Urteil des BGH vom 11.02.2000

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 377/99
vom
11. Februar 2000
in der Strafsache
gegen
wegen Beihilfe zum Angriff auf den Luftverkehr u.a.
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Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom
9. Februar 2000 in der Sitzung am 11. Februar 2000, an denen teilgenommen
haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Kutzer,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Miebach,
Winkler,
Pfister,
von Lienen
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
- in der Verhandlung vom 9. Februar 2000 -,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
- in der Sitzung am 11. Februar 2000 -
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt ,
Rechtsanwalt
- beide in der Verhandlung vom 9. Februar 2000 -
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des
Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom
16. November 1998 wird verworfen.
Die Beschwerdeführerin hat die Kosten des Rechts-
mittels zu tragen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Oberlandesgericht hat die Angeklagte wegen tateinheitlicher Bei-
hilfe zum Angriff auf den Luftverkehr, zur Geiselnahme, zum erpresserischen
Menschenraub und zum versuchten Mord in zwei Fällen zu einer Freiheits-
strafe von fünf Jahren verurteilt.
I.
Nach den Feststellungen hatte sich die palästinensische Widerstand-
sorganisation PFLP nach der Entführung des Präsidenten des Arbeitgeberver-
bandes und des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Dr. Hanns Martin
Schleyer, am 5. September 1977 durch die terroristische Vereinigung ”Rote
Armee Fraktion (RAF)” bereit erklärt, die Forderungen der RAF auf Freilassung
von zehn Gefangenen mit einem Lösegeld von je 100.000 DM durch eine Flug-
zeugentführung zu unterstützen. Hierzu wählte der in der PFLP für die Durch-
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führung solcher Terrorakte zuständige Ha. die PFLP-Mitglieder
A. , H. , Sh. und Sa.
als Entführungskommando aus und entsandte sie - aus Sicherheitsgründen
getrennt und ohne Bewaffnung - nach Palma de Mallorca. Mit dem Transport
der für die Flugzeugentführung benötigten Waffen und des Sprengstoffes be-
auftragte Ha. die Angeklagte und den PFLP-Angehörigen S. .
Die Angeklagte, die zum Symphatisantenkreis der RAF gehört hatte, hatte En-
de 1975/ Anfang 1976 auf einem Ausbildungscamp der PFLP den Leiter dieses
Camps, He. , näher kennengelernt und lebte mit diesem - später nach
jemenitischem Recht verheiratet - unter dem Namen ”Amal” zusammen. Ende
Januar 1976 wurde sie im Zusammenhang mit einem von der PFLP geplanten
Abschuß einer israelischen Passagiermaschine beim Landeanflug auf den
Flughafen Nairobi festgenommen, jedoch alsbald wieder freigelassen. Aus der
Verbindung mit He. ist ihre am 17. Juli 1977 geborene Tochter Hanna
hervorgegangen.
Die Angeklagte übernahm am 7. Oktober 1977 in Algier von der PFLP
zwei Pistolen mit gefüllten Magazinen, mindestens vier Handgranaten und ein
Kilogramm Plastiksprengstoff mit Zünder und Zündschnur. Mit dieser Ausrü-
stung, in einem Radio und in Bonbondosen im Handgepäck versteckt, flog sie
in Begleitung von S. und ihrer knapp drei Monate alten Tochter
Hanna nach Palma de Mallorca und übergab Waffen und Sprengstoff abspra-
chegemäß an einen Mittelsmann, der sie an das Entführerkommando weiter-
leitete. Am Folgetag flog die Angeklagte über Paris zurück.
Am 13. Oktober 1977 brachte das Kommando die Lufthansamaschine
”Landshut” auf dem Flug von Palma nach Frankfurt unter Androhung des Ein-
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satzes von Waffen und Sprengstoff in ihre Gewalt und erzwang einen mehrtä-
gigen, mit Zwischenlandungen auf verschiedenen Flugplätzen verbundenen
Flug, der am 17. Oktober 1977 in Mogadischu endete. Während der Entfüh-
rung waren Besatzung und Passagiere schwersten physischen und psychi-
schen Belastungen ausgesetzt, wobei die Entführer eine außergewöhnliche
Brutalität an den Tag legten. Der Flugkapitän Schumann war von dem Anführer
A. wegen angeblichen ”Ungehorsams” vor den Augen der Passa-
giere erschossen worden. Während der Entführung hatten die PFLP und die
RAF mit Schreiben u.a. an die Bundesregierung die Freilassung von elf inhaf-
tierten RAF-Mitgliedern und zwei in der Türkei in Haft befindlichen Palästinen-
sern neben einem Lösegeld von 15 Millionen US-Dollar gefordert.
