Urteil des BGH vom 30.05.1908

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 229/09
Verkündet
am:
16.
Juni
2010
Heinekamp
Justizhauptsekretär
als
Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
VVG (Fassung vom 30. Mai 1908 RGBl. S. 263) §§ 27, 28, 29
Bei Versicherung des Einbruchsdiebstahls- und/oder Vandalismusrisikos kann
der zum Zwecke einer Schutzgelderpressung gefasste und dem Versiche-
rungsnehmer in Nötigungsabsicht mitgeteilte Entschluss eines unbekannten
Täters, die versicherte Sache - unter Umständen auch mehrfach - zu beschä-
digen, eine anzeigepflichtige objektive Gefahrerhöhung darstellen.
BGH, Urteil vom 16. Juni 2010 - IV ZR 229/09 - OLG Hamburg
LG Hamburg
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Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsit-
zenden Richter Terno, die Richter Wendt, Felsch, die Richterin
Harsdorf-Gebhardt und den Richter Dr. Karczewski auf die mündliche
Verhandlung vom 16. Juni 2010
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil des 9. Zivilsenats des
Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom
3. März 2009 wird auf Kosten des Klägers zurückgewie-
sen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger, früherer Inhaber einer Gaststätte, fordert Versiche-
rungsleistungen aus der seit September 2005 bei der Beklagten gehalte-
nen Firmenversicherung, welcher die Allgemeinen Versicherungsbedin-
gungen "ambitio Gastronomie" der Beklagten zugrunde liegen. Nach de-
ren Teil B II. 1.1 § 1 Nr. 2 in Verbindung mit der Versicherungspolice er-
streckt sich der Versicherungsschutz auch auf Sachen, die durch Ein-
bruchdiebstahl, Vandalismus und Beraubung zerstört oder beschädigt
werden.
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Beginnend im Spätsommer und zunächst fortlaufend bis Ende Ok-
tober 2006 erhielt der Kläger im Büro seiner Gaststätte mehrere anony-
me Anrufe, in welchen eine männliche Stimme sinngemäß "Schutz und
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Versicherung" anbot, weil immer etwas passieren könne. Nachdem der
Kläger darauf nicht eingegangen war, wurde der Anrufer ab Januar 2007
konkreter und forderte nunmehr für den angebotenen "Schutz" monatli-
che Zahlungen von 750 €. Zur Bekräftigung seiner Forderung gab er an,
man wisse, dass der Kläger mehrere Lokale habe, er solle sich weder an
die Polizei noch sonstige andere Personen wenden. Der Kläger unter-
richtete danach lediglich seine Ehefrau von den Anrufen, unternahm an-
sonsten aber nichts. In den nachfolgenden Wochen erschienen vier
männliche Gäste im Lokal und äußerten mehrfach den Wunsch, den
"Chef" - gemeint war offensichtlich der Kläger - zu sprechen. Zu einem
solchen Gespräch kam es jedoch nicht.
Am 9. März 2007 brachen Unbekannte in das Lokal ein und ent-
wendeten Bargeld und technische Geräte. Zum überwiegenden Teil wur-
de dieser Schaden von der Beklagten reguliert. Auch bei der Schadenre-
gulierung verschwieg der Kläger die vorangegangenen Erpressungsver-
suche.
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Beginnend
zwei
Tage nach dem Einbruch und unter ausdrückli-
chem Hinweis auf diese Tat wiederholte der unbekannte Anrufer mehr-
fach seine Zahlungsaufforderung unter Hinweis darauf, dass man wisse,
wo der Kläger wohne und dass er Familie habe. Am 21. April 2007 wurde
am Auto des Klägers die Heckscheibe eingeschlagen und der Lack zer-
kratzt. In der darauf folgenden Woche äußerte der unbekannte Anrufer,
der Kläger habe nun sehen können, was alles passiere.
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In der Nacht vom 3. auf den 4. Juni 2007 wurde die Gaststätte er-
neut von Einbrechern heimgesucht. Sie verwüsteten - vermutlich mit ei-
ner Axt - große Teile der Inneneinrichtung und versprühten eine große
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Menge schwarzer Lackfarbe. Entwendet wurden nach der Behauptung
des Klägers ungefähr 2.700 € Bargeld und eine Musikanlage.
