Urteil des BGH vom 18.05.2006

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
III ZR 396/04
Verkündet
am:
18. Mai 2006
K i e f e r
Justizangestellter
als
Urkundsbeamter
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
BGB §§ 276 a.F. Fa; 839 Fe; BauGB § 12
Zur öffentlich-rechtlichen culpa in contrahendo und zur Amtshaftung ge-
genüber dem Vorhabenträger im Verfahren betreffend die Aufstellung
eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans.
BGH, Urteil vom 18. Mai 2006 - III ZR 396/04 - OLG Brandenburg
LG Frankfurt (Oder)
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Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 18. Mai 2006 durch den Vorsitzenden Richter Schlick und die Richter
Dr. Wurm, Dörr, Galke und Dr. Herrmann
für Recht erkannt:
Auf die Rechtsmittel der Beklagten werden das Urteil des 13. Zivil-
senats des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 22. Sep-
tember 2004 aufgehoben und das Urteil der 7. Zivilkammer des
Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 8. Januar 1999 weiter abgeän-
dert.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der Mitte 1999 zu-
sammengebrochenen D. GmbH. Die Schuldnerin hatte seit 1991
die Errichtung eines Einkaufszentrums im Gebiet der beklagten Gemeinde ge-
plant. Parallel dazu plante auch eine Konkurrentin ein derartiges Zentrum auf
einem nahe gelegenen Grundstück. Da aus Gründen der Raumordnung nur
eines der beiden Projekte verwirklicht werden konnte, entschied sich die Stadt-
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verordnetenversammlung der Beklagten am 13. April 1992 mit 17 zu 7 Stimmen
zugunsten des Projekts der Schuldnerin.
In der Folgezeit erwarb die Schuldnerin das für das Projekt benötigte
Grundstück und ließ nacheinander zwei Vorhaben- und Erschließungspläne er-
arbeiten, die jedoch beide auf raumordnungsrechtliche Bedenken des zustän-
digen Landesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Raumordnung stießen.
Am 25. August 1993 stellte die Schuldnerin bei einer Besprechung im Ministe-
rium über die Realisierbarkeit des Projekts ein verändertes Konzept vor. An-
schließend ließ sie den Entwurf für den Vorhaben- und Erschließungsplan ent-
sprechend umarbeiten. Am 30. September 1993 beschloss die Stadtverordne-
tenversammlung der Beklagten, zu dem neuen Entwurf die Beteiligung der Bür-
ger und der betroffenen Träger öffentlicher Belange durchzuführen. Der Entwurf
wurde vom 10. bis zum 24. November 1993 öffentlich ausgelegt. Zum Be-
schluss des Plans selbst kam es jedoch ebenso wenig wie zum Abschluss ei-
nes Durchführungsvertrages zum Vorhaben- und Erschließungsplan. Nachdem
im Dezember 1993 eine Kommunalwahl stattgefunden hatte, beschlossen die
neu gewählten Stadtverordneten am 6. Juli 1994, das Projekt der Schuldnerin
nicht weiter zu verfolgen.
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Der Kläger nimmt nunmehr die Beklagte auf Ersatz der im Vertrauen auf
das Zustandekommen des Plans getätigten Aufwendungen der Schuldnerin in
Anspruch, die er auf 904.486,04 DM nebst Zinsen beziffert. Das Landgericht hat
die Klageforderung dem Grunde nach für berechtigt erklärt, das Berufungsge-
richt nur für die der Schuldnerin ab dem 25. August 1993 im Zusammenhang
mit der von ihr geplanten Errichtung eines Einkaufszentrums entstandenen
Aufwendungen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte
ihren Klageabweisungsantrag weiter.
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Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Abweisung der Klage.
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1.