Am 18. Oktober 1977 stürmte eine Spezialeinheit des Bundesgrenz-
schutzes (GSG 9) das Flugzeug und befreite die Passagiere und den Rest der
Besatzung. Bei der Erstürmung war von den Entführern auf die Beamten Hü.
und G. in Tötungsabsicht geschossen worden, wobei der Schuß
auf Hü. sein Ziel verfehlte und den hinter ihm befindlichen Beamten L.
verletzte. Der Schuß auf G. wurde von dessen Schutzweste aufgefan-
gen. Durch einen Handgranatenwurf eines Kommandomitglieds wurden zwei
Passagiere verletzt. Von den Entführern überlebte lediglich
Sa. schwerverletzt das Feuergefecht.
Die Angeklagte hat eine Beteiligung an dem Waffentransport bestritten
und erklärt, Aden zur fraglichen Zeit nicht verlassen zu haben. Das Oberlan-
desgericht hat seine Überzeugung von der Tatbeteiligung der Angeklagten im
wesentlichen auf die Aussage des Mitbeteiligten S. gestützt. Dieser sitzt
in einem Gefängnis in Beirut wegen Kollaboration mit Israel ein und mußte dort
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durch libanesiche Polizeibeamte in Anwesenheit von zwei Beamten des Bun-
deskriminalamtes, die ihn auch befragen durften, vernommen werden, da die
dortigen Behörden eine Überstellung nach Deutschland abgelehnt hatten.
Nach anfänglichem Bestreiten hat er schließlich den Transport und die Über-
gabe von Waffen und Sprengstoff wie festgestellt geschildert. Dabei hat er un-
ter anderem angegeben, daß er einen iranischen Reisepaß unter dem Namen
”Kamal Servati” mit einem Lichtbild von ihm benutzt habe, den er von
Ha. erhalten hatte. Sie seien zu dritt, mit ”Amal” und ihrem Kind, von
Algier mit Air Algerie nach Palma geflogen und dort in einem Hotel in zwei ne-
beneinanderliegenden Zimmern untergebracht worden. Die überbrachte Ausrü-
stung sei in Bonbondosen und in einem Radiogerät versteckt gewesen. Am
nächsten Tag seien sie über Paris nach Bagdad zurückgereist. Die von ihm
dabei abgegebene Darstellung des Ablaufs entsprach nicht dem damaligen
Erkenntnisstand der deutschen Ermittlungsbehörden, hat sich jedoch später als
zutreffend erwiesen. Das Oberlandesgericht hat während der Hauptverhand-
lung den Zeugen zusätzlich im Wege der Rechtshilfe durch ein libanesisches
Gericht vernehmen lassen, wobei nach libanesischem Recht der Angeklagten,
ihren Verteidigern und dem Generalbundesanwalt eine Teilnahme nicht ermög-
licht werden konnte. Nach der Bewertung des Oberlandesgerichts hat
S. hierbei im wesentlichen seine Aussage bestätigt, Abweichungen in einzel-
nen Punkten seien auf fehlende Vorhalte zurückzuführen.
Das Tatgericht hat die polizeiliche Aussage des Zeugen S. zwar
mit erheblicher Vorsicht und Zurückhaltung bewertet, da er weder vor Gericht
erscheinen, noch von den Verfahrensbeteiligten befragt werden konnte, sie
jedoch gleichwohl für glaubhaft erachtet, weil dieser sich durch die Aussage
selbst belastet habe, die Entstehungsgeschichte für ihre Glaubwürdigkeit spre-
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che und der Inhalt der Aussage schließlich durch eine Vielzahl anderer Be-
weismittel bestätigt werde. Dabei hat das Oberlandesgericht insbesondere fol-
gendes berücksichtigt:
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fassungsschutz, hat von einer Quelle über eine Kontaktperson, die Reisebe-
