Urteil des BGH vom 12.12.2007

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
XII ZB 158/05
vom
12. Dezember 2007
in der Familiensache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
BGB § 1671 Abs. 2 Nr. 2
Zur Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge, wenn der die Alleinsorge
begehrende Elternteil für die völlige Zerrüttung der sozialen Beziehungen zwi-
schen den Eltern (haupt-)verantwortlich ist.
BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2007 - XII ZB 158/05 - OLG Hamburg
AG
Hamburg-Harburg
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Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 12. Dezember 2007 durch
die Vorsitzende Richterin Dr. Hahne und die Richter Sprick, Weber-Monecke,
Fuchs und Dose
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 1. Familiense-
nats des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 28. Ju-
li 2005 wird auf Kosten des Antragsgegners zurückgewiesen.
Beschwerdewert: 3.000 €.
Gründe:
I.
Die Antragstellerin (Mutter) und der Antragsgegner (Vater) streiten um
die elterliche Sorge für ihre beiden gemeinsamen Kinder.
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Die Mutter hatte mit dem Vater eine langjährige nichteheliche Beziehung;
aus dieser Beziehung gingen die im Jahre 1996 geborene Tochter F. und der
im Jahre 2001 geborene Sohn M. hervor. Die Eltern haben durch Erklärungen
gegenüber dem Jugendamt die gemeinsame elterliche Sorge für die beiden
Kinder erlangt, welche von Geburt an durchgehend im Haushalt der Mutter leb-
ten. Der verheiratete Vater lebte auch während der Beziehung zur Mutter mit
seiner Ehefrau zusammen, mit der er zwei bereits erwachsene Kinder hat. Im
Frühjahr 2002 endete die Beziehung der Eltern. Die Mutter lebt seit mehreren
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Jahren mit einem neuen Partner zusammen, den sie zwischenzeitlich geheiratet
hat.
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Die Kinder hatten zunächst weiterhin Kontakt zu ihrem Vater, bis die Mut-
ter im Februar 2003 jeden Umgang mit der Begründung unterband, die Ehefrau
des Vaters habe ihr von dessen angeblicher Pädophilie berichtet; es bestehe
auch der konkrete Verdacht des sexuellen Missbrauchs der Tochter F. durch
den Vater. In einem anschließenden Umgangsrechtsverfahren wurde ein psy-
chologisches Sachverständigengutachten eingeholt, welches den Verdacht auf
sexuellen Missbrauch der Tochter F. durch den Vater nicht bestätigte. Die in
dem seit März 2004 rechtskräftig abgeschlossenen Umgangsrechtsrechtsver-
fahren angeordnete Durchführung von zehn beschützten Umgangskontakten
zwischen dem Vater und den Kindern fand durch Vermittlung des Deutschen
Kinderschutzbundes e.V. zwischen April 2004 und Januar 2005 statt. Einem
daran anschließenden unbegleiteten Umgang widersetzte sich die Mutter. Sie
machte im Januar 2005 ein neues Umgangsrechtsverfahren anhängig mit dem
Ziel, den Umgang der Kinder mit ihrem Vater für die Dauer von drei Jahren aus-
zuschließen.
Im vorliegenden Sorgerechtsverfahren hat die Mutter den Antrag gestellt,
die elterliche Sorge für die beiden Kinder auf sie allein zu übertragen. Der Vater
ist dem Antrag entgegengetreten. Er hat sich für eine Fortdauer der gemeinsa-
men elterlichen Sorge ausgesprochen und hilfsweise die Übertragung der Al-
leinsorge auf sich begehrt. Das Amtsgericht - Familiengericht - hat die elterliche
Sorge auf die Mutter übertragen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Va-
ters ist von dem Oberlandesgericht zurückgewiesen worden. Mit der zugelas-
senen Rechtsbeschwerde verfolgt der Vater sein Begehren weiter.
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II.
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Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.
