Urteil des BGH vom 23.05.2000

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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
X ZB 19/00
vom
18. September 2001
in der Rechtsbeschwerdesache
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Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 18. September 2001
durch die Richter Prof. Dr. Jestaedt, Dr. Melullis, Scharen, die Richterin
Mühlens und den Richter Dr. Meier-Beck
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluß des 17. Senats
(Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts vom
23. Mai 2000 wird auf Kosten der Patentinhaberin zurückgewie-
sen.
Gründe:
I. Die Rechtsbeschwerdeführerin ist eingetragene Inhaberin des Patents
31 53 769 (Streitpatent), das eine Ausweiskarte mit einem elektronischen Bau-
stein betrifft, der über an der Karte befestigte Kontakte mit externen elektroni-
schen Einrichtungen in Verbindung treten kann. Wegen des Inhalts der Patent-
ansprüche wird auf die Patentschrift verwiesen.
Gegen die Erteilung des Streitpatents hat die weitere Verfahrensbetei-
ligte Einspruch erhoben, nach dessen Prüfung die Patentabteilung 51 beim
Deutschen Patent- und Markenamt das Patent mit Beschluß vom 23. Juli 1998
aufrechterhalten hat. Gegen diese Entscheidung hat die Einsprechende Be-
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schwerde eingelegt. In der Beschwerdeinstanz hat die Patentinhaberin das
Schutzrecht im Hauptantrag mit einem geänderten Patentanspruch 1 verteidigt.
Ferner hat sie verschiedene Hilfsanträge mit weiteren Modifikationen des
Hauptantrags und eines Teils der Unteransprüche eingereicht. Wegen des In-
halts dieser Ansprüche wird auf die Akte Bezug genommen.
Mit Beschluß vom 23. Mai 2000 hat das Bundespatentgericht das Streit-
patent insgesamt widerrufen. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vom
Bundespatentgericht nicht zugelassene Rechtsbeschwerde der Patentinhabe-
rin, mit der sie das Fehlen einer den gesetzlichen Anforderungen entsprechen-
den Begründung in der angefochtenen Entscheidung rügt.
II. Die Rechtsbeschwerde, mit der die Patentinhaberin einen Begrün-
dungsmangel im Sinne des § 100 Abs. 3 Nr. 6 PatG in der Fassung des
2. PatGÄndG vom 16. Juli 1998 (BGBl. I S. 1827) geltend macht, ist statthaft
und zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet. Der gerügte Mangel liegt nicht vor.
1. Allerdings entfällt der Mangel einer fehlenden Begründung im Sinne
des Gesetzes nicht schon deshalb, weil die angefochtene Entscheidung über-
haupt mit Gründen versehen ist. Wie die Rechtsbeschwerde mit Recht geltend
macht, kann nach der Rechtsprechung des Senats ein Begründungsmangel in
diesem Sinne bei einer vorhandenen Begründung dann vorliegen, wenn diese
unverständlich, widersprüchlich oder verworren ist (st. Rspr. vgl. etwa BGHZ
39, 333, 337 - Warmpressen; Beschl. v. 4.12.1990 - X ZB 6/90, GRUR 1991,
442, 443 - Pharmazeutisches Präparat; Beschl. v. 3.12.1991 - X ZB 5/91,
GRUR 1992, 159 - Crackkatalysator II; Beschl. v. 14.5.1996 - X ZB 4/95,
GRUR 1996, 753, 755 - Informationssignal), so daß sich in Wirklichkeit nicht
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mehr erkennen läßt, welche Überlegungen für die Entscheidung maßgeblich
waren. Das gleiche gilt, wenn die Gründe inhaltslos bzw. auf eine Wiederho-
lung des Gesetzestextes beschränkt sind (vgl. Beschl. v. 3.12.1991
- X ZB 5/91, GRUR 1992, 159 - Crackkatalysator II). Derartige Mängel macht
die Rechtsbeschwerde indessen hier ohne Erfolg geltend.