wegungen der terroristischen Szene im Mittelmeerraum feststellen konnte,
Informationen und schriftliche Unterlagen erhalten, die die Angaben von
S. über die Anreise der drei Personen von Algier nach Palma bestätigen.
Der Zeuge konnte bei einer Überprüfung die Unterlagen als ”absolut zuver-
lässig und beweiskräftig” einstufen. Aus ihnen ergibt sich, daß die Frau unter
dem Namen ”Cornelia Christina Trubendorffer”, das Kleinkind unter dem Na-
men ”Nicole, geboren am 17. Juli 1977” (dem tatsächlichen Geburtsdatum
des Kindes Hanna der Angeklagten) und der Mann unter dem Namen ”Kamal
Sarvati” gereist ist.
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hat von einer als zuverlässig eingestuften Quelle die Information erhalten, ei-
ne Frau mit dem Namen ”Amal” sei mit einem PFLP-Angehörigen und einem
etwa drei Monate alten Kleinkind mit Waffen und Sprengstoff von Algier nach
Palma geflogen. Die Quelle habe die Nummern und Herkunft der verwende-
ten Reisepässe benennen können, so daß bei einer Überprüfung festgestellt
werden konnte, daß der auf Cornelia Vermaesen, geb. Trubendorffer ausge-
stellte Paß dieser im Januar 1977 in Amsterdam gestohlen worden war und
der auf ”Kamal Servati” ausgestellte iranische Paß eine Totalfälschung mit
den gleichen Fälschungsmerkmalen wie die gefälschten iranischen Pässe des
vierköpfigen Entführerkommandos gewesen ist. Die Quelle habe an Hand von
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Lichtbildern die Angeklagte sicher als ”Amal” identifiziert, die den Transport
von Waffen und Sprengstoff durchgeführt habe.
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7. Oktober 1977, Abflug 18.45 Uhr, von Algier nach Palma zwei Passagiere
unter den Namen ”Cornelia Vermaesen, Alemana” und ”Sarvre Kamal, Irani”
verzeichnet waren.
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Abend des 7. Oktober 1977 dort eine Frau ”Vermaesen” und ein ”Kamal” in
zwei getrennten, aber nebeneinanderliegenden Zimmern eingebucht und
nach Bezahlung einer gemeinsamen Rechnung am nächsten Morgen wieder
abgereist sind.
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fallen, daß ”ein Mann mit arabischem Namen in Begleitung einer europäi-
schen Frau und eines Kleinkindes” im Hotel übernachtet hätten.
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nen Flug von Palma über Paris nach Belgrad die Namen ”Kamalsar. + inf” und
”Truhudor.” verzeichnet waren. Hierbei sind die Namen - wie bei dieser Ge-
sellschaft üblich - abgekürzt worden und das Kleinkind nur durch den Zusatz
”+inf” gekennzeichnet gewesen. Aus den verzeichneten Ticketnummern erge-
be sich, daß diese zusammen bestellt und gekauft worden seien.
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nach der Erstürmung sichergestellt.
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Das Oberlandesgericht hat diese Beweislage für die Bildung seiner
Überzeugung von der Tatbeteiligung der Angeklagten bereits als ausreichend
erachtet und ausgeführt, daß dieses Ergebnis zusätzlich durch die insoweit
glaubhaften Angaben des Zeugen B. bestätigt werde. Dieser
war damals Mitglied der RAF und hatte am 25. September 1977 im Auftrag der
RAF nach der Entführung Schleyers zusammen mit M. in
Bagdad Kontakt mit der PFLP aufgenommen, um eine sichere Aufenthaltsmög-
lichkeit nach Beendigung der Entführung zu erkunden. Bei dieser Gelegenheit,
bei der auch der Entschluß zur Entführung der Landshut durch die PFLP ge-
faßt worden war, hat der Zeuge nach seinem Bekunden die ihm bekannte An-
geklagte in einem Haus in Bagdad zufällig getroffen, wobei er den Eindruck
hatte, ihr sei das Zusammentreffen unangenehm, da sie ihn weder angespro-
chen, noch gegrüßt hatte, sondern sogleich verschwunden ist. Der Aufenthalt
der Angeklagten in Bagdad in einem Haus der PFLP gerade zu dem Zeitpunkt,
in dem die Entführung der Landshut beschlossen und vorbereitet worden war,
belegt nach der Auffassung des Oberlandesgerichts nicht nur, daß ihre Einlas-
sung, damals nur in Aden gewesen zu sein, nicht richtig ist, sondern gibt zu-
dem einen Hinweis darauf, daß auch ihr Besuch bei der PFLP in Bagdad der
Durchführung der Entführungsaktion diente (UA S. 161).