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1. Das Oberlandesgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im
Wesentlichen ausgeführt: Bei Abwägung aller Umstände entspreche die Aufhe-
bung der gemeinsamen elterlichen Sorge und die Übertragung des alleinigen
Sorgerechts auf die Mutter dem Wohl der Kinder am besten. Aus der seit Feb-
ruar 2003 unvermindert anhaltenden Auseinandersetzung der Eltern lasse sich
nur der Schluss ziehen, dass gegenwärtig keine Basis für die Ausübung der
gemeinsamen elterlichen Sorge bestehe. Es fehle vor allem an einem Mindest-
maß an Übereinstimmung zwischen den Elternteilen. Die Mutter habe seit Feb-
ruar 2003 sämtliche Entscheidungen, welche die wesentlichen Belange der
Kinder (Einschulung der Tochter, Kindergartenbesuch des Sohnes) berührten,
nach Möglichkeit ohne Einbindung des Vaters und unter eigenmächtiger Abän-
derung zuvor zustande gekommener Vereinbarungen selbst getroffen, so dass
dem - grundsätzlich zur Kooperation bereiten - Vater nichts übrig geblieben sei,
als diese Maßnahmen im nachhinein zu billigen, weil sie ohne nachteilige Aus-
wirkungen auf das Wohl der Kinder nicht mehr zu ändern gewesen seien. Auch
hinsichtlich der wohl wichtigsten zur Entscheidung anstehenden Frage, der
Auswahl eines Therapeuten für die verhaltensauffällig gewordene Tochter F.,
sei eine Übereinstimmung nicht zu erzielen gewesen, wobei es nicht darauf an-
komme, ob die Einigungsunfähigkeit der Eltern ihre Ursache in den unterschied-
lichen Vorstellungen über die Person des Therapeuten, das Ziel der Therapie
oder die Übernahme der Kosten gehabt habe. Die Unfähigkeit, ein Mindestmaß
an Übereinstimmung zu erzielen, zeige sich insbesondere in der Frage des
Umgangsrechts. Die Mutter verstoße gravierend gegen ihre Verpflichtung, ei-
nen persönlichen Umgang zwischen dem Vater und den Kindern zu gewährleis-
ten. Auch wenn diese totale Verweigerungshaltung nicht durch objektive Um-
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stände nachvollziehbar und demzufolge auch nicht billigenswert sei, bestehe
keine andere Möglichkeit, als die gemeinsame elterliche Sorge aufzuheben.
Insoweit sei vorrangig darauf abzustellen, dass aufgrund der mangelnden Ko-
operationsbereitschaft der Mutter nicht ausgeschlossen werden könne, dass
bereits Anzeichen einer nachteiligen Auswirkung der gemeinsamen elterlichen
Sorge auf die Entwicklung der Tochter F. gegeben seien.
Weniger einschneidende Maßnahmen kämen nicht in Betracht. Ange-
sichts der Befürchtung der Mutter, dass sich der Vater über das Mitsprache-
recht in Erziehungsfragen in ihre gegenwärtige Familie drängen wolle, sei auch
mit Rücksicht auf die bisherige Entwicklung nicht zu erwarten, dass die Mutter
in absehbarer Zeit wieder zu einer Kooperationsbereitschaft zurückfände. In
dieser Situation könne nur die Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge dem
Kindeswohl am besten dienen. Die Kinder hätten ihren Lebensmittelpunkt seit
jeher bei der Mutter gehabt und fühlten sich auch nur dort wirklich zu Hause.
Eine Herausnahme der Kinder aus dem mütterlichen Haushalt käme unter kei-
nen Umständen in Betracht, da die Kinder für ihre weitere Entwicklung die ab-
solute Gewissheit benötigten, dass die Mutter auch in Zukunft jederzeit für sie
da sei.
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Auch eine Teilentscheidung, wie sie das Bundesverfassungsgericht in
den Fällen erwäge, in denen nach Maßgabe der Verhältnismäßigkeit dieses
mildere Mittel genügt, um dem Kindeswohl gerecht zu werden, müsse hier aus-
scheiden. Aus der Alleinsorge könne der Bereich „Umgangsrecht“ nicht heraus-
gelöst und insoweit eine Pflegschaft eingerichtet werden, um den persönlichen
Umgang des Vaters mit den Kindern sicherzustellen. Denn dies würde dem lau-
fenden Verfahren vorgreifen, in dem die Eltern über eine Abänderung des be-
reits geregelten Umgangsrechts stritten.
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2. Diese Ausführungen halten jedenfalls im Ergebnis rechtlicher Überprü-
fung stand.
