Urteil des BGH vom 01.04.2009

BGH (stgb, stationäre behandlung, nachteil, farbe, schuss, wehrlosigkeit, waffe, aufhebung, opfer, angriff)

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 571/08
vom
1. April 2009
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u. a.
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Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 1. April 2009,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Rissing-van Saan
und die Richter am Bundesgerichtshof
Rothfuß,
Prof. Dr. Fischer,
Dr. Appl,
Cierniak,
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
der Nebenkläger in Person,
Rechtsanwalt
als sein Vertreter,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenklägerin ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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Auf die Revisionen der Nebenkläger und des Angeklagten wird
das Urteil des Landgerichts Hanau vom 12. September 2008 mit
den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere als Schwurge-
richt zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in
Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen gefährlicher Körperver-
letzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Gegen dieses
Urteil richten sich die Revisionen der beiden Nebenkläger und des Angeklagten.
Die Nebenklägerin E. verfolgt mit ihrer Sachrüge die Verurteilung des
Angeklagten wegen eines versuchten Tötungsdelikts (auch) zu ihrem Nachteil.
Der Nebenkläger S. erstrebt die Verurteilung wegen versuchten
Mordes zu seinem Nachteil. Der Angeklagte greift seine Verurteilung mit der
Sachrüge an und erhebt eine nicht ausgeführte Verfahrensrüge. Sämtliche
Rechtsmittel haben Erfolg.
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I.
Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
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Die Nebenklägerin E. trennte sich im November 2007 von dem Ange-
klagten, ihrem bisherigen Lebensgefährten. Dieser reagierte hierauf zunächst
mit einer Vielzahl von unerbetenen Kontaktversuchen, bei denen er
E. einerseits seiner Liebe versicherte, sie andererseits aber auch be-
schimpfte. Er entwickelte ihr gegenüber ein starkes Rachebedürfnis, weil er
– unzutreffend – unterstellte, sie habe ihn vor der Trennung mit dem Nebenklä-
ger S. betrogen. Nachdem er sich im Internet über Möglichkeiten in-
formiert hatte, Personen zu belästigen oder zu schädigen, nahm er in den ers-
ten Monaten des Jahres 2008 mehrmals Beschädigungen und Farbschmiere-
reien am Grundbesitz und am Auto der Frau E. sowie an dem PKW des Herrn
S. vor. E. lebte in Angst vor dem Angeklagten, der sie
einmal an ihrer Haustür attackiert hatte, so dass ihr Sohn ihr hatte zu Hilfe
kommen müssen, und der ihr angekündigt hatte, wenn er sie nicht haben kön-
ne, werde auch kein anderer Mann sie haben. Sie wagte sich schließlich kaum
noch allein aus dem Haus. Vom 26. bis zum 28. März 2008 übernachtete des-
halb S. bei ihr, weil ihr Sohn in dieser Zeit nicht zu Hause war.
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In der Nacht vom 27. auf den 28. März fuhr der Angeklagte nach seiner
Arbeit in einer Spielothek zum Wohnhaus der Frau E. . In seiner Jackenta-
sche führte er eine mit sieben Schuss Munition geladene Pistole mit sich. Der
Angeklagte, dem bekannt war, dass S. bei Frau E. über-
nachtete und wegen seines Frühdienstes das Haus gegen 3.30 Uhr verlassen
würde, traf kurz zuvor dort ein. Er beschmierte den Griff des Garagentors mit
schwarzer Farbe und versteckte sich in unmittelbarer Nähe der Garage.
S. und E. verließen wenig später das Haus. Sie bemerkten
die Farbanhaftung am Garagentor und holten einen Lappen, um die Farbe zu
entfernen. Als sie mit einem Stoffbeutel zurückkehrten, trat der Angeklagte un-
vermittelt mit der Pistole in der Hand aus seinem Versteck. Mit den Worten
„Jetzt ist Schluss mit lustig“ gab er mit bedingtem Tötungsvorsatz drei Schüsse
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in Richtung der beiden Geschädigten ab. Eines der Geschosse durchschlug
E. linken Oberarm. S. , der den Treffer nicht be-
merkt hatte und glaubte, es handele sich um eine Schreckschusspistole, trat
dem Angeklagten entgegen, der ihm sofort mit der Faust in das Gesicht schlug.
