Urteil des BGH vom 23.05.2002

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VII ZR 219/01
Verkündet am:
23. Mai 2002
Seelinger-Schardt,
Justizangestellte
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGB § 638 Abs. 1 Satz 1 a.F.
Verwendet der Bauunternehmer bewußt abweichend vom Vertrag einen nicht er-
probten Baustoff, so handelt er arglistig, wenn er den Auftraggeber treuwidrig hierauf
und auf das mit der Verwendung dieses Baustoffs verbundene Risiko nicht hinweist.
BGH, Urteil vom 23. Mai 2002 - VII ZR 219/01 - OLG Koblenz
LG Trier
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Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 23. Mai 2002 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Ullmann und die
Richter Dr. Haß, Hausmann, Dr. Wiebel und Prof. Dr. Kniffka
für Recht erkannt:
Die Revision des Beklagten gegen das Grundurteil des
7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 16. Mai 2001
wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt vom Beklagten Schadensersatz wegen einer man-
gelhaften Vollwärmeisolierung.
Die Klägerin und ihr Ehemann beauftragten 1983 den Beklagten ent-
sprechend seinem Angebot eine Vollwärmeisolierung nach der “Wulst-Punkt-
Methode” mit Nylongitter an ihrem Haus anzubringen. Ab 1998 traten an der
Wärmeverbundfassade Mängel auf. Die Mängel sind darauf zurückzuführen,
daß der Beklagte für die Armierung in den Unterputz kein Gittergewebe einge-
legt hatte. Der Beklagte hatte statt dessen einen zum damaligen Zeitpunkt neu-
artigen Faserspachtel verwendet, der sich inzwischen als ungeeignet heraus-
gestellt hat. Die Mängel an der Vollwärmeisolierung wären nicht aufgetreten,
wenn Gittergewebe als Armierung eingebaut worden wären.
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Die Klägerin macht aus eigenem und abgetretenem Recht ihres Ehe-
manns unter Berücksichtigung eines Abzuges "neu für alt" einen Betrag von
23.292,80 DM als Schadensersatz geltend. Sie ist der Auffassung, daß der Be-
klagte arglistig gehandelt habe, da er anstelle des vereinbarten und erprobten
Gittergewebes eigenmächtig einen neuartigen Faserspachtel verwendet habe.
Der Beklagte ist dem entgegengetreten und hat sich auf Verjährung berufen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Kläge-
rin hat das Berufungsgericht der Klage dem Grunde nach stattgegeben. Mit der
zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag
weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision ist nicht begründet.
Auf das Schuldverhältnis ist das Bürgerliche Gesetzbuch in der bis zum
31. Dezember 2001 geltenden Fassung anzuwenden (Art. 229 § 5 Satz 1
EGBGB).
I.
Das Berufungsgericht hält den geltend gemachten Schadensersatzan-
spruch dem Grunde nach für gerechtfertigt. Die von dem Beklagten ange-
brachte Vollwärmeisolierung sei mit erheblichen Mängeln behaftet. Die Mängel
habe der Beklagte zu vertreten, da in der Verwendung eines neuartigen, nicht
erprobten Baustoffes anstelle eines gebräuchlichen und bewährten Baustoffes
ein Verstoß gegen die anerkannten Regeln der Technik liege. Etwas anderes
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könne nur dann gelten, wenn mit der Anwendung neuer Techniken keinerlei
Risiken verbunden seien; dies sei hier nicht der Fall.
Der Anspruch der Klägerin sei nicht verjährt. Es gelte die 30-jährige Ver-
jährungsfrist, da der Beklagte die abredewidrige Verwendung des neuen Bau-
stoffes arglistig verschwiegen habe. Arglistiges Verschweigen sei grundsätzlich
dann gegeben, wenn ein Unternehmer einen neuen, in der Praxis noch nicht
erprobten Baustoff verwende, ohne den Bauherrn hierüber und über das mit der
Anwendung des neuen Baustoffes verbundene Risiko aufzuklären.
II.
Das hält der rechtlichen Nachprüfung im Ergebnis stand.
Der Klägerin steht dem Grunde nach ein nicht verjährter Schadenser-
satzanspruch gegen den Beklagten zu. Der Beklagte hat mangelhaft gearbeitet
(1) und den Mangel arglistig verschwiegen (2).
1. Es liegt ein zum Schadensersatz führender Mangel der Werkleistung
des Beklagten vor. Er hat auf die Styroporplatten vertragswidrig statt des ge-
bräuchlichen und bewährten Nylongitternetzes einen Faserspachtel aufgebracht
und alsdann den Reibeputz aufgetragen. Damit hat er im maßgeblichen Zeit-
punkt der Abnahme die vereinbarte Leistung nicht vertragsgerecht erbracht. Der
stattdessen aufgebrachte Faserspachtel hat sich als nicht gleichwertig erwie-
sen.