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a) Leben die gemeinsam sorgeberechtigten Eltern - wie hier - nicht nur
vorübergehend getrennt, ist gemäß § 1671 Abs. 2 Nr. 2 BGB einem Elternteil
auf seinen Antrag auch ohne Zustimmung des anderen Elternteils die elterliche
Sorge allein zu übertragen, wenn dies dem Kindeswohl am besten entspricht.
Der Senat hat unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien (vgl. BT-Drucks.
13/4899, S. 63) bereits mehrfach entschieden, dass allein aus der normtechni-
schen Gestaltung dieser Regelung kein Regel-/Ausnahmeverhältnis zugunsten
des Fortbestandes der gemeinsamen elterlichen Sorge hergeleitet werden
kann. Ebenso wenig besteht eine gesetzliche Vermutung dafür, dass die ge-
meinsame elterliche Sorge nach der Trennung der Eltern im Zweifel die für das
Kind beste Form der Wahrnehmung elterlicher Verantwortung ist (Senatsbe-
schlüsse vom 29. September 1999 - XII ZB 3/99 - FamRZ 1999, 1646, 1647
und vom 11. Mai 2005 - XII ZB 33/04 - FamRZ 2005, 1167; vgl. auch BVerfG
FamRZ 2004, 354, 355). Daran hält der Senat fest. Für die allgemein gehaltene
Aussage, dass eine gemeinsame elterliche Sorge nach der Trennung der Eltern
dem Kindeswohl prinzipiell förderlicher sei als die Alleinsorge eines Elternteils,
besteht in der kinderpsychologischen und familiensoziologischen Forschung
auch weiterhin keine empirisch gesicherte Grundlage (vgl. Staudinger/Coester,
BGB [2004] § 1671 Rdn. 112 f., zugleich mit Nachweisen zum Forschungs-
stand).
b) Zutreffend ist das Oberlandesgericht davon ausgegangen, dass eine
dem Kindeswohl entsprechende gemeinsame Ausübung der Elternverantwor-
tung ein Mindestmaß an Übereinstimmung in wesentlichen Bereichen der elter-
lichen Sorge und insgesamt eine tragfähige soziale Beziehung zwischen den
Eltern voraussetzt (BVerfG FamRZ 2004, 354, 355; BVerfG FamRZ 2004,
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1015, 1016). Die Überprüfung dieser Voraussetzungen muss anhand konkreter
tatrichterlicher Feststellungen erfolgen und darf sich nicht auf formelhafte Wen-
dungen beschränken (Senatsbeschluss vom 11. Mai 2005 - XII ZB 33/04 -
FamRZ 2005, 1167).
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aa) Zu den wesentlichen Bereichen der elterlichen Sorge, für die ein Min-
destmaß an Verständigungsmöglichkeiten zur Aufrechterhaltung der gemein-
samen elterlichen Sorge getrennt lebender Eltern gefordert werden muss, gehö-
ren jedenfalls die Grundentscheidungen über den persönlichen Umgang des
Kindes mit dem nicht betreuenden Elternteil (vgl. Senatsbeschluss vom
29. September 1999 - XII ZB 3/99 - FamRZ 1999, 1646, 1647; Bamberger/Roth/
Veit BGB § 1671 Rdn. 29), die gleichzeitig zu den Angelegenheiten von erhebli-
cher Bedeutung im Sinne von § 1687 Abs. 1 Satz 1 BGB zählen (vgl. hierzu
Palandt/Diederichsen BGB 67.
Auflage §
1687 BGB Rdn. 7; Münch-
Komm/Finger BGB 4. Aufl. § 1687 Rdn. 9; Schwab FamRZ 1998, 457, 469).