Das Berufungsgericht hält den dem Grunde nach - allerdings nur in zeit-
lich eingeschränktem Umfang - zuerkannten Schadensersatzanspruch aus den
rechtlichen Gesichtspunkten der öffentlich-rechtlichen culpa in contrahendo und
der Amtshaftung (§ 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG) für gerechtfertigt. Es ist der
Auffassung, die Beklagte habe einen qualifizierten Vertrauenstatbestand ge-
schaffen, weil sich die Stadtverordneten in der Sitzung vom 13. April 1992 mit
überwiegender Mehrheit für das Vorhaben der Schuldnerin und gegen dasjeni-
ge ihrer Konkurrentin entschieden hätten. Im Zeitpunkt der Beschlussfassung
seien alle maßgeblichen Behörden an dem geplanten Vorhaben beteiligt gewe-
sen und hätten ihre grundsätzliche Zustimmung erklärt. Die Parteien hätten
dann während einer Zeitdauer von 2¼ Jahren in Verhandlungen gestanden, die
auf Abschluss eines Durchführungsvertrages gerichtet gewesen seien. Die
Schuldnerin habe sich aufgrund des weiteren Verhaltens der Beklagten darauf
verlassen dürfen, dass diese - soweit keine zwingenden Gründe vorlagen - an
ihrem im Jahre 1992 gefassten Beschluss festhalten und diesen jedenfalls nicht
aus sachfremden Gründen aufgeben werde. Mit der Aufgabe des Projekts und
der Entscheidung für dasjenige der Konkurrentin habe die Beklagte diese vor-
vertraglichen Verpflichtungen - und damit zugleich ihre Amtspflicht zu konse-
quentem Verhalten - verletzt.
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Hiergegen wendet sich die Revision zu Recht.
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2.
a) Die Realisierung des in Aussicht genommenen Vorhaben- und Er-
schließungsplans beurteilte sich noch nach § 7 BauGB-MaßnG in der Fassung
der Bekanntmachung vom 28. April 1993 (BGBl. I S. 622; jetzt gilt § 12 BauGB).
Dies bedeutet, dass für ihn § 2 Abs. 3 BauGB in der damals einschlägigen Fas-
sung vom 8. Dezember 1986 (BGBl. I S. 2253) entsprechend galt (§ 7 Abs. 3
Satz 1 BauGB-MaßnG; jetzt gilt unmittelbar § 1 Abs. 3 Satz 2 BauGB in der
Fassung der Bekanntmachung vom 23. September 2004 BGBl. I S. 2414).
Auch auf den Erlass einer Satzung über einen Vorhaben- und Erschließungs-
plan nach § 7 Abs. 1 BauGB-MaßnG oder eines vorhabenbezogenen Bebau-
ungsplans nach § 12 Abs. 1 Satz 1 BauGB bestand (und besteht) - wie vom
rechtlichen Ansatzpunkt her auch das Berufungsgericht nicht verkennt - daher
kein Anspruch. Darüber hinaus war bereits vor Schaffung des neuen § 1 Abs. 3
Satz 2 Halbs. 2 BauGB, der dies ausdrücklich ausspricht, in der übereinstim-
menden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesge-
richtshofs anerkannt, dass vertragliche Zusagen einer Gemeinde, einen inhalt-
lich näher bestimmten Bebauungsplan aufzustellen oder doch zumindest die
Aufstellung in Übereinstimmung mit dem Vertragspartner zu fördern, der Wirk-
samkeit entbehrten (vgl. BVerwGE 42, 331, 333; BVerwG DVBl. 1977, 529 f;
Senatsurteil BGHZ 76, 16, 22; Senatsurteil vom 11. Mai 1989 - III ZR 88/87 =
NJW 1990, 245).
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b) Diese von der Rechtsprechung aufgestellten Grundsätze gelten zwar
vorliegend schon deshalb nicht uneingeschränkt, weil das Gesetz die Umset-
zung eines vom Vorhabenträger erarbeiteten Vorhaben- und Erschließungs-
plans vom Abschluss eines öffentlich-rechtlichen, nach § 57 VwVfG der Schrift-
form unterliegenden Durchführungsvertrages abhängig macht (§ 7 Abs. 1
Satz 1 Nr. 2 BauGB-MaßnG; § 12 Abs. 1 Satz 1 BauGB). Ein solcher Vertrag ist
jedoch nicht zustande gekommen. Zwar trifft es durchaus zu, dass im Unter-
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schied zum "regulären" Aufstellungsverfahren die planerische Initiative beim
Investor liegt und die Planerstellung des Vorhabenträgers von der Gemeinde
(nur) "aktiv begleitet" wird. Der sich daraus notwendigerweise ergebende Ab-
stimmungs- und Kooperationsbedarf lässt jedoch die gemeindliche Verantwor-
tung für die städtebauliche Planung unberührt (vgl. Senatsurteil vom
1. Dezember 1983 - III ZR 38/82 = LM BGB § 133 C Nr. 54). Auch nach Einlei-
tung des Bebauungsplanverfahrens kann die Gemeinde in Ausübung ihrer Pla-
nungshoheit das Verfahren wieder einstellen. Ein Anspruch auf Abschluss eines
Durchführungsvertrages oder auf Erlass eines dem Vorhabenträger günstigen
vorhabenbezogenen Bebauungsplans besteht nicht (vgl. Krautzberger in Bat-
tis/Krautzberger/Löhr, BauGB 9. Aufl. 2005 § 12 Rn. 3, 22; s. auch denselben in
Ernst/Zinkahn/Bielenberg BauGB Loseblattausgabe Stand Januar 2006 § 12
Rn. 111, 114 ff; Gaentzsch in BerlKomm. BauGB Loseblattausgabe Stand Au-
gust 2002 § 12 Rn. 16; vgl. auch VGH Bad.-Württ. ZfBR 2000, 417).
