wird damit nach § 343 Abs. 1 Satz 1 InsO
ebenso wie Sicherungsmaßnahmen nach dem Antrag zur Eröffnung des Insol-
venzverfahrens und Entscheidungen zur Durchführung oder Beendigung des
Insolvenzverfahrens (§ 343 Abs. 2 InsO) im Inland anerkannt.
bb) Eine solche Entscheidung im Sinne des § 343 Abs. 2 InsO stellt auch
die gerichtliche Bestätigung des Nachlassvertrags gemäß Art. 304 Abs. 2
SchKG dar, da hiermit - ähnlich wie im nationalen Recht nach § 254 Abs. 1 In-
sO - eine Forderungsmodifikation aufgrund des von den Gläubigern beschlos-
senen (Art. 302 Abs. 3 SchKG) und gegebenenfalls vom Gericht nach Art. 306
Abs. 2 SchKG geänderten Nachlassvertrags einhergeht (vgl. MünchKomm-
InsO/Thole, 2. Aufl., § 343 Rn. 82 f.). Die Forderungsmodifikation ergibt sich
daraus, dass der bestätigte Nachlassvertrag für alle Gläubiger - mit Ausnahme
der Pfandgläubiger, soweit sie durch das Pfand gesichert sind, - verbindlich ist,
deren Forderungen vor der Bekanntmachung der Nachlassstundung oder seit-
her ohne Zustimmung des Sachwalters entstanden sind (Art. 310 Abs. 1
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- 23 -
SchKG). Im Falle des Nachlassvertrags mit Vermögensabtretung verzichten die
Gläubiger dabei insbesondere auf den Forderungsbetrag, der nicht durch die
Liquidation oder den Erlös aus der Abtretung des Vermögens gedeckt ist
(Art. 318 Abs. 1 Nr. 1 SchKG).
cc) Die für die Inlandswirkung eines ausländischen Insolvenzverfahrens
erforderliche Voraussetzung, dass das ausländische Insolvenzverfahren eine
extraterritoriale Geltung beansprucht, ist bei der Nachlassstundung ebenso wie
beim Konkurs gegeben (Senatsurteil vom 20. Dezember 2011 - VI ZR 14/11,
aaO Rn. 37 mwN).
Zwar hat das Schweizerische Bundesgericht (Pra 66 (1977), 623, 625 f.
= BGE 103 III 54) in der Vergangenheit die Auffassung vertreten, die Wirkungen
eines in der Schweiz bestätigten Nachlassvertrags beschränkten sich grund-
sätzlich auf das Gebiet der Schweiz. Es hat allerdings schon damals
- weitergehend als beim Konkurs - eine Erfassung ausländischer Vermögens-
werte durch den Nachlassvertrag als zulässig erachtet und ist von einer auch im
Ausland zu beachtenden Verfügungsbefugnis der Liquidatoren ausgegangen
(Schweizerisches Bundesgericht, aaO, 626 f.). Soweit hierin eine (teilweise)
Absage an eine extraterritoriale Geltung des Nachlassverfahrens zu sehen sein
sollte, ist diese Auffassung durch die neuere Rechtsprechung des Bundesge-
richts überholt. Denn zwischenzeitlich hat es sogar für den Konkurs ausdrück-
lich festgestellt, dass er Auslandswirkung beansprucht (BGE 130 III 620, 629).
Auch die Schweizer Literatur geht von dieser sog. aktiven Universalität aus (vgl.
zum Konkurs und zur Nachlassstundung KUKO SchKG-Kren Kostkiewicz,
Art. 197 Rn. 22 ff.; BSK IPRG-Berti, 2. Aufl., Vor Art. 166 ff. Rn. 2; Kren
Kostkiewicz, Schuldbetreibungs- und Konkursrecht, Rn. 1152 ff.; Spühler/Dolge,
SchKG II, 5. Aufl., Rn. 373, 408; Siehr, SJZ 95 (1999), 85, 88 ff.; ebenso Se-
natsurteil vom 20. Dezember 2011 - VI ZR 14/11, aaO). Soweit teilweise die
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Auslandswirkung eines in der Schweiz bestätigten Nachlassvertrags von der
Anerkennung durch das ausländische Recht abhängig gemacht wird (vgl. etwa
Kren Kostkiewicz, aaO, Rn. 1153; Siehr, aaO, 88 f.), stellt dies den grundsätz-
lich bestehenden Anwendungswillen des Schweizer Insolvenzrechts nicht in
Frage (vgl. Siehr, aaO, 89) und ist dies im Hinblick auf § 343 Abs. 2, Abs. 1
Satz 1 InsO unerheblich.
dd) Im Übrigen ergibt sich der Anspruch des Schweizer Nachlassverfah-
rens auf Auslandsgeltung auch aus dem am 1. Januar 1989 in Kraft getretenen
schweizerischen Bundesgesetz über das Internationale Privatrecht (IPRG).
