Urteil des BGH vom 19.07.2010

BGH (ausscheiden, kenntnis, gesellschafter, gesellschaft, deckung, verjährungsfrist, berlin, einzahlung, sache, unkenntnis)

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
II ZR 58/09 Verkündet
am:
19. Juli 2010
Vondrasek
Justizangestellte
als
Urkundsbeamtin
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
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Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Ver-
handlung vom 19. Juli 2010 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Goette
und die Richter Dr. Reichart, Dr. Drescher, Dr. Löffler und Born
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil der Zivilkammer 51
des Landgerichts Berlin vom 8. Januar 2009 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch
über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das Berufungsge-
richt zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Beklagte war Gesellschafter der Klägerin, eines geschlossenen Im-
mobilienfonds in der Form einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts, und kündigte
den Gesellschaftsvertrag zum 31. Dezember 2000. Nach dem Gesellschaftsver-
trag wird bei Ausscheiden eines Gesellschafters die Gesellschaft unter den üb-
rigen Gesellschaftern fortgeführt. Zur Auseinandersetzung bestimmt § 17 des
Gesellschaftsvertrages u.a.:
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"1. Der Geschäftsbesorger hat bei Ausscheiden eines Gesell-
schafters eine Auseinandersetzungsbilanz aufzustellen, in
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der sämtliche Wirtschaftsgüter unter Auflösung stiller Re-
serven mit ihrem Verkehrswert einzustellen sind. Etwaige
immaterielle Werte bleiben außer Betracht.
4. Die Auseinandersetzungsbilanz der Gesellschaft wird mit
Ablauf von zwei Monaten seit Absendung an den ausschei-
denden Gesellschafter verbindlich, es sei denn, der Gesell-
schafter verlangt binnen der Zweimonatsfrist die Einleitung
des unter Abs. 3 vorgeschriebenen Verfahrens mittels ei-
nes an den Geschäftsbesorger gerichteten Briefes.
5. Das Auseinandersetzungsguthaben ist in fünf gleichen Jah-
resraten auszuzahlen. Die erste Rate ist zwölf Monate nach
dem Ausscheiden fällig. …
7. Bei negativem Abfindungsanspruch ist der ausscheidende
Gesellschafter verpflichtet, innerhalb von sechs Monaten
nach seinem Ausscheiden den erforderlichen Betrag einzu-
zahlen. Erst mit erfolgter Zahlung wird der Gesellschafter
von den Verbindlichkeiten freigestellt. …"
Mit Schreiben vom 27. Dezember 2002 übersandte die Klägerin dem Be-
klagten und anderen ausgeschiedenen Mitgliedern eine Auseinandersetzungs-
bilanz. Unter dem 21. Juli 2003 erstellte die Klägerin eine überarbeitete Ausei-
nandersetzungsbilanz, die einen negativen anteiligen Verlust zum Zeitpunkt des
Ausscheidens in Höhe von 2.706,12 € ergab, und übersandte sie mit Schreiben
vom 25. Juli 2003. Der Beklagte widersprach dieser Auseinandersetzungsbilanz
mit Schreiben vom 11. August 2003.
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Am 20. September 2004 beantragte die Klägerin für einen Teilbetrag in
Höhe von 676,64 € aus der Auseinandersetzungsbilanz den Erlass eines
Mahnbescheids, der dem Beklagten am 5. November 2004 zugestellt wurde.
Nach Eingang seines Widerspruchs forderte das Mahngericht die Klägerin am
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23. November 2004 zur Einzahlung der weiteren Gerichtskosten auf. Die Kläge-
rin zahlte diese am 2. Januar 2007 ein.
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Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben, das Berufungsgericht hat
sie auf die Berufung der Beklagten wegen Verjährung abgewiesen. Dagegen
richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Klägerin.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat Erfolg und führt zur Aufhebung des Berufungsurteils
und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
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I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, der Anspruch sei nach §§ 195,
199 Abs. 1 Nr. 1 BGB verjährt. Der Verlustausgleichsanspruch sei mit dem
Ausscheiden der Beklagten mit Ablauf des 31. Dezember 2000 fällig geworden,
so dass die dreijährige Verjährungsfrist nach Art. 229 § 6 Abs. 4 EGBGB am
1. Januar 2002 begonnen habe. Die Verjährung sei durch den Antrag auf Erlass
eines Mahnbescheids, der am 20. September 2004 eingegangen sei, gehemmt
worden; die Hemmung habe aber sechs Monate nach der Widerspruchsnach-
richt des Gerichts mit der Aufforderung zur Einzahlung der weiteren Gerichts-
kosten am 23. November 2004 geendet. Die Verjährungsfrist sei bei Einzahlung
am 2. Januar 2007 bereits abgelaufen gewesen.
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II. Das Urteil hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die
vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen rechtfertigen die Klagabwei-
sung wegen Verjährung nicht. Die dreijährige Verjährungsfrist nach § 195 BGB
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i.d.F. des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes (Art. 229 § 6 Abs. 1 Satz 1,
Abs. 4 Satz 1 EGBGB) begann am 1. Januar 2002 zu laufen, wenn der An-
spruch zu diesem Zeitpunkt entstanden war (§ 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB) und die
subjektiven Voraussetzungen des Verjährungsbeginns nach § 199 Abs. 1 Nr. 2
BGB - Kenntnis oder grobfahrlässige Unkenntnis der Anspruchsvoraussetzun-
gen - vorlagen (BGHZ 171, 1 Tz. 23; Urt. v. 7. März 2007 - VIII ZR 218/06, NJW
2007, 2034 Tz. 15; v. 25. Oktober 2007 - VII ZR 205/06, NJW-RR 2008, 258
Tz. 23; v. 9. November 2007 - V ZR 25/07, WM 2008, 89 Tz. 8; v. 3. Juni 2008
- XI ZR 319/06, NJW 2008, 2576 Tz. 23).
