Urteil des BGH vom 27.01.2009

BGH (verdeckter ermittler, stpo, vernehmung, tod, sohn, haftrichter, nachteil, rüge, treffen, schweigerecht)

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 296/08
vom
27. Januar 2009
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des
Generalbundesanwalts und nach Anhörung der Beschwerdeführerin am
27. Januar 2009 gemäß § 349 Abs. 2 StPO beschlossen:
Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des
Landgerichts Dortmund vom 13. November 2007 wird als
unbegründet verworfen.
Die Beschwerdeführerin hat die Kosten des Rechtsmittels und
die den Nebenklägern im Revisionsverfahren entstandenen
notwendigen Auslagen zu tragen.
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Mordes in drei Fällen zu
lebenslanger Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt und die besondere
Schwere der Schuld der Angeklagten festgestellt. Als Mordmerkmal hat es
jeweils niedrige Beweggründe angenommen. Nach den Feststellungen
erstickte die Angeklagte am 23. Juli 2001 ihre zwei Monate alte Tochter
Chantal, am 13. September 2001 ihren 20 Monate alten Sohn Pascal sowie am
25. April 2004 ihren am 24. September 2002 geborenen Sohn Kevin jeweils mit
einem Kissen. Ihre Kinder, um die sich schon zu Lebzeiten überwiegend
andere Personen gekümmert hatten, waren der Angeklagten “lästig“ geworden,
weil sich die Beziehungen zu den jeweiligen Vätern abgekühlt hatten, die
Angeklagte neue Beziehungen eingegangen war und die Kinder diesen “im
Wege“ standen. Die Revision der Angeklagten, mit der sie die Verletzung
materiellen und formellen Rechts rügt, hat keinen Erfolg. Sie ist - wie der
Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift im Einzelnen zutreffend
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ausgeführt hat - offensichtlich unbegründet i.S.d. § 349 Abs. 2 StPO. Der
Erörterung bedarf nur folgendes:
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1. Die Angeklagte macht die Verletzung der Grundsätze der
Selbstbelastungsfreiheit und des fairen Verfahrens geltend. Der im
Ermittlungsverfahren eingesetzte Verdeckte Ermittler habe ihr unter
Ausnutzung des von ihm geschaffenen Vertrauensverhältnisses in
vernehmungsähnlichen Befragungen selbstbelastende Angaben entlockt.
Deshalb unterlägen sowohl ihre Angaben gegenüber dem Verdeckten Ermittler
als auch ihre Angaben bei den polizeilichen Vernehmungen, bei der
Vernehmung durch den Haftrichter und bei der Exploration durch die
Sachverständige einem Verwertungsverbot. Der Rüge liegt im Wesentlichen
folgendes Verfahrensgeschehen zu Grunde:
Am 30. April 2004 wurde die Angeklagte wegen des Verdachts, ihre drei
Kinder getötet zu haben, nach Belehrung über ihre Rechte polizeilich als
Beschuldigte vernommen. Sie erklärte, zu dem Tod ihrer Kinder Chantal und
Pascal wolle sie keine Angaben machen, weil „die Sache“ für sie
abgeschlossen sei. Bezüglich ihres Sohnes Kevin war sie zu einer Aussage
bereit, stellte jedoch den Vorwurf in Abrede. Auf Vorhalt der gegen sie
vorliegenden Verdachtsmomente bestritt sie, ihre Kinder umgebracht zu haben.
Schließlich erklärte sie, zu den gegen sie erhobenen Vorwürfen nichts mehr
sagen zu wollen. Nach weiteren ergebnislosen Ermittlungen stimmte das
Amtsgericht Dortmund am 21. Januar 2005 dem Einsatz eines Verdeckten
Ermittlers gegen die Angeklagte für die Dauer von zunächst sechs Monaten zu
und erneuerte die Zustimmung mehrfach. Der Verdeckte Ermittler gab sich als
Verfasser eines Buches über Chatgewohnheiten aus, der Personen suche,
deren Geschichten er für sein Buch verwenden könne. In der Zeit von Anfang
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Februar 2005 bis zum 29. August 2006 trafen sich der Verdeckte Ermittler und
die Angeklagte insgesamt 28-mal. Darüber hinaus hatten sie per SMS, E-Mail
und Telefon Kontakt. Um das Vertrauensverhältnis zur Angeklagten zu
untermauern, lenkte der Verdeckte Ermittler in Absprache mit seinem
Führungsbeamten ab Anfang 2006 die Aufmerksamkeit der Angeklagten
wiederholt auf seine eigene Vergangenheit und vertraute ihr am 14. Februar
2006 - wahrheitswidrig - an, er habe im Alter von ca. 20 Jahren seine
Schwester getötet, was sonst niemand wisse. Zu einem Treffen der
Angeklagten mit dem Verdeckten Ermittler in einem Café im Juli 2006 kam der
die Ermittlungen führende Kriminalbeamte hinzu und erklärte, dass er noch
immer davon überzeugt sei, dass die Angeklagte etwas mit dem Tod ihrer drei
Kinder zu tun habe. Nach weiteren Treffen gestand die Angeklagte dem
Verdeckten Ermittler schließlich, ihren Sohn Pascal getötet zu haben. Auf
Nachfragen des Verdeckten Ermittlers äußerte sie sich zu ihrem Motiv und zu
Einzelheiten der Ausführung der Tat.
