Urteil des BGH vom 11.05.2010

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
IX ZB 163/09
vom
11. Mai 2010
in dem Verfahren auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
BGB § 823 Abs. 2 Be; StGB § 170
§ 170 StGB stellt ein Schutzgesetz auch zugunsten des Trägers der Unterhaltsvor-
schusskasse dar, die anstelle des Unterhaltsverpflichteten Unterhalt geleistet hat.
InsO § 302 Nr. 1; § 174 Abs. 2
Der Anspruch des Landes gegen den Unterhaltspflichtverletzer auf Erstattung des an
seiner Statt gezahlten Unterhalts bleibt von der Erteilung der Restschuldbefreiung
unberührt, wenn er als Anspruch aus unerlaubter Handlung zur Tabelle angemeldet
worden ist.
BGH, Beschluss vom 11. Mai 2010 - IX ZB 163/09 - LG Koblenz
AG Bad Neuenahr-Ahrweiler
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Dr. Ganter, die Richter Raebel, Vill, die Richterin Lohmann und den Richter
Dr. Pape
am 11. Mai 2010
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 2. Zivilkammer
des Landgerichts Koblenz vom 23. Juni 2009 wird auf Kosten des
Schuldners als unzulässig verworfen.
Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 5.000 € fest-
gesetzt.
Gründe:
I.
Unter dem 13. März 2007 beantragte der Schuldner unter Vorlage eines
Schuldenbereinigungsplanes die Eröffnung des Verbraucherinsolvenzverfah-
rens über sein Vermögen und Erteilung von Restschuldbefreiung. Die Mehrheit
der Gläubiger stimmte dem Plan zu. Der weitere Beteiligte (fortan: Gläubiger),
der Unterhaltsleistungen für den Sohn des Schuldners erbracht hat und diese
erstattet verlangt, widersprach, weil der Schuldner Unterhaltspflichtverletzungen
begangen habe und seine, des Gläubigers, Forderungen bei Durchführung des
Insolvenzverfahrens deshalb von einer Restschuldbefreiung ausgenommen wä-
ren.
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Mit Schriftsatz vom 12. Dezember 2007 hat der Schuldner beantragt, die
Zustimmung des Gläubigers zu ersetzen. Der Antrag ist zurückgewiesen wor-
den. Die sofortige Beschwerde des Schuldners ist ohne Erfolg geblieben. Mit
seiner Rechtsbeschwerde will der Schuldner weiterhin die Ersetzung der Zu-
stimmung des Gläubigers erlangen.
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II.
Die Rechtsbeschwerde ist nach § 309 Abs. 2 Satz 3, §§ 6, 7 InsO, § 574
Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Sie ist jedoch unzulässig. Die Rechtssache
hat keine grundsätzliche Bedeutung, und weder die Fortbildung des Rechts
noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entschei-
dung des Rechtsbeschwerdegerichts (§ 574 Abs. 2 ZPO).
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1. Gemäß § 309 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO kann die Zustimmung eines
dem Schuldenbereinigungsplan widersprechenden Gläubigers nicht ersetzt
werden, wenn der Gläubiger durch den Schuldenbereinigungsplan voraussicht-
lich wirtschaftlich schlechter gestellt wird, als er bei Durchführung des Verfah-
rens über die Anträge auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens und Erteilung von
Restschuldbefreiung stünde. Der Gläubiger einer Forderung, die gemäß § 302
InsO von der Restschuldbefreiung ausgenommen ist, wird durch einen Schul-
denbereinigungsplan, der eine nur quotale, nicht privilegierten Forderungen
entsprechende Befriedigung dieser Forderung vorsieht, regelmäßig wirtschaft-
lich schlechter gestellt als bei Durchführung des Insolvenzverfahrens, weil er
- anders als bei Durchführung des Insolvenzverfahrens und Erteilung der Rest-
schuldbefreiung
- seine Forderung im Übrigen verliert (vgl. Uhlenbruck/
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Vallender, InsO 13. Aufl. § 309 Rn. 67; MünchKomm-InsO/Ott/Vuia, 2. Aufl.