In dem folgenden Handgemenge schlug der Angeklagte S. mehrmals
mit der Waffe auf den Kopf, wodurch dieser auf die Knie fiel. Der Angeklagte
trat von hinten an S. heran, legte ihm eine Hand auf die Schulter,
brachte mit der anderen die Waffe unmittelbar vor der linken Wange des Ge-
schädigten in Anschlag und gab in Tötungsabsicht einen gezielten Schuss auf
dessen Kopf ab, der den Kiefer und die Zunge durchschlug und auf der anderen
Kopfseite wieder austrat. Dann wandte er sich ab und entfernte sich etwa drei
Meter weit, während S. trotz seiner Verletzung mit Hilfe von Frau
E. wieder aufstehen konnte. Nach einem kurzen Wortwechsel schoss der
Angeklagte S. wiederum in Tötungsabsicht gezielt in den Bauch. Die
Pistole war nun leer geschossen, weil zuvor zwei der sieben Patronen aus dem
Magazin auf die Straße gefallen waren, als der Schlitten – entweder aus waf-
fentechnischer Unkenntnis des Angeklagten oder im Kampfgetümmel – zum
wiederholten Male nach hinten gezogen worden war. Als der Angeklagte nach
unten schaute und an der Waffe hantierte, setzte S. , der durch Zu-
fall nicht an inneren Organen verletzt worden war, zu dem Versuch an, sie die-
sem abzunehmen. Der Angeklagte floh daraufhin zu seinem Pkw und fuhr da-
von.
S. erlitt neben der Verletzung im Bauchbereich u.a. eine
Fraktur zweier Zähne, deren provisorische operative Versorgung zum Verlust
sechs weiterer Zähne führte, und einen Jochbeinbruch. Die stationäre Behand-
lung seiner Verletzungen nahm 13 Tage in Anspruch. Die Versorgung des
Oberarmdurchschusses bei E. erforderte einen eintägigen stationä-
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ren Aufenthalt. Beide Geschädigte sind durch die Tat traumatisiert und befinden
sich in psychotherapeutischer bzw. psychologischer Behandlung.
II.
1. Die Revisionen der Nebenkläger
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a) Das Landgericht hat einen Rücktritt des Angeklagten vom Tötungsver-
such zum Nachteil der Nebenklägerin E. angenommen. Der Ange-
klagte habe nämlich im Verlauf der Auseinandersetzung ohne weiteres die
Möglichkeit gehabt, noch einmal auf Frau E. zu schießen, seine Aggression
habe sich aber ausschließlich gegen S. gerichtet. Das hält
rechtlicher Überprüfung nicht stand und führt zur Aufhebung des Schuldspruchs
auf die Revision der Nebenklägerin.
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Ein strafbefreiender Rücktritt vom unbeendeten Versuch liegt vor, wenn
der Täter freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt (§ 24 Abs. 1 S. 1 Alt. 1
StGB). Das Aufgeben der Tat setzt den Entschluss voraus, auf deren Durchfüh-
rung im Ganzen und endgültig zu verzichten (BGHSt 7, 296, 297; 35, 184, 187).
Nicht aufgegeben ist die Tat dagegen, so lange der Täter mit dem Versuch ihrer
Begehung lediglich vorübergehend innehält (Eser in Schönke/Schrö-der StGB
27. Aufl. § 24 Rn. 38).
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Das Landgericht hat allein auf die theoretische Möglichkeit abgestellt, im
Laufe des Geschehens bis zum Verschießen der letzten Patrone noch einen
weiteren Schuss auf E. abzugeben, ohne genau darzulegen, ob und
wann der Angeklagte den Entschluss zum endgültigen Verzicht auf die Durch-
führung der Tat getroffen hat. So fehlen vor allem Feststellungen zur inneren
Tatseite bzw. zum sogenannten Rücktrittshorizont im Zeitpunkt nach der Abga-
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be der ersten drei Schüsse, nach der Abgabe des Kopfschusses und nach der
Abgabe des Bauchschusses auf S. . Zudem hat das Landgericht
eine Auseinandersetzung mit der nahe liegenden Möglichkeit versäumt, dass
der Angeklagte zunächst nach Abgabe der ersten drei Schüsse angesichts der
körperlichen Gegenwehr des S. mit der Tötung E.
gezwungenermaßen lediglich vorübergehend innehielt, um zunächst S.