Nachdem der Kläger in seiner Schadenmeldung der Beklagten
erstmals auch die Entwicklung der vorangegangenen Erpressungsversu-
che geschildert hatte, kündigte diese den Versicherungsvertrag mit
Schreiben vom 29. Juni 2007 fristlos, weil ihr die eingetretene Gefahrer-
höhung nicht rechtzeitig angezeigt worden sei. Vorsorglich wurde
zugleich eine fristgemäße Kündigung wegen des eingetretenen Schaden-
falles ausgesprochen. Mit Schreiben vom 12. Juli 2007 lehnte die Be-
klagte Versicherungsleistungen ab.
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Der Kläger beziffert den eingetretenen Sach- und Betriebsunter-
brechungsschaden auf 130.714,62 €. Er verlangt ferner 15.000 € als Ver-
zugsschaden, weil sich Verbindlichkeiten gegenüber seiner Vermieterin
infolge mangelnder Liquidität um diesen Betrag erhöht hätten, und
schließlich die Freistellung von vorgerichtlichen Anwaltskosten in Höhe
von 1.780,20 €.
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Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Die Revision ver-
folgt das Klagebegehren weiter.
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Entscheidungsgründe:
Das
Rechtsmittel
hat keinen Erfolg.
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I. Das Berufungsgericht hält die Beklagte nach § 28 Abs. 1 VVG
a.F. für leistungsfrei. Der Versuch, den Kläger zu so genannten Schutz-
geldzahlungen zu erpressen, und der damit einhergehende Vorsatz des
unbekannten Erpressers, die versicherte Gaststätte zur Bekräftigung
seiner Forderungen gegebenenfalls auch mehrfach zu schädigen, stell-
ten eine nach § 27 Abs. 2 VVG a.F. anzeigepflichtige Gefahrerhöhung
dar. Das ergebe bei Abwägung aller Umstände ein Vergleich der Gefah-
renlage bei Abschluss des Vertrages mit derjenigen Gefahrenlage, die
nach der Veränderung der für die versicherte Gefahr maßgeblichen
Sachlage eingetreten sei.
Die Gefahrerhöhung sei auch nicht unerheblich im Sinne des § 29
VVG a.F. Gegenteiligen Auffassungen des Oberlandesgerichts Karlsruhe
(VersR 1998, 625 f.) und von Prölss (NVersZ 2000, 153, 156 ff.), wonach
der Entschluss eines Dritten, die versicherte Sache zu schädigen, ledig-
lich eine mitversicherte, nicht anzeigepflichtige Erhöhung der Gefahr i.S.
des § 29 Satz 1 VVG a.F. darstelle, sei jedenfalls hier nicht zu folgen.
Ein Schutzgelderpresser unterscheide sich wesentlich von einem durch-
schnittlichen Schädiger. Fasse Letzterer seinen Zerstörungsentschluss in
aller Regel spontan und in unmittelbarem Zusammenhang mit einem
konkreten Einbruchsgeschehen, verfolge der Schutzgelderpresser sein
Ziel planmäßig, beharrlich und kaltblütig und setze die versicherte Sache
dabei einer anhaltenden Bedrohung aus. Das übersteige deutlich die
gewöhnlich bei Abschluss einer Vandalismusschadenversicherung von
den Vertragsparteien zugrunde gelegte Gefahrensituation.
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Hier hätten jedenfalls der erste Einbruch vom 9. März 2007, wel-
cher - wie das Berufungsgericht näher ausführt - mit den vorangegange-
nen Erpressungsversuchen in Zusammenhang stehe und die Entschlos-
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senheit der Erpresser bewiesen habe, und die danach fortgesetzten
Drohanrufe manifestiert, dass sich die Gefahr für die versicherte Gast-
stätte anhaltend erhöht habe. Gerade wegen der Weigerung des Klägers,
auf die Forderungen der Erpresser einzugehen, sei schließlich die Ge-
fahr eines "abschließenden Vernichtungsschlages" gegen die Gaststätte
in unmittelbare Nähe gerückt. Der Kläger habe deshalb die Gefahrerhö-
hung der Beklagten spätestens im März 2007 anlässlich der Fortsetzung
der Drohanrufe nach dem ersten Einbruch anzeigen müssen. Der Versi-
cherungsfall vom 3./4. Juni 2007 sei später als einen Monat nach diesem
Zeitpunkt eingetreten.
