Urteil des BGH vom 18.01.2006

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
XII ZB 75/01
vom
18. Januar 2006
in der Familiensache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
BGB § 1587 b Abs. 1 Satz 1
Hat der ausgleichspflichtige Ehegatte in der Ehezeit gesetzliche Rentenanwart-
schaften nach § 1587 a Abs. 2 Nr. 2 BGB und Anwartschaften auf eine Beam-
tenversorgung nach § 1587 a Abs. 2 Nr. 1 BGB erworben, setzt die Durchfüh-
rung des (auch teilweisen) Rentensplittings nach § 1587 b Abs. 1 Satz 1 BGB
voraus, dass seine gesetzlichen Rentenanwartschaften für sich allein höher
sind als die gesetzlichen Rentenanwartschaften, die Anwartschaften auf Beam-
tenversorgung oder sonstige Versorgungsanrechte des Ausgleichsberechtigten
für sich allein oder zusammengenommen.
BGH, Beschluss vom 18. Januar 2006 - XII ZB 75/01 - OLG Schleswig
AG
Bad
Segeberg
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Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 18. Januar 2006 durch den
Richter Sprick, die Richterin Weber-Monecke, den Richter Prof. Dr. Wagenitz,
die Richterin Dr. Vézina und den Richter Dose
beschlossen:
Auf die weitere Beschwerde des Beteiligten zu 2 wird der Be-
schluss des 5.
Senats für Familiensachen des Schleswig-
Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig vom 2. März
2001 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung
- auch über die Kosten der weiteren Beschwerde - an das Ober-
landesgericht zurückverwiesen.
Beschwerdewert: 511 €
Gründe:
Die Parteien haben am 26. Oktober 1972 geheiratet; sie sind beide ver-
beamtet im Schuldienst des Landes Schleswig-Holstein tätig. Der Scheidungs-
antrag der Ehefrau (Antragstellerin; geb. am 19. Juni 1952) ist dem Ehemann
(Antragsgegner; geb. am 20. August 1949) am 13. September 1997 zugestellt
worden. Das Amtsgericht - Familiengericht - hat durch Urteil vom 5. Dezember
1997 die Ehe geschieden (insoweit rechtskräftig) und nachfolgend den abge-
trennten Versorgungsausgleich dahin geregelt, dass es im Wege des Splittings
vom Versicherungskonto des Antragsgegners bei der Deutschen Rentenversi-
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cherung Bund (DRV Bund, vormals Bundesversicherungsanstalt für Angestellte;
weitere Beteiligte zu 1) auf ein bei der DRV Bund zu errichtendes Versiche-
rungskonto der Antragstellerin Rentenanwartschaften in Höhe von monatlich
80,54 DM, bezogen auf den 31. August 1997, übertragen hat. Ferner hat es
durch Quasi-Splitting zu Lasten der Versorgung des Antragsgegners beim Lan-
desbesoldungsamt Schleswig-Holstein (LBA Schleswig-Holstein; weiterer Betei-
ligter zu 2) auf einem bei der DRV Bund zu errichtenden Versicherungskonto
der Antragstellerin Rentenanwartschaften in Höhe von 195,59 DM, bezogen auf
den 31. August 1997, begründet.
Auf die Beschwerde der DRV Bund hat das Oberlandesgericht die Ent-
scheidung dahin abgeändert, dass der Versorgungsausgleich insgesamt in Hö-
he von 240,63 DM durch Quasi-Splitting nach § 1587 Abs. 2 BGB zu Lasten der
Versorgung des Antragstellers bei dem LBA Schleswig-Holstein zu erfolgen hat.
Nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts haben die Parteien in der
Ehezeit (1. Oktober 1972 bis 31. August 1997; § 1587 Abs. 2 BGB) beim LBA
Schleswig-Holstein monatliche Versorgungsanwartschaften in Höhe von
2.571,51 DM (Antragstellerin) und 2.891,69 DM (Antragsgegner), bezogen auf
den 31. August 2001, erworben, der Antragsgegner zudem Anwartschaften bei
der DRV Bund in Höhe von monatlich 161,08 DM.