3.
Dies bedeutet, dass eine Haftung aus culpa in contrahendo in diesem
Bereich nur unter ganz engen Voraussetzungen in Betracht kommen kann. Eine
Haftung der beklagten Gemeinde kann insbesondere nicht schon deshalb be-
jaht werden, weil - wie hier - der (neu gewählte) Gemeinderat eine andere Pla-
nungskonzeption entwickelt und das frühere Planaufstellungsverfahren aufge-
hoben hat. Das lag in seinem Planungsermessen, das im Übrigen nur durch die
gesetzlichen Bindungen der Bauleitplanung eingeschränkt war. Angesichts die-
ser (relativen) Planungsfreiheit des Ortsgesetzgebers kann sich hier die im all-
gemeinen bürgerlichen Recht zu prüfende und vom Berufungsgericht in den
Mittelpunkt seiner Argumentation gestellte Frage, ob der Vertragspartner den
Vertragsschluss "grundlos" verweigert hat, sinnvoll nicht stellen (Senatsurteil
BGHZ 71, 386, 395 f; Senatsurteil vom 1. Dezember 1983 - III ZR 38/82 = LM
BGB § 133 C Nr. 54 unter III. der Entscheidungsgründe). Ein Verschulden kann
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in solchen Fällen daher grundsätzlich nur in einem Verhalten der Gemeinde
gesehen werden, das außerhalb der eigentlichen Bauleitplanung liegt, nament-
lich einem Verhalten, das dem Vertragspartner unrichtige, seine Vermögens-
dispositionen nachteilig beeinflussende Eindrücke über den Stand der Bauleit-
planung vermittelt (Senatsurteil BGHZ 71, 386, 396).
4.
Deswegen kann es - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts -
nicht darauf ankommen, ob dem Gemeinderat der Beklagten ein triftiger, sach-
lich gerechtfertigter Grund zur Seite gestanden hatte, um von der früheren Pla-
nungskonzeption abzugehen. Denn die Beklagte war aufgrund ihrer Planungs-
freiheit berechtigt, das Projekt nicht weiterzuverfolgen, solange sie sich nur im
Rahmen ihres Planungsermessens hielt. Ein schuldhaftes Verhalten der Ge-
meinde, das - im Sinne der vorzitierten Rechtsprechungsgrundsätze des Se-
nats - außerhalb der eigentlichen Bauleitplanung lag, hat das Berufungsgericht
nicht festgestellt und lässt sich auch dem Sachvortrag des Klägers nicht ent-
nehmen. Insbesondere war der Beklagten ein Abgehen von der bisherigen Pla-
nungskonzeption im Hinblick auf eine mögliche Zerschneidung des Plangebots
durch die Trasse der neuen Ortsumgehung entgegen der Auffassung der Vorin-
stanzen nicht schon deshalb verwehrt, weil bereits 1991 für die Beteiligten er-
kennbar war, dass es insoweit Probleme geben könnte.
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5.
