Urteil des BGH vom 13.01.2000

Tageszulassung II Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
I ZR 253/97
Verkündet am:
13. Januar 2000
Walz
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ : nein
BGHR : ja
Tageszulassung II
UWG § 3
Zur Frage der Irreführung mit der Angabe "Tageszulassung mit 0 km" in einer
Werbeanzeige für ein Neufahrzeug, das sechs Tage zugelassen war, im Stra-
ßenverkehr aber nicht benutzt worden ist.
BGH, Urt. v. 13. Januar 2000 - I ZR 253/97 - OLG Nürnberg
LG Regensburg
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Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Ver-
handlung vom 13. Januar 2000 durch den Vorsitzenden Richter
Prof. Dr. Erdmann und die Richter Dr. v. Ungern-Sternberg, Dr. Bornkamm,
Pokrant und Raebel
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 3. Zivilsenats
des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 9. September 1997 im Ko-
stenpunkt und insoweit aufgehoben, als hinsichtlich des Unterlas-
sungsantrags zu I c zum Nachteil der Beklagten erkannt worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Berufung des Klägers gegen
das Urteil des Landgerichts Regensburg - 2. Kammer für Handels-
sachen - vom 16. Oktober 1996 zurückgewiesen.
Von den Kosten des erst- und zweitinstanzlichen Verfahrens tragen
der Kläger 4/7 und die Beklagte 3/7. Die Kosten des Revisionsver-
fahrens trägt der Kläger.
Von Rechts wegen
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Tatbestand:
Die Parteien sind Wettbewerber auf dem Gebiet des gewerblichen Han-
dels mit Kraftfahrzeugen.
Die Beklagte bewarb in der Ausgabe des S. Tageblattes vom
5. Januar 1996 (einem Freitag) u.a. einen Pkw "Corsa-Fun" zum Preis von
16.900,-- DM, der in der Anzeige wie folgt beschrieben wurde (Anlage K 3 zur
Klageschrift):
"Corsa-Fun
...
Tageszulassung mit 0 km ..."
Der beworbene Pkw war am 4. Januar 1996 erstmals angemeldet und
am 9. Januar 1996 wieder abgemeldet worden.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Werbung mit der Angabe
"Tageszulassung" sei irreführend, weil der Verkehr bei einem mit dieser Anga-
be beworbenen Pkw erwarte, daß das Fahrzeug bis zur Abmeldung nur einen
Tag zugelassen gewesen sei. Es sei für den Kunden nicht unerheblich, ob ein
Fahrzeug nur einen oder mehrere Tage zugelassen gewesen sei. Deshalb
müsse, was von Mitbewerbern auch getan werde, eine mehrtägige Zulassung
als "Kurzzulassung" bezeichnet werden.
Der Kläger hat außer der Angabe "Tageszulassung", um die es im Revi-
sionsverfahren allein noch geht, eine Reihe weiterer Werbeaussagen in Wer-
beanzeigen der Beklagten beanstandet.
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Er hat beantragt,
die Beklagte unter Androhung von Ordnungsmitteln zu verurteilen,
es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des
Wettbewerbs in Zeitungsanzeigen oder sonst werblich
... (Klageanträge zu Ia und Ib)
I c)
für Kraftfahrzeuge mit Aussagen wie "Tageszulassung" zu
werben, sofern das Fahrzeug bereits länger als einen Tag zu-
gelassen war,
... (Klageanträge zu Id bis Ig).
Die Beklagte ist dem entgegengetreten und hat geltend gemacht, es be-
stehe kein Erfahrungssatz des Inhalts, daß der Verkehr mit dem Begriff "Ta-
geszulassung" die Erwartung verbinde, das Fahrzeug sei bis zur Abmeldung
tatsächlich nur einen Tag zugelassen gewesen. Dieser Annahme stehe bereits
entgegen, daß es bei der Abwicklung der Abmeldung bei den Zulassungsstel-
len zu zeitlichen Verzögerungen kommen könne. Der Verkehr verbinde mit dem
Begriff "Tageszulassung" vielmehr die Vorstellung, daß das Fahrzeug lediglich
wenige Tage zugelassen gewesen sei. Für den Käufer sei im übrigen allein
maßgeblich, daß der beworbene Pkw nicht der verkehrsmäßigen Nutzung zu-
geführt worden sei.
