Urteil des BGH vom 13.11.2007

BGH (ausschreibung, vermietung, gebäude, bevorzugung, unternehmen, auswahl, markt, mieter, werkstatt, behinderung)

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
KZR 22/06
Verkündet am:
13. November 2007
Walz
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
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Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 13.
November 2007 durch den Präsidenten des Bundesgerichtshofs
Prof. Dr. Hirsch, den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Bornkamm sowie die Richter
Dr. Raum, Prof. Dr. Meier-Beck und Dr. Strohn
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Kartellsenats des
Oberlandesgerichts Dresden vom 12. September 2006 aufgehoben.
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Leipzig
– 5. Zivilkammer – vom 30. März 2006 abgeändert. Der Beklagte wird
verurteilt, es zu unterlassen, eine Neuvermietung der derzeit an die Be-
hindertenzentrum des Landkreises Gemeinnützige Gesellschaft mbH
zum Zwecke des Betriebs einer Schilderprägewerkstatt vermieteten
Räumlichkeiten im Gebäude des Landratsamtes, R.
Straße , D. , ohne vorherige Ausschreibung unter Einschluss
der gewerblichen Schilderpräger vorzunehmen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Von Rechts wegen
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Tatbestand:
Der beklagte Landkreis unterhält in den Räumlichkeiten des Landratsamts in
D. eine Kfz-Zulassungsstelle. Auf deren Gelände führte der Kläger bis Ende
2004 einen mobilen Schilderprägebetrieb. Außerdem hatte der Beklagte einem
Mitbewerber des Klägers Räumlichkeiten im Gebäude der Zulassungsstelle über-
lassen. Nachdem diese Mietverhältnisse ausgelaufen waren, vermietete der Land-
kreis zum 1. Januar 2005 die im Gebäude der Zulassungsstelle gelegenen Räume
ohne vorherige Ausschreibung für fünf Jahre an eine gemeinnützige Einrichtung,
das Behindertenzentrum D. , das dort ein Schilderprägegeschäft betreibt.
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Der Kläger hat zuletzt beantragt, den Beklagten zu verurteilen, es zu unter-
lassen,
eine Neuvermietung der derzeit an das Behindertenzentrum … zum Zwecke des Be-
triebs einer Schilderprägewerkstatt vermieteten Räumlichkeiten im Gebäude des
Landratsamts … D. ohne vorherige Ausschreibung unter Einschluss der ge-
werblichen Schilderpräger vorzunehmen.
Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten.
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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist oh-
ne Erfolg geblieben (OLG Dresden Rechtsdienst der Lebenshilfe 2006, 174).
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Mit der – vom Senat zugelassenen – Revision verfolgt der Kläger sein Kla-
gebegehren weiter. Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
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Entscheidungsgründe:
I. Das Berufungsgericht hat eine Diskriminierung oder unbillige Behinde-
rung des Klägers nach § 20 Abs. 1 GWB verneint. Zur Begründung hat es ausge-
führt:
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Zwar verfüge der Beklagte auf dem Markt für die Vermietung von Gewerbe-
flächen, die sich für einen Schilderprägebetrieb eigneten, über eine marktbeherr-
schende Stellung. Mit der Vermietung der Räumlichkeiten habe er auch einen Ge-
schäftsverkehr eröffnet, der Schilderprägebetrieben zugänglich sei. Der Kläger
werde aber durch die (Weiter-)Vermietung der Räume an den derzeitigen Mieter
nicht unbillig behindert. Der Verzicht auf eine Ausschreibung sei nicht unbillig, weil
der Beklagte auf diese Weise die Integration der in einer anerkannten Werkstatt
tätigen behinderten Menschen fördern wolle. Der Beklagte sei berechtigt, die in
Rede stehenden Räume unter Ausschluss gewerblicher Interessenten an den
Träger einer anerkannten Werkstatt für behinderte Menschen zu vermieten. Weil
mit der Vermietung von Räumen kein Auftrag vergeben werde und keine Leistun-
gen erbracht würden, ergebe sich dies zwar nicht unmittelbar aus § 141 SGB IX
(wonach Aufträge der öffentlichen Hand, die von anerkannten Werkstätten für be-
hinderte Menschen ausgeführt werden können, bevorzugt diesen Werkstätten an-
geboten werden). Im Rahmen der kartellrechtlichen Würdigung seien aber das
Sozialstaatsprinzip sowie die in § 141 SGB IX getroffenen normativen Wertent-
scheidungen zu berücksichtigen. Durch die Vermietung der Räume an das Behin-
dertenzentrum würden die dort tätigen Menschen in den Arbeitsprozess eingeglie-
dert; ihre soziale Integration werde gefördert. Dem Kläger bleibe es auf der ande-
ren Seite im Kern unbenommen, seine Geschäftstätigkeit an einem anderen
Standort auszuüben. Außerdem habe er Anspruch darauf, dass an geeigneter
Stelle im Gebäude der Zulassungsstelle auf sein Angebot hingewiesen werde.