Hierzu hat das Oberlandesgericht im Einzelnen ausgeführt, dass die Mut-
ter bei der Durchführung der gerichtlichen Umgangsregelung jede positive Mit-
wirkung verweigere. Sie lasse zudem nichts unversucht, um eine Abänderung
bestehender gerichtlicher Umgangsregelungen zu erreichen und nehme auch
die Verhängung von Zwangsgeldern in Kauf. Diese Feststellungen führen zu
der Schlussfolgerung, dass bezüglich der grundsätzlichen Entscheidungen zum
Umgangsrecht der Kinder mit dem Vater - auch und insbesondere zu der Frage,
ob ein beschützter oder unbegleiteter Umgang stattfinden soll – nicht nur Ab-
stimmungsprobleme zwischen den Eltern bestehen, sondern dass in dieser An-
gelegenheit keinerlei Übereinstimmung zwischen ihnen herzustellen ist. Auch
für eine günstige Prognose dahingehend, dass sich die derzeit fehlende Ver-
ständigungsmöglichkeit unter dem „Druck“ der gemeinsamen elterlichen Sorge
in absehbarer Zeit wiederherstellen ließe, konnten sich für das Oberlandesge-
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richt keine tragfähigen Anhaltspunkte ergeben. Dies wird insbesondere durch
den Abschlussbericht des Deutschen Kinderschutzbundes e.V. vom 24. Januar
2005 über die Durchführung der beschützten Umgangskontakte verdeutlicht,
wonach es von Seiten der Eltern über den Vollzug der gerichtlich angeordneten
Umgangskontakte hinaus zu keiner eigenverantwortlichen Absprache oder Per-
spektiventwicklung bezüglich des zukünftigen Umgangs der Kinder mit dem
Vater gekommen sei.
Soweit die Rechtsbeschwerde dagegen einwendet, dass die für die feh-
lenden Verständigungsmöglichkeiten der Eltern - auch nach der Einschätzung
des Oberlandesgerichts - allein verantwortliche Verweigerungshaltung der Mut-
ter mangels einer nachvollziehbaren oder billigenswerten Motivation unbeacht-
lich sei und ihre Haltung deshalb nicht ausreichen könne, um das gemeinsame
Sorgerecht aufzuheben, vermag der Senat dem nicht ohne weiteres zu folgen.
Zwar ist schon aufgrund des „ethischen Vorrangs“, der dem Idealbild einer von
beiden Elterteilen auch nach ihrer Trennung verantwortungsbewusst im Kindes-
interesse ausgeübten gemeinschaftlichen elterlichen Sorge einzuräumen ist,
eine Verpflichtung der Eltern zum Konsens nicht zu bestreiten. Die bloße Pflicht
zur Konsensfindung vermag indessen eine tatsächlich nicht bestehende Ver-
ständigungsmöglichkeit nicht zu ersetzen. Denn nicht schon das Bestehen der
Pflicht allein ist dem Kindeswohl dienlich, sondern erst die tatsächliche Pflichter-
füllung, die sich in der Realität eben nicht verordnen lässt (vgl. KG FamRZ
2000, 504, 505 und NJW-FER 2000, 197, 198; Johannsen/Henrich/Jaeger Ehe-
recht 4. Auflage § 1671 Rdn. 36c; Staudinger/Coester aaO Rdn. 137; Bamber-
ger/Roth/Veit aaO Rdn. 29; Prütting/Wegen/Weinreich/Ziegler BGB 2. Auflage
§ 1671 Rdn. 21 f.; Oelkers FuR 1999, 349, 351 und MDR 2000, 32 f.; Sit-
tig/StörrZfJ 2000,
orn FamRZ 2000, 396, 399).
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Die Gegenauffassung (vgl. OLG Dresden FamRZ 2000, 109, 110; OLG
Karlsruhe FamRZ 2002, 1209, 1210; Erman/Michalski BGB 11. Auflage § 1671
Rdn. 23; Haase/Kloster-Harz FamRZ 2000, 1003, 1005; Kaiser FPR 2003, 573,
577) läuft im Ergebnis (auch) darauf hinaus, das pflichtwidrige Verhalten des
nicht kooperierenden Elternteils mit einer ihm aufgezwungenen gemeinsamen
elterlichen Sorge sanktionieren zu wollen, um auf diese Weise den Elternrech-
ten des anderen, kooperationsfähigen und –willigen Elternteils Geltung zu ver-
schaffen. Die am Kindeswohl auszurichtende rechtliche Organisationsform der
Elternsorge ist dafür jedoch grundsätzlich kein geeignetes Instrument. Dem
steht schon die verfassungsrechtliche Wertung entgegen, dass sich die Eltern-
interessen in jedem Falle dem Kindeswohl unterzuordnen haben (vgl. hierzu
BVerfGE 79, 203, 210 f.; BVerfG FamRZ 1996, 1267). Wenn angesichts der
Entwicklungen in der Vergangenheit die begründete Besorgnis besteht, dass
die Eltern auch in Zukunft nicht in der Lage sein werden, ihre Streitigkeiten in
wesentlichen Bereichen der elterlichen Sorge konstruktiv und ohne gerichtliche
Auseinandersetzungen beizulegen, ist die erzwungene Aufrechterhaltung der
gemeinsamen elterlichen Sorge dem Kindeswohl aber nicht zuträglich. Denn
ein fortgesetzter destruktiver Elternstreit führt für ein Kind zwangsläufig zu er-
heblichen Belastungen (vgl. hierzu Gödde ZfJ 2004, 201, 207), und zwar unab-
hängig davon, welcher Elternteil die Verantwortung für die fehlende Verständi-
gungsmöglichkeit trägt.
