Urteil des BGH vom 10.06.2010

BGH (staatsanwaltschaft, zeuge, höhe, rechtsmittel, erpressung, nachprüfung, begründung, mitwirkung, stgb, versuch)

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 73/10
vom
10. Juni 2010
in der Strafsache
gegen
wegen versuchter Erpressung u.a.
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 10. Juni 2010,
an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Ernemann
als Vorsitzender,
Richterin am Bundesgerichtshof
Solin-Stojanović,
Richter am Bundesgerichtshof
Cierniak,
Dr. Franke,
Bender
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof ,
Richter am Amtsgericht
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin
als Verteidigerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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1. Die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwalt-
schaft gegen das Urteil des Landgerichts Rostock vom
22. Juni 2009 werden verworfen.
2. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu
tragen. Die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwalt-
schaft und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen
notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter Erpressung in
zwei Fällen sowie wegen Geldwäsche in Tateinheit mit Hehlerei in zwei Fällen
zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt, deren
Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Im Übrigen hat es den Ange-
klagten freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft rügt die Verletzung materiellen
Rechts; der Angeklagte beanstandet das Verfahren und erhebt die nicht näher
ausgeführte Sachrüge. Keines der Rechtsmittel hat Erfolg.
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A.
Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
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Der Mittäter des Angeklagten, der gesondert verfolgte F. , gelangte
im Frühjahr 2005 in den Besitz von etwa 2400 Kontobelegen der
Landesbank AG (im Folgenden: L. ), die ein inzwischen rechts-
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kräftig verurteilter ehemaliger Mitarbeiter der Bank entwendet hatte. Die Belege
betrafen die Anlage von Vermögenswerten nahezu ausschließlich in Deutsch-
land wohnhafter Kunden der L. , die die daraus erzielten Einkünfte, im Wesent-
lichen Zinserträge und Anlagegewinne, nicht ordnungsgemäß in Deutschland
versteuerten und dies auch in Zukunft nicht zu tun beabsichtigten. Zur gewinn-
bringenden Verwertung der Kontobelege fasste F. den Plan, dort aufgeführ-
te Kunden der L. anzusprechen und von diesen zur Vermeidung einer Veröf-
fentlichung der auf den Belegen enthaltenen Informationen und einer damit ver-
bundenen strafrechtlichen Verfolgung Geldbeträge in Höhe von jeweils zehn
Prozent der Anlagesumme zu fordern.
Auf Anweisung des F. , der im Hintergrund bleiben wollte, nahm der
Angeklagte im Mai und im Juni 2005 Kontakt zu vier Kunden der L. auf, um den
Plan in die Tat umzusetzen. Dabei erhoffte sich der Angeklagte als Belohnung
für seine Mitwirkung an den Taten jeweils zehn Prozent der von den angespro-
chenen Kunden gezahlten Geldbeträge, wobei er mit einem Betrag in Höhe von
400.000 Euro rechnete. Der Zeuge P. erklärte sich nach mehreren Telefo-
naten bzw. Treffen mit dem Angeklagten am 7. Juni 2005 dazu bereit, einen
Betrag in Höhe von 300.000 Euro zu zahlen. P. hatte jedoch zuvor die L.
von der Kontaktaufnahme und der Geldforderung in Kenntnis gesetzt. Eine
Geldübergabe fand nicht statt, weil der Angeklagte auf Anweisung des F. die
Verbindung mit der Begründung abbrach, der Zeuge arbeite mit der L. zusam-
men. Anfang Juni 2005 nahm der Angeklagte Kontakt zu dem Zeugen K.
auf, der jedoch (wahrheitswidrig) erklärte, kein Konto bei der L. zu unterhalten.
Der Angeklagte und F. gingen daraufhin davon aus, der Zeuge K. sei
nicht erpressbar und die weitere Ausführung ihres Vorhabens sei nicht mehr
möglich. Ebenfalls im Juni 2005 wurde der Zeuge R. vom Angeklagten aufge-
fordert, zur Vermeidung der Weitergabe von Kontobelegen an das Finanzamt
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einen Geldbetrag in Höhe von zehn Prozent der Anlagesumme zu zahlen.
Nachdem F. in der Zwischenzeit – ohne dass der Angeklagte davon zu-
nächst etwas erfuhr – aber auch direkt mit der L. in Kontakt getreten war, ihr
die Rückgabe der Kontounterlagen gegen Zahlung eines hohen Geldbetrages
angeboten und ferner zugesagt hatte, die Kunden der L. nicht weiter zu behel-
ligen, wurde der Angeklagte angewiesen, auch den Kontakt zum Zeugen R.
abzubrechen. Noch einige Tage zuvor hatte der Angeklagte den Zeugen D. ,
ebenfalls Kunde der L. , angerufen und diesem später in dessen Büro sein
Anliegen vorgetragen. Er erzielte jedoch mit seiner Drohung keinen Erfolg; der
Zeuge D. kündigte an, die Polizei einzuschalten.