II.
Die Beschwerdeführerin beanstandet mit ihrer auf die Sachrüge und
mehrere Verfahrensrügen gestützten Revision, daß insgesamt von einem ord-
nungsgemäß, nach den Regeln der Strafprozeßordnung durchgeführten Ver-
fahren nicht gesprochen werden könne, dieses vielmehr ”fremdgesteuert” ge-
wesen sei.
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Das Rechtsmittel ist nicht begründet; insbesondere halten auch Beweis-
aufnahme und Beweiswürdigung einer rechtlichen Nachprüfung stand. Hin-
sichtlich der einzelnen Verfahrensrügen nimmt der Senat auf die eingehenden
und zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts in seiner Antrags-
schrift vom 11. Oktober 1999 Bezug. Der näheren Begründung bedarf nur fol-
gendes:
1. Die Rüge, die Verwertung der Aussagen der Zeugen P. (Bun-
desamt für Verfassungsschutz) und Ge. (Bundeskriminalamt) verstoße ge-
gen Art. 6 Abs. 1 und 3 Buchst. d MRK, weil die Befragung der Quellen nicht
möglich gewesen sei, ist unbegründet. Soweit diese Zeugen über eigene Über-
prüfungsergebnisse und die Beurteilung übergebener Unterlagen Angaben
gemacht haben, kommt ein solcher Verstoß ohnehin nicht in Betracht. Aber
auch die Einführung der von den nicht aufgedeckten Quellen stammenden In-
formationen verstößt unter den hier gegebenen Umständen weder gegen die
Strafprozeßordnung noch gegen Art. 6 Abs. 1 und 3 Buchst. d MRK.
a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dürfen Angaben
von Gewährspersonen, deren Identität dem Gericht nicht bekannt ist, regelmä-
ßig nur Grundlage einer Verurteilung werden, wenn sie zum einen einer be-
sonders kritischen Prüfung unterzogen und zudem durch andere Beweisanzei-
chen bestätigt werden (vgl. BGHSt 42, 15, 25 m.w.Nachw.; BVerfG NStZ 1995,
600). Diesen Anforderungen genügt die Beweiswürdigung des Oberlandesge-
richts, das mehrfach zu erkennen gegeben hat, daß es diese Angaben nur mit
großer Vorsicht bewertet und ihnen nur einen begrenzten Beweiswert zumißt.
Letztlich hat es die Informationen nur als Bestätigung zur Abrundung des durch
die Aussage des Zeugen S. und sonstige Beweismittel gefundenen Be-
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weisergebnisses herangezogen und insbesondere berücksichtigt, daß die An-
gaben der Quellen von im Umgang mit solchen Gewährspersonen erfahrenen
Beamten einer sorgfältigen Überprüfung an Hand mitgeteilter und dann bestä-
tigter Details, z.T. sogar an Hand übergebener beweiskräftiger schriftlicher
Unterlagen, unterzogen werden konnten.
b) Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung
der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte
(EGMR), insbesondere der von der Revision zitierten Entscheidung vom
23. April 1997 i.S. van Mechelen (StV 1997, 617; vgl. hierzu Renzikowski JZ
1999, 605 ff.). Bei dieser Entscheidung hat der EGMR wesentlich darauf abge-
stellt, daß dort die Identifizierung des Angeklagten van Mechelen als Täter
allein durch die Angaben anonym gebliebener Polizeibeamter erfolgt ist. Der
EGMR hat dazu ausgeführt, daß Polizeibeamte nur unter außergewöhnlichen
Umständen als anonyme Zeugen in Betracht kommen, da sie in besonderer
Gehorsamspflicht gegenüber der staatlichen Exekutive stehen und es von Na-
tur aus zu ihren Pflichten gehört, Zeugnis in öffentlicher Sitzung abzugeben.
