Urteil des BGH vom 04.06.2014

BGH: keine strafe ohne schuld, zeugnisverweigerungsrecht, ausnahme, ermittlungsverfahren, persönlichkeitsrecht, strafverfahren, polizei, strafrechtspflege, aussageverweigerung, verzicht

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
2 S t R 6 5 6 / 1 3
vom
4. Juni 2014
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
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Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 4. Juni 2014 beschlossen:
1. Der Senat beabsichtigt zu entscheiden:
Die Verwertung einer früheren richterlichen Vernehmung eines
Zeugen, der erst in der Hauptverhandlung von seinem Zeugnis-
verweigerungsrecht Gebrauch macht, durch Vernehmung der
richterlichen Vernehmungsperson ist nur dann zulässig, wenn
dieser Richter den Zeugen nicht nur über sein Zeugnisverwei-
gerungsrecht, sondern auch qualifiziert über die Möglichkeit der
Einführung und Verwertung seiner Aussage im weiteren Verfah-
ren belehrt hat.
2. Der Senat beabsichtigt, entgegenstehende eigene Rechtspre-
chung aufzugeben, und fragt bei den übrigen Strafsenaten an,
ob diese an entgegenstehender Rechtsprechung festhalten.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes zu lebenslanger
Freiheitsstrafe verurteilt. Nach den Feststellungen des Landgerichts tötete er
seine Ehefrau am 22. September 2012 durch insgesamt 60 Stiche und Schnitte
mit einem Messer. Hintergrund der Tat war die Eifersucht des Angeklagten auf
einen Nebenbuhler, mit dem seine Ehefrau seit längerer Zeit eine auch intime
Beziehung unterhielt, und seine mangelnde Bereitschaft, eine von dem Tatopfer
angekündigte Trennung hinzunehmen. Das Schwurgericht hat insoweit ange-
nommen, der Angeklagte habe aus niedrigen Beweggründen gehandelt.
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I.
Die Revision des Angeklagten erhebt die allgemeine Sachrüge und
macht mit der Verfahrensrüge eine Verletzung der §§ 252, 52 Abs. 1 Nr. 3,
Abs. 3 StPO geltend. Das Landgericht habe seine Überzeugung vom Tather-
gang maßgeblich auch auf Angaben der Tochter des Angeklagten gestützt, die
diese im Ermittlungsverfahren gegenüber einem nunmehr in der Hauptverhand-
lung vernommenen Richter gemacht hatte, ohne dass sie zuvor darüber belehrt
worden sei, dass bei späterer Zeugnisverweigerung in der Hauptverhandlung
ihre zuvor beim Richter gemachten Angaben verwertet werden könnten. Dies
müsse zu einem Verwertungsverbot führen, nachdem sie in der Hauptverhand-
lung von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 StPO Gebrauch gemacht
habe und sich mit einer Verwertung ihrer Angaben im Ermittlungsverfahren
nicht einverstanden erklärt habe. Die bisher in der Rechtsprechung anerkannte
Ausnahme einer Vernehmung der richterlichen Verhörsperson stehe mit dem
Schutzzweck des § 252 StPO nicht in Einklang, jedenfalls sei es notwendig,
den Zeugen vor einer ermittlungsrichterlichen Befragung qualifiziert auf die spä-
tere Verwertbarkeit der Angaben hinzuweisen.
Der Senat hält die Verfahrensrüge für erfolgversprechend (unten II.), hat
aber auch Bedenken hinsichtlich der Annahme des Mordmerkmals der niedri-
gen Beweggründe (unten III.).
II.