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Das Landgericht hat der Klage mit zwei Unterlassungsanträgen, die in-
zwischen nicht mehr im Streit sind, stattgegeben und sie im übrigen abgewie-
sen.
Auf die Berufung des Klägers hat das Berufungsgericht - unter Zurück-
weisung des Rechtsmittels im übrigen - die Beklagte u.a. auch nach dem Un-
terlassungsantrag zu Ic verurteilt.
Mit der (auf die Verurteilung gemäß dem Unterlassungsantrag zu Ic be-
schränkt zugelassenen) Revision erstrebt die Beklagte die Abweisung der Kla-
ge auch insoweit, als sie nach dem Klageantrag zu Ic verurteilt worden ist. Der
Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe:
I. Das Berufungsgericht hat in der Werbung mit dem Hinweis "Tageszu-
lassung" einen Verstoß gegen § 3 UWG gesehen, weil das beworbene Fahr-
zeug für mehrere Tage zugelassen gewesen sei. Dazu hat es ausgeführt:
Der Begriff "Tageszulassung" umfasse schon von seinem Wortlaut her
keine Zulassung für mehrere Tage. Zudem verbänden potentielle Autokäufer
mit dem in Rede stehenden Begriff ganz bestimmte Vorstellungen. Sie gingen
davon aus, daß eine derartige Zulassung rein formal erfolge, um es dem
Händler zu ermöglichen, gegenüber dem Hersteller Mindestabnahmemengen
nachzuweisen und sich auf diese Weise einen Bonus zu sichern. Es sei dem
Publikum bewußt, daß sich durch eine Tageszulassung an der Beschaffenheit
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des Fahrzeugs nichts ändere, es insbesondere nicht benutzt werde. Bei einem
Weiterverkauf werde der Käufer des Pkws faktisch wie ein Erstbesitzer ange-
sehen und könne einen Preis annähernd wie bei einem Verkauf aus erster
Hand erzielen. Diese Möglichkeit werde bei einer Mehrtageszulassung einge-
schränkt. Aus den Kraftfahrzeugpapieren sei nicht ersichtlich, daß das Fahr-
zeug von dem Erstbesitzer nicht genutzt worden sei. Es könne deshalb auch
vermutet werden, daß der Wagen einige Tage gefahren und anschließend
- egal aus welchen Gründen - an den Händler zurückgegeben worden sei. Mit
dem unzutreffenden Gebrauch des Begriffs "Tageszulassung" erfolge daher
eine Irreführung des Publikums, die geeignet sei, den Wettbewerb zwischen
den Parteien wesentlich zu beeinträchtigen (§ 13 Abs. 2 Nr. 1 UWG).
II. Die Revision hat Erfolg. Sie führt hinsichtlich des Unterlassungsantra-
ges zu I c zur Wiederherstellung des die Klage insoweit abweisenden landge-
richtlichen Urteils.
1. Das Berufungsgericht hat die Revision nur insoweit zugelassen, als
es die Beklagte nach dem Unterlassungsantrag zu Ic verurteilt hat. Dagegen
bestehen keine rechtlichen Bedenken. Für eine nach § 546 Abs. 1 ZPO wirk-
same Zulassungsbeschränkung genügt es, daß über den von der Revisions-
zulassung erfaßten Teil des prozessualen Anspruchs eine gesonderte Ent-
scheidung unabhängig von dem übrigen Teil ergehen kann (vgl. BGHZ 130,
50, 59; BGH, Urt. v. 8.3.1995 - VIII ZR 156/94, BGHR-ZPO § 546 Abs. 1 Satz 1
- Beschränkte Revisionszulassung Nr. 17; Zöller/Gummer, ZPO, 21. Aufl.,
§ 546 Rdn. 46). Das ist in bezug auf das mit dem Klageantrag zu I c verfolgte
Unterlassungsbegehren der Fall.