Eine konkludente vertragliche Risikoübernahme, wie sie der Senat im
Urteil vom 1. Dezember 1983 (III ZR 38/82 = LM BGB § 133 C Nr. 54 unter IV.
der Entscheidungsgründe) in Erwägung gezogen hat, lässt sich hier nicht fest-
stellen. Der Beschluss der Stadtverordnetenversammlung vom 13. April 1992,
in dem das Berufungsgericht die wesentliche Grundlage für das angeblich
schutzwürdige Vertrauen der Schuldnerin erblickt, war in einer streitigen Ab-
stimmung gefallen, und das zu einem Zeitpunkt, wo auch nach - zutreffender -
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Auffassung des Berufungsgerichts für ein Vertrauen der Schuldnerin schon des-
halb kein Raum war, weil die seinerzeitige Konzeption aus Rechtsgründen nicht
realisierbar gewesen war. Nach dem Beginn des vom Berufungsgerichts
angesetzten Schadenszeitraums (25. August 1993) stand immer noch die Mög-
lichkeit im Raum, dass das Vorhaben mit der Planung einer Umgehungsstraße
kollidierte. Unter diesen Umständen fehlt es an hinreichenden tatsächlichen An-
haltspunkten dafür, dass die Stadtverordnetenversammlung - sei es auch still-
schweigend - für die Beklagte eine Verpflichtung zu einem finanziellen Aus-
gleich für das enttäuschte Vertrauen der Schuldnerin hatte übernehmen wollen.
Deswegen bedarf es keiner Entscheidung, ob an der Senatsrechtsprechung zur
konkludenten Risikoübernahme für Fallkonstellationen wie die hier zu beurtei-
lende, bei der ein Anspruch aus culpa in contrahendo aus Rechtsgründen
scheitert, überhaupt noch festgehalten werden kann.
6.
Daraus folgt zugleich, dass auch für einen Amtshaftungsanspruch wegen
Verletzung der Amtspflicht zu konsequentem Verhalten kein Raum ist. Die
Amtspflicht zu konsequentem Verhalten besagt, dass die Behörde verpflichtet
ist, eine in bestimmter Weise geplante und begonnene Maßnahme auch ent-
sprechend durchzuführen. Sie darf sich nicht zu dem eigenen früheren Verhal-
ten in Widerspruch setzen, wenn die gebotene Rücksichtnahme auf die Interes-
sen der Betroffenen es gebietet, das von diesen in den Bestand der Maßnahme
gesetzte Vertrauen zu schützen (Staudinger/Wurm BGB 13. Bearb. 2002 § 839
Rn. 141 m.w.N.). Solange sich die Gemeinde jedoch im Rahmen des ihr ge-
setzlich zustehenden Planungsermessens hält, kann ihr der mit der Sanktion
des Schadensersatzes bewehrte Vorwurf einer amtspflichtwidrigen Inkonse-
quenz nicht gemacht werden. Insbesondere ist der vorliegende Fall nicht mit
demjenigen vergleichbar, der dem Senatsurteil BGHZ 76, 343, 351 zugrunde
gelegen hatte, wo der Senat im Ergebnis eine Verletzung der Amtspflicht zu
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konsequentem Verhalten bejaht hat: Die dort in Rede stehende Bauleitplanung
hatte die Grundlage für eine - ansonsten nach § 34 BBauG zu beurteilende -
Baugenehmigung bilden sollen, die die Gemeinde vorher durch zahlreiche
rechtliche Teilschritte, insbesondere eine Bodenverkehrsgenehmigung, soweit
gefördert hatte, dass lediglich der Abschluss eines Erschließungsvertrages fehl-
te, den sie dann grundlos abgelehnt hatte. Immerhin hatte der Senat sogar dort
in Erwägung gezogen, dass ein Verschulden der Gemeinde hätte ausscheiden
können, wenn dem ins Auge gefassten Vertrag die Grundlage dadurch entzo-
gen worden wäre, dass der Gemeinderat eine andere Planungskonzeption ent-
wickelt und das bisherige Planaufstellungsverfahren aufgegeben hätte (aaO
S. 349).
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7.
Das Berufungsurteil kann nach alledem keinen Bestand haben. Da weite-
re Tatsachenfeststellungen nicht in Betracht kommen, ist die Sache im Sinne
einer Klageabweisung entscheidungsreif, ohne dass es einer Zurückverweisung
bedarf.
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Schlick Wurm
Dörr
Galke
Herrmann
Vorinstanzen:
LG Frankfurt (Oder), Entscheidung vom 08.01.1999 - 17 O 396/96 -
OLG Brandenburg, Entscheidung vom 22.09.2004 - 13 U 68/99 -