1. § 252 StPO schließt es aus, die Aussage eines vor der Hauptverhand-
lung vernommenen Zeugen zu verlesen, der erst in der Hauptverhandlung von
seinem Recht Gebrauch macht, das Zeugnis zu verweigern. Über den Wortlaut
hinaus enthält die Vorschrift nach ständiger Rechtsprechung des Bundesge-
richtshofs nicht nur ein Verlesungs-, sondern auch ein Verwertungsverbot. Die-
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ses schließt auch jede andere Verwertung der bei einer früheren Vernehmung
gemachten Aussage aus, wenn ein Zeuge in der Hauptverhandlung nach § 52
StPO berechtigt das Zeugnis verweigert und nicht ausdrücklich die Verwertung
seiner früheren Bekundungen gestattet. Auch die Vernehmung einer Verneh-
mungsperson über den Inhalt der früheren Vernehmung ist unzulässig. Von
diesem Verbot sind nur solche Bekundungen ausgenommen, die der Zeuge
- nach Belehrung über sein Zeugnisverweigerungsrecht - vor einem Richter
gemacht hat. Sie dürfen durch Vernehmung des Richters in die Hauptverhand-
lung eingeführt und bei der Urteilsfindung verwertet werden (st. Rspr.; vgl. zu-
letzt etwa BGHSt 45, 342, 345; 46, 189, 195; 49, 68, 76 f.; 57, 254, 256, jew.
mwN).
a) Diese differenzierende Behandlung im Umgang mit dem Verwertungs-
verbot des § 252 StGB begründet der Bundesgerichtshof mit dem Unterschied
zwischen richterlichen und nichtrichterlichen Vernehmungen. In älteren Ent-
scheidungen hat er sich in erster Linie darauf berufen, dass der Richter - anders
als der vernehmende Polizeibeamte oder der Staatsanwalt - verpflichtet sei,
Zeugen auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht hinzuweisen (BGHSt 2, 99, 106).
Seit Inkrafttreten des § 163a Abs. 5 StPO, der auch für Vernehmungen durch
die Polizei und die Staatsanwaltschaft eine Belehrung der Zeugen über ihr
Zeugnisverweigerungsrecht vorschreibt, sieht die Rechtsprechung das tragende
Argument für die unterschiedliche Behandlung richterlicher und nichtrichterli-
cher Vernehmungen darin, dass das Gesetz - wie aus § 251 Abs. 1 und Abs. 2
StPO zu entnehmen sei - richterlichen Vernehmungen ganz allgemein höheres
Vertrauen entgegenbringe (BGHSt 21, 218, 219; 36, 385, 386). Zusätzlich wird
die Zulässigkeit der Vernehmung der richterlichen Verhörsperson mit der für
den Zeugen erkennbaren und regelmäßig von ihm empfundenen erhöhten Be-
deutung der richterlichen Vernehmung für das Strafverfahren gerechtfertigt.
Diesem stehe nach der Belehrung durch den Richter deutlicher als bei einer
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polizeilichen Vernehmung vor Augen, dass er sich zwar aus dem ihn treffenden
Interessenwiderstreit durch Gebrauchmachen von dem Zeugnisverweigerungs-
recht befreien, aber im Falle der Aussage seine Angaben nicht ohne Weiteres
wieder beseitigen könne (BGHSt 49, 72, 77). Schließlich soll die Ungleichbe-
handlung von Aussagen vor einem Ermittlungsrichter und vor nichtrichterlichen
Ermittlungspersonen einen sachlichen Grund darin finden, dass der Ermitt-
lungsrichter in besonderer Weise geeignet - und in vielfältiger Weise vom Ge-
setzgeber dafür vorgesehen - sei, präventiven Rechtsschutz zu gewährleisten
(BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfas-
sungsgerichts vom 23. Januar 2008 - 2 BvR 2491/07, juris Rn.4).
b) Ihre materielle Rechtfertigung findet die Ausnahme vom Verwertungs-
verbot des § 252 StPO nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in
einer Güterabwägung. Angesichts eines nach Belehrung bewusst erklärten
Verzichts auf die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts in der verfahrens-
rechtlich hervorgehobenen Situation einer richterlichen Vernehmung ist das öf-
fentliche Interesse an einer effektiven Strafrechtspflege von höherem Gewicht
als das Interesse des Zeugen, sich die Entscheidungsfreiheit über die Aus-
übung des Zeugnisverweigerungsrechts bis zur späteren Hauptverhandlung
erhalten zu können (vgl. BGHSt 45, 342, 346; 46, 189, 195; BGH, Urteil vom
25. März 1998 - 3 StR 686/97, BGHR StPO § 252 Verwertungsverbot 14).
Durch diese Ausnahme vom Verwertungsverbot ist den Ermittlungsbehörden im
Regelfall durch Herbeiführung einer richterlichen Vernehmung der Weg eröff-
net, eine verwertbar bleibende Aussage zu erhalten.