Zwar regelt Art. 175 IPRG lediglich die Anerkennung ausländischer Nachlass-
verträge oder ähnlicher Verfahren in der Schweiz. Aus der nach Art. 175 Satz 2,
Art. 166 Satz 1 Buchst. c IPRG erforderlichen Gegenseitigkeit ergibt sich aber,
dass das Schweizer Nachlassverfahren auf extraterritoriale Geltung angelegt ist
(ebenso Stadler, KTS 1995, 539, 555). Anderenfalls wäre die Vorschrift ohne
Sinn. Dies gilt insbesondere auch für die schuldbefreiende Wirkung nach Ver-
säumen der im Nachlassverfahren gesetzten Frist. So hat der Bundesgerichts-
hof die restschuldbeschränkende Wirkung eines Schweizer Konkursverfahrens
anerkannt, weil eine gesetzlich vorgesehene Restschuldbeschränkung - wie ein
vereinbarter Schuldnachlass - die beabsichtigte Wirkung nur erreichen kann,
wenn sie gegenüber allen Gläubigern wirkt. Zugleich diene dies der Gläubiger-
gleichbehandlung (vgl. BGH, Urteil vom 27. Mai 1993 - IX ZR 254/92, BGHZ
122, 373, 378). Dieser Gedanke ist auf die schuldbefreiende Wirkung des
Nachlassvertrages zu übertragen (Stadler, aaO, 556).
d) Nach § 335 InsO unterliegen auch die materiell-rechtlichen Folgewir-
kungen des Insolvenzverfahrens (BGH, Urteil vom 14. November 1996 - IX ZR
339/95, BGHZ 134, 79, 87) grundsätzlich dem Recht des Staates, in dem das
Verfahren eröffnet worden ist (sog. "lex fori concursus", vgl. BGH, Beschluss
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vom 30. April 2013 - VII ZB 22/12, WM 2013, 1225 Rn. 33; LSZ-Smid, Internati-
onales Insolvenzrecht, 2. Aufl., § 343 InsO Rn. 2; MünchKomm-InsO/Reinhart,
aaO, § 335 Rn. 9; FK-InsO/Wenner/Schuster, 7. Aufl., § 343 Rn. 36). Hiervon
werden alle materiell-rechtlichen Wirkungen des ausländischen Insolvenzver-
fahrens erfasst, sofern diese nach deutschem internationalen Privatrecht als
insolvenzrechtlich zu qualifizieren sind (LSZ-Smid, aaO, § 335 InsO Rn. 6;
MünchKomm-InsO/Reinhart, aaO Rn. 8, 11; FK-InsO/Wenner/Schuster, aaO,
§ 335 InsO Rn. 1; Kreft/Stephan, InsO, 7. Aufl., § 335 Rn. 9; Hess, InsO,
2. Aufl., § 335 Rn. 3; Braun/Tashiro, 5. Aufl., § 335 InsO Rn. 6 f.; Gottwald/
Kolmann, Insolvenzrechts-Handbuch, 4. Aufl., § 132 Rn. 2; Schluck-Amend in
Pape/Uhländer, InsO, § 335 Rn. 12).
e) Der Verlust der Rechte gegen Mitverpflichtete gemäß Art. 303 Abs. 2
SchKG ist eine materiell-rechtliche Folgewirkung, die als insolvenzrechtlich zu
qualifizieren und daher gemäß § 335 InsO nach Schweizer Recht zu beurteilen
ist, das insoweit keine Rückverweisung vorsieht.
aa) Für die Qualifikation von Rechtsfragen, die sich an der Grenze zwi-
schen Insolvenzrecht und anderen Rechtsgebieten befinden, ist zunächst die
ausländische Rechtsvorschrift nach Sinn und Zweck zu erfassen, ihre Bedeu-
tung vom Standpunkt des ausländischen Rechts her zu würdigen und mit der
deutschen Einrichtung funktional zu vergleichen. Auf dieser Grundlage ist sie
den aus den Begriffen der deutschen Rechtsordnung aufgebauten Merkmalen
der deutschen Kollisionsnorm zuzuordnen (BGH, Urteile vom 19. Dezember
1958 - IV ZR 87/58, BGHZ 29, 137, 139; vom 22. März 1967 - IV ZR 148/65,
BGHZ 47, 324, 332; vom 21. September 1995 - VII ZR 248/94, NJW 1996, 54;
MünchKomm-InsO/Reinhart, aaO, Vor §§ 335 ff. Rn. 37, 101; vgl. auch Gott-
wald/Kolmann, aaO, § 129 Rn. 24).
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Für eine insolvenzrechtliche Qualifikation sprechen solche Wirkungen,
die auf dem Insolvenzverfahren als Gesamtabwicklung der Vermögens- und
Haftungsverhältnisse eines Schuldners in einer Mangelsituation zu Gunsten
seiner grundsätzlich gleich zu behandelnden Gläubiger beruhen und für die
Aufgabenerfüllung eines Insolvenzverfahrens wesentlich sind (Gottwald/
Kolmann, aaO, § 132 Rn. 9; LSZ-Smid, Internationales Insolvenzrecht, aaO).