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Mit der zugelassenen weiteren Beschwerde macht das LBA Schleswig-
Holstein geltend, für den Wertausgleich zu Gunsten der Antragstellerin sei die
Hälfte der gesetzlichen Rentenanwartschaften des Antragsgegners im Wege
des Splittings zu übertragen. Erst die Hälfte des dann verbleibenden Wertunter-
schiedes sei durch Quasi-Splitting zu Lasten der Beamtenversorgung des An-
tragsgegners auszugleichen.
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II.
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Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses
und zur Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht.
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1. Das Oberlandesgericht hat die Voraussetzungen des Rentensplittings
für nicht gegeben erachtet. § 1587 b Abs. 1 Satz 1 BGB setze voraus, dass der
nach § 1587 a Abs. 1 Satz 1 BGB insgesamt ausgleichspflichtige Ehegatte in
der Ehezeit Anwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung erworben
habe, welche die Anwartschaften des anderen Ehegatten aus der gesetzlichen
Rentenversicherung und/oder der Beamtenversorgung überstiegen. Seien die
Anwartschaften des Verpflichteten aus der gesetzlichen Rentenversicherung
gleich groß oder geringer als die Summe der Anwartschaften des Berechtigten
aus der gesetzlichen Rentenversicherung und der Beamtenversorgung, habe
ein (auch teilweiser) Ausgleich durch Splitting zu unterbleiben; in diesem Fall
finde der Ausgleich nur nach den in der Rangfolge nächsten Ausgleichsformen
der §§ 1587 b Abs. 2 BGB, §§ 1 und 2 oder 3 b VAHRG statt, je nach Art der
auszugleichenden Anrechte. Dem könne auch nicht § 1587 b Abs. 2 Satz 1 letz-
ter Halbs. entgegengehalten werden, wonach das Quasi-Splitting in Höhe der
Hälfte des nach Anwendung von § 1587 b Abs. 1 BGB noch verbleibenden
Wertunterschiedes durchzuführen sei. Die Anwendung von Abs. 1 führe in den
Fällen der vorliegenden Art gerade dazu, dass ein Ausgleich durch Splitting
ausscheide und der volle Wertunterschied nach § 1587 b Abs. 2 BGB aus-
zugleichen sei.
2. Diese Auffassung ist rechtlich nicht zu beanstanden.
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a) Zwar beinhaltet die Systematik des § 1587 b Abs. 1, 2 BGB einen for-
mellen Vorrang des Splittings vor dem Quasi-Splitting (FA-FamR/Gutdeutsch,
5. Aufl. 7. Kap. Rdn. 154; Senatsbeschluss vom 18. Dezember 1985 - IVb ZB
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711/81 - FamRZ 1986, 250, 251 unter II. 2. c, cc; OLG München FamRZ 1993,
1460 f.; vgl. auch BT-Drucks. 7/4361, 41). Die aus § 1587 b Abs. 2 Satz 1 letz-
ter Halbs. BGB folgende Einschränkung, nach der das Quasi-Splitting nur "in
Höhe der Hälfte des nach Anwendung von Abs. 1 noch verbleibenden Wertun-
terschieds" durchgeführt werden kann, bedeutet indes nicht, dass bei einem
Zusammentreffen von nach § 1587 b Abs. 1 Satz 1 und § 1587 b Abs. 2 Satz 1
BGB auszugleichenden Anrechten das Splitting losgelöst von den Vorausset-
zungen des § 1587 b Abs. 1 Satz 1 BGB - d.h. mittels getrennter Saldierung der
gesetzlichen Rentenanrechte und der Anwartschaften auf Beamtenversorgung -
durchgeführt werden kann (Johannsen/Henrich/Hahne Eherecht 4.
Aufl.