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bb) Im rechtlichen Ausgangspunkt zutreffend hat das Oberlandesgericht
ferner in seine Prüfung einbezogen, ob es sich nach dem Grundsatz der Ver-
hältnismäßigkeit - als milderes Mittel - mit einer Teilentscheidung bezüglich der-
jenigen Angelegenheiten der elterlichen Sorge begnügen konnte, für die ein
Mindestmaß an Übereinstimmung nicht festgestellt werden kann (BVerfG
FamRZ 2004, 1015, 1016; Senatsbeschluss vom 11. Mai 2005 - XII ZB 33/04 -
FamRZ 2005, 1167, 1168). Die Fragestellung, die sich daran anschließen
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muss, geht aber auf dieser Prüfungsebene entgegen den Ausführungen des
Oberlandesgerichts nicht dahin, ob bestimmte streitige Teilbereiche der elterli-
chen Sorge aus der Alleinsorge herauszulösen und auf einen Pfleger zu über-
tragen sind, sondern dahin, ob sich die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen
Sorge auf diese streitigen Punkte beschränken kann. Dies kommt im vorliegen-
den Fall - soweit es den Umgang des Vaters mit den Kindern betrifft - indessen
nicht in Betracht. Zwar wäre es grundsätzlich möglich, die gemeinsame elterli-
che Sorge nur bezüglich der Grundentscheidungen über den persönlichen Um-
gang der Kinder mit dem Vater gegebenenfalls in Verbindung mit dem Aufent-
haltsbestimmungsrecht aufzuheben und der Mutter zur alleinigen Ausübung zu
übertragen. Dies erscheint hier aber schon deshalb zur Konfliktbereinigung we-
nig sinnvoll, weil § 1684 BGB gegenüber etwaigen, den Umgang einschränken-
den Bestimmungen des Alleinsorgeberechtigten vorrangig ist (vgl. OLG Zwei-
brücken FamRZ 2000, 1042, 1043; MünchKomm/Finger aaO § 1687 Rdn. 9).
cc) Ob die Feststellungen des Oberlandesgerichts die Annahme rechtfer-
tigen, dass das erforderliche Mindestmaß an Übereinstimmung zwischen den
Eltern auch in anderen wichtigen Teilbereichen der elterlichen Sorge (etwa der
Gesundheitssorge oder der Schulwahl) nicht besteht, oder ob es sich - wie die
Rechtsbeschwerde meint - überwiegend nur um Abstimmungsprobleme han-
delt, die durch das eigenmächtige Verhalten der Mutter hervorgerufen worden
seien, kann im Ergebnis dahinstehen. Denn jedenfalls die Einschätzung, dass
zwischen den Eltern eine tragfähige soziale Beziehung zur Ausübung der ge-
meinsamen elterlichen Sorge derzeit nicht besteht, ist aus Rechtsgründen nicht
zu beanstanden. Sie wird bereits maßgeblich dadurch getragen, dass die Mut-
ter den Verdacht, der Vater habe die Tochter F. sexuell missbraucht, nicht als
ausgeräumt ansehen will und weiterhin unverändert an diesem Vorwurf festhält.
Solche Vorwürfe sind regelmäßig Ausdruck einer völligen Zerrüttung der per-
sönlichen Beziehung zwischen den Eltern, so dass eine soziale Basis für eine
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künftige Kooperation zwischen ihnen regelmäßig nicht bestehen wird. Dem ent-
spricht letztlich das gesamte vom Oberlandesgericht festgestellte und insoweit
zutreffend gewürdigte Verhalten der Mutter in Bezug auf den von ihr betriebe-
nen Ausschluss des Vaters von allen die Kindesbelange berührenden wichtigen
Entscheidungen. Für die Annahme, dass die Mutter in absehbarer Zeit ihr Ver-
halten gegenüber dem Vater zu ändern vermag, ergeben sich keine tragfähigen
Anhaltspunkte.