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Durch den Umstand, dass es der Beklagte unterlassen habe, zumindest eine auf
soziale Einrichtungen oder anerkannte Werkstätten für Behinderte beschränkte
Ausschreibung durchzuführen, werde der Kläger nicht behindert, weil er sich an
einer solchen Ausschreibung nicht beteiligen dürfe.
II. Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Revision haben Er-
folg. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht in dem beanstandeten Verhalten des
beklagten Landkreises keinen Verstoß gegen das kartellrechtliche Behinderungs-
verbot des § 20 Abs. 1 GWB gesehen und dementsprechend einen Unterlas-
sungsanspruch des Klägers aus § 33 GWB verneint.
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1. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der beklag-
te Landkreis als Eigentümer der Räumlichkeiten innerhalb des Landratsamtes
über eine überragende Stellung auf dem Markt für Gewerbeflächen verfügt, die
sich wegen der Nähe zur Zulassungsstelle für Kraftfahrzeuge besonders als
Standort für Schilderprägebetriebe eignen. Dies entspricht ständiger Rechtspre-
chung des Senats (BGH, Urt. v. 7.11.2006 – KZR 2/06, WuW/E DE-R 1951 Tz. 11
– Bevorzugung einer Behindertenwerkstatt, m.w.N.).
2. Da der Beklagte Räumlichkeiten an ein anderes Unternehmen vermietet
hat, handelt es sich auch um einen Geschäftsverkehr, der gleichartigen Unter-
nehmen üblicherweise zugänglich ist. Der Umstand, dass die Räumlichkeiten an
ein Unternehmen vermietet wurden, das – anders als der Kläger – schwer zu ver-
mittelnde Personen beschäftigt, vermag an der Gleichartigkeit nichts zu ändern
(vgl. BGH WuW/E DE-R 1951 Tz. 12 – Bevorzugung einer Behindertenwerkstatt).
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3. In der Nichtberücksichtigung des Klägers bei der Vermietung ohne Aus-
schreibung liegt eine objektive Behinderung i.S. des § 20 Abs. 1 GWB. Das bean-
standete Verhalten des Beklagten wirkt sich objektiv nachteilig auf die Wettbe-
werbsmöglichkeiten des Klägers aus, wenn er keine Chance erhält, im Rahmen
einer Ausschreibung als Mieter der im Gebäude der Zulassungsstelle gelegenen
Räumlichkeiten ausgewählt zu werden (vgl. BGH WuW/E DE-R 1951 Tz. 13 – Be-
vorzugung einer Behindertenwerkstatt).
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4. Mit Erfolg wendet sich die Revision dagegen, dass das Berufungsgericht
die Behinderung des Klägers im Rahmen der umfassenden Interessenabwägung
nicht als unbillig angesehen hat.