Den ihm obliegenden Beweis, dass der neuerliche Einbruch nicht
durch die Schutzgelderpresser verübt oder veranlasst worden, die Ge-
fahrerhöhung mithin ohne Einfluss auf den Versicherungsfall geblieben
sei (§ 28 Abs. 2 Satz 2 VVG a.F.), habe der Kläger nicht geführt.
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II. Das hält rechtlicher Nachprüfung stand.
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1. Zutreffend hat das Berufungsgericht angenommen, hier sei un-
abhängig vom Willen des Versicherungsnehmers eine (so genannte ob-
jektive) Gefahrerhöhung für die versicherte Gaststätte i.S. von § 27
Abs. 1 VVG a.F. eingetreten.
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a) Durch die Bestimmungen der §§ 23 ff. VVG a.F. soll das bei Ab-
schluss des Versicherungsvertrages zugrunde gelegte Gleichgewicht
zwischen Prämienaufkommen und Versicherungsleistung erhalten blei-
ben. Der Versicherer soll nicht gezwungen sein, am Versicherungsver-
trag festzuhalten, obwohl sich die Risikolage so geändert hat, dass das
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Verhältnis zwischen Risiko und Prämie nicht mehr der Risikolage ent-
spricht, die er bei Abschluss des Versicherungsvertrages voraussetzen
durfte. Von einer Gefahrerhöhung kann demnach nur dann gesprochen
werden, wenn nachträglich eine Gefahrenlage eingetreten ist, bei der der
Versicherer den in Rede stehenden Versicherungsvertrag nicht oder je-
denfalls nicht zu der vereinbarten Prämie abgeschlossen hätte. Folge-
richtig kommt es in diesem Zusammenhang nicht auf einzelne Gefahr-
umstände an; stattdessen ist zu fragen, wie sich die Gefahrenlage insge-
samt entwickelt hat. Dabei sind alle ersichtlichen gefahrerheblichen Tat-
sachen in Betracht zu ziehen. Soweit gefahrerhöhenden Umständen ge-
fahrvermindernde entgegenstehen, sind sie gegeneinander abzuwägen
(BGHZ 79, 156, 158; Senatsurteil vom 5. Mai 2004
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IV ZR 183/03
- VersR 2004, 895 unter II 2 a aa). Die Annahme einer Gefahrerhöhung
setzt weiter voraus, dass der neue Zustand erhöhter Gefahr mindestens
von einer solchen Dauer sein muss, dass er die Grundlage eines neuen
natürlichen Gefahrenverlaufs bilden kann und so den Eintritt des Versi-
cherungsfalles zu fördern geeignet ist (Senatsurteil vom 27. Januar 1999
- IV ZR 315/97 - VersR 1999, 484 unter 2 a m.w.N.; HK-VVG/Karczewski,
§ 23 Rdn. 9, 13; Prölss in Prölss/Martin, VVG 27. Aufl. § 23 Rdn. 4).
b) Legt man diese Maßstäbe zugrunde, so hat hier der erst nach
Abschluss des Versicherungsvertrages mittels anonymer Anrufe kundge-
gebene, über mehrere Monate verfolgte Entschluss unbekannter Täter,
den Kläger mittels Androhung (unter anderem) von Einbruchsdiebstählen
und schwerwiegenden Sachbeschädigungen zu Schutzgeldzahlungen zu
zwingen und diesem Verlangen auch durch wiederholte Anschläge auf
die versicherte Gaststätte Nachdruck zu verleihen, die Gefahr des Ein-
tritts von Einbruchs- und Vandalismusschäden dauerhaft erhöht (vgl. da-
zu Senatsurteil vom 27. Januar 1999 aaO).
