Urteil des BGH vom 25.01.2006

BGH (wiederaufnahme des verfahrens, einstellung des verfahrens, vorläufige einstellung, vorläufige einstellung des verfahrens, stpo, hinreichender tatverdacht, hauptverhandlung, einstellung, firma, staatsanwaltschaft)

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
1 StR 438/05
vom
25. Januar 2006
in der Strafsache
gegen
wegen Betruges u.a.
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Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 25. Januar 2006 gemäß
§§ 154 Abs. 2, 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf Antrag des Generalbundesanwalts wird das Verfahren hin-
sichtlich der Fälle II. 2 Nr. 1 bis 10 der Urteilsgründe (Vereite-
lung der Zwangsvollstreckung im Zeitraum 12. November 1999
bis 10. Oktober 2000) gemäß § 154 Abs. 2 StPO vorläufig ein-
gestellt.
Insoweit trägt die Staatskasse die Kosten des Verfahrens und
die notwendigen Auslagen des Angeklagten.
2. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landge-
richts München I vom 13. Mai 2005 im Schuldspruch dahinge-
hend geändert, dass der Angeklagte des Betruges sowie der
Vereitelung der Zwangsvollstreckung in 19 Fällen schuldig ist.
Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
3. Die verbleibenden Kosten des Rechtsmittels hat der Angeklagte
zu tragen.
Gründe:
Das Landgericht München I hat den Angeklagten wegen Betruges sowie
Vereitelung der Zwangsvollstreckung in 29 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstra-
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fe von vier Jahren verurteilt. Der Gesamtfreiheitsstrafe lagen Einzelstrafen für
den Betrug von drei Jahren und zehn Monaten und für jeden Fall der Vereite-
lung der Zwangsvollstreckung von 50 Tagessätzen zu je 20 Euro zugrunde.
I.
Die Einstellung des Verfahrens in den Fällen II. 2 Nr. 1 bis 10 der Urteils-
gründe - Verurteilungen zu jeweils 50 Tagessätzen zu je 20 Euro wegen Verei-
telung der Zwangsvollstreckung in zehn Fällen - hat keinen Einfluss auf die ver-
hängte Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren. Angesichts der Einsatzstrafe von
drei Jahren zehn Monaten wegen Betruges kann ausgeschlossen werden, dass
das Landgericht auf eine niedrigere Gesamtfreiheitsstrafe erkannt hätte, wenn
es von dem nunmehr gegebenen Schuldumfang ausgegangen wäre (vgl. § 354
Abs. 1, 1a, 1b Satz 3 StPO; BGH NJW 2005, 912).
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II.
In dem nach der Einstellung verbliebenen Umfang hat die Nachprüfung
des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen durchgreifenden
Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).
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Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
Der Angeklagte initiierte zusammen mit den anderweitig verfolgten
J. und G. das „I. -Anlagemodell“. Sie veranlassten die
Gründung der Firma I. -Immobilienbeteiligungs GmbH (nachfolgend:
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Firma I. ), deren einziger Gesellschafter und Geschäftsführer der be-
reits rechtskräftig verurteilte St. war. An dieser Firma für Immobilienin-
vestitionen sollten sich zum Zweck der Kapitalbeschaffung Anleger als stille
Gesellschafter beteiligen. Dem Tatplan entsprechend wurden unter Verwen-
dung eines Emissionsprospekts auf diese Weise bis zum 31. Dezember 2003
insgesamt 2.485 Personen als atypisch stille Gesellschafter geworben, von de-
nen am 31. Dezember 2003 noch 1.399 Personen mit einer Gesamtzeich-
nungssumme von 35 Mio. € und einer erbrachten Gesamteinlagesumme von
5,8 Mio. € vorhanden waren. Das in dem Prospekt beworbene Konzept war, wie
der Angeklagte wusste, wegen zu hoher Kosten in Zusammenhang mit dem
Vertrieb nicht realisierbar. Im Übrigen wurden, wie von Anfang an beabsichtigt,
auch keine Immobilieninvestitionen getätigt. Der Angeklagte und St. ver-
wendeten vielmehr Gelder in einer Gesamthöhe von 2.080.518,30 € für sich,
wobei an den Angeklagten allein 1.182.891 € flossen.
Außerdem vereinnahmte der Angeklagte in Absprache mit St. Ho-
norare über insgesamt 396.520 DM nicht auf dem Firmenkonto der Firma F.
GmbH, sondern auf dem Firmenkonto der ebenfalls von ihm ge-
führten Firma Im. GmbH, um sie der drohenden Vollstreckung der
Finanzbehörden zu entziehen.
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Folgende Rügen des Angeklagten bedürfen - ergänzend zur Antrags-
schrift des Generalbundesanwalts sowie unter Berücksichtigung des weiteren
Revisionsvorbringens - näherer Erörterung:
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1. Das von der Revision geltend gemachte Verfahrenshindernis des
Strafklageverbrauchs infolge der ursprünglich von der Staatsanwaltschaft vor-
genommenen Sachbehandlung nach §§ 154, 154a StPO ist nicht gegeben.