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a) Wie der Senat inzwischen entschieden hat, ist es einer Gemeinde oder ei-
ner anderen eine Kfz-Zulassungsstelle betreibenden Gebietskörperschaft, die im
selben Gebäude Räume an einen Schilderpräger vermieten möchte, grundsätzlich
unbenommen, bei der Auswahl des Schilderprägers auch Belange des Gemein-
wohls zu berücksichtigen und Nachfrager zu bevorzugen, die in der zu betreiben-
den Schilderprägestelle in erster Linie schwer zu vermittelnde Personen beschäf-
tigen wollen (BGH WuW/E DE-R 1951 Tz. 15 – Bevorzugung einer Behinderten-
werkstatt). Es ist weder der öffentlichen Hand als Normadressatin des § 20 Abs. 1
GWB noch einem anderen marktbeherrschenden Unternehmen grundsätzlich
verwehrt, sich bei der Auswahl mehrerer Bewerber unter Beachtung des Transpa-
renzgebots auch von Gemeinwohlbelangen leiten zu lassen (vgl. zur Interessen-
abwägung bei § 20 Abs. 4 GWB BGHZ 151, 274, 280 f., 283 – Fernwärme für
Börnsen). So kann es auch einem Landkreis nicht untersagt werden, bei der Ver-
mietung von Gewerbeflächen für einen Schilderprägebetrieb durch Auswahl eines
bestimmten Mieters einen Beitrag zur Eingliederung schwer zu vermittelnder Per-
sonen in den Arbeitsprozess zu leisten.
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Diese Gemeinwohlbelange dürfen aber – wie der Senat entschieden hat –
nicht mit einem Mittel verfolgt werden, das mit der auf die Freiheit des Wettbe-
werbs gerichteten Zielsetzung des Gesetzes nicht vereinbar ist (BGH WuW/E
DE-R 1951 Tz. 16 – Bevorzugung einer Behindertenwerkstatt). Der Zielsetzung
des Gesetzes widerspricht es, wenn die Berücksichtigung von Gemeinwohlbelan-
gen dazu führen würde, dass der Wettbewerb um die zu vermietenden Gewerbe-
flächen vollständig und der Wettbewerb auf dem nachgelagerten Schilderpräger-
markt weitgehend ausgeschlossen wäre. Die dem Gemeinwohl geschuldeten Vor-
aussetzungen, die ein Mieter der fraglichen Gewerbeflächen erfüllen soll, müssen
daher grundsätzlich auch von anderen Interessenten erfüllbar sein und im Rah-
men einer Ausschreibung offengelegt werden. Beispielsweise wäre nichts dage-
gen einzuwenden, wenn der Beklagte bereits in der Ausschreibung darauf hinwei-
sen würde, dass er Interessenten in einem im Einzelnen darzulegenden Umfang
bevorzugt, die sich verpflichten, in dem Schilderprägebetrieb verstärkt behinderte
Menschen zu beschäftigen.
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b) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann sich der Beklagte
zur Rechtfertigung seines Verhaltens auch nicht auf die gesetzliche Bestimmung
des § 141 Satz 1 SGB IX berufen, wonach Aufträge der öffentlichen Hand, die von
anerkannten Werkstätten für behinderte Menschen ausgeführt werden können,
bevorzugt diesen Werkstätten angeboten werden.
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aa) Eine unmittelbare Anwendung des § 141 Satz 1 SGB IX kommt – wie
auch das Berufungsgericht erkannt hat – nicht in Betracht, weil es sich bei der
Vermietung der Gewerbeflächen nicht um einen Auftrag handelt. Der jetzige Mie-
ter erbringt für den Beklagten keine Leistungen; ihm wird vielmehr durch die Ver-
mietung die Möglichkeit eröffnet, seinerseits auf dem Markt der Schilderpräger
Leistungen zu erbringen.
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bb) Der Bestimmung des § 141 Satz 1 SGB IX kann aber auch keine allge-
meine normative Wertentscheidung entnommen werden, deren Berücksichtigung
es, wenn nicht als geboten, so doch als gerechtfertigt erscheinen ließe, Gewerbe-
flächen der hier in Rede stehenden Art ohne Prüfung der damit verbundenen Min-
dereinnahmen an anerkannte Werkstätten für behinderte Menschen zu vermieten.
