Urteil des BGH vom 30.01.2001

BGH (stgb, strafkammer, unterbringung, kokain, stpo, anordnung, rauschmittel, stand, heroin, festnahme)

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
1 StR 542/00
vom
30. Januar 2001
in der Strafsache
gegen
wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln u.a.
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Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 30. Januar 2001 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landge-
richts Hechingen vom 3. August 2000, soweit es sie betrifft, im
Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen
aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-
lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-
tels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückver-
wiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen unerlaubten Handeltreibens
mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in vier Fällen, davon in drei
Fällen in Tateinheit mit unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht ge-
ringer Menge, sowie wegen gewerbsmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit
Betäubungsmitteln in drei Fällen - unter Freisprechung im übrigen - zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Darüber
hinaus hat es ihr die Fahrerlaubnis entzogen und eine Sperrfrist für deren
Neuerteilung festgesetzt. Die hiergegen gerichtete Revision der Angeklagten
rügt die Verletzung sachlichen Rechts. Sie beanstandet insbesondere, daß das
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Landgericht von der Anordnung der Unterbringung der Angeklagten in einer
Entziehungsanstalt abgesehen hat. Das Rechtsmittel ist unbegründet im Sinne
des § 349 Abs. 2 StPO, soweit es sich gegen den Schuldspruch richtet; der
Rechtsfolgenausspruch unterliegt hingegen der Aufhebung.
1. Die Begründung, mit der das Landgericht die Anordnung der Unter-
bringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) abgelehnt
hat, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Insoweit weist das Urteil einen
unauflösbaren Widerspruch aus; es leidet zudem an einem Erörterungsmangel.
Die Strafkammer verneint einen Hang der Angeklagten "im Sinne einer
Abhängigkeit", Rauschmittel im Übermaß zu konsumieren (UA S. 26 unten). An
anderer Stelle der Urteilsgründe führt sie hingegen aus, die Angeklagte sei
durch "ihre eigene Rauschgiftabhängigkeit zu den Taten wenigstens mitveran-
laßt" worden (UA S. 24; siehe auch UA S. 20). Das läßt sich nicht in Einklang
bringen.
Darüber hinaus ist die Würdigung des Landgerichts unvollständig. Für
die Annahme eines Hanges im Sinne des § 64 Abs. 1 StGB kann auch eine
eingewurzelte, aufgrund psychischer Disposition bestehende oder durch
Übung erworbene Neigung, immer wieder Rauschmittel im Übermaß zu sich zu
nehmen, genügen. Diese Neigung muß noch nicht den Grad physischer Ab-
hängigkeit erreicht haben (vgl. nur BGHR StGB § 64 Abs. 1 Hang 4, 5). Die
Kammer spricht diesen Maßstab zwar an; sie würdigt den Sachverhalt aber
nicht entsprechend. Der bloße Hinweis auf zeitlich zurückliegende Phasen der
Abstinenz und auf fehlende Entzugserscheinungen nach dem Absetzen der
Drogen genügte dazu hier nicht. Immerhin hatte die Angeklagte seit ihrem
15. Lebensjahr Betäubungsmittel genommen, darunter von Beginn an auch
Heroin. Nach der Trennung von ihrem Freund, um dessentwillen sie vorüber-
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gehend dem Konsum entsagt hatte, nahm sie wiederum Drogen ein, zuletzt
täglich Kokain. Der Verbrauch belief sich auf 10 g jeweils in zwei Wochen (UA
S. 6). Bei dieser Sachlage bedurfte es der näheren Erörterung, ob und gege-
benenfalls weshalb hier keine auf einer psychischen Disposition oder durch
Übung erworbene intensive Neigung vorgelegen haben soll, immer wieder
Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen. Dazu verhält sich das Urteil
nicht. Das Ergebnis versteht sich auch nicht von selbst. In diesem Zusammen-
hang kann auch der von der Strafkammer angestellten Erwägung nicht ohne
weiteres tragfähige Bedeutung zukommen, daß die Angeklagte nach dem Ab-
setzen der Drogen keine Entzugserscheinungen verspürt habe (UA S. 26 un-
ten); solche seien nicht einmal nach ihrer Inhaftierung aufgetreten (UA S. 21;
siehe auch UA S. 6). Das ist im Blick auf den Kokain-Konsum der Angeklagten
in der Zeit vor ihrer Festnahme nur begrenzt aussagefähig; denn bei reiner Ko-
kainabhängigkeit treten nach dem Stand der medizinischen Erkenntnis körper-
liche Entzugserscheinungen kaum auf (vgl. nur Nedopil, Forensische Psychia-
trie 2. Aufl. S. 111/112). Daß die Angeklagte im Jahr vor ihrer Festnahme auch
wieder andere Betäubungsmittel, etwa Heroin genommen hätte, lassen die Ur-
teilsgründe nicht erkennen; die Strafkammer stellt lediglich fest, sie habe "wie-
der Drogen konsumiert" und zuletzt täglich Kokain geschnupft (UA S. 6).
2. Die Sache bedarf danach insoweit erneuter tatrichterlicher Prüfung.
Der etwaigen Nachholung einer Unterbringungsanordnung steht nicht entge-
gen, daß nur die Angeklagte Revision eingelegt hat (§ 358 Abs. 2 Satz 2 StPO;
vgl. BGHSt 37, 5). Sie hat die Nichtanwendung des § 64 StGB ausdrücklich
beanstandet (siehe auch BGHSt 38, 362; BGHR StGB § 64 Abs. 1 Hang 5).
Der Senat hebt den gesamten Rechtsfolgenausspruch auf. Er kann nicht
sicher ausschließen, daß eine Anordnung der Unterbringung in der Entzie-
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hungsanstalt Einfluß auf die übrigen Rechtsfolgen haben könnte (vgl. BGHR
StGB § 64 Ablehnung 6).
Schäfer Wahl Schluckebier
Hebenstreit Schaal