2. Der in dem Hauptantrag bezeichneten Lehre hat das Beschwerdege-
richt die Patentfähigkeit deshalb abgesprochen, weil sie durch den Stand der
Technik vollen Umfangs vorweggenommen werde. Bei dieser Würdigung hat
es die bereits bei der Darstellung des Patentanspruchs 1 in Form einzelner
Schritte und Merkmale wiedergegebene Lehre des Streitpatents mit der der
deutschen Offenlegungsschrift 26 59 573 verglichen und insbesondere im Hin-
blick auf das in Figur 6 dieser Schrift bezeichnete Ausführungsbeispiel festge-
stellt, daß für einen Fachmann die Lehre des Streitpatents mit der dieser Ent-
gegenhaltung identisch sei und daher durch diese vorweggenommen werde.
Damit genügt die angefochtene Entscheidung insoweit dem Begründungs-
zwang nach § 100 Abs. 3 Nr. 6 PatG. Dem völligen Fehlen von Entscheidungs-
gründen können vorhandene Entscheidungsgründe allenfalls dann gleichge-
setzt werden, wenn die vorhandenen Gründe in Wirklichkeit nicht mehr erken-
nen lassen, welche Überlegungen den Tatrichter zu seiner Entscheidung ge-
führt haben. Das ist nach Gang und Inhalt der Entscheidungsgründe hier nicht
der Fall.
Zu Unrecht sieht die Rechtsbeschwerde einen Begründungsmangel
darin, daß sich das Beschwerdegericht nicht näher mit der Auslegung des
Streitpatents und einer Abgrenzung gegenüber dem dort geschilderten Stand
der Technik befaßt hat. Denn der Rechtsbeschwerde kann nicht darin gefolgt
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werden, daß das Fehlen einer solchen Auslegung einer unterbliebenen Befas-
sung mit besonderen Angriffs- oder Verteidigungsmitteln gleichzustellen ist, die
nach der Rechtsprechung des Senats einen Begründungsmangel darstellen
kann. Diese Rechtsprechung beruht auf der Erwägung, daß die besonderen
Angriffs- oder Verteidigungsmittel im Nichtigkeitsverfahren den materiell-
rechtlichen Ansprüchen aus dem Zivilprozeß vergleichbar sind. Dort ist erst bei
einem Eingehen auf jeden einzelnen der Klage zugrundeliegenden Anspruch
ersichtlich, welche Erwägungen das Gericht zu seiner Entscheidung über die-
sen Anspruch geführt haben. Das gilt in gleicher Weise für die Gründe, auf de-
nen die Angriffe bzw. spiegelbildlich die Verteidigung des Patents gestützt
werden; auf die Auslegung des Schutzrechtes lassen sich diese Überlegungen
indessen nicht übertragen.
3. Die weiteren Beanstandungen der Rechtsbeschwerde betreffen die
inhaltliche Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung, die im Verfahren der
nicht zugelassenen Rechtsbeschwerde nicht zu prüfen ist. Bei dem für die
Neuheitsprüfung erforderlichen Vergleich hat das Beschwerdegericht die deut-
sche Offenlegungsschrift 26 59 573 herangezogen und den Gegenstand von
deren Offenbarung mit den im voraus dem Patentanspruch abgeleiteten Merk-
malen der beanspruchten Lehre jeweils einzeln verglichen. Dabei ist es - wenn
auch knapp - auf jedes Merkmal eingegangen und hat diese jeweils für sich
und in ihrer Kombination mit der Offenbarung aus der Entgegenhaltung vergli-
chen; bei diesem Vergleich ist es zu dem Ergebnis gelangt, daß jedes einzelne
Merkmal durch die Entgegenhaltung vorweggenommen wird. Diese Begrün-
dung läßt ohne weiteres die Erwägungen erkennen, auf die das Bundespatent-
gericht seine Entscheidung über die mangelnde Patentfähigkeit der bean-
spruchten Lehre gestützt hat, und genügt daher dem Begründungszwang. Zu
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Recht weist daher die Rechtsbeschwerdeerwiderung darauf hin, daß die Ein-
wendungen der Rechtsbeschwerde nicht das Vorliegen einer ausreichenden
Begründung, sondern deren Inhalt betreffen. Gegenstand des Vorwurfs ist, daß
das Bundespatentgericht die im Patentanspruch beschriebene Lehre völlig ver-
kannt und deshalb die Neuheit fehlerhaft beurteilt habe.