2. Voraussetzung für eine Ausnahme vom grundsätzlichen Verwertungs-
verbot des § 252 StPO ist eine ordnungsgemäße richterliche Belehrung über
das Bestehen eines Zeugnisverweigerungsrechts und die sich daraus ergeben-
de Möglichkeit für den Zeugen, aus diesem Grund keine Angaben zur Sache zu
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machen. Nicht erforderlich ist es hingegen nach der bisherigen, vom
2. Strafsenat begründeten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, den aus-
sageverweigerungsberechtigten Zeugen über die Folgen eines Verzichts auf
das Auskunftsverweigerungsrecht, insbesondere über die weitere Verwertbar-
keit auch im Falle einer späteren Zeugnisverweigerung in der Hauptverhand-
lung, "qualifiziert" zu belehren (BGHSt 32, 25, 31 f.; BGH, Beschluss vom
12. April 1984 - 4 StR 229/84, StV 1984, 326; Urteil vom 30. August 1984
- 4 StR 475/84, NStZ 1985, 36). Begründet wurde dies mit der Erwägung, dass
ein Zeuge nicht einmal auf die Möglichkeit des Widerrufs eines erklärten Ver-
zichts auf sein Zeugnisverweigerungsrecht noch während der laufenden Ver-
nehmung hingewiesen werden müsse; umso weniger sei es deshalb geboten,
ihn schon vorsorglich für den Fall, dass er in der Hauptverhandlung das Zeug-
nis verweigern sollte, über die Auswirkungen auf die Verwertbarkeit seiner Aus-
sage hinzuweisen (BGHSt 32, 25, 32). Ergänzend wurde angeführt, für die An-
nahme einer solchen Belehrungs- oder Hinweispflicht fehle es an einer gesetz-
lichen Grundlage (BGH, NStZ 1985, aaO). Diese Begründung erscheint dem
Senat nicht mehr tragfähig.
3. a) Aufgabe des Strafprozesses ist es, den Strafanspruch des Staates
um des Schutzes der Rechtsgüter Einzelner und der Allgemeinheit willen in ei-
nem justizförmigen Verfahren durchzusetzen und dem mit Strafe Bedrohten
eine wirksame Sicherung seiner Grundrechte zu gewährleisten. Der Strafpro-
zess hat das aus der Würde des Menschen als eigenverantwortlich handelnder
Person abgeleitete Prinzip, dass keine Strafe ohne Schuld verhängt werden
darf (vgl. BVerfGE 80, 244, 255; 95, 96, 140), zu sichern und entsprechende
verfahrensrechtliche Vorkehrungen bereitzustellen. Zentrales Anliegen des
Strafprozesses ist die Ermittlung des wahren Sachverhalts, ohne den sich das
materielle Schuldprinzip nicht verwirklichen lässt (vgl. BVerfGE 122, 248, 270
mwN).