Demgemäß hat der EGMR die Entscheidung i.S. van Mechelen gegenüber der
i.S. Doorson insofern abgegrenzt, als dort ”zwei Zivilzeugen” gute Gründe für
ihre Anonymität hatten und im übrigen sich die Täterschaft aus weiteren Be-
weismitteln ergeben hatte. Davon unterscheidet sich das vorliegende Verfah-
ren wesentlich. Bei den anonym gebliebenen Quellen handelt es sich, wie sich
aus den Sperrerklärungen und dem Zusammenhang der Urteilsgründe ergibt,
ersichtlich um im Ausland operierende Personen, die mit deutschen Behörden
auf dem Gebiet der Bekämpfung des internationalen Terrorismus zusammen-
arbeiten. Daß für solche Personen und gegebenenfalls auch ihre Familien eine
besondere Gefährdung durch Racheakte gefährlicher Terrororganisationen,
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aber auch im Falle einer Enttarnung von ”dritter Seite” (UA S. 86) besteht, wo-
mit offensichtlich ernste Sanktionen ihrer Aufenthaltsstaaten wegen der Zu-
sammenarbeit mit ausländischen Behörden gemeint sind, liegt auf der Hand,
zumal in solchen Fällen ein ausreichender Schutz durch deutsche Behörden
kaum möglich ist. Im übrigen wurden die von den Quellen herrührenden Infor-
mationen nicht als ”maßgebliche” Urteilsgrundlage, sondern, wie oben ausge-
führt, nur zur Abrundung des sonstigen Beweisergebnisses bestätigend heran-
gezogen.
Der EGMR hat in dieser Entscheidung in Erinnerung gerufen, daß sich
die Verwertung der Beweise vorrangig nach innerstaatlichem Recht richtet und
nur zu überprüfen ist, ob das Verfahren in seiner Gesamtheit in billiger Weise
durchgeführt worden ist. Die Verwendung anonymer Aussagen ist nicht unter
allen Umständen mit der Konvention unvereinbar, da auch Zeugen und deren
Familien Anspruch auf Schutz durch die Konvention hätten und im übrigen das
Interesse der Behörden, künftige Einsätze der Gewährspersonen nicht zunichte
zu machen, als legitim anerkannt werden müßte.
Durch die vorsichtige Bewertung und Heranziehung der anonymen An-
gaben nur zur Abrundung und Bestätigung des sonst gewonnenen Beweiser-
gebnisses ist auch die Behinderung der Verteidigung durch die fehlende Mög-
lichkeit einer Befragung kompensiert. Zwar ist dabei zu berücksichtigen, daß
die Verteidigung auf Grund der Weigerung der libanesischen Behörden nach
der dortigen Rechtslage auch bei den Vernehmungen des Zeugen S.
nicht anwesend sein und ihn befragen konnte, doch wird dies durch die Fülle
und Beweiskraft der übrigen - oben dargestellten - Beweisanzeichen, die die
Richtigkeit seiner Aussage bestätigen, ausgeglichen.
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c) Eine Verfahrensrüge dahin, das Oberlandesgericht hätte sich mit dem
Inhalt der für diese Quellen erteilten Sperrerklärungen gemäß § 96 StPO nicht
zufrieden geben dürfen und weitere Maßnahmen ergreifen müssen, ist nicht
erhoben. Den Urteilsgründen ist zu entnehmen, daß es die Sperrerklärungen
nicht nur auf das Vorliegen von Willkür und offenkundiger Fehlerhaftigkeit kon-
trolliert hat, sondern bei der Prüfung der substantiierten Begründungen zum
Ergebnis gelangt ist, diese seien nachvollziehbar, überzeugend und einleuch-
tend (UA S. 87, 100). Auf die von Renzikowski bei der Besprechung der ge-
nannten Entscheidung des EGMR i.S. van Mechelen aufgeworfene Frage, ob
die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach Sperrerklärun-
gen vom Tatrichter nur in einer Plausibilitätskontrolle darauf zu überprüfen
sind, ob sie nicht willkürlich oder offenkundig fehlerhaft sind (BGHSt 29, 109,
112; 33, 178, 180; 36, 159, 163), nicht mehr aufrechterhalten werden könne
(Renzikowski JZ 1999, 605, 612), kommt es hier daher nicht an. Im übrigen
würde es auch nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
einen Verfahrensfehler darstellen, wenn sich ein Tatgericht - wie offensichtlich
i.S. van Mechelen - nicht ausreichend um die Aufklärung und substantiierte
Darlegung der Sicherheitsbedenken bemühen und eine unzureichende Sper-
rerklärung einfach hinnehmen würde (vgl. BGHSt 29, 109, 113).