zu töten. Auch blieb unberücksichtigt, dass er nach dem Bauchschuss auf
S. vergeblich an der Waffe hantierte, um diese wieder schussbereit zu ma-
chen, was gegen die Aufgabe seines ursprünglichen Tatplans spricht, beide
Opfer zu töten. Schließlich werden die im Vorfeld der Tat getätigten Äußerun-
gen des Angeklagten, wenn er die Nebenklägerin nicht haben könne, werde
auch kein anderer Mann sie haben, vom neuen Tatrichter in Betracht zu ziehen
sein.
b) Das Landgericht hat ein heimtückisches Handeln zum Nachteil des
S. verneint, weil es im Hinblick auf das vorausgegangene Ver-
halten des Angeklagten und den erkennbar mit schwarzer Farbe beschmierten
Garagengriff in der unmittelbaren Tatsituation an der Ausnutzung der Arg- und
Wehrlosigkeit des Opfers gefehlt habe. Auch dies hält rechtlicher Überprüfung
nicht stand und führt zur Aufhebung des Schuldspruchs auch auf die Revision
des Nebenklägers.
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aa) Heimtückisch handelt, wer in feindseliger Willensrichtung die Arg-
und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tötung ausnutzt. Wesentlich ist,
dass der Mörder sein Opfer, das keinen Angriff erwartet, also arglos ist, in einer
hilflosen Lage überrascht und dadurch hindert, dem Anschlag auf sein Leben zu
begegnen oder ihn wenigstens zu erschweren (BGHSt 32, 382, 383 ff.; 39, 353,
368; BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 2; NStZ-RR 2005, 309). Maßgebend
für die Beurteilung ist grundsätzlich der Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz
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geführten Angriffs (BGHSt 32, 382, 384; BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke
13; NStZ-RR 2001, 14). Zwar kann die Arglosigkeit beseitigt sein, wenn der Tat
eine offene Auseinandersetzung mit von vorneherein feindseligem Verhalten
des Täters vorausgeht, das Opfer also akuten Anlass hat, mit einem tätlichen
Angriff zu rechnen. Eine auf längere Zeit zurückliegenden Aggressionen und
einer feindseligen Atmosphäre beruhende latente Angst des Opfers vermag
dessen Arglosigkeit dagegen nicht zu beseitigen (BGHR StGB § 211 Abs. 2
Heimtücke 21; BGH NStZ-RR 2001, 14; 2004, 14, 15 f.). Es kommt vielmehr
allein darauf an, ob das Opfer im Tatzeitpunkt mit Feindseligkeiten des Täters
rechnet (BGHSt 39, 353, 368; NStZ-RR 2004, 14, 15 f.).
Nach den Feststellungen waren E. und S.
zum maßgeblichen Zeitpunkt in der konkreten Situation arglos. Zwar lebte
E. in latenter Angst vor dem Angeklagten, weil sie in der Vergangenheit
seinen Aggressionen, darunter auch einem tätlichen Angriff an ihrer Türe, aus-
gesetzt gewesen war. Dies war auch der Grund, weshalb S. in
der Tatnacht bei ihr übernachtet hatte. Dass beide Nebenkläger, nachdem sie
die schwarze Farbe an dem Garagentor bemerkt hatten, keinen Anlass zur
Flucht oder anderen Sicherungsmaßnahmen sahen, sondern Reinigungsmate-
rial holten und ohne weitere Vorsichtsmaßregeln zur Garage zurückkehrten,
belegt aber, dass sie mit einer fortwährenden Anwesenheit des Angeklagten in
der Nähe und damit mit der Möglichkeit eines tätlichen Angriffs zu diesem Zeit-
punkt nicht rechneten.
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bb) Für das bewusste Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers
genügt es, wenn der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit in ihrer Bedeutung für die
hilflose Lage des Angegriffenen und die Ausführung der Tat in dem Sinne er-
fasst, dass er sich bewusst ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber
einem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (BGH BGHR StGB § 211
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Abs. 2 Heimtücke 25, 26; NStZ 2005, 688, 689). Anhaltspunkte dafür, dass der
Angeklagte die Arglosigkeit der beiden Geschädigten in ihrer Bedeutung für die
Tatausführung nicht erkannt und genutzt haben sollte, zeigen die landgerichtli-
chen Feststellungen nicht auf. Im Gegenteil spricht das Vorgehen des Ange-
klagten, nach dem Anbringen der Farbe an dem Torgriff seinen Opfern aufzu-
lauern, gerade für ein bewusstes Ausnutzen deren Arg- und daraus resultierend
deren Wehrlosigkeit.
