Urteil des BGH vom 17.06.2014

BGH: wiedereinsetzung in den vorigen stand, berufungsfrist, berufungsschrift, berufungskläger, verfügung, verschulden, rechtsschutz, rechtsstaatsprinzip, computerprogramm, anweisung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
X I Z B 4 / 1 3
vom
17. Juni 2014
in dem Rechtsstreit
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Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 17. Juni 2014 durch den
Vorsitzenden Richter Wiechers und die Richter Dr. Grüneberg und Maihold
sowie die Richterinnen Dr. Menges und Dr. Derstadt
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des
1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom
6. Februar 2013 wird auf ihre Kosten als unzulässig verworfen.
Der Gegenstandswert beträgt bis zu 470.000
€.
Gründe:
I.
Die Klägerin nimmt die beklagte Bank aus abgetretenem Recht ihres
Ehemannes wegen fehlerhafter Anlageberatung auf Schadensersatz in An-
spruch. Das die Klage abweisende Urteil des Landgerichts vom 14. November
2012 (Aktenzeichen 2-30 O 143/12) ist dem damaligen Prozessbevollmächtig-
ten der Klägerin am 20. November 2012 zugestellt worden.
Am 20. Dezember 2012 ist bei dem Berufungsgericht ein Schriftsatz die-
ses Prozessbevollmächtigten eingegangen, mit dem "in dem Rechtsstreit des
Dr. med. F. D.
… Kläger und Berufungskläger" "namens des Klägers
und Berufungsklägers gegen das am 14.11.2012 verkündete und am
20.11.2012 zugestellte Urteil" des Landgerichts mit dem Aktenzeichen
2-30 O 142/12 Berufung eingelegt wird. Dem Schriftsatz ist eine Kopie des Ur-
teils mit dem Aktenzeichen 2-30 O 143/12 beigefügt gewesen.
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Mit Verfügung vom 27. Dezember 2012 hat das Berufungsgericht unter
Hinweis auf die vorstehenden Umstände bei dem Prozessbevollmächtigten der
Klägerin angefragt, gegen welches Urteil sich die Berufung richte. Dieser hat
daraufhin unter dem 4. Januar 2013 erklärt, die Berufung sei für die Klägerin
gegen das der Berufungsschrift beigefügte Urteil eingelegt worden.
Mit Schriftsatz vom 16. Januar 2013 hat der Prozessbevollmächtigte der
Klägerin in deren Namen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die
Versäumung der Berufungsfrist beantragt, gleichzeitig Berufung gegen das Ur-
teil vom 14. November 2012 mit dem Aktenzeichen 2-30 O 143/12 eingelegt
und die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist um einen Monat bean-
tragt. Zur Begründung hat er ausgeführt, eine sonst zuverlässig und sorgfältig
arbeitende Fachangestellte habe versäumt, entsprechend der Anweisung des
Rechtsanwalts in der kanzleiinternen elektronischen Akte den Ehemann der
Klägerin durch die Klägerin zu ersetzen, nachdem vor Erhebung der Klage die
streitgegenständliche Forderung aus prozesstaktischen Gründen an die Kläge-
rin abgetreten worden sei. Deshalb habe das Computerprogramm den Ehe-
mann der Klägerin als Partei des Berufungsverfahrens in das Rubrum der Beru-
fungsschrift eingefügt. Zudem habe sich der Rechtsanwalt bei der Eingabe des
Aktenzeichens des erstinstanzlichen Urteils vertippt.
Mit weiterem Schriftsatz vom 16. Januar 2013 hat ein neuer Rechtsan-
walt seine Bevollmächtigung durch die Klägerin angezeigt und ebenfalls um
Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist um einen Monat gebeten.
Mit Verfügung vom 17. Januar 2013 hat das Berufungsgericht die Beru-
fungsbegründungsfrist vorsorglich bis zum 21. Februar 2013 verlängert.
Der ursprüngliche Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat mit Schrift-
satz vom 1. Februar 2013 angezeigt, diese nicht mehr zu vertreten.
