Urteil des BGH vom 01.12.2005

BGH (nötigung, stgb, stpo, boden, opfer, verhalten, verurteilung, schuldspruch, annahme, gewalt)

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 506/05
vom
1. Dezember 2005
in der Strafsache
gegen
wegen schweren Raubes u.a.
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbun-
desanwalts und des Beschwerdeführers am 1. Dezember 2005 gemäß §§ 349
Abs. 2 und 4, 354 Abs. 1 a StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des
Landgerichts Dortmund vom 14. Juni 2005 im Schuld-
spruch dahin geändert, dass die tateinheitliche Verurtei-
lung wegen Nötigung (Fall II. 1 der Urteilsgründe) entfällt.
2.
Die weiter gehende Revision wird verworfen.
3.
Der Angeklagte trägt die Kosten seines Rechtsmittels.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren Raubes in Tat-
einheit mit Vergewaltigung und mit Körperverletzung sowie wegen einer weite-
ren Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe
von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der
Angeklagte mit seiner Revision, mit der er das Verfahren beanstandet und die
Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat nur den aus der Be-
schlussformel ersichtlichen geringfügigen Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet
im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Die Formalrüge, mit der der Beschwerdeführer das Absehen von einer
Vereidigung der Belastungszeugin T. beanstandet, ist unbegründet. Insoweit
verweist der Senat auf die zutreffenden Ausführungen des Generalbundesan-
walts in seiner Antragsschrift vom 27. Oktober 2005.
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2. Die Überprüfung des Urteils auf Grund der allgemeinen Sachrüge hat
einen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten nur insoweit ergeben, als das
Landgericht ihn im Fall II. 1 der Urteilsgründe - neben der rechtsfehlerfrei fest-
gestellten Körperverletzung - auch wegen tateinheitlich begangener Nötigung
(§ 240 StGB) verurteilt hat.
Nach den insoweit getroffenen Feststellungen ging der Angeklagte "un-
vermittelt massiv gegen sein Opfer vor", indem er der Frau von hinten die Beine
wegzog, so dass sie zu Boden stürzte. Sodann warf er sich "blitzschnell auf sie
und drückte ihr mit seinem auf die Halsvorderseite plazierten Ellenbogen die
Luft ab, so dass sie heftig nach Atem rang". Auf ihr Schreien kam ihr "nur Se-
kunden später" die Zeugin H. zu Hilfe, die dem Angeklagten eine Pfefferspray-
dose warnend vorhielt. Darauf gab der Angeklagte "endgültig sein Vorhaben,
sein Opfer weiter tätlich anzugreifen, auf".
Das Landgericht meint, der Angeklagte habe den Tatbestand der Nöti-
gung (§ 240 StGB) verwirklicht, indem er die Geschädigte "für wenige Augenbli-
cke am Boden fixierte und somit in ihrer Bewegungsfreiheit kurzfristig lähmte".
Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
§ 240 StGB ist als Erfolgsdelikt ausgestaltet. Die Anwendung des Nöti-
gungsmittels muss in kausalem Sinne zu dem vom Täter geforderten Verhalten
des Opfers führen (BGHSt 37, 350, 353; BGHR StGB § 240 Abs. 1 Nötigungs-
erfolg 3). Entscheidende Voraussetzung für die Annahme einer Nötigung ist
deshalb, dass der Genötigte als Folge der tatbestandsmäßigen Handlung mit
einem von ihm vom Täter geforderten Verhalten zumindest begonnen hat (vgl.
BGHR aaO Nötigungserfolg 2). Hier fehlt es für die Annahme einer (auch nur
versuchten) Nötigung an einem von dem Angeklagten mit seinem tätlichen
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Übergriff erstrebten Verhalten der Geschädigten. Vielmehr hat die Strafkammer
sich nicht davon zu überzeugen vermocht, dass der Angeklagte über den tätli-
chen Angriff hinaus weitergehende - etwa, was hier besonders nahe lag, sexu-
elle - Ziele verfolgte. Bei dieser Sachlage ging die Einwirkung des Angeklagten
auf die Geschädigte nicht über die mit der Körperverletzungshandlung verbun-
dene Beeinträchtigung hinaus. Daran ändert nichts, dass der Angeklagte sein
Opfer dabei kurzfristig "am Boden fixierte". Denn dies war lediglich unselbstän-
diger Teil der vom Angeklagten gegen die Geschädigte ausgeübten Gewalt
(vgl. Hruschka NJW 1996, 160, 162). Ein eigenständiger, vom Tatbestand des
§ 240 StGB erfasster Unrechtsgehalt lag darin nicht.
Die Verurteilung wegen Nötigung muss deshalb entfallen. Der Senat än-
dert den Schuldspruch entsprechend § 354 Abs. 1 StPO.
3. Die Schuldspruchänderung im Fall II. 1 lässt im Ergebnis den Einzel-
strafausspruch von einem Jahr Freiheitsstrafe unberührt. Allerdings hat das
Landgericht zu Lasten des Angeklagten auch in diesem Fall die Verwirklichung
mehrerer Tatbestände gewertet (UA 27). Doch erhält die Tat ihr Gewicht allein
durch die Intensität des Übergriffs und den Umstand, dass der Angeklagte nur
einen Tag später einen im Ansatz gleichartigen, allerdings erheblich schwerer
wiegenden Überfall verübte. An diesem Schuldgehalt der Tat ändert die rechtli-
che Bewertung der Tat "nur" als Körperverletzung - und nicht auch als Nötigung
- nichts. Unabhängig davon, ob danach der Einzelstrafausspruch im Fall II. 1
der Urteilsgründe überhaupt auf dem aufgezeigten Rechtsfehler beruhen kann
(§ 337 Abs. 1 StPO), erachtet der Senat die Einzelstrafe jedenfalls als ange-
messen im Sinne der durch das 1. Justizmodernisierungsgesetz vom 24. Au-
gust 2004 (BGBl I 2198, 2203) eingeführten Vorschrift des § 354 Abs. 1 a StPO
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(vgl. Senatsurteil vom 30. August 2005 - 4 StR 295/05). Einer Aufhebung und
Zurückverweisung an den Tatrichter bedarf es deshalb nicht.
Tepperwien Maatz Athing
Ernemann Sost-Scheible