§ 1587 b BGB Rdn. 31). Zu Recht ist das Oberlandesgericht vielmehr davon
ausgegangen, § 1587 b Abs. 2 Satz 1 letzter Halbs. BGB knüpfe an die Tatbe-
standsvoraussetzungen des vorgreiflichen § 1587 b Abs. 1 Satz 1 BGB an.
b) Hat der Ausgleichspflichtige in der Ehezeit gesetzliche Rentenanwart-
schaften und Versorgungsanwartschaften nach beamtenrechtlichen Vorschrif-
ten erworben, erfordert die Durchführung des Splittings nach § 1587 b Abs. 1
Satz 1 BGB, dass die gesetzlichen Rentenanwartschaften bereits für sich allein
höher sind als die entsprechenden Anwartschaften des Ausgleichsberechtigten
oder die Summe seiner Anrechte aus der gesetzlichen Rentenversicherung
nach § 1587 a Abs. 2 Nr. 2 BGB und der Versorgungsanwartschaften aus dem
Beamtenverhältnis nach § 1587 a Abs. 2 Nr. 1 BGB (h.M., vgl. Palandt/Bruder-
müller BGB 65. Aufl. § 1587 b Rdn. 13; MünchKomm/Dörr BGB 4. Aufl.
§ 1587 b Rdn. 7; Johannsen/Henrich/Hahne, aaO, §
1587
b Rdn.
15; Er-
man/Klattenhoff BGB 11. Aufl. § 1587 b Rdn. 5; Soergel/Lipp BGB 13. Aufl.
§ 1587 b Rdn. 8; Staudinger/Rehme BGB 2004 § 1587 b Rdn. 59; AnwKomm/
Wiedenlübbert BGB 2005 § 1587 b Rdn. 5; RGRK/Wick BGB 12. Aufl. § 1587 b
Rdn. 14; OLG Nürnberg FamRZ 1995, 98, 100). Dies entspricht dem ausdrück-
lichen Willen des Gesetzgebers (BT-Drucks. 7/4361, 41) und dem eindeutigen
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Wortlaut des § 1587 b Abs. 1 Satz 1 BGB, der den Anwartschaften des Aus-
gleichsverpflichteten "in einer gesetzlichen Rentenversicherung" die Anwart-
schaften des Ausgleichsberechtigten "im Sinne des § 1587 a Abs. 2 Nr. 1, 2"
gegenüberstellt.
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Das teilweise Splitting kommt folglich nur in Betracht, wenn durch Halb-
teilung einer vorhandenen Beamtenversorgung des Verpflichteten der Aus-
gleich nicht in vollem Umfang erfolgen kann (FA-FamR/Gutdeutsch, aaO,
7. Kap. Rdn. 154). Die weitere Beschwerde weist deshalb zu Recht darauf hin,
dies sei nicht die Regel, wenn auf Seiten des ausgleichspflichtigen Ehegatten
gesetzliche Rentenanwartschaften und Anwartschaften auf Beamtenversorgung
zusammentreffen. Der Ausgleichspflichtige wird nämlich wegen der bestehen-
den Höchstaltersgrenzen (vgl. Ebert/Bieler Das gesamte öffentliche Dienstrecht
Stand Juni 2005 Kz. 250 Rdn. 7) vor seiner Verbeamtung regelmäßig nur ver-
hältnismäßig geringe Anwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung
erworben haben. Die Gegenüberstellung der gesetzlichen Rentenanwartschaf-
ten des Verpflichteten mit der Summe der Anrechte des Berechtigten nach
§ 1587 a Abs. 2 Nr. 1 und 2 BGB erhält dem ausgleichspflichtigen Ehegatten
somit möglichst viele gesetzliche Rentenanwartschaften. Diese Regelung folgt
aus dem Grundsatz, dass Anwartschaften der gesetzlichen Rentenversicherung
als Grundlage der sozialen Sicherung an sich nicht übertragbar sind und
§ 1587 b Abs. 1 Satz 1 BGB insoweit eine Ausnahmeregelung darstellt (Stau-
dinger/Rehme, aaO, § 1587 b Rdn. 32; vgl. zur Übertragbarkeit gesetzlicher
Rentenanrechte: Senatsbeschlüsse vom 18. Dezember 1985, aaO, S. 251 und
vom 3.
Juni 1981 -
IVb
ZB 529/80
- FamRZ 1981, 1051, 1060;
BT-Drucks. 7/650, 171). Dem Splitting kommt damit ein formeller, dem Quasi-
Splitting im Ergebnis aber ein materieller Vorrang zu (FA-FamR/Gutdeutsch,
aaO, Kap. 7 Rdn. 154).