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Die Wahrheitserforschung im Strafprozess hat jedoch Grenzen, zur Wah-
rung des Schutzes eines Beschuldigten oder auch anderer Verfahrensbeteilig-
ter, die nicht zum Objekt des Verfahrens gemacht werden dürfen und in der
Strafprozessordnung wie auch in der Verfassung deshalb mit eigenen pro-
zessualen Rechten ausgestattet sind, die der Wahrheitserforschung im Wege
stehen können. Das Recht eines als Zeugen vernommenen Angehörigen des
Beschuldigten im Sinne von § 52 Abs. 1 StPO, das Zeugnis - ohne Angabe von
Gründen - zu verweigern, ist ein solches Recht (vgl. BVerfG, NStZ-RR 2004,
18, 19). Es gründet sich auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht des verwand-
ten Zeugen aus Art. 2 Abs. 1 GG, das die Aufgabe hat, die engere persönliche
Lebenssphäre und die Erhaltung ihrer Grundbedingungen zu gewährleisten, die
sich durch die traditionellen konkreten Freiheitsgarantien nicht abschließend
erfassen lassen (BVerfGE 54, 148, 153; 72, 155, 170). Es umfasst sowohl die in
§ 52 StPO geregelte Freiheit, ein Zeugnis betreffend eines nahen Angehörigen
verweigern zu können, wie auch die Option, früher getätigte Aussagen der Ver-
wertung im Strafverfahren wieder zu entziehen.
§ 52 StPO trägt der besonderen Lage eines Zeugen Rechnung, der als
Angehöriger des Beschuldigten der Zwangslage ausgesetzt sein kann, seinen
Angehörigen zu belasten oder die Unwahrheit sagen zu müssen. Niemand soll
gezwungen sein, aktiv zur Überführung eines Angehörigen beizutragen, weil
der Zwang zur Belastung von Angehörigen mit dem Persönlichkeitsrecht des
Zeugen unvereinbar wäre wie ein gegen den Zeugen geübter Zwang zur
Selbstbelastung (BVerfG, NStZ-RR 2004, 18, 19). Die Regelung lässt das öf-
fentliche Interesse an möglichst unbehinderter Strafverfolgung hinter das per-
sönliche Interesse des Zeugen zurücktreten, nicht gegen einen Angehörigen
aussagen zu müssen (BGHSt 12, 235, 239).
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Die Konfliktsituation zwischen Wahrheitspflicht und Näheverhältnis wirkt
zeitlich regelmäßig über die erste Zeugenaussage vor der Polizei hinaus fort.
Aus diesem Grund erweitert § 252 StPO den Schutz des Zeugen, der eine ein-
mal gemachte Aussage bis zur Hauptverhandlung für ihn folgenlos wieder rück-
gängig machen kann, ohne sie durch eine neue Aussage ersetzen zu müssen,
bei deren Abgabe er wiederum dem beschriebenen Spannungsverhältnis aus-
gesetzt wäre. Allein die Geltendmachung des Zeugnisverweigerungsrechts in
der Hauptverhandlung nach § 52 StPO würde die Zwangslage nicht beseitigen,
wenn bereits eine zuvor getätigte Aussage vorliegt, die über die Verlesung die-
ser Aussage oder auch über die Vernehmung der Verhörsperson in die Haupt-
verhandlung eingeführt werden könnte. § 252 StPO löst damit - auch im Ver-
ständnis des Bundesgerichtshofs, der, wie dargelegt, § 252 StPO nicht nur als
Verlesungs-, sondern als Verwertungsverbot versteht - grundsätzlich den Kon-
flikt zwischen Aufklärungsinteresse und Zeugenschutz.