Was die von der Rechtsbeschwerde weiter beanstandeten Formulierun-
gen betrifft, mit denen das Bundespatentgericht einzelne Maßnahmen wie die
Verwendung von Gußkörpern bzw. das Eingießen als eine zur Vermeidung er-
kennbarer Probleme im Zusammenhang mit dem Schutz des elektronischen
Bausteins und der Sicherung der Karte gegenüber mechanischen Belastungen
sinnvolle Gestaltungsform bezeichnet hat, die dem Fachmann bekannt sei, er-
gibt sich aus den Entscheidungsgründen, daß das Bundespatentgericht die
jeweilige Maßnahme als im allgemeinen Fachwissen des Durchschnittsfach-
manns angesiedelt angesehen und deshalb angenommen hat, daß er bei der
Lektüre der Entgegenhaltung die verwendeten Alternativen ohne weiteres
Nachdenken als eine mögliche Ausführungsform der dort abstrakt beschriebe-
nen Lehre erkenne. Zugleich ist aus den Entscheidungsgründen in diesem Zu-
sammenhang zu entnehmen, daß das Beschwerdegericht diese Kenntnis be-
reits für den Prioritätszeitraum des Streitpatents zugrunde gelegt hat. Auch in-
soweit lassen die Entscheidungsgründe daher die Erwägungen erkennen, die
für die Entscheidung des Bundespatentgerichts ausschlaggebend waren. Ob
die dem zugrundeliegenden Annahmen sachlich zutreffen, ist wiederum eine
Frage der inhaltlichen Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung.
Da das Bundespatentgericht bereits die Neuheit der beanspruchten Leh-
re verneint hatte, bedurfte es eines Eingehens auf die übrigen Schutzvoraus-
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setzungen nicht mehr. In dem Fehlen einer Behandlung der erfinderischen Lei-
stung kann daher ein die nicht zugelassene Rechtsbeschwerde eröffnender
Begründungsmangel nicht gesehen werden.
4. Soweit die Rechtsbeschwerde darüber hinaus zum Hauptantrag und
zu den Hilfsanträgen die Ausführungen des Beschwerdegerichts zu den Kennt-
nissen und Fähigkeiten des Fachmanns angreift, vermag sie einen Begrün-
dungsmangel in diesem Sinne ebenfalls nicht aufzuzeigen. Auch insoweit ist
das Beschwerdegericht ersichtlich davon ausgegangen, daß die von ihm als
selbstverständlich bezeichneten Handlungsweisen bzw. Erkenntnisse in dem
ohne weiteres verfügbaren Grundwissen des Durchschnittsfachmanns ange-
siedelt seien. Die Rechtsbeschwerde beanstandet demgegenüber lediglich,
das Beschwerdegericht habe seine Annahme nicht im einzelnen belegt und
insbesondere nicht ausgeführt, daß diese Kenntnisse und Fähigkeiten auch am
Prioritätstag des Streitpatents Gemeingut in diesem Sinne gewesen seien. Die-
se Rüge geht ebenfalls fehl. Nach dem Kontext seiner Entscheidungsgründe ist
das Bundespatentgericht davon ausgegangen, daß die von ihm angenomme-
nen Selbstverständlichkeiten bereits für den für die Beurteilung des Streitpa-
tents maßgeblichen Tag Geltung beanspruchen können. Hieraus erklärt sich,
daß es diese Kenntnisse bei seiner Bewertung des Standes der Technik als
neuheitsschädlich berücksichtigt hat. Ob die dem zugrundeliegende Vorstel-
lung von den Kenntnissen und Fähigkeiten des Fachmanns an diesem Tage
zutraf, ist wiederum eine Frage der inhaltlichen Richtigkeit der Entscheidung
und daher im vorliegenden Verfahren nicht zu prüfen.
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5. Eine mündliche Verhandlung hat der Senat nicht für erforderlich ge-
halten.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 109 PatG, 97 ZPO.
Jestaedt Melullis Scharen
Mühlens Meier-Beck