Es steht dabei außer Frage, dass der unbegründete Vorwurf sexuellen
Missbrauchs, soweit dieser von einem Elternteil besonders leichtfertig oder gar
wider besseres Wissen erhoben worden ist, ein schwerwiegendes Indiz gegen
dessen Erziehungseignung darstellt und diesem Gesichtspunkt bei der Prüfung
der Frage, ob diesem Elternteil nach Auflösung der gemeinsamen elterlichen
Sorge die Alleinsorge übertragen werden kann, ein ganz erhebliches und in vie-
len Fällen entscheidendes Gewicht zukommt. Von einer erzwungenen Auf-
rechterhaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge kann allerdings unabhängig
vom Wahrheitsgehalt des Missbrauchsvorwurfes für das Kindeswohl „nichts
Gutes erwartet“ werden (so Staudinger/Coester aaO Rdn. 140; vgl. auch Rau-
scher Familienrecht Rdn. 1003). Dass dies im vorliegenden Fall nicht anders ist,
verdeutlicht insbesondere die lang anhaltende und auch zum Gegenstand des
Sorgerechtsverfahrens gemachte Auseinandersetzung der Eltern wegen der
Auswahl eines Einzeltherapeuten für die verhaltensauffällige Tochter F. In die-
sem Zusammenhang spielte es für die Eltern eine erhebliche Rolle, mit welcher
(Vor-) Einstellung ein Therapeut dem Missbrauchsvorwurf gegenübertrat. Die-
ser Konflikt konnte zwischen den Eltern nicht gelöst werden, so dass über Mo-
nate hinweg die von allen Beteiligten für notwendig angesehene Einzeltherapie
überhaupt nicht eingeleitet wurde, was letztlich für das Kind die am meisten
schädliche Alternative gewesen sein dürfte.
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c) Entspricht danach die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge
ganz oder in Teilbereichen dem Kindeswohl, so hat das Gericht auf der zweiten
Prüfungsebene zu beurteilen, ob die Übertragung der elterlichen Sorge (gera-
de) auf den Antragsteller dem Kindeswohl am besten dient. Das Oberlandesge-
richt hat die für diese Beurteilung maßgeblichen Kindeswohlkriterien rechtlich
zutreffend erkannt. Es hat in tatrichterlicher Verantwortung der besonderen e-
motionalen Bindung der Kinder an die Mutter und dem Gedanken der Erzie-
hungskontinuität im Haushalt der Mutter unter den hier obwaltenden Umstän-
den ein so hohes Gewicht beigemessen, dass diese Gesichtspunkte das vom
Oberlandesgericht - zu Recht - festgestellte erzieherische Versagen der Mutter
in Teilbereichen, nämlich unter anderem in Bezug auf die Herstellung und Er-
haltung der Bindungen zum Vater, in der wertenden Gesamtschau doch noch
überwiegen. Die darauf gegründete Schlussfolgerung, dass die Übertragung
der Alleinsorge auf die Mutter dem Kindeswohl - auch gegenüber der Übertra-
gung der Alleinsorge auf den Vater - (relativ) noch am besten entspricht, lässt
schon angesichts der außergewöhnlichen Familienkonstellation des vorliegen-
den Einzelfalles ebenfalls keine offensichtlichen Rechtsfehler erkennen. Auch
der Vater selbst, der in der Vergangenheit noch nie über einen längeren Zeit-
raum mit seinen Kindern in häuslicher Gemeinschaft gelebt hat, kann - was
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schon angesichts seines hohen Lebensalters verständlich ist - für die Ausges-
taltung der künftigen Betreuung und Pflege letztlich keine anderen realistischen
Perspektiven aufzeigen, als die Kinder in der Obhut ihrer Mutter zu belassen.
Hahne Sprick Weber-Monecke
Fuchs Dose
Vorinstanzen:
AG Hamburg-Harburg, Entscheidung vom 21.05.2004 - 631 F 88/03 -
OLG Hamburg, Entscheidung vom 28.07.2005 - 10 UF 42/04 -