Einen weiteren Anhaltspunkt vermag der Umstand zu geben, ob die fragliche
Norm auch außerhalb der Insolvenz gilt oder eine spezielle Regelung für den
Fall der Insolvenz aufstellt (Braun/Tashiro, aaO Rn. 8). Anerkannt ist insbeson-
dere, dass sich die Wirkungen eines Insolvenzplanes oder (Zwangs-)
Vergleichs gemäß § 335 InsO nach der lex fori concursus richten (Münch-
Komm-InsO/Reinhart, aaO, § 335 Rn. 116; Gottwald/Kolmann, aaO Rn. 103;
FK-InsO/Wenner/Schuster, aaO Rn. 5).
bb) Art. 303 Abs. 2 SchKG regelt den Schutz von Mitschuldnern und das
Schicksal der gegen diese bestehenden Forderungen. Der Schweizer Gesetz-
geber erachtete es als ungerecht, wenn der Gläubiger dem Nachlassvertrag nur
zustimmt, weil er den Mitschuldner für die ganze Schuld belangen kann, wäh-
rend der Mitschuldner sein Regressrecht nur bis zum Betrag der Nachlassdivi-
dende ausüben kann und somit letztlich den Forderungsbetrag trägt. Demzufol-
ge sei es für den Gläubiger einfach, den Nachlassvertrag zu Lasten des Mit-
schuldners anzunehmen und ihm ein Opfer aufzuerlegen, zu welchem er sich
selbst nicht bereit erklärt hatte (Schweizerisches Bundesgericht, Pra 85 (1996),
246, 247 = BGE 121 III 191; BSK SchKG II-Vollmar, 2. Aufl., Art. 303 Rn. 1).
Das Schweizer Recht verlangt daher vom Gläubiger, dem Schuldner Ort und
Zeit der Gläubigerversammlung rechtzeitig mitzuteilen und ihm das Angebot zu
unterbreiten, seine Forderung gegen - volle (BSK SchKG II-Vollmar, aaO
Rn. 13; KUKO SchKG-Hardmeier, Art. 303 Rn. 3) - Zahlung an diesen abzutre-
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ten. Damit erhalten die Mitverpflichteten vor der Gläubigerversammlung Gele-
genheit zum Studium der Akten und durch das Angebot der Forderungsabtre-
tung die Möglichkeit, selbst zum Gläubiger zu werden und über den Nachlass-
vertrag mitzuentscheiden (BSK SchKG II-Vollmar, aaO Rn. 11, 13; vgl. auch
Jaeger/Walder/Kull/Kottmann, SchKG, 4. Aufl., Art. 303 Rn. 3). Kommt der
Gläubiger seiner Verpflichtung nicht nach, verliert er alle seine Rechte gegen-
über dem Mitschuldner (Schweizerisches Bundesgericht, aaO, 251; BSK
SchKG II-Vollmar, aaO Rn. 10; Jaeger/Walder/Kull/Kottmann, aaO Rn. 17;
KUKO SchKG-Hardmeier, aaO Rn. 2; Kren Kostkiewicz/Walder, SchKG,
18. Aufl., Art. 303 Rn. 6). Diese Folge tritt ein, wenn der Nachlassvertrag zu-
stande kommt und rechtskräftig wird (BSK SchKG II-Vollmar, aaO Rn. 5).
cc) Damit regelt das Schweizer Konkursrecht in Art. 303 Abs. 2 SchKG
eine als insolvenzrechtlich zu qualifizierende Fragestellung (ebenso OLG Mün-
chen, Urteile vom 30. Oktober 2013 - 20 U 603/12, aaO, - 20 U 605/12, aaO,
und - 20 U 1699/13, aaO, 788). Die Fragen der Einbeziehung von Mitverpflich-
teten in das Verfahren und der Folgerungen für die gegen sie gerichteten For-
derungen der Gläubiger im Fall einer Insolvenz und eines sich anschließenden
(Zwangs-)Vergleichs stellen sich aus autonomer Sicht typischerweise in dieser
Mangelsituation und sind daher im Insolvenzrecht zu regeln. Darüber hinaus gilt
Art. 303 Abs. 2 SchKG ausschließlich für den Fall des als insolvenzrechtlich zu
qualifizierenden Nachlassverfahrens.
III.
Danach ist das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache zu neuer Ver-
handlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 562
Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Dies gibt dem Berufungsgericht insbesonde-
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re Gelegenheit, die notwendigen Ermittlungen zum Schweizer Recht vorzu-
nehmen und die hierzu erforderlichen Feststellungen zu treffen.
Rechtsbehelfsbelehrung
Gegen dieses Versäumnisurteil kann innerhalb einer Notfrist von zwei
Wochen die mit der Zustellung des Versäumnisurteils beginnt, schriftlich Ein-
spruch durch eine von einem beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechts-
anwalt unterzeichnete Einspruchsschrift beim Bundesgerichtshof, Herrenstra-
ße 45a, 76133 Karlsruhe eingelegt werden.
Galke
Wellner
Pauge
Stöhr
von Pentz
Vorinstanzen:
LG Köln, Entscheidung vom 12.05.2011 - 14 O 839/10 -
OLG Köln, Entscheidung vom 13.07.2012 - 20 U 148/11 -
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