Urteil des BGH vom 16.10.2003

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
IX ZB 36/03
vom
16. Oktober 2003
in dem Insolvenzverfahren
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
ZPO § 569 Abs. 1 Satz 2; InsO § 6 Abs. 2, § 252 Abs. 1 Satz 1
Die gesetzliche Regelung, daß die Frist von zwei Wochen zur Einlegung der
sofortigen Beschwerde gegen den Beschluß, durch den der Insolvenzplan
bestätigt oder versagt wird, mit der Verkündung des Beschlusses beginnt,
bleibt auch dann maßgebend, wenn vom Gericht hierüber falsch belehrt
worden ist.
ZPO § 236 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 D
Zur Wiedereinsetzung von Amts wegen, wenn über den Beginn der Rechts-
mittelfrist gegen einen verkündeten Beschluß vom Gericht falsch belehrt
worden ist.
BGH, Beschluß vom 16. Oktober 2003 - IX ZB 36/03 - LG Flensburg
AG Flensburg
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Dr. Kreft und die Richter Dr. Fischer, Raebel, Dr. Bergmann und Vill
am 16. Oktober 2003
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluß des Einzelrichters
der 5. Zivilkammer des Landgerichts Flensburg vom 21. Januar
2003 wird auf Kosten der Gläubigerin als unzulässig verworfen.
Beschwerdewert: 3.000
Gründe:
I.
Auf Eigenantrag des T. vom 24. Oktober 2001 wurde
durch Beschluß des Amtsgerichts Flensburg vom 1. Januar 2002 wegen Zah-
lungsunfähigkeit das Regelinsolvenzverfahren über dessen Vermögen eröffnet.
Durch Beschluß vom 5. Juli 2002 hat das Amtsgericht den vom Schuldnerver-
treter vorgelegten Insolvenzplan bestätigt. Die hiergegen eingelegte sofortige
Beschwerde hat das Landgericht Flensburg mit Beschluß vom 21. Januar 2003
verworfen, gleichzeitig den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
wegen Versäumnis der Rechtsmittelfrist als unzulässig zurückgewiesen.
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Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde. Sie macht geltend, daß
für den Beginn des Laufs der Frist für die Einlegung eines Rechtsmittels eine
hierfür erteilte falsche Rechtsmittelbelehrung maßgebend sei. Wiedereinset-
zung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Rechtsmittelfrist müsse
zwingend von Amts wegen gewährt werden, wenn die versäumte Prozeßhand-
lung rechtzeitig nachgeholt sei.
II.
Die gemäß § 7 InsO i.V.m. § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthafte Rechtsbe-
schwerde ist unzulässig, weil sie keine grundsätzliche Bedeutung hat und we-
der die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Recht-
sprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert, § 4
InsO i.V.m. § 574 Abs. 2 ZPO.
1. Die nach Auffassung der Rechtsbeschwerde zu klärende Frage, ob
für den Beginn des Laufs der Frist für die Einlegung eines Rechtsmittels eine
hierfür erteilte falsche Rechtsmittelbelehrung maßgebend ist, ist nicht von
grundsätzlicher Bedeutung. Auch einer Fortbildung des Rechts bedarf es inso-
weit nicht.
Das Landgericht geht zutreffend davon aus, daß die Beschwerdeführerin
die Rechtsmittelfrist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde nicht eingehalten
hat. Bei Einreichung des Beschwerdeschriftsatzes vom 13. August 2002 war
die Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde aus den vom Landgericht
angeführten Gründen abgelaufen.
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Das Amtsgericht war nicht verpflichtet, eine Rechtsbehelfsbelehrung zu
erteilen. Eine solche ist im Gesetz nicht vorgesehen. Eine Verpflichtung hierzu
ergibt sich auch nicht von Verfassungs wegen (BVerfG NJW 1995, 3173).
Durch die fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung wurde die Beschwerdefüh-
rerin allerdings unzutreffend über den Beginn der Rechtsmittelfrist belehrt. Dies
hat entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerdeführerin nicht zur Folge, daß
der sich aus der Rechtsmittelbelehrung ergebende Fristbeginn maßgebend
wäre. Entscheidend sind vielmehr weiterhin die gesetzlichen Regelungen. Et-
was anderes folgt, entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin, weder
aus der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs noch aus dem
Meistbegünstigungsprinzip.
Aus dem von der Rechtsbeschwerde herangezogenen Beschluß des
Bundesgerichtshofs vom 4. Februar 1992 - X ZB 18/91, NJW 1992, 1700, läßt
sich eine andere Auffassung nicht entnehmen. Sie betraf den Fall, daß das
gegen eine ausländische Partei ergangene Versäumnisurteil und eine gemein-
sam mit diesem zugestellte amtliche Belehrung unterschiedliche Angaben über
die Dauer der Einspruchsfrist enthielten. Bei Einlegung des formgerechten Ein-
spruchs war jedoch bereits die längere der beiden Fristen abgelaufen. Der
BGH hat hierzu festgestellt, daß eine fehlerhafte Bestimmung der Einspruchs-
frist allenfalls dazu geführt hätte, daß sich diese auf den angegebenen Zeit-
raum verlängert hätte. Dies war jedoch letztlich nicht zu entscheiden; außer-
dem war die längere Frist im Versäumnisurteil festgesetzt worden, die Beleh-
rung enthielt die kürzere Frist. Für den vorliegenden Fall kann daher aus der
Entscheidung nichts hergeleitet werden.