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Unerheblich ist in diesem Zusammenhang der vom Berufungsge-
richt angesprochene Umstand, dass gerade auch die Weigerung des
Klägers, dem Erpressungsverlangen nachzugeben, die Möglichkeit eines
"abschließenden Vernichtungsschlages" in unmittelbare Nähe gerückt
hat. Die Beklagte hat sich nicht darauf berufen, die eingetretene Gefahr-
erhöhung sei zugleich vom Kläger i.S. von § 23 Abs. 1 VVG a.F. (als so
genannte subjektive Gefahrerhöhung) herbeigeführt worden. Deshalb
kann offen bleiben, ob sie insoweit aus Gründen der Einheit der Rechts-
ordnung oder aus Treu und Glauben verpflichtet gewesen wäre, in diese
Weigerung des Klägers nach § 23 Abs. 1 VVG a.F. einzuwilligen. Umge-
kehrt schließt der Umstand, dass der Kläger insoweit rechtmäßig gehan-
delt hat und ihm ein Nachgeben gegenüber den Erpressern aus keinem
rechtlichen Gesichtspunkt zugemutet werden konnte, die Annahme einer
objektiven Gefahrerhöhung nicht aus. Entscheidend ist insoweit nicht das
Verhalten des Versicherungsnehmers, sondern allein der von außen an
das Versicherungsverhältnis herangetragene Entschluss Dritter, die ver-
sicherte Sache zu beschädigen oder zu zerstören.
2. Der Kläger musste die eingetretene Gefahrerhöhung gemäß
§ 27 Abs. 2 VVG a.F. der Beklagten anzeigen. Eine mitversicherte und
damit i.S. von § 29 VVG a.F. unerhebliche Gefahrerhöhung liegt hier
nicht vor.
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a) In Rechtsprechung und Literatur ist allerdings umstritten, ob der
Entschluss eines Dritten, die versicherte Sache zu schädigen, dem
Sachversicherer als Gefahrerhöhung angezeigt werden muss.
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aa)
Das
Oberlandesgericht Karlsruhe (VersR 1998, 625) hat in ei-
ner seine Entscheidung nicht tragenden Erwägung die Auffassung vertre-
ten, es stelle keine versicherungsrechtlich relevante nachträgliche Ge-
fahrerhöhung in der Sachversicherung dar, wenn ein Dritter dem Versi-
cherungsnehmer im Rahmen einer Schutzgelderpressung eine vorsätzli-
che Schädigung der versicherten Sache androhe.
Übernehme der Versicherer das Risiko vorsätzlicher Schädigung
durch Dritte, so erhöhe der Entschluss eines Dritten, diese vorsätzliche
Schädigung herbeizuführen, das versicherte Risiko zwar objektiv. Das
sei aber jeder vorsätzlichen Schädigung durch Dritte von vornherein im-
manent, weil notwendig jeder vorsätzlichen Schädigung vorausgehend.
Der Tatentschluss des Dritten mache zwar den Eintritt des Versiche-
rungsfalls wahrscheinlicher, bedeute aber keine Steigerung des von
vornherein versicherten Risikos, sondern sei von Anfang an "mitversi-
chert". Die bevorstehende Verwirklichung des versicherten Risikos könne
somit keine versicherungsrechtlich relevante nachträgliche Gefahrerhö-
hung darstellen. Denn hielte man den Versicherungsnehmer in solchen
Fällen einer sich realisierenden versicherten Gefahr für anzeigepflichtig
und eröffnete dem Versicherer die Kündigungsmöglichkeit nach
h a.F., so liefe der
Versicherungsschutz ins Leere.
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bb) Ähnlich hält auch Prölss (NVersZ 2000, 153, 157 ff.) die von
Dritten ausgehende Bedrohung des Versicherungsnehmers mit schaden-
stiftenden Handlungen, etwa einer Brandstiftung, für eine mitversicherte
Gefahrerhöhung.
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cc) Das Oberlandesgericht Koblenz hat gegenüber einer Versiche-
rungsnehmerin geäußerte anonyme Drohungen mit Brand oder Gewalt
gegen das versicherte Gebäude als objektive Gefahrerhöhung gewertet
(r+s 1988, 303), jedoch die Frage der Anzeigepflicht offen gelassen, weil
in dem von ihm entschiedenen Fall die gesteigerte Gefahrenlage nicht
mehr fortgedauert hatte, als das versicherte Gebäude abgebrannt war.
dd) Auch der Senat hat bisher lediglich ausgesprochen, dass die
Drohung des Ehemannes einer Versicherungsnehmerin, das versicherte
Gebäude in die Luft zu sprengen, eine Gefahrerhöhung darstellen könne,
wenn die Bedrohungslage über eine längere Dauer aufrechterhalten
werde (Senatsurteil vom 27. Januar 1999 - IV ZR 315/97 - VersR 1999,
484 unter 2 a). Da es im entschiedenen Fall an dieser Dauerhaftigkeit
gefehlt hatte, konnte die Frage der Anzeigepflichtigkeit einer solchen Ge-
fahrerhöhung offen bleiben.