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2. Das Berufungsgericht hat angenommen, der Verkehr erwarte bei der
Werbung für Neufahrzeuge mit dem Begriff "Tageszulassung", daß das bewor-
bene Fahrzeug tatsächlich nur einen Tag zugelassen gewesen sei. Ob die ge-
gen diese Beurteilung vorgebrachten Angriffe der Revision durchgreifen, kann
offenbleiben. Denn selbst wenn nicht unerhebliche Teile des Verkehrs anneh-
men sollten, das beworbene Fahrzeug sei nur für einen Tag zugelassen gewe-
sen, wäre ein derartiger Irrtum im Streitfall jedenfalls nicht relevant. Das Beru-
fungsgericht hat die Frage der Relevanz zwar nicht ausdrücklich geprüft. Der
Senat kann sie jedoch aufgrund des unstreitigen Sachverhalts und der in ande-
rem Zusammenhang getroffenen Feststellungen selbst beantworten, ohne daß
es einer Aufhebung und Zurückverweisung bedarf.
a) Eine irreführende Angabe ist nur dann wettbewerbsrechtlich relevant,
wenn sie in dem Punkt und in dem Umfang, in dem sie von der Wahrheit ab-
weicht, bei ungezwungener Auffassung geeignet ist, die Kaufentscheidung des
Publikums - im Sinne einer allgemeinen Wertschätzung - zu beeinflussen (st.
Rspr.; vgl. BGH, Urt. v. 2.5.1991 - I ZR 258/89, GRUR 1992, 70, 72 = WRP
1991, 642 - 40 % weniger Fett; Urt. v. 10.11.1994 - I ZR 201/92, GRUR 1995,
125, 126 = WRP 1995, 183 - Editorial I). Eine Werbeaussage ist danach
grundsätzlich nur dann wettbewerbswidrig, wenn es nach der Lebenserfahrung
naheliegt, daß die erzeugte Fehlvorstellung für die Kaufentscheidung eines
nicht unbeachtlichen Teil des Verkehrs von Bedeutung ist. Vorausgesetzt ist
hierbei jedoch, daß es sich um eine Werbeaussage handelt, die für die Kauf-
entscheidung des Verbrauchers nicht unwesentlich ist. Denn Aufgabe des
Wettbewerbsrechts ist es nicht, den Verbraucher vor jedweder Fehlvorstellung
zu schützen. Das Verbot der irreführenden Werbung gemäß § 3 UWG dient
vielmehr allein der Wahrung schützenswerter Interessen, sei es des Verbrau-
chers, sei es des Mitbewerbers (vgl. BGH GRUR 1995, 125, 126 - Editorial I;
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Urt. v. 30.10.1997 - I ZR 127/95, GRUR 1998, 949, 951 = WRP 1998, 598 - D-
Netz-Handtelefon).
b) Unter den im Streitfall gegebenen Umständen kann nicht angenom-
men werden, daß durch die beanstandete Werbeanzeige wettbewerbsrechtlich
maßgebliche Interessen der Verbraucher verletzt werden.
aa) Die - im Zusammenhang mit der Frage der Eignung zur wesentlichen
Beeinträchtigung i.S. des § 13 Abs. 2 Nr. 1 UWG angestellte - Erwägung des
Berufungsgerichts, aufgrund der Bedeutung der Tageszulassung im Autohan-
del sowie des damit verbundenen Kaufanreizes für Verbraucher und der er-
heblichen Gefahr, daß Autohändler den Begriff der Tageszulassung immer
weiter auslegten, könne die Auswirkung der beanstandeten Werbung der Be-
klagten, die mit einem Umsatz von 500 Neufahrzeugen jährlich eine nicht un-
bedeutende Marktstellung habe, auf das Wettbewerbsgeschehen erheblich
sein, vermag die Relevanz der vom Berufungsgericht bejahten Irreführung des
Verkehrs nicht zu begründen.
Tageszulassungen sind - wovon auch das Berufungsgericht ausgegan-
gen ist - eine besondere Form des Neuwagengeschäfts. Der Kunde erwirbt in
diesen Fällen ein fabrikneues Fahrzeug. Die Zulassung dient, anders als bei
sogenannten Vorführwagen, nicht der Nutzung des Fahrzeugs. Tageszulas-
sungen erfolgen insbesondere im Absatzinteresse des Händlers, der durch die
Steigerung der Abnahmemenge in den Genuß höherer Prämien kommt, die er
- in den nach dem Rabattgesetz zulässigen Grenzen - an den Endkunden wei-
tergeben kann (BGH, Urt. v. 5.6.1996 - VIII ZR 7/95, NJW 1996, 2302, 2304 f.).