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Auch aus der Entscheidung BGHZ 140, 208 läßt sich nichts für den vor-
liegenden Fall entnehmen, weil dort maßgeblich auf eine entsprechende An-
wendung des § 58 VwGO abgestellt wird und damit auf Fälle, in denen eine
Rechtsmittelbelehrung gesetzlich vorgeschrieben ist.
Aus dem im Zivilprozeßrecht herrschenden Meistbegünstigungsprinzip
ergibt sich gleichfalls nicht, daß die unzutreffende Rechtsbehelfsbelehrung für
den Beginn der Frist maßgeblich wäre. Dieses Prinzip besagt, daß Entschei-
dungen, die in unrichtiger oder nicht eindeutiger Form erlassen worden sind,
sowohl mit dem Rechtsbehelf angefochten werden können, der ihrer Form ent-
spricht, als auch mit demjenigen, der bei verfahrensrechtlich korrekter Ent-
scheidung gegeben wäre (BGHZ 98, 362, 364; 140, 208, 217; BGH, Beschl. v.
3. November 1998 - VI ZB 29/98, NJW 1999, 583; Musielak/Ball, ZPO 3. Aufl.
vor § 511 Rn. 32; Zöller/Gummer, ZPO 23. Aufl. vor § 511 Rn. 30 f). Dasselbe
gilt, wenn unklar ist, in welcher Funktion das Gericht entschieden hat (BGH,
Beschl. v. 21. Oktober 1993 - V ZB 45/93, WM 1994, 180). Das Meistbegünsti-
gungsprinzip versagt jedoch dann, wenn die Entscheidung nach Form und In-
halt eindeutig ist (Musielak/Ball, aaO vor § 511 Rn. 32). In einem solchen Fall
besteht von Rechts wegen kein Zweifel darüber, welches Rechtsmittel gegeben
und welche Frist einzuhalten ist.
2. Die nach Auffassung der Rechtsbeschwerde als rechtsgrundsätzlich
und zur Fortbildung des Rechts zu entscheidende Frage, ob bei unrichtiger
Rechtsmittelbelehrung entgegen dem Wortlaut des § 236 Abs. 2 Satz 2
Halbs. 2 ZPO Wiedereinsetzung zwingend von Amts wegen gewährt werden
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muß, ist nicht entscheidungserheblich. Denn die Voraussetzungen für eine
Wiedereinsetzung lagen nicht vor.
a) Das Landgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag im Schriftsatz der
Beschwerdeführerin vom 30. Dezember 2002 in zutreffender Weise als unzu-
lässig behandelt.
Es ist dabei richtig davon ausgegangen, daß durch eine unzutreffende
Rechtsbehelfsbelehrung ein Vertrauenstatbestand geschaffen wird, der zur
Wiedereinsetzung wegen schuldloser Fristversäumnis berechtigt, wenn die
Belehrung einen unvermeidbaren oder zumindest entschuldbaren Rechtsirrtum
auf Seiten der Partei hervorruft und die Fristversäumnis darauf beruht (BGH,
Beschl. v. 26. November 1980 - IVb ZR 592/80, NJW 1981, 576, 577;
v. 17. Oktober 1990 - XII ZB 105/90, NJW 1991, 295, 296; v. 16. Oktober 1991
- XII ZB 113/91, FamRZ 1992, 300; v. 4. Februar 1992 - X ZB 18/91, NJW
1992, 1700; v. 23. September 1993 - LwZR 10/92, NJW 1993, 3206; Münch-
Komm-ZPO/Rimmelspacher, 2. Aufl. Aktualisierungsband ZPO-Reform vor
§ 511 ZPO Rn. 9, § 517 ZPO Rn. 14; Zöller/Vollkommer, aaO § 313 Rn. 26;
Musielak/Grandel, aaO § 233 Rn. 43).
Dabei darf sich auch eine anwaltlich vertretene Partei auf die Richtigkeit
der Belehrung durch das Gericht verlassen (Musielak/Ball, aaO § 511 ZPO
Rn. 36). Ob die Belehrung durch den Richter erfolgte (so etwa in den Fällen
BGH, Beschl. v. 26. November 1980, aaO; v. 23. September 1993, aaO), den
Rechtspfleger oder auf andere Weise, etwa durch Übersendung eines Form-
blattes durch die Geschäftsstelle, ist unerheblich. Denn es geht in allen diesen
Fällen um Verlautbarungsfehler des Gerichts, die bei den betroffenen Parteien
einen Vertrauenstatbestand schaffen.