d) Auch aus einer neueren Entscheidung des Bundesverfassungsge-
richts ergeben sich keine Bedenken gegen die Behandlung der Sperrerklärun-
gen durch das Oberlandesgericht; insbesondere war es nicht verpflichtet, die
Sache dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung der Vereinbarkeit des § 96
StPO mit Art. 19 Abs. 4 GG vorzulegen.
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Nach dem zu einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergangenen
Beschluß vom 27. Oktober 1999 - 1 BvR 385/90 (http://www.bverfg.de) ist § 99
Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit Abs. 2 Satz 1 VwGO mit Art. 19 Abs. 4 GG un-
vereinbar, soweit er die Aktenvorlage auch in denjenigen Fällen ausschließt, in
denen die Gewährung effektiven Rechtsschutzes von der Kenntnis der Ver-
waltungsvorgänge abhängt. Die Entscheidung ist zu einem Fall ergangen, in
dem einem Beschwerdeführer die Weiterbeschäftigung in einem sicher-
heitsempfindlichen Bereich mit der Begründung untersagt worden war, das zu-
ständige Landesverfassungsschutzamt sei bei der Sicherheitsüberprüfung zum
Ergebnis gekommen, daß Bedenken gegen die Ermächtigung zum Umgang mit
Verschlußsachen bestünden. Im verwaltungsgerichtlichen Anfechtungsverfah-
ren hat das zuständige Innenministerium die Herausgabe der Unterlagen für
die Sicherheitsüberprüfung nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO verweigert; dies war
vom Verwaltungsgerichtshof in einer Beschwerdeentscheidung als gesetzmä-
ßig festgestellt worden. Das Bundesverfassungsgericht ist demgegenüber zum
Ergebnis gekommen, daß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO eine effektive gerichtliche
Kontrolle der Rechtmäßigkeit der gerichtlichen Entscheidung behindert und
insoweit mit Art. 19 Abs. 4 GG unvereinbar ist, zumal in einem solchen Falle, in
denen die geheimgehaltenen Erkenntnisse alleinige Entscheidungsgrundlage
sind, das Rechtschutzdefizit nicht im Rahmen der Beweiswürdigung ausgegli-
chen werden könne, indem etwa die übrigen Erkenntnisse verwertet und die
auf einer geheimgehaltenen Tatsachengrundlage beruhenden nur mit minde-
rem Beweiswert berücksichtigt werden.
Obgleich § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO in seinem Wortlaut § 96 StPO weit-
gehend entspricht, hat diese Entscheidung keine unmittelbaren Auswirkungen
auf das Strafverfahrensrecht.
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Eine Übertragbarkeit kommt schon deswegen nicht in Betracht, weil das
BVerfG in dem entschiedenen Fall maßgeblich darauf abgestellt hat, daß die
geheimgehaltene Tatsachengrundlage alleinige Entscheidungsgrundlage des
Gerichts hätte sein sollen, während nach der Rechtsprechung des Bundesge-
richtshofs - wie oben dargelegt - in Strafverfahren die Angaben anonymer Ge-
währspersonen niemals alleinige Verurteilungsgrundlage sein dürfen, sondern
durch andere Beweise bestätigt sein müssen. Im übrigen besteht ein wesentli-
cher Unterschied auch darin, daß dort das Landesamt für Verfassungsschutz
lediglich das - eher rechtlich wertende - Ergebnis der Überprüfung mitgeteilt
hat, daß Bedenken gegen eine Ermächtigung bestünden, ohne die dieser Be-
urteilung zugrundeliegenden Tatsachen konkret zu benennen, während in
Strafverfahren regelmäßig von den Quellen detaillierte Tatsachen (wie hier
Flugweg, Fluggesellschaft, geführter Tarnname, Art und Herkunft des Reise-
passes u.ä.) mitgeteilt werden. Damit hatte dort weder das Gericht eine Mög-
lichkeit zur Überprüfung der Tatsachengrundlage, noch konnte der Betroffene
einen Gegenbeweis antreten, während hier die Angaben der Quellen im ein-
zelnen überprüft und bestätigt werden konnten und damit auch die Möglichkeit
einer zielgerichteten Verteidigung eröffnet haben.