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Die Verfolgung der in zeitlichem Zusammenhang mit der Erhebung der
ersten (später zurückgenommenen) Anklage mit Verfügung vom 28. Juli 2004
nach §§ 154, 154a StPO vorläufig eingestellten Straftaten konnte wieder aufge-
nommen werden.
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Die staatsanwaltliche Verfügung ist als vorläufige Einstellung des Verfah-
rens nach § 154 Abs. 1 StPO, nicht als Verfahrensbeschränkung nach § 154a
Abs. 1 StPO zu qualifizieren. Verwertungs- und Sicherungshandlungen bleiben
regelmäßig auch dann selbständige prozessuale Taten, wenn sie materiell-
rechtlich als mitbestrafte Nachtaten für eine selbständige Bestrafung ausschei-
den (vgl. KK-Engelhardt, StPO 5. Aufl. § 264 Rdn. 4). Die die Möglichkeit der
Wiederaufnahme einschränkenden Absätze 3 und 4 des § 154 StPO gelten nur
im Fall einer gerichtlichen Einstellung. Die Staatsanwaltschaft kann hingegen
das Verfahren jederzeit wieder aufnehmen (vgl. BGHSt 30, 165; 37, 10, 13).
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Vorliegend hat die Staatsanwaltschaft München I das Verfahren mit der
insgesamt dritten Anklageerhebung konkludent wieder aufgenommen. Dies er-
gibt sich eindeutig aus der Anklageschrift vom 29. Oktober 2004 selbst. Auch
aus der Verfügung vom 28. Juli 2004 sowie der neuerlichen Einstellungsverfü-
gung (im Zusammenhang mit der dritten Anklageerhebung) vom 29. Oktober
2004, die keine vorläufige Einstellung hinsichtlich des Betrugsvorwurfs mehr
enthält, folgt nichts anderes. Denn im Interesse einer Verfahrensbeschleuni-
gung war es angezeigt, bei dem bereits mit der Sache befassten Gericht die
Sache erneut und in dem Umfang anzuklagen, soweit ein hinreichender Tatver-
dacht im Sinne von § 203 StPO gegeben ist. Dies war vorliegend zweifelsfrei
der Fall, wie sich aus der nach der Einstellung verbleibenden rechtsfehlerfreien
Verurteilung ergibt.
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Die fehlende Anhörung des Angeklagten vor Wiederaufnahme des Ver-
fahrens seitens der Staatsanwaltschaft kann nicht zu einem Verfahrenshinder-
nis führen. Allenfalls ein Verfahrensfehler vor Eröffnung des Hauptverfahrens
wäre vorstellbar. Dabei kann jedoch vorliegend dahingestellt bleiben, ob die
Staatsanwaltschaft in diesem Fall überhaupt zur Anhörung verpflichtet ist oder
- mangels Vertrauenstatbestand - eine Anhörung wie bei Einleitung der Ermitt-
lungen oder Wiederaufnahme des Verfahrens nach Einstellung gemäß § 170
Abs. 2 StPO unterbleiben kann. Jedenfalls kann hier ausgeschlossen werden,
dass das Urteil auf der Versagung rechtlichen Gehörs zur Wiederaufnahme des
Verfahrens seitens der Staatsanwaltschaft beruht (§ 337 Abs. 1 StGB), zumal
der Angeklagte im Zwischenverfahren umfangreich Stellung genommen hat.
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2. Die Verfahrensrüge, das Geständnis des Verurteilten St. , das
dieser nach Abtrennung des Verfahrens gegen ihn abgelegt habe, sei nicht in
die Hauptverhandlung eingeführt worden, ist jedenfalls unbegründet.
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Der Angeklagte macht mit der Rüge geltend, dass sich das Urteil auf Er-
kenntnisse außerhalb der Hauptverhandlung stütze, und trägt vor, das Ges-
tändnis des Verurteilten St. sei nicht in die Hauptverhandlung eingeführt
worden. Das Protokoll ergebe, dass weder das Urteil verlesen noch ein Zeuge
zu dem Geständnis gehört worden sei.
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Die Rüge, es seien Erkenntnisse verwertet worden, die nicht Gegenstand
der Hauptverhandlung gewesen seien, kann allenfalls dann Erfolg haben, wenn
ohne Rekonstruktion der Hauptverhandlung der Nachweis geführt werden kann,
dass die im Urteil getroffenen Feststellungen nicht durch die in der Hauptver-
handlung benutzten Beweismittel und auch sonst nicht aus dem zum Inbegriff
der Handlung gehörenden Vorgängen gewonnen worden sind (vgl. KK-Schoreit,
StPO 5. Aufl. § 261 Rdn. 52). Vorliegend ergibt sich, dass das Geständnis
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durch Vorhalt in die Verhandlung eingeführt worden ist. Das Hauptverhand-
lungsprotokoll enthält hierzu folgende Feststellungen:
"Die Verhandlung wurde um 10.15 Uhr unterbrochen und um 11.25 Uhr
fortgesetzt.