1. Der Anspruch ist vor dem 1. Januar 2002 entstanden. Ein Anspruch ist
nach § 199 Abs. 1 BGB entstanden, sobald er erstmals vom Gläubiger geltend
gemacht und mit einer Klage durchgesetzt werden kann (BGH, Urt. v. 8. Juli
2008 - XI ZR 230/07, ZIP 2008, 1762 Tz. 17; v. 18. Juni 2009 - VII ZR 167/08,
ZIP 2009, 1821 Tz. 19). Der Anspruch auf Zahlung eines Auseinanderset-
zungsguthabens entsteht - ebenso wie der Verlustausgleichsanspruch - grund-
sätzlich mit dem Ausscheiden des Gesellschafters (Senat, BGHZ 88, 205, 206;
Urt. v. 11.
Juli 1988 -
II
ZR
281/87, ZIP
1988, 1545; v. 14.
Juli 1997
- II ZR 122/96, ZIP 1997, 1589) und kann nach seiner Fälligkeit geltend ge-
macht bzw. mit Klage durchgesetzt werden (§ 271 Abs. 2 BGB). Da die Beklag-
ten zum 31. Dezember 2000 ausgeschieden sind, wurde der Verlustausgleichs-
anspruch Anfang Juli 2001 fällig. Die Fälligkeit des Verlustausgleichsanspruchs
ist - was das Berufungsgericht übersehen hat - in § 17 Abs. 7 des Gesell-
schaftsvertrags geregelt. Danach war der Verlustausgleichsanspruch innerhalb
von 6 Monaten nach dem Ausscheiden einzuzahlen. Das Fehlen einer Abfin-
dungsbilanz hindert den Eintritt der Fälligkeit nicht. Um eine Forderung mit Kla-
ge geltend machen zu können, reicht es aus, dass eine Feststellungsklage er-
hoben werden kann. Der Eintritt der Fälligkeit hängt nicht davon ab, dass eine
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Forderung auch beziffert werden kann (BGH, Urt. v. 18.
Juni 2009
- VII ZR 167/08, ZIP 2009, 1821 Tz. 19).
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2. Das Berufungsgericht hat aber keine Feststellungen dazu getroffen, ob
die Klägerin vor dem 1. Januar 2002 Kenntnis von den anspruchsbegründen-
den Umständen hatte oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte haben müssen. Für
die Kenntnis der Klägerin von den anspruchsbegründenden Umständen oder
ihre grobfahrlässige Unkenntnis beim Verlustausgleich genügt es nicht, dass sie
vom Ausscheiden des Beklagten aus der Gesellschaft Kenntnis hatte. An-
spruchsbegründender Umstand für den Verlustausgleichsanspruch ist neben
dem Ausscheiden, dass der Wert des Gesellschaftsvermögens zur Deckung
der gemeinschaftlichen Schulden und der Einlagen nicht ausreicht (§ 739 BGB).
Die erforderliche Kenntnis bzw. grob fahrlässige Unkenntnis liegt vor, wenn die
Klägerin auch ohne exakte Berechnung in einer Auseinandersetzungsbilanz
wusste oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte wissen müssen, dass das Gesell-
schaftsvermögen zur Deckung der gemeinschaftlichen Schulden und der Einla-
gen nicht ausreicht. Dazu haben weder das Amts- noch das Landgericht Fest-
stellungen getroffen noch die Parteien bisher etwas vorgetragen.
III. Der Senat kann in der Sache nicht selbst entscheiden, weil sie nicht
zur Endentscheidung reif ist (§ 563 ZPO). Für das weitere Verfahren weist er
auf folgendes hin:
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1. Die Kenntnis der Klägerin von einem Verlustausgleichsanspruch ist je-
denfalls dann vorhanden, wenn bereits beim Ausscheiden des Beklagten am
31. Dezember 2000 klar war, dass das vorhandene Gesellschaftsvermögen zur
Deckung der Gesellschaftsschulden nicht ausreicht, etwa weil mit den Banken
Sanierungsverhandlungen geführt werden mussten.
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2. In Frage kommt auch, dass die Klägerin aufgrund der mit Schreiben
vom 27. Dezember 2002 übersandten vorläufigen Bilanz wusste, dass der Wert
des Gesellschaftsvermögens zur Deckung der gemeinschaftlichen Schulden
und der Einlagen nicht ausreicht. Feststellungen dazu, ob diese Bilanz bereits
einen Verlustausgleichsanspruch auswies, der diese Kenntnis vermitteln konn-
te, hat das Berufungsgericht nicht getroffen. Die unterbliebenen Feststellungen
kann der Senat nach Vorlage eines Entwurfs der Bilanz im Revisionsverfahren
nicht nachholen (§ 559 Abs. 1 ZPO).
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3. Schließlich kommt bei verzögerter Bilanzaufstellung durch die Klägerin
in Frage, dass sie grob fahrlässig von den anspruchsbegründenden Tatsachen
keine Kenntnis hatte.
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Goette Reichart Drescher
Löffler Born
Vorinstanzen:
AG Berlin-Charlottenburg, Entscheidung vom 14.05.2008 - 221 C 141/07 -
LG Berlin, Entscheidung vom 08.01.2009 - 51 S 137/08 -