Das ist nach den Feststellungen des Berufungsgerichts auch dem mit der Wer-
bung angesprochenen potentiellen Autokäufer bewußt, der weiß, daß eine
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"Tageszulassung" aus den genannten Gründen nur rein formal erfolgt, ohne
daß sich die Beschaffenheit des Fahrzeugs als Neufahrzeug dadurch ändert,
es insbesondere nicht benutzt worden ist.
Dem Verkehr kommt es unter diesen Umständen nicht maßgeblich dar-
auf an, ob das als Neuwagen beworbene Fahrzeug nur einen Tag oder für we-
nige Tage, also kurzfristig, zugelassen war. Für den potentiellen Autokäufer ist
vielmehr entscheidend, daß es - dem Sinn und Zweck der sogenannten Tages-
zulassung entsprechend - noch nicht im Straßenverkehr genutzt wurde. Von
letzterem ist auch im Streitfall aufgrund der Werbeangabe "Tageszulassung mit
0 km" und mangels gegenteiliger Feststellungen des Berufungsgerichts auszu-
gehen.
bb) Die Relevanz der Irreführung läßt sich auch nicht mit der vom Beru-
fungsgericht in anderem Zusammenhang angestellten weiteren Erwägung be-
jahen, daß der Käufer eines Pkws mit mehrtägiger Zulassung entgegen der
Ansicht der Beklagten erhebliche Nachteile habe.
Die Annahme des Berufungsgerichts, der Käufer eines wenige Tage zu-
gelassenen Fahrzeugs erziele bei der Weiterveräußerung in der Regel einen
geringeren Erlös als der Käufer eines nur einen Tag zugelassenen Pkws, weil
vermutet werden könne, daß das Fahrzeug einige Tage gefahren und an-
schließend wegen eines Unfalls, eines Fabrikationsfehlers oder sonstigen in
der Beschaffenheit des Fahrzeugs liegenden Fehlers wieder an den Händler
zurückgegeben worden sei, findet in der allgemeinen Lebenserfahrung keine
Stütze. Entscheidend ist für den durchschnittlich informierten und verständigen
Autokäufer, daß er ein Neufahrzeug mit - wie beworben - "0 km" Laufleistung
erwirbt. Dies kann er bei einem Weiterverkauf im allgemeinen durch Vorlage
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des Kaufvertrags auch nachweisen, so daß die vom Berufungsgericht befürch-
tete Benachteiligung des Käufers, der ein Neufahrzeug mit einer nur wenige
Tage umfassenden Zulassung erworben hat, als verhältnismäßig gering einzu-
schätzen ist.
Auch der vom Berufungsgericht angeführte Gesichtspunkt, daß sich auf-
grund der Erstzulassung rechtliche Nachteile - beispielsweise in bezug auf die
Garantiefrist - für den Käufer ergeben können, ist für die Relevanz der Irrefüh-
rung ohne Bedeutung, da die Dauer der Herstellergarantie im allgemeinen
nicht davon abhängt, wie lange das Fahrzeug zum Verkehr zugelassen war.
Schließlich vermag auch der Hinweis der Revisionserwiderung, daß sich
der Fristbeginn für die nach § 29 StVZO vorgeschriebene Fahrzeuguntersu-
chung nach dem Tag der Erstzulassung bestimmt, im Streitfall die Relevanz
einer Irreführung nicht zu begründen. Abgesehen davon, daß es schon zwei-
felhaft erscheint, daß ein potentieller Autokäufer diesen Umstand bei seinem
Kaufentschluß überhaupt mitberücksichtigt, betrug die Zulassung im konkreten
Fall nur sechs Tage. Dieser kurze Zeitraum kann bei der Beurteilung der Rele-
vanz der (hier unterstellten) Irreführung vernachlässigt werden.
III. Danach war auf die Revision der Beklagten das den Unterlassungs-
antrag zu I c abweisende landgerichtliche Urteil in diesem Umfang wiederher-
zustellen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1, § 92 Abs. 1, § 97 Abs. 1
ZPO.
Erdmann
v. Ungern-Sternberg
Bornkamm
Pokrant
Raebel