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Dem Angeklagten H. wurden die Anklagevorwürfe und
Überlegungen dazu sowie die Überlegungen zur rechtlichen Würdigung in An-
lehnung an die Ausführungen im Eröffnungsbeschluss und an das gegen den
ehemaligen Mitangeklagten St. ergangene Urteil, die einer einvernehmli-
chen Regelung zugrundezulegen wären, nochmals vom Vorsitzenden ausdrück-
lich erläutert.
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Die Verhandlung wurde um 11.45 Uhr unterbrochen und um 11.48 Uhr
fortgesetzt."
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Dem Protokoll zufolge ist das Urteil damit zum Inbegriff der Hauptver-
handlung gemacht worden. Die Verfahrensrüge ist daher jedenfalls unbegrün-
det. Ob die Rüge, wie der Generalbundesanwalt meint, darüber hinaus bereits
unzulässig ist, da die Revisionsbegründungsschrift den oben zitierten Protokoll-
ausschnitt nicht im Rahmen dieser Rüge wiedergibt, kommt es daher nicht an.
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3. Die mit „unzulässige Urteilsabsprache“ bezeichnete Rüge dringt eben-
falls nicht durch. Im Kern zielt sie darauf, die Verurteilung des Angeklagten sei
ohne jegliche Überprüfung der Glaubhaftigkeit seines Geständnisses erfolgt.
Sie greift damit die richterliche Beweiswürdigung an und ist als Sachrüge zu
beurteilen.
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Auch für die Bewertung eines Geständnisses gilt der Grundsatz der frei-
en richterlichen Beweiswürdigung. Das Tatgericht muss allerdings, will es die
Verurteilung des Angeklagten auf dessen Einlassung stützen, von deren Rich-
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tigkeit überzeugt sein; dies war hier der Fall. Wann und unter welchen Umstän-
den es diese Überzeugung gewinnen darf oder nicht, kann ihm jedoch grund-
sätzlich nicht vorgeschrieben werden (vgl. BGH NStZ 1999, 92, 93). Erforderlich
ist allerdings, dass die Einlassung über ein inhaltsleeres Formalgeständnis hi-
nausgeht (vgl. BGH - Großer Senat für Strafsachen - NJW 2005, 1440, 1442;
BGHR § 302 Abs. 1 Satz 1 StPO, Rechtsmittelverzicht 25).
Vorliegend hat die Strafkammer die Beurteilung des Geständnisses als
glaubhaft zum einen darauf gestützt, dass der Angeklagte die Taten nach ei-
nem Gespräch über die in der Anklageschrift erhobenen Vorwürfe in der Haupt-
verhandlung eingeräumt hat, wobei die Erläuterung der Vorwürfe unter Berück-
sichtigung der Aktenlage der Besorgnis entgegensteht, bei dem Geständnis des
Angeklagten habe es sich nur um ein inhaltsleeres Formalgeständnis gehan-
delt. Zum anderen hat das Tatgericht die Übereinstimmung mit dem Geständnis
des Verurteilten St. ebenso gewürdigt wie auch die Aussagen der beiden
Mitangeklagten, wobei diese allerdings nicht den Kernbereich der Tatvorwürfe
gegen den Angeklagten betroffen haben.
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Dass das Gericht unter diesen Umständen die Überzeugung von der
Richtigkeit des Geständnisses gewonnen hat, ist nicht zu beanstanden. Dass
der Angeklagte bei seiner Einlassung keine detaillierte Angaben mehr zum An-
klagevorwurf gemacht und das Geständnis im Hinblick auf die Inaussichtstel-
lung einer Strafobergrenze erfolgt ist, stehen seiner Glaubhaftigkeit nicht entge-
gen (vgl. BGH NStZ 1999, 92).
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4. Auch die Sachrüge, das Urteil enthalte keine ausreichenden Sachver-
haltsfeststellungen zur Betrugstat, greift nicht durch. Die Darstellung der Tat
lässt die Merkmale des gesetzlichen Tatbestands erkennen und bezeichnet die
Tat so konkret, dass sie von anderen Taten unterscheidbar ist (vgl. KK-
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Engelhardt, StPO 5. Aufl. § 267 Rdn. 9). Damit ist die Rechtskraftwirkung des
Urteils klar umrissen. Dass die geschädigten stillen Gesellschafter der Firma
I. nicht einzeln in der angefochtenen Entscheidung genannt werden,
ist unschädlich. Da die Kammer den Angeklagten nur wegen einer Betrugstat
zum Nachteil aller geschädigten Anleger verurteilt hat, können Probleme im Zu-
sammenhang mit der Rechtskrafterstreckung nicht entstehen.
Dass das Urteil im Übrigen den festgestellten Betrugsschaden auf die
Beträge beschränkt, welche der Angeklagte und der Verurteilte St. für
sich verwendeten, beschwert den Angeklagten nicht.
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Nack Wahl Kolz
Elf Graf