b) Die in der Rechtsprechung seit jeher anerkannte Ausnahme von der
vorstehenden Regel durch Vernehmung einer früheren richterlicher Verneh-
mungsperson - unter der Voraussetzung damaliger Belehrung des Zeugen über
sein Zeugnisverweigerungsrecht - führt zu einer Austarierung von öffentlichem
Interesse an einer wirksamen Strafverfolgung und den die Regelung der §§ 52,
252 StPO tragenden Schutzzwecküberlegungen, die auch heute noch - trotz
der hiergegen in der Literatur seit jeher (vgl. aus älterer Zeit etwa: Eb. Schmidt,
JR 1959, 369, 373; Grünwald, JZ 1966, 489, 497 f.; Peters, JR 1967, 467 f.;
Eisenberg, NStZ 1988, 488, 489; Fezer, JZ 1990, 875, 876; Geerds, JuS 1991,
199, 200) erhobenen Einwendungen (Sander/Cirener, in: Löwe/Rosenberg,
StPO, 26. Aufl., § 252, Rn. 10: kriminalpolitische Zweckmäßigkeitsentschei-
dung, die weder im Wortlaut noch im Regelungszweck des § 252 StPO eine
Stütze finde; so auch: Pauly, in: Radtke/Hohmann, StPO, § 252, Rn. 25;
s. fer-
ner: Velten, in: SK-StPO, 4. Aufl., § 252, Rn. 4; Kudlich/Schuhr, in: SSW-StPO,
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§ 252, Rn. 20; Güntge, in: Alsberg, Der Beweisantrag im Strafprozess, 6. Aufl.,
Rn. 881) - gerechtfertigt erscheint (vgl. aber auch BGHSt 49, 72, 78 f., wo der
BGH auf den Wertungswiderspruch hinweist, dass auf eine Bild-Ton-
Aufzeichnung einer früheren richterlichen Vernehmung nach § 255a Abs. 1
StPO nicht, hingegen auf die Vernehmung des Richters als weniger zuverlässi-
gem Beweismittel zurückgegriffen werden kann, ohne die althergebrachte
Rechtsprechung in Frage zu stellen) und auch nicht zu einer bedenklichen Ein-
schränkung von Zeugenrechten führt.
Schon in seiner Grundsatzentscheidung im Jahre 1952 hat der Bundes-
gerichtshof diese Rechtsprechung nicht allein auf die formale Überlegung ge-
stützt, dass der Richter - im Gegensatz zu Polizei und Staatsanwaltschaft - zur
Belehrung über ein Auskunftsverweigerungsrecht verpflichtet sei. Er hat zudem
auf die für den Zeugen erkennbare und regelmäßig von ihm empfundene (sich
auch aus § 251 StPO ergebende) erhöhte Bedeutung der richterlichen Verneh-
mung (dazu auch: Pauly, aaO, § 252, Rn. 25) und dessen nach ordnungsge-
mäßer Belehrung und in Kenntnis der Tragweite seines Verhaltens getroffene
Entschließung abgestellt, an welcher er im Interesse der Wahrheitsfindung fest-
gehalten werden könne. Dieses Argument trägt auch heute noch grundsätzlich
- ohne dass es auf die von der Revision angezweifelte besondere "Qualität"
oder "Dignität" einer richterlichen Vernehmung ankäme (vgl. insoweit auch Ei-
senberg, NStZ 1988, 488; Geerds, JuS 1991, 199, 200) - die Differenzierung
zwischen polizeilich getätigten Aussagen und solchen, die in einer richterlichen
Vernehmung gemacht werden (zustimmend: Diemer, in: Karlsruher Kommentar
zur StPO, 7. Aufl., § 252, Rn. 22, 26; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl.
§ 252, Rn. 14). Dies gilt insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass damit
spätere unlautere Beeinflussungsversuche auf einen Zeugen, durch welche die
Wahrheitsermittlung im Strafverfahren Not leiden würde, genauso verhindert
werden können (vgl. BGHSt 2, 99, 109; 27, 139, 143; 45, 342, 347) wie wirksam
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der Gefahr begegnet werden kann, dass sich ein Zeuge zum Herrn des Verfah-
rens macht und dadurch die Wahrheitsermittlung vereitelt (vgl. schon BGHSt 2,
199, 107 f.; s. auch BGHSt 45, 342, 347 f.).