Im übrigen stehen auch die unterschiedlichen Verfahrensgrundsätze von
Straf- und Vewaltungsgerichtsverfahren einer Übertragung entgegen, worauf
das Bundesverfassungsgericht selbst hingewiesen hat. Es hat dazu ausgeführt,
daß eine Überlassung der geheimhaltungsbedürftigen Akten nur an das auf
Geheimhaltung verpflichtete Gericht, ohne daß der Betroffene Akteneinsicht
erhalte (sog. ”in camera”-Verfahren), wohl in einem verwaltungsgerichtlichen,
nicht aber in einem strafprozessualen Verfahren möglich erscheine. Während
sich im Strafverfahren Geheimhaltungsinteressen der Exekutive nach dem
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Grundsatz in dubio pro reo zugunsten des Angeklagten auswirkten und ein ”in
camera”-Vorgehen den Rechtsschutz des Angeklagten verschlechtern würden,
wirke sich im verwaltungsgerichtlichen Verfahren, in dem der Grundsatz in du-
bio pro reo nicht gelte, Geheimhaltung regelmäßig zum Nachteil für den
Rechtsschutzsuchenden aus.
Der Senat teilt die Auffassung des Bundesverfassungsgerichts, die ih-
rerseits auf eine Stellungnahme des Vorsitzenden des 4. Strafsenats verweist,
wonach sich die Sperrung von Beweismitteln im Strafverfahren nicht nachteilig
für einen Angeklagten auswirken darf. Zwar beeinträchtigt die Geheimhaltung
eines Beweismittels zwangsläufig die Möglichkeiten der Verteidigung, durch
den Antritt von Gegenbeweisen die Glaubwürdigkeit der anonymen Gewähr-
sperson und die Unglaubhaftigkeit ihrer Angaben zu beweisen, doch kann und
muß diese Beeinträchtigung durch das Erfordernis einer besonders kritischen
Prüfung der anonymen Angaben und ihres begrenzten Beweiswertes, wonach
sie nicht alleinige Urteilsgrundlage sein dürfen, sondern durch andere aussa-
gekräftige Beweismittel eine Bestätigung erfahren müssen, ausgeglichen wer-
den.
2. Die Beschwerdeführerin und der Generalbundesanwalt haben es zu
Recht als fehlerhaft angesehen, daß der Zeuge B. vereidigt
worden ist, ohne daß sich aus dem Hauptverhandlungsprotokoll oder aus den
Urteilsgründen eine Prüfung der Frage ergibt, ob nach § 60 Nr. 2 StPO von
einer Vereidigung abzusehen ist, weil die Feststellungen dem Tatrichter An-
haltspunkte für eine Beteiligung B. s an der Tat, zu der die Angeklagte nach
den Urteilsgründen Beihilfe geleistet hat, gegeben haben. Indes kann der Se-
nat unter den hier gegebenen besonderen Umständen ausschließen, daß das
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Urteil auf diesem Rechtsfehler beruht. Für die Frage, ob das Urteil auf einer
fehlerhaften Vereidigung beruhen kann, ist entscheidend, ob ein unter Einhal-
tung der Verfahrensvorschriften durchgeführtes Verfahren zu demselben Er-
gebnis geführt haben würde (RGSt 61, 353 f.; BGH, Beschl. vom 29. April 1980
- 1 StR 818/79). Zwar wird sich im Regelfall nicht ausschließen lassen, daß der
Tatrichter einem vereidigten Zeugen der Vereidigung wegen eine größere
Glaubwürdigkeit beigemessen hat (BGHSt 4, 130, 131), doch können die Um-
stände des Einzelfalls eine andere Beurteilung rechtfertigen. Hier hat der Ge-
neralbundesanwalt zu Recht darauf hingewiesen, daß das Oberlandesgericht,
obgleich es die Aussage des Zeugen in einer außerordentlich umfangreichen
Beweiswürdigung (UA S. 146 bis 161) auf ihre Glaubwürdigkeit untersucht hat,