Im Weiteren verhandelte F. ohne Mitwirkung des Angeklagten mit
den Entscheidungsträgern der L. . Diese waren schließlich bereit, zur Vermei-
dung der von F. angekündigten Weitergabe der Kontounterlagen an die Fi-
nanzbehörden eine Summe von insgesamt 13 Millionen Euro zu zahlen. In der
Folgezeit wurden an F. am 31. August 2005 7,5 Millionen Schweizer Fran-
ken und am 29. August 2007 weitere vier Millionen Euro, jeweils gegen Rück-
gabe von Teilen der Kontounterlagen, von der L. übergeben. Die letzte Rate in
Höhe von 4 Millionen Euro, die für Ende August 2009 abgesprochen war, zahlte
die L. nicht mehr, da F. Ende 2007 festgenommen wurde. F. gab an
den Angeklagten aus den von der L. geleisteten Beträgen als Belohnung für
seine Mitwirkung im Spätsommer 2005 150.000 Schweizer Franken und Ende
August 2007 100.000 Euro weiter.
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B.
I.
Zur Revision des Angeklagten:
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Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
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1. Die auf die Verletzung von § 338 Nr. 4 StPO gestützte Verfahrensrüge
ist unbegründet, wie der Generalbundesanwalt in der Begründung seines Ter-
minsantrags vom 1. März 2010 zutreffend ausgeführt hat.
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2. Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils aufgrund der nicht näher
ausgeführten Sachrüge hat zum Schuldspruch keinen Rechtsfehler zum Nach-
teil des Angeklagten ergeben. Auch der Strafausspruch hält rechtlicher Nach-
prüfung stand.
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Es begegnet insbesondere keinen durchgreifenden rechtlichen Beden-
ken, dass das Landgericht bei den beiden versuchten Erpressungstaten den
– nach §§ 49 Abs. 1, 23 Abs. 2 StGB gemilderten – Strafrahmen des § 253 Abs.
4 StGB zugrunde gelegt hat. Zwar kann das Vorliegen eines vertypten Milde-
rungsgrundes Anlass geben, trotz Vorliegens eines Regelbeispiels einen be-
sonders schweren Fall zu verneinen (BGH, Beschluss vom 8. Oktober 2008 – 4
StR 387/08, NStZ-RR 2009, 9; vgl. auch Fischer, StGB, 57. Aufl., § 46 Rn. 92
m.w.N.). Das Landgericht hat jedoch bei der Prüfung der Voraussetzungen des
Regelbeispiels eine Gesamtwürdigung auch unter dem Gesichtspunkt vorge-
nommen, ob Strafzumessungsgesichtspunkte gegeben sind, die die Regelwir-
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kung entkräften könnten. Danach schließt der Senat aus, dass die Strafkammer
hierbei aus dem Blick verloren haben könnte, dass es in den Fällen zum Nach-
teil der Zeugen K. und D. beim Versuch geblieben war.
II.
Zur Revision der Staatsanwaltschaft:
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1. Bedenken gegen die Zulässigkeit der Revision bestehen entgegen der
Auffassung der Verteidigung nicht.
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Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft ist weder rechtsmissbräuchlich
erhoben noch verstößt dessen Einlegung unter einem anderen rechtlichen Ge-
sichtspunkt gegen das Gebot eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens. Nach der
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs unterliegt die Befugnis der Verfah-
rensbeteiligten, nach einer vorausgegangenen Verständigung das Rechtsmittel
der Revision einzulegen, keinen Einschränkungen (BGH, Urteil vom 28. August
1997 - 4 StR 240/97, BGHSt 43, 195; BGH, Beschluss vom 3. März 2005
- GSSt 1/04, BGHSt 50, 40). Dies gilt nicht nur für die Rechtsmittelbefugnis des
Angeklagten, sondern uneingeschränkt auch für diejenige anderer Verfahrens-
beteiligter (Meyer-Goßner, StPO, 52. Aufl., Vor § 213 Rn. 23). Das nach Erlass
des angefochtenen Urteils in Kraft getretene Gesetz zur Regelung der Verstän-
digung im Strafverfahren vom 29. Juli 2009 (BGBl. I S. 2353) hat an dieser
Rechtslage nichts geändert.
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2. Die Revision der Staatsanwaltschaft hat jedoch in der Sache keinen
Erfolg.
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a) Der Freispruch des Angeklagten in den Fällen II. 1 und 3 der Urteils-
gründe hält rechtlicher Nachprüfung stand. Die diesbezüglich von der Be-
schwerdeführerin erhobenen Bedenken gegen die Annahme eines jeweils frei-
willigen Rücktritts vom Versuch der Erpressung greifen im Ergebnis nicht durch.
Insoweit nimmt der Senat zur Begründung auf die Ausführungen in seinem am
heutigen Tage ergangenen Urteil im Verfahren 4 StR 474/09 gegen den geson-
dert verfolgten F. u.a. Bezug.
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b) Ohne Erfolg wendet sich die Staatsanwaltschaft auch dagegen, dass
das Landgericht, soweit der Angeklagte wegen Geldwäsche in Tateinheit mit
Hehlerei in zwei Fällen (II. 5 der Urteilsgründe) verurteilt wurde, die Vorausset-
zungen der gewerbsmäßigen Begehungsweise nicht erörtert hat. Wie der Ge-
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neralbundesanwalt in seinem Terminsantrag im Einzelnen zutreffend ausgeführt
hat, lassen sich den Feststellungen im angefochtenen Urteil keine ausreichen-
den Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass das Handeln des Angeklagten auf
die Schaffung einer fortlaufenden Einnahmequelle ausgerichtet war.
Ernemann Solin-Stojanović Cierniak
RiBGH Dr. Franke ist
erkrankt und daher gehindert
zu unterschreiben.
Ernemann Bender