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Der Wiedereinsetzungsantrag der Beschwerdeführerin war jedoch, wie
das Landgericht zutreffend festgestellt hat, verspätet. Spätestens mit Zugang
des Beschlusses vom 9. Oktober 2002, also spätestens Anfang November
2002, war der Beschwerdeführerin die Nichteinhaltung der Frist und die Feh-
lerhaftigkeit der Rechtsmittelbelehrung bekannt. In diesem Beschluß führt
nämlich das Amtsgericht aus, daß die von ihm erteilte Rechtsmittelbelehrung
falsch war.
b) Das Beschwerdegericht hat es unterlassen, eine Wiedereinsetzung
von Amts wegen zu prüfen, § 236 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 ZPO. Dies ist jedoch
unschädlich. Denn eine Wiedereinsetzung von Amts wegen kam nicht in Be-
tracht, weil die Voraussetzungen hierfür fehlten.
Die Wiedereinsetzung von Amts wegen gemäß § 236 Abs. 2 Satz 2
Halbs. 2 ZPO setzt voraus, daß die versäumte Prozeßhandlung innerhalb der
Antragsfrist nachgeholt wurde. Dies ist hier der Fall, weil die sofortige Be-
schwerde eingelegt wurde, bevor die Beschwerdeführerin auf die fehlerhafte
Rechtsmittelbelehrung hingewiesen wurde.
Voraussetzung ist außerdem, daß die tatsächlichen Voraussetzungen
der Wiedereinsetzung offenkundig oder aktenkundig sind (BGH, Beschl. v.
24. Mai 2000 - III ZB 8/00, NJW-RR 2000, 1590; Zöller/Greger, aaO § 236
Rn. 5; Musielak/Grandel, aaO, § 236 Rn. 8 je m.w.N.). Dies traf hier nicht zu.
Es ist weder aus den Akten ersichtlich noch offenkundig, daß die Be-
schwerdeführerin infolge der fehlerhaften Rechtsmittelbelehrung die Rechts-
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mittelfrist versäumt hat. Der Beschluß des Amtsgerichts war am 5. Juli 2002
verkündet worden. Die Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde betrug
gemäß § 252 Abs. 1 Satz 1 InsO zwei Wochen ab Verkündung und war damit
am 19. Juli 2002 abgelaufen, § 569 Abs. 1 Satz 2 ZPO i.V.m. § 6 Abs. 2 InsO.
Bei Zustellung des Protokolls an die Beschwerdeführerin am 20. August 2002
war der Beschluß damit bereits rechtskräftig. Die bei Zustellung des Beschlus-
ses beigefügte falsche Rechtsmittelbelehrung konnte die Beschwerdeführerin
nicht gehindert haben, rechtzeitig sofortige Beschwerde einzulegen.
Ein Vertrauenstatbestand durch eine unzutreffende Rechtsbehelfsbeleh-
rung wäre deshalb nur dann geschaffen worden, wenn die Rechtsmittelbeleh-
rung im Termin vom 5. Juli 2002 mit dem anzufechtenden Beschluß verkündet
worden wäre und wenn die Beschwerdeführerin dies zur Kenntnis genommen
und sich darauf verlassen hätte. Dies ist jedoch aus den Akten nicht festzu-
stellen und nicht offenkundig.
Dem Protokoll vom 5. Juli 2002 läßt sich nicht zweifelsfrei entnehmen,
ob die Rechtsmittelbelehrung verkündet worden ist. Sie war nicht Bestandteil
des Beschlusses, der ausweislich des Protokolls verkündet wurde. Es erscheint
ohne weiteres möglich, daß die Belehrung zwar ins Protokoll aufgenommen,
aber nicht verkündet, sondern erst bei Zustellung des Protokolls den Beteilig-
ten zur Kenntnis gebracht wurde. Nach dem Inhalt der Belehrung wäre dies
auch ausreichend gewesen.
Die Rechtsbeschwerdeführerin hat bei Einlegung und Begründung der
sofortigen Beschwerde nicht behauptet, die Belehrung sei am 5. Juli 2002 ver-
kündet worden und sie habe sich hierauf verlassen. Sie stellt vielmehr allein
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auf die bei Zustellung des Protokolls beigefügte Rechtsmittelbelehrung ab; auf
diese zugestellte Belehrung will sie vertraut haben. Hierauf kommt es aber
nicht an.
In der Rechtsbeschwerdebegründung und im landgerichtlichen Beschluß
wird ausgeführt, dem am 5. Juli 2002 verkündeten Beschluß sei die Rechts-
mittelbelehrung "angefügt" gewesen. Hieraus läßt sich aber nicht entnehmen,
daß die Belehrung bereits am 5. Juli 2002 oder jedenfalls vor Ablauf der Frist
am 19. Juli 2002 zur Kenntnis der Beschwerdeführerin gelangte und daß diese
hierauf vertraute.
Kreft
Fischer
Raebel
Bergmann
Vill