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Das Berufungsgericht hat mit dem angefochtenen Beschluss den Antrag
auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen und die Berufung
als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt, durch den am
20. Dezember 2012 eingegangenen Schriftsatz sei eine Berufung für die Kläge-
rin nicht eingelegt worden, da in diesem Schriftsatz ein anderer Berufungsklä-
ger genannt sei und auch das Aktenzeichen des angefochtenen Urteils nicht mit
dem Aktenzeichen des beigefügten Urteils übereinstimme. Der Klägerin sei
auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, da die Ver-
säumung der Berufungsfrist nach ihrem eigenen Vorbringen auf einem Ver-
schulden ihres früheren Prozessbevollmächtigten beruhe, das sie sich gemäß
§ 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen müsse.
Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Rechtsbeschwerde.
II.
1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 522
Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO), aber unzulässig. Die Voraussetzun-
gen des § 574 Abs. 2 ZPO, die auch bei einer Rechtsbeschwerde gegen einen
die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluss gewahrt sein müssen (vgl.
Senatsbeschluss vom 9. November 2004 - XI ZB 6/04, BGHZ 161, 86, 87
mwN), sind nicht erfüllt. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist
eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO) nicht erforderlich. Der ange-
fochtene Beschluss des Berufungsgerichts verletzt weder den Anspruch der
Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) oder auf wir-
kungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip;
vgl. BVerfG, NJW 2003, 281) noch das Willkürverbot aus Art. 3 Abs. 1 GG.
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2. Es kann dahinstehen, ob - wie die Rechtsbeschwerde meint - der vor
Ablauf der Berufungsfrist bei dem Berufungsgericht eingegangene Schriftsatz
ihres Prozessbevollmächtigten als Berufung der Klägerin gegen das Urteil mit
dem Aktenzeichen 2-30 O 143/12 auszulegen ist und die Klägerin somit die Be-
rufungsfrist gewahrt hat.
Denn die Berufung ist - wie die Rechtsbeschwerdeerwiderung zutreffend
geltend macht - unzulässig, weil sie entgegen § 520 Abs. 2 ZPO nicht rechtzei-
tig begründet worden ist, so dass sich der angefochtene Beschluss jedenfalls
im Ergebnis als richtig darstellt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 29. April 2004
- III ZB 72/03, WuM 2004, 352 und vom 11. August 2004 - XII ZB 51/04, FamRZ
2004, 1783).
Der Lauf der Frist zur Begründung der Berufung wird weder durch einen
die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluss noch durch ein auf Wie-
dereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist
gerichtetes Verfahren unterbrochen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 13. Januar
1998 - VIII ZB 48/97, WM 1998, 735, 736 mwN; vom 29. April 2004
- III ZB 72/03, WuM 2004, 352; vom 17. März 2009 - VIII ZB 74/08, juris Rn. 3
und vom 27. Oktober 2011 - III ZB 31/11, NJW-RR 2012, 308 Rn. 24). Deshalb
ist hier die Notwendigkeit einer Berufungsbegründung auch nicht deshalb ent-
fallen, weil das Berufungsgericht die Berufung bereits vor Ablauf der Beru-
fungsbegründungsfrist als unzulässig verworfen hatte (vgl. BGH, Beschlüsse
vom 11. August 2004 - XII ZB 51/04, FamRZ 2004, 1783 und vom 17. März
2009 - VIII ZB 74/08, juris Rn. 3).
Die Frist zur Berufungsbegründung hat folglich mit Ablauf des 21. Feb-
ruar 2013 als dem Tag geendet, bis zu dem das Berufungsgericht die Frist ver-
längert hatte. Bis zum Ablauf dieses Tages sind jedoch weder eine Berufungs-
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begründungsschrift noch ein weiterer Fristverlängerungsantrag bei dem Beru-
fungsgericht eingereicht worden.
Wiechers
Grüneberg
Maihold
Menges
Derstadt
Vorinstanzen:
LG Frankfurt/Main, Entscheidung vom 14.11.2012 - 2-30 O 143/12 -
OLG Frankfurt/Main, Entscheidung vom 06.02.2013 - 1 U 324/12 -