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(1) Die Anwendung des § 141 Satz 1 SGB IX führt nicht dazu, dass die bei
der Vergabe öffentlicher Aufträge an sich zu berücksichtigenden Grundsätze der
sparsamen und rationellen Verwendung öffentlicher Mittel vollständig in den Hin-
tergrund träten (vgl. Pahlen in Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen, Sozialgesetz-
buch IX, 11. Aufl., § 141 Rdn. 6). Die öffentliche Hand ist aufgrund der Bestim-
mung des § 141 Satz 1 SGB IX nicht genötigt, eine anerkannte Werkstatt auch
dann zu bevorzugen, wenn sie einen deutlich höheren Preis verlangt als ein Un-
ternehmen, das diese Anerkennung nicht besitzt. So sieht beispielsweise § 3 Nr. 4
der vom Bundesminister für Wirtschaft und Technologie erlassenen Richtlinien für
die Berücksichtigung von Werkstätten für Behinderte und Blindenwerkstätten bei
der Vergabe öffentlicher Aufträge vom 10. Mai 2001 (BAnz. 2001, 11773), die
nach § 159 Abs. 4 SGB IX bis zum Erlass von allgemeinen Verwaltungsrichtlinien
nach § 141 Satz 2 SGB IX weiter anzuwenden sind, vor, dass anerkannten Werk-
stätten für Behinderte und Blindenwerkstätten immer dann der Zuschlag zu ertei-
len ist, wenn ihr Angebotspreis den des wirtschaftlichsten Bieters um nicht mehr
als 15 vom Hundert übersteigt. Diese Grundsätze sind mit den in den Ländern er-
lassenen Richtlinien im Wesentlichen identisch (vgl. Kossens in Kossens/von der
Heide/Maaß, SGB IX, 2. Aufl., § 141 Rdn. 7).
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Die Anwendung des § 141 Satz 1 SGB IX macht daher – wie der Senat be-
reits im Urteil „Bevorzugung einer Behindertenwerkstatt“ entschieden hat (BGH
WuW/E DE-R 1951 Tz. 21) – eine Ausschreibung nicht überflüssig. Denn erst an-
hand des günstigsten Angebots lässt sich ermitteln, ob einer anerkannten Werk-
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stätte für behinderte Menschen der Vorzug zu geben ist. Den Wettbewerbern ver-
bleibt unter diesen Umständen die Möglichkeit, die Vergabeentscheidung durch
günstige Angebote zu ihren Gunsten zu beeinflussen.
(2) Gegen eine generelle, über den Ausgleich struktureller Nachteile hinaus-
gehende Bevorzugung anerkannter Werkstätten für Behinderte spricht darüber
hinaus folgende Erwägung: § 141 Satz 1 SGB IX betrifft nur die Aufträge der öf-
fentlichen Hand und reguliert damit nur einen kleinen Ausschnitt des jeweiligen re-
levanten Marktes. Dagegen würde die Vermietung der in Zulassungsstellen gele-
genen Gewerbeflächen ausschließlich an Schilderprägebetriebe, die als Werkstät-
ten für behinderte Menschen anerkannt sind, andere Unternehmen, die diese An-
erkennung nicht aufweisen können, erheblich beeinträchtigen. Sie könnten ihre
Waren und Leistungen nur auf Gewerbeflächen anbieten, die in der Nachbarschaft
der Zulassungsstellen liegen, und hätten damit gegenüber den anerkannten
Werkstätten einen – je nach den örtlichen Verhältnissen – nur schwer oder gar
nicht auszugleichenden Nachteil. Damit wäre der Wettbewerb auf dem Markt der
Schilderpräger erheblich eingeschränkt.
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III. Das Berufungsurteil kann danach ebenso wie das Urteil erster Instanz
keinen Bestand haben. Auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen ist dem
Senat eine abschließende Entscheidung in der Sache möglich. Der Beklagte muss
anlässlich einer Neuvermietung der in Rede stehenden Räumlichkeiten eine Aus-
schreibung durchführen, in der er unter Beachtung des Transparenzgebots ent-
weder die Förderung behinderter Menschen als Teilnahmebedingung vorsieht
oder darauf hinweist, dass er bei Auswahl des Mieters eine solche Förderung be-
rücksichtigen oder anerkannte Werkstätten für behinderte Menschen bevorzugen
werde.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
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Hirsch Bornkamm Raum
Meier-Beck Strohn
Vorinstanzen:
LG Leipzig, Entscheidung vom 30.03.2006 - 5 O 4705/05 -
OLG Dresden, Entscheidung vom 12.09.2006 - U 786/06 Kart -