Urteil des BGH vom 20.01.2000

BGH (stpo, schuldspruch, opfer, gewalt, lokal, freiwilligkeit, stgb, versuch, mensch, distanz)

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
3 StR 226/00
vom
6. September 2000
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
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Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbun-
desanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 6. September
2000 gemäß § 349 Abs. 2 StPO einstimmig beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landge-
richts Duisburg vom 20. Januar 2000 wird verworfen; jedoch
wird der Schuldspruch dahin berichtigt, daß der Angeklagte
des versuchten Totschlags in fünf tateinheitlich zusammen-
treffenden Fällen in Tateinheit mit unerlaubter Ausübung der
tatsächlichen Gewalt über eine vollautomatische Selbstlade-
waffe schuldig ist.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu
tragen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in
fünf tateinheitlich zusammentreffenden Fällen in Tateinheit ”mit Verstoß gegen
das Waffengesetz” zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Die Revi-
sion des Angeklagten bleibt ohne Erfolg, da die Nachprüfung des Urteils auf
Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des An-
geklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO). Der Senat präzisiert lediglich den
teilweise unzureichend gefaßten Schuldspruch. Die vom Angeklagten bei der
Tat verwendete Maschinenpistole Kaliber 9 mm ist eine tragbare Kriegswaffe,
auf die nach § 6 Abs. 3 WaffG die Vorschriften des Waffengesetzes Anwen-
dung finden. Das Landgericht hat, wie sich aus den angewendeten Vorschriften
ergibt, die Tat zutreffend als die unerlaubte Ausübung der tatsächlichen Gewalt
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über eine vollautomatische Selbstladewaffe angesehen. Diese Präzisierung
muß auch im Schuldspruch enthalten sein. Da das Gesetz hier keine Bezeich-
nungen bereitstellt, ist nach allgemeinen Regeln eine anschauliche und ver-
ständliche Wortbezeichnung zu wählen (vgl. BGHR WaffG § 53 Abs. 3 Muni-
tion 1; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 44. Aufl. § 260 Rdn. 23; zur Tenorie-
rung vgl. Steindorf, Waffenrecht 7. Aufl. § 53 WaffG Rdn. 2 m.w.Nachw.).
Ergänzend zu der Antragsschrift des Generalbundesanwalts bemerkt der
Senat:
Die Feststellungen des Landgerichts ergeben, daß der bedingte Tö-
tungsvorsatz des Angeklagten zumindest auf diejenigen Personen gerichtet
war, die der Angeklagte vor dem Lokal wahrgenommen hatte, ehe er die Ma-
schinenpistole an sich nahm, schußfertig machte und zwei Feuerstöße in
Richtung der Eingangstür und der flüchtenden Gäste sowie auf das Fenster
des Lokals abgab. Dies waren nach den Feststellungen mindestens sechs Per-
sonen, nämlich die mindestens fünf im Urteil namentlich benannten Personen
(UA S. 5), die aus dem Lokal herausgekommen waren, um ihrem Landsmann,
dem Zeugen K. , zu Hilfe zu kommen, sowie dieser Zeuge selbst.
Daß das Landgericht nur von fünf tateinheitlich zusammentreffenden Tot-
schlagsversuchen ausgegangen ist, beschwert den Angeklagten nicht.
Der Totschlagsversuch war beendet, obwohl durch die Schüsse kein
Mensch verletzt worden ist. Das Landgericht hat festgestellt, daß der Ange-
klagte zwei Salven mit insgesamt mindestens 19 Schüssen in Körperhöhe in
die Türöffnung und durch das Lokalfenster abfeuerte und danach damit rech-
nete, daß er eine Vielzahl von Personen verletzt oder tödlich verletzt haben
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würde, sich jedoch im einzelnen keine Gedanken darüber machte, sondern
flüchtete (UA S. 7). Zu Recht hat das Landgericht darauf abgehoben, daß ein
beendeter Versuch schon dann anzunehmen ist, wenn sich der Täter nach der
letzten Ausführungshandlung keine Vorstellungen über die Folgen seines Tuns
macht (BGHSt 40, 304; BGHR StGB § 24 I 1 Freiwilligkeit 26). Der Einwand der
Revision, die Besonderheit des Falles liege darin, daß der Angeklagte sich
nicht von einem verletzten Opfer abgewandt habe, sondern in Unkenntnis, ob
es überhaupt ein verletztes Opfer gegeben hatte, geflüchtet sei, geht daran
vorbei, daß bei Taten, bei denen der Taterfolg in einer gewissen räumlichen
Distanz zum Täter eintritt, durch den Täter oftmals nicht beobachtet werden
kann, ob eine unmittelbare Verletzung des Opfers eingetreten ist. Nach den
Ausführungen des Landgerichts waren durch die Tat des Angeklagten zumin-
dest fünf Personen unmittelbar tödlicher Verletzungsgefahr ausgesetzt, nur
außergewöhnlich glücklichen Umständen war es zu verdanken, daß es nicht zu
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tödlichen Verletzungen kam (UA S. 16). Bei dieser Sachlage besteht kein An-
laß zu der Annahme, der Angeklagte sei auch nur von einem seiner Tot-
schlagsversuche zurückgetreten.
Rissing-van Saan Miebach Winkler
Pfister von Lienen