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b) Für den vorliegenden Fall stimmt der Senat dem Berufungsge-
richt darin zu, dass der Kläger die eingetretene objektive Gefahrerhö-
hung dem Versicherer jedenfalls hätte anzeigen müssen, nachdem sein
Lokal nach vorangegangenen Drohungen erstmals am 9. März 2007 von
Einbrechern heimgesucht worden war und der anonyme Anrufer zwei
Tage später unter ausdrücklicher Bezugnahme auf diesen ersten Vorfall
seine Drohungen fortgesetzt hatte. Denn zum einen hatte der Kläger
spätestens zu diesem Zeitpunkt sichere Kenntnis davon, dass eine ernst-
hafte Bedrohung für die versicherte Sache vorlag, zum anderen richtete
sich diese Drohung auf eine wiederholte, sich von Mal zu Mal steigernde
Schädigung des Lokals und stellte jedenfalls deshalb eine erhebliche,
nicht mehr "mitversicherte" Gefahrerhöhung i.S. von § 29 VVG a.F. dar.
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aa) Die so genannte Schutzgelderpressung ist dadurch gekenn-
zeichnet, dass ihr Täter vorrangig das Ziel verfolgt, sein Opfer zu einer
Vermögensverfügung zu nötigen. Die Beschädigung oder Zerstörung der
versicherten Sache stellt mithin nicht das eigentliche Ziel des Tatplans
dar, sondern soll zunächst lediglich als empfindliches Übel angedroht
werden, um den damit Erpressten zur Zahlung von "Schutzgeld" zu be-
wegen. Mit der Umsetzung der Drohung verleiht der Erpresser zwar ei-
nerseits seiner Forderung Nachdruck, gefährdet zugleich aber seinen
Tatplan, indem er den Betrieb des Erpressungsopfers schädigt, mit wel-
chem eigentlich die erpressten Zahlungen erwirtschaftet werden sollen.
Wird ein Versicherungsnehmer Opfer eines solchen Erpressungsversu-
ches, so kann er deshalb oftmals nicht sicher abschätzen, wie ernst die
Drohung mit der Schädigung der versicherten Sache gemeint ist. Ein all-
gemeiner Erfahrungssatz, dass Schutzgelderpresser regelmäßig bereit
sind, ihre Drohung im Falle der Nichtzahlung des Erpressungsopfers
wahr zu machen, besteht nicht.
Für den Kläger bestand diese Unsicherheit allerdings jedenfalls zu
dem Zeitpunkt nicht mehr, zu dem erstmalig in sein Lokal eingebrochen
worden war und der anonyme Anrufer zwei Tage später seine Forderun-
gen wiederholte und die begleitenden Drohungen unter Hinweis auf die-
sen ersten Einbruch fortsetzte. Von da an hatte der Kläger die Gewiss-
heit, dass die Drohungen nicht nur ernst gemeint, sondern auch auf
Dauer angelegt waren. Der Kläger hatte somit sichere Kenntnis, dass
sich die Gefahr für die versicherte Sache nachhaltig erhöht hatte.
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bb) Die veränderte Gefahrenlage war auch nicht mitversichert i.S.