an keiner Stelle auf die Vereidigung des Zeugen abgestellt hat. Das Tatgericht
hat ferner zu erkennen gegeben, daß es sich der problematischen Persönlich-
keit des Zeugen und deren Auswirkungen auf seine Glaubhaftigkeit durchaus
bewußt war, und schließlich auf Grund einer Fülle von Sachargumenten dar-
gelegt, warum es gleichwohl dem Zeugen insbesondere hinsichtlich seiner
Aussage über das Zusammentreffen mit der Angeklagten in Bagdad geglaubt
hat. Es hat dabei auch bedacht, daß der Zeuge an sich bestrebt war, die Ange-
klagte, die mit der RAF, der er selbst angehörte, sympathisiert hatte, nach
Möglichkeit nicht zu belasten, sobald sich für ihn ergab, daß eine Frage des
Gerichts belastende Umstände betraf. Unter diesen besonderen Umständen
kann der Senat ausschließen, daß weder das Aussageverhalten des Zeugen,
noch die Überzeugung des Tatgerichts von der Glaubhaftigkeit seiner Angaben
in den der Verurteilung zugrundegelegten Punkten von dem geleisteten Eid
beeinflußt gewesen sein könnte und daß es ohne diese Vereidigung zu einem
anderen Ergebnis gelangt wäre. Entsprechendes gilt auch für die Bekundun-
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gen des Zeugen zur RAF, zu der Entführung Schleyers sowie zur PFLP und
deren Gewinnung für die Entführung eines Passagierflugzeugs.
3. Das Oberlandesgericht hat bei der rechtlichen Würdigung zur Frage,
ob sich die Angeklagte die Herbeiführung der Todesfolge bei den Tatbestän-
den des Angriffs auf den Luftverkehr, der Geiselnahme und des erpresseri-
schen Menschenraubs zurechnen lassen müsse, lediglich ausgeführt, daß der
Angeklagten als Gehilfin zumindest Fahrlässigkeit anzulasten sei. Hat jedoch
bei einer Tat einer von mehreren Tatbeteiligten den qualifizierenden Erfolg
herbeigeführt, so können die übrigen Tatbeteiligten - also auch der Gehilfe -
nur dann wegen des erfolgsqualifizierten Delikts verurteilt werden, wenn auch
ihnen in Bezug auf die Todesfolge wenigstens Leichtfertigkeit vorzuwerfen ist
(BGHR StGB § 251 Todesfolge 4). Daß dies das Oberlandesgericht nicht
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ausdrücklich dargelegt hat, gefährdet indes hier das Urteil nicht, da eine ge-
steigerte Fahrlässigkeit im Sinne einer Leichtfertigkeit auf der Hand liegt, wenn
ein Täter einem gewaltbereiten Entführungskommando einer derart gefährli-
chen Terrororganisation wie der PFLP Waffen und Sprengstoff für die Entfüh-
rung eines Passagierflugzeuges überbringt.
Kutzer Miebach Winkler
Pfister von Lienen
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: nein
Veröffentlichung: ja
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StPO §§ 96 Satz 1, 261; MRK Art. 6 Abs. 3 Buchst. d
1. Zu den Grenzen der Beweiswürdigung bei der Verwertung
anonymer Quellen.
2. Ein "in camera"-Verfahren, wie es nach der Entscheidung
des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Oktober 1999 - 1
BvR 385/90 - zu § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO zulässig ist,
kommt im Bereich des Strafverfahrens zu § 96 Satz 1 StPO
nicht in Betracht.
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BGH, Urt. vom 11. Februar 2000 - 3 StR 377/99 - Oberlandes-
gericht Frankfurt am
Main