§ 309 Rn. 18 bei Fn. 45; HK-InsO/Landfermann, 5. Aufl. § 309 Rn. 14; Wenzel
in Kübler/Prütting/Bork, InsO § 309 Rn. 6a; Derleder/Rotstegge ZInsO 2002,
1108, 1114). Dies ergibt sich unmittelbar aus dem Gesetz und wird von der
Rechtsbeschwerde auch nicht in Zweifel gezogen. Ein Schadensersatzan-
spruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 170 StGB wegen Unterhaltspflichtverlet-
zung ist ein solcher aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung im
Sinne von § 302 Nr. 1 InsO (BGH, Urt. v. 21. Juni 2007 - IX ZR 29/06, NZI
2007, 532, 533 f Rn. 17 f m.w.Nachw.).
2. Der vorliegende Fall bietet keinen Anlass dazu, die Anforderungen an
die Darlegung und Glaubhaftmachung der Voraussetzungen eines Anspruchs
aus unerlaubter Handlung im Rahmen des Zustimmungsersetzungsverfahrens
gemäß § 309 InsO zu präzisieren. Der Gläubiger hat unwidersprochen darge-
legt, in welchen Zeiträumen der Schuldner keinen Unterhalt gezahlt und keiner-
lei Bemühungen um bezahlte Arbeit unternommen und nachgewiesen hat, und
sich zur Glaubhaftmachung auf die gegen den Schuldner geführten Strafverfah-
ren bezogen. Dass der Schuldner sich nicht einmal bei der zuständigen Behör-
de als arbeitsuchend gemeldet hat, steht ebenfalls außer Streit. Auf dieser tat-
sächlichen Grundlage haben die Vorinstanzen die Voraussetzungen des Straf-
tatbestandes des § 170 StGB geprüft und bejaht. Die weitere von der Rechts-
beschwerde aufgeworfene Frage, ob eine Zustimmungsersetzung möglich ist,
wenn eine Restschuldbefreiung aus anderen Gründen nicht in Betracht kommt
(vgl. Derleder/Rotstegge, aaO; Graf-Schlicker/Sabel, InsO 2.
Aufl. §
309
Rn. 31), stellt sich auf der Grundlage des festgestellten und der Entscheidung
des Rechtsbeschwerdegerichts zugrunde zu legenden Sachverhaltes (§ 577
Abs. 2 Satz 4, § 559 ZPO) ebenfalls nicht.
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3. Ob der Übergang des Unterhaltsanspruchs des Kindes auf den Gläu-
biger gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 UVG [Unterhaltsvorschussgesetz] auch den An-
spruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 170 StGB umfasst, ist entgegen der An-
sicht der Rechtsbeschwerde unerheblich. Dem Gläubiger steht ein eigener An-
spruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 170 StGB gegen den Schuldner zu.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, deren Richtigkeit
- soweit ersichtlich - nicht in Zweifel gezogen wird, stellt § 170 StGB ein Schutz-
gesetz auch zugunsten des öffentlichen Versorgungsträgers dar, der durch sein
Eingreifen die Gefährdung des Lebensbedarfs des Berechtigten verhindert hat
(BGHZ 28, 359, 365 ff; 30, 162, 172; BGH, Urt. v. 2. Juli 1974 - VI ZR 56/73,
NJW 1974, 1868; Palandt/Sprau, BGB 69. Aufl. § 823 Rn. 69; Bamberger/Roth/
Spindler, BGB 2. Aufl. § 823 Rn. 175; Erman/Schiemann, BGB 11. Aufl. § 823
Rn. 160). Der Gläubiger hat im eröffneten Insolvenzverfahren die Möglichkeit,
neben dem nach § 7 Abs. 1 Satz 1 UVG auf ihn übergegangenen Unterhaltsan-
spruch des Kindes auch seinen Anspruch aus eigenem Recht gemäß § 823
Abs. 2 BGB i.V.m. § 170 StGB zur Tabelle anzumelden, um so den Anwen-
dungsbereich des § 302 InsO zu eröffnen (vgl. § 302 Nr. 1, § 174 Abs. 2 InsO).
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4. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 577 Abs. 6 Satz 3 ZPO
abgesehen.
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Ganter Raebel
Vill
Lohmann
Pape
Vorinstanzen:
AG Bad Neuenahr-Ahrweiler, Entscheidung vom 14.10.2008 - 6 IK 64/07 -
LG Koblenz, Entscheidung vom 23.06.2009 - 2 T 740/08 -