Bei ihrer Festnahme am 2. Oktober 2006 wurde die Angeklagte gemäß
§ 136 Abs. 1 Satz 2 StPO belehrt. Ihr wurde der Haftbefehl wegen Mordes aus
niedrigen Beweggründen in drei Fällen ausgehändigt, der unter anderem
darauf gestützt war, dass sie gegenüber einem Verdeckten Ermittler die Tötung
Pascals eingeräumt habe. Die Angeklagte verzichtete nach erneuter Belehrung
über ihre Rechte als Beschuldigte auf die Hinzuziehung ihres Verteidigers.
Nach einem Vorgespräch, in dessen Verlauf ihr klar wurde, dass ihre
Beziehung zu dem Verdeckten Ermittler auf einer Lüge aufgebaut war, räumte
die Angeklagte ein, ihre drei Kinder Chantal, Pascal und Kevin mit einem
Kissen erstickt zu haben. Bei der Verkündung des Haftbefehls durch den
Haftrichter erklärte sie nach Belehrung, dass der Inhalt des Haftbefehls
zutreffe. Im Rahmen der Exploration durch die psychiatrische Sachverständige
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wiederholte die Angeklagte ihr Geständnis. In der Hauptverhandlung erklärte
sie, ihre Angaben bei der Exploration seien von der Sachverständigen
zutreffend wiedergegeben worden; im Übrigen berief sie sich im Wesentlichen
auf ihr Schweigerecht.
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2. Die Verurteilung wegen des Mordes zum Nachteil des Kindes Kevin
wird, worauf der Generalbundesanwalt zutreffend hingewiesen hat, von der
Verfahrensrüge schon deshalb nicht berührt, weil das Landgericht seine
Überzeugungsbildung insoweit nicht auch auf die geständigen Angaben der
Angeklagten, sondern rechtsfehlerfrei allein auf das übrige Beweisergebnis
gestützt hat. Auch soweit das Landgericht die Verurteilung wegen der Morde
zum Nachteil der Kinder Chantal und Pascal auf die geständigen Angaben der
Angeklagten gestützt hat, hat die Verfahrensrüge im Ergebnis keinen Erfolg.
a) Die Revision beanstandet mit der insoweit zulässig erhobenen Rüge
allerdings zu Recht, dass das Landgericht die geständigen Angaben der
Angeklagten gegenüber dem Verdeckten Ermittler zur Tötung ihres Sohnes
Pascal verwertet hat.
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Zwar sind die von einem Verdeckten Ermittler gewonnenen Erkenntnisse
im Grundsatz verwertbar, wenn die Voraussetzungen für seinen Einsatz und
die hierfür erforderliche richterliche Zustimmung (§§ 110 a Abs. 1 Satz 4, 110 b
Abs. 2 Nr. 2 StPO) vorlagen (vgl. BGHSt 52, 11, 14 f.), was hier der Fall war
und von der Revision auch nicht in Frage gestellt wird. Ein Verdeckter Ermittler
darf aber einen Beschuldigten, der sich auf sein Schweigerecht berufen hat,
nicht unter Ausnutzung eines geschaffenen Vertrauensverhältnisses beharrlich
zu einer Aussage drängen und ihm in einer vernehmungsähnlichen Befragung
Äußerungen zum Tatgeschehen entlocken. Eine solche Beweisgewinnung
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verstößt gegen den Grundsatz, dass niemand verpflichtet ist, sich selbst zu
belasten, und hat regelmäßig ein Beweisverwertungsverbot zur Folge (BGHSt
52, 11 f. [L. S.], 17 ff.; vgl. EGMR StV 2003, 257, 259). So liegt es hier.
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Entgegen der Auffassung des Landgerichts hat der Verdeckte Ermittler,
was unbedenklich wäre (vgl. BGH aaO S. 22), das zwischen ihm und der
Angeklagten bestehende Vertrauensverhältnis nicht lediglich genutzt, um
Informationen aufzunehmen, die ihm die Angeklagte von sich aus gegeben hat.