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c) Es kann dahinstehen, ob das Quasi-Splitting die Allgemeinheit be-
lastet, weil die nach § 225 SGB VI vom Versorgungsträger an den Renten-
versicherungsträger zu erbringenden (steuerfinanzierten) Erstattungsleistungen
höher sind - trotz des mit der Regelung verfolgten Ziels der Kostenneutralität
des Versorgungsausgleichs (vgl. Hauck/Noftz/Klattenhoff SGB VI 2005 § 225
Rdn. 8) - als die infolge der Kürzung der Versorgungsbezüge des ausgleichs-
pflichtigen Ehegatten nach § 57 BeamtVG erzielbaren Einsparungen. Diese
lediglich die technische Durchführung des Versorgungsausgleichs regelnden
beamten- und sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften können entgegen der
Ansicht der weiteren Beschwerde einen Teilausgleich durch Rentensplitting, der
vom Wortlaut des Gesetzes und dem Willen des Gesetzgebers abweicht, nicht
rechtfertigen.
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3. a) Da der Antragsgegner den Feststellungen des Oberlandesgerichts
zufolge in der Ehezeit gesetzliche Rentenanwartschaften in Höhe von monatlich
161,08 DM (82,36 €) erworben hat, denen nach § 1587 b Abs. 1 Satz 1 BGB
mit monatlich 2.571,51 DM (1.314,79 €) höhere Versorgungsanwartschaften der
Antragstellerin gegenüberstehen, kann der Versorgungsausgleich zugunsten
der Antragstellerin nicht teilweise durch Splitting erfolgen; er ist insgesamt im
Wege des Quasi-Splittings durchzuführen.
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b) Die angefochtene Entscheidung kann gleichwohl keinen Bestand ha-
ben. Das Beschwerdegericht konnte die inzwischen eingetretenen Änderungen
bei der Bemessung der Beamtenversorgung durch das Versorgungsände-
rungsgesetz vom 20. Dezember 2001 (BGBl. I, 3926) noch nicht berücksichti-
gen. Für die Berechnung des Versorgungsausgleichs bei beamtenrechtlichen
Versorgungsanrechten ist im Hinblick auf den Halbteilungsgrundsatz seit dem
1. Januar 2003 uneingeschränkt der von 75 % auf 71,75 % verminderte Höchst-
ruhegehaltssatz gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG in der Fassung des Art. 1
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Nr. 11 des Versorgungsänderungsgesetzes vom 20. Dezember 2001 (BGBl. I,
3926) maßgeblich (vgl. Senatsbeschlüsse vom 26. November 2003 - XII ZB
75/02 und XII ZB 30/03 - FamRZ 2004, 256 ff. bzw. 259 ff.). Ebenso wenig be-
rücksichtigt die vom Oberlandesgericht eingeholte Auskunft der DRV Bund vom
3. Mai 2000 die Änderungen der Rechtslage durch das Altersvermögensergän-
zungsgesetz (AVmEG vom 21. März 2001, BGBl. I, 403).
Da das Rechtsmittel des LBA Schleswig-Holstein zu einer umfassenden
Überprüfung der Entscheidung über den öffentlich-rechtlichen Versorgungsaus-
gleich durch den Senat führt (Senatsbeschlüsse vom 27. Juni 1984 - IVb ZB
767/80 - FamRZ 1984, 990, 991 f. und vom 18. Dezember 1985 - IVb ZB
131/82 - FamRZ 1986, 250), war die Sache deshalb an das Oberlandesgericht
zurückzuverweisen, damit der Versorgungsausgleich unter Zugrundelegung
neuer Auskünfte der LBA Schleswig-Holstein und der DRV Bund geregelt wer-
den kann.
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Sprick Weber-Monecke Wagenitz
Vézina
Dose
Vorinstanzen:
AG Bad Segeberg, Entscheidung vom 15.10.1999 - 13 F 603/97 -
OLG Schleswig, Entscheidung vom 02.03.2001 - 15 UF 257/99 -