cc) Das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe hat die Strafkammer
mit der an sich tragfähigen Begründung verneint, zu Gunsten des Angeklagten
könne angenommen werden, dass seine Eifersuchts- und Rachegefühle ge-
genüber seiner Trauer über die Trennung von seiner Lebensgefährtin nicht vor-
herrschend gewesen seien. Diese Abwägung begegnet – auch unter Berück-
sichtigung des dem Tatrichter bei seiner Würdigung zustehenden Beurteilungs-
spielraums (vgl. BGH NStZ 2007, 330, 331) – angesichts der übersteigerten
Rachegedanken des Angeklagten in den Monaten vor der Tat und insbesonde-
re der hinrichtungsähnlichen Tatbegehungsweise (UA S. 18, 21) durchaus Be-
denken, bedarf aber angesichts der Aufhebung des Schuldspruchs bereits auf-
grund der sonstigen Rechtsfehler keiner abschließenden Beurteilung durch den
Senat.
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c) Sollte der neue Tatrichter zur Annahme eines versuchten Tötungsde-
likts zum Nachteil E. gelangen, wird er auch insoweit die Mord-
merkmale der Heimtücke und der niedrigen Beweggründe zu erwägen haben.
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2. Die Revision des Angeklagten
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Auch die Revision des Angeklagten führt zur Aufhebung des Schuld-
spruchs. Die konkurrenzrechtliche Beurteilung durch das Landgericht erweist
sich als zum Nachteil des Angeklagten rechtsfehlerhaft.
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a) Das Landgericht ist ohne nähere Begründung von Tatmehrheit im Sin-
ne des § 53 StGB zwischen der „durch den Schuss auf die Geschädigte E. “
und der „durch die Schüsse auf den Geschädigten S. “ begangenen Tat
ausgegangen. Zwar besteht grundsätzlich kein Anlass, in Fällen, in denen der
Täter einzelne Menschen angreift, um sie zu verletzen, diese
Vorgänge zu einer Tat zusammenzufassen (vgl. BGHSt 2, 246, 247; 16, 397;
BGHR StGB vor § 1/natürliche Handlungseinheit Entschluss, einheitlicher 9, 10;
NStZ 2006, 284, 285 f.; Rissing-van Saan in LK 12. Aufl. vor § 52 Rn. 14). Von
diesem Grundsatz sind aber Ausnahmen in Fällen enger tatsächlicher Verflech-
tung der nacheinander vorgenommenen Angriffe auf verschiedene Geschädigte
anerkannt (vgl. etwa BGH, Beschl. vom 13. Oktober 2004 – 3 StR 371/04). Hier
indes gab es nach den Feststellungen einen abgrenzbaren, nur auf die Ge-
schädigte E. gezielten Schuss ohnehin nicht. Vielmehr schoss der Angeklagte
mit dem bedingten Vorsatz, beide Geschädigte zu töten, zunächst dreimal in
deren Richtung, wobei eine Kugel die Nebenklägerin E. traf. Damit über-
schnitten sich die tatbestandlichen Ausführungshandlungen der gegen
E. gerichteten Tat mit denjenigen der gegen S. gerichteten
Tat, was beide gemäß § 52 StGB zur Tateinheit verbindet (vgl. Rissing-van
Saan aaO § 52 Rn. 19 f.).
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Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Strafzumessung des ange-
fochtenen Urteils auf der unzutreffenden Würdigung des Konkurrenzverhältnis-
ses beruht.
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b) Auch die Erörterungen zur Frage eines möglichen Rücktritts vom Ver-
such der Tötung des Nebenklägers S. erweisen sich als lückenhaft
hinsichtlich des Vorstellungsbildes des Angeklagten nach den einzelnen Aus-
führungshandlungen, auch wenn insoweit eineunfreiwillige Tataufgabe bzw. ein
Fehlschlag des Versuchs nahe liegt.
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Rissing-van Saan RiBGH Rothfuß ist wegen Fischer
Urlaubsabwesenheit an der
Unterschrift gehindert.
Rissing-van Saan
Appl Cierniak