Zwar hatte sich der Verdeckte Ermittler zunächst darauf beschränkt, ein
Vertrauensverhältnis aufzubauen und zu pflegen, in der Hoffnung, die
Angeklagte werde eines Tages von sich aus auf die Vorwürfe zu sprechen
kommen und die Taten einräumen. Als die Angeklagte nach nahezu einem
Jahr keine sich selbst belastenden Angaben gemacht hatte, begann der
Verdeckte Ermittler aber in Absprache mit seinem Führungsbeamten damit, auf
die Angeklagte mit dem Ziel, sie zu solchen Angaben zu veranlassen,
einzuwirken. Mit dem wahrheitswidrigen Bekenntnis bei dem Treffen am
14. Februar 2006, er habe seine Schwester getötet, brachte er die Angeklagte
dazu, dass sie nur wenige Tage später Angaben zum Tod ihrer Tochter
Chantal machte und schließlich auf Nachfragen des Verdeckten Ermittlers ihren
Ehemann der Tat bezichtigte. Am 6. Juli 2006 erschien der ermittelnde
Kriminalbeamte nach Absprache mit dem Verdeckten Ermittler in dem Café, in
dem sich die Angeklagte und der Verdeckte Ermittler getroffen hatten, und
konfrontierte sie gezielt erneut mit dem Verdacht, ihre Kinder getötet zu haben,
um dem Verdeckten Ermittler Gelegenheit zu geben, das laufende Verfahren
und die Tatumstände zu Sprache zu bringen. Durch den anschließenden
Vorschlag des Verdeckten Ermittlers, er könne die Polizei aufsuchen und
angeben, dass ihr Ehemann Chantal getötet habe, wurde der Druck auf die
Angeklagte erhöht. „Angesichts der von ihr empfundenen
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‚Seelenverwandtschaft‘“ vertraute die Angeklagte am 10. August 2006 in einem
vom Verdeckten Ermittler heimlich aufgezeichneten Gespräch diesem
schließlich an, Pascal erstickt zu haben.
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Die Vorgehensweise des Verdeckten Ermittlers war verfahrensrechtlich
unzulässig, weil er der Angeklagten unter Ausnutzung des im Verlauf seines
fast anderthalb Jahre dauernden, in der Intensität zunehmenden Einsatzes
geschaffenen Vertrauens selbstbelastende Angaben zur Sache entlockt hat,
obwohl sie sich bei ihrer polizeilichen Vernehmung am 30. April 2004 für das
Schweigen zu den gegen sie erhobenen Tatvorwürfe entschieden hatte (vgl.
BGH aaO S. 19). Das Gespräch mit dem Verdeckten Ermittler am 10. August
2006, in dem die Angeklagte die Tötung ihres Sohnes Pascal einräumte, stellt
sich wegen der vorausgegangen Einwirkungen auf die Entscheidungsfreiheit
der Angeklagten „als funktionales Äquivalent einer staatlichen Vernehmung“
dar (vgl. EGMR aaO).
b) Auch soweit die Angeklagte wegen Mordes zum Nachteil ihrer Kinder
Chantal und Pascal verurteilt worden ist, beruht das Urteil jedoch nicht auf der
aus den vorgenannten Gründen unzulässigen Verwertung der Angaben der
Angeklagten gegenüber dem Verdeckten Ermittler. Die Feststellungen zur
vorsätzlichen Tötung der Kinder Chantal und Pascal beruhen vielmehr
maßgeblich auf den geständigen Angaben der Angeklagten bei den
polizeilichen Vernehmungen, bei der Vernehmung durch den Haftrichter, auf
ihren - in der Hauptverhandlung bestätigten - Angaben bei der Exploration
durch die Sachverständige und auf dem übrigen Beweisergebnis. Soweit sich
die Angeklagte mit der Verfahrensrüge gegen die Verwertung dieser
geständigen Angaben wendet, greift die Rüge schon deshalb nicht durch, weil
sie insoweit aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts
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angeführten Gründen nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO
genügt. Insbesondere hätte es der Mitteilung des Inhalts der
Vernehmungsprotokolle, der im schriftlichen Gutachten der Sachverständigen
wiedergegebenen Angaben der Angeklagten bei der Exploration und des
Inhalts des Haftbefehls bedurft.
Tepperwien Maatz Athing
RiBGH Dr. Ernemann ist
infolge Krankheit gehindert
zu
unterschreiben
Tepperwien Mutzbauer