2. Der Anspruch der Klägerin auf Schadensersatz ist nicht verjährt, da
der Beklagte den Mangel arglistig verschwiegen hat (§ 638 Abs. 1 Satz 1, § 195
BGB).
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a) Allerdings trifft die Ansicht des Berufungsgerichts nicht zu, jeder Un-
ternehmer, der einen noch nicht erprobten Baustoff verwende und damit gegen
anerkannte Regeln der Technik verstoße, ohne dies dem Besteller zu offenba-
ren, verschweige einen Mangel stets arglistig. Dies ist auch keine Streitfrage,
wie das Berufungsgericht annimmt. Der von ihm zitierten Rechtsprechung und
Literatur liegen stets Einzelfälle zugrunde, ohne daß daraus verallgemeine-
rungsfähige Schlußfolgerungen gezogen werden.
b) Nach den vom Berufungsgericht festgestellten Umständen hat der Be-
klagte den Mangel arglistig verschwiegen.
aa) "Arglistig verschweigt", wer sich bewußt ist, daß ein bestimmter Um-
stand für die Entschließung seines Vertragspartners erheblich ist, nach Treu
und Glauben diesen Umstand mitzuteilen verpflichtet ist und ihn trotzdem nicht
offenbart (BGH, Urteile vom 20. Dezember 1973 - VII ZR 184/72, BGHZ 62, 63,
66 und vom 12. März 1992 - VII ZR 5/91, BGHZ 117, 318 f). Arglistiges Ver-
schweigen erfordert nicht, daß der Unternehmer bewußt die Folge der ver-
tragswidrigen Ausführung in Kauf genommen hat. Es verlangt keine Schädi-
gungsabsicht und keinen eigenen Vorteil. Verwendet der Unternehmer in be-
wußter Abweichung von der Vereinbarung einen neuen, nicht erprobten Bau-
stoff, so genügt er seiner Mitteilungspflicht gegenüber dem Besteller nur da-
durch, daß er ihn darauf und auf das mit der Verwendung dieses Baustoffes
verbundene Risiko hinweist.
bb) Es liegt auf der Hand, daß die vertragswidrige Verwendung eines
neuen, noch nicht erprobten Baustoffes, der für das Gelingen des Werkes und
für seine Lebensdauer von ausschlaggebender Bedeutung ist, für die Ent-
schließung des Vertragspartners erheblich ist (vgl. BGH, Urteil vom
5. Dezember 1985 - VII ZR 5/85, BauR 1986, 215 f = ZfBR 1986, 69).
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Der Beklagte hat seiner Aufklärungspflicht treuwidrig nicht genügt. Er war
bewußt von der vereinbarten Ausführung der Vollwärmeisolierung abgewichen
und hatte sie ohne das von ihm selbst angebotene Nylongitternetz angebracht.
Unbeachtlich ist, daß er den Faserspachtel als gegenüber einem Nylongitter-
netz gleichwertigen Baustoff angesehen hatte. Allein die Herstellerangaben rei-
chen nicht, um das Bewußtsein des Risikos des neuen Baustoffs auszuschlie-
ßen. Damit war die von dem neuen, noch nicht erprobten Faserspachtel ausge-
hende Gefahr der geringeren Haltbarkeit nicht ausgeräumt. Während die in ei-
nen Unterputz eingelegten Kunststoffmatten die auftretenden Zugspannungen
aufnehmen können und damit eine dauerhafte Haltbarkeit gewährleisten, ist
dies bei einem Faserspachtel nicht der Fall. Der Einbau des vertraglich verein-
barten Nylongittergewebes war für die Brauchbarkeit des Werkes auf Dauer von
entscheidender Bedeutung. Der Beklagte durfte das Risiko einer geringeren
Haltbarkeit nicht heimlich seinen Vertragspartnern aufbürden.
Der Beklagte hat zudem nach seinem eigenen Vorbringen eine Unter-
richtung der Klägerin und ihres Ehemannes selbst für erforderlich gehalten. Die
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Beweisaufnahme hat jedoch seine Behauptung nicht bestätigt, er habe den Fa-
serspachtel im Zuge der Bauarbeiten nach einem Gespräch mit dem Vertreter
dieses Produkts im Einverständnis der Klägerin und ihres Ehemanns aufgetra-
gen.
Ullmann Haß Hausmann
Wiebel Kniffka