von § 29 Satz 2 VVG a.F. Selbst wenn man dem Oberlandesgericht
Karlsruhe (aaO) und Prölss (aaO) im Ansatz darin zustimmt, dass das
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Versprechen, Versicherungsschutz auch gegen die vorsätzliche Beschä-
digung der versicherten Sache durch Dritte zu gewähren, grundsätzlich
deren Tatentschluss als notwendiges Zwischenstadium der Gefahrver-
wirklichung einschließt, bestanden hier Besonderheiten. Der Tatent-
schluss war weitergehend darauf gerichtet, die Schädigung binnen relativ
kurzer Zeit nicht nur mehrfach zu wiederholen, sondern zugleich von Mal
zu Mal auch auszuweiten, um damit zunächst den Druck auf den Versi-
cherungsnehmer zu erhöhen, ihn aber im Falle beharrlicher Verweige-
rung von Schutzgeldzahlungen am Ende auch wirtschaftlich zu ruinieren,
um so zumindest noch eine abschreckende Wirkung auf andere poten-
tielle Erpressungsopfer zu erzielen. In dieser Wiederholungsabsicht bei
gleichzeitiger Tendenz zur Eskalation liegt eine Veränderung der Gefah-
renlage, die selbst dann nicht mehr als bei Vertragsschluss von den Par-
teien mit einkalkuliert angesehen werden kann, wenn man in Rechnung
stellt, dass hier ein Lokal versichert worden ist und Schutzgelderpres-
sungen zum Nachteil von Gastronomiebetrieben nicht derart selten sind,
dass sie den Vertragsparteien nicht auch als möglicher Grund einer
Schädigung der versicherten Sache vor Augen gestanden haben könn-
ten. Die vorsätzlich wiederholte Zerstörung oder Beschädigung zum
Zwecke der Durchsetzung einer rechtswidrigen Geldforderung kann auch
dann nicht mehr als notwendige oder besonders häufige Zwischenstufe
der Verwirklichung der ursprünglich versicherten Gefahr aufgefasst wer-
den. Denn auch der durchschnittliche Versicherungsnehmer wird ohne
Weiteres erkennen, dass dem Vertragsschluss und der Prämienkalkulati-
on des Versicherers in der Regel die Vorstellung zugrunde liegt, es kön-
ne während der Vertragslaufzeit einmal zum Eintritt des Versicherungs-
falles und damit zur Inanspruchnahme der Versicherungsleistung kom-
men. Auf dieser Erwartung basiert die Festlegung der Versicherungs-
prämie. Das ergibt im Übrigen schon der Blick auf die in den Versiche-
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rungsbedingungen vorgesehene Möglichkeit des Versicherers, den Ver-
trag nach einem Schadenfall zu kündigen (hier § 21 Nr. 2 des Allgemei-
nen Teils der AVB ambitio Gastronomie 07/2005).
cc) Allein diese Kündigungsmöglichkeit reicht allerdings für sich
genommen nicht aus, um eine Anzeige der eingetretenen Gefahrerhö-
hung entbehrlich zu machen. Denn erst mit der Anzeige, dass der Kläger
und das versicherte Lokal von einer Schutzgelderpressung betroffen wa-
ren, hätte die Beklagte nach dem ersten Einbruchsschaden die für ihre
Kündigungsentscheidung bedeutsamen Umstände erfahren.
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3. Für eine anders lautende - von der Revision geforderte - wer-
tende Betrachtung, der zufolge der Versicherer die Gefahrerhöhung aus
kriminalpolitischen Gründen hinzunehmen hätte, geben die §§ 23 ff. VVG
a.F. keinen Raum. Sie ist auch nicht aus Treu und Glauben geboten. Ob
eine ungewollte Gefahrerhöhung i.S. von § 27 Abs. 1 VVG a.F. vorliegt,
bestimmt sich allein anhand objektiver, d.h. außerhalb des subjektiven
Bereichs der Vertragsparteien angesiedelter Umstände. Entsprechendes
gilt für die Frage der Erheblichkeit der Gefahrerhöhung und ihrer Anzei-
gepflicht. Dass die Erhöhung der Gefahr hier die Folge kriminellen Ver-
haltens Dritter war und dem Versicherungsnehmer als Tatopfer wenig
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Handlungsspielraum verblieb, der Gefahrerhöhung Erfolg versprechend
zu begegnen, muss sich der Versicherer, der seinerseits keine Verant-
wortung für die veränderte Sachlage trägt, nicht entgegenhalten lassen.
Terno Wendt Felsch
Harsdorf-Gebhardt Dr. Karczewski
Vorinstanzen:
LG Hamburg, Entscheidung vom 20.10.2008 - 415 O 48/08 -
OLG Hamburg, Entscheidung vom 03.03.2009 - 9 U 219/08 -