Ob an diesen Grundsätzen für richterliche Vernehmungen außerhalb ei-
nes Ermittlungsverfahrens festzuhalten ist, etwa für Angaben in einem familien-
gerichtlichen Verfahren, in dem ein Interesse daran bestehen kann, in diesem
Verfahren Angaben zu machen, ohne dass eine Strafverfolgung gewünscht
oder beabsichtigt ist, bedarf hier keiner Entscheidung (gegen die Möglichkeit
der Verwertung insoweit mit beachtlichen Argumenten Sander/Cirener, aaO,
§ 252, Rn. 30; vgl. auch BGHSt 36, 384 ff. m. Anm. Hassemer JuS 1990, 1023,
1024; dazu auch Julius, in: Heidelberger Kommentar zur StPO, 5. Aufl., § 252,
Rn. 10; Fezer, JZ 1990, 875, 876; Geerds, JuS 1991, 199, 201).
c) Abweichend von der bisherigen Rechtsprechung sieht der Senat diese
Ausgangs-Überlegung aber nur dann als gerechtfertigt an, wenn der Zeuge in
der im Ermittlungsverfahren durchgeführten richterlichen Vernehmung aus-
drücklich auch darüber belehrt worden ist, dass eine jetzt gemachte Aussage
auch dann verwertbar bleibt, wenn er in einer späteren Hauptverhandlung vom
Recht der Aussageverweigerung Gebrauch macht (so auch Julius, aaO, § 252,
Rn. 2; a. A. ohne nähere Begründung etwa Diemer, aaO, § 252, Rn. 28; weitere
abweichende Meinungen zitieren gleichfalls nur die genannte Rechtsprechung).
Erforderlich ist daher eine "qualifizierte" Belehrung, welche den Zeugen umfas-
send in die Lage versetzt, über seine Aussagebereitschaft und deren mögliche
Folgen für das spätere Verfahren zu entscheiden, und zugleich die Ausnahme
von einem umfassenden Verwertungsverbot bei einer richterlichen Vernehmung
legitimiert.
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aa) Zu Recht hat der BGH vielfach auf die besondere Bedeutung der Be-
lehrung des Zeugen für dessen Entscheidung hingewiesen, Angaben zu ma-
chen (BGHSt 2, 99, 106; zur Bedeutung der Belehrung s. auch BGHSt 9, 195,
197; 32, 25, 30 f.; so auch Diemer, aaO, § 252, Rn. 28). Zu der hierfür erforder-
lichen umfassenden Information gehört aber nicht allein die Kenntnis eines zum
Zeitpunkt der Vernehmung bestehenden Zeugnisverweigerungsrechts, sondern
auch die Kenntnis über die möglichen verfahrensrechtlichen Konsequenzen der
Aussagebereitschaft. Denn für die in den meisten Fällen nicht rechtskundigen
Zeugen liegt es in der Regel fern, sich zum Zeitpunkt einer (richterlichen) Ver-
nehmung im Ermittlungsverfahren von sich aus Gedanken darüber zu machen,
ob auch bei späterer Aussageverweigerung - für welche es eine Vielzahl nicht
zu überprüfender Gründe geben kann - ihre Aussage verwertbar bleibt. Die von
§§ 52, 252 StPO geschützten Interessen gebieten es vor diesem Hintergrund,
den Zeugen auch darüber zu belehren, dass er an zu diesem Zeitpunkt endgül-
tig und unwiderruflich über die Wahrnehmung des ihm zustehenden Zeugnis-
verweigerungsrechts zu entscheiden hat. Geschieht dies - wie bisher - nicht,
leidet der Entschluss des Zeugen an einem durchgreifenden Mangel, weil er
sich dieser Konsequenz seines Handelns nicht bewusst ist (vgl. zur notwendi-
gen Belehrung eines Zeugen, der Angaben in der Hauptverhandlung verwei-
gern, aber der Verwertung zuvor gemachter polizeilicher Angaben zulassen
möchte, BGH, Beschluss vom 18. Juli 2007 - 1 StR 296/07, NStZ 2007, 712,
713).
Eine in diesem Sinn qualifizierte Belehrung bietet hingegen eine sichere
Grundlage für die Entscheidung des Zeugen. Sie kann zudem seinen Blick auf
die bei ihm bestehende Konfliktsituation schärfen, die ansonsten für den Ange-
hörigen oft erst unmittelbar vor und während der Hauptverhandlung erkenn- und
spürbar wird (vgl. Eisenberg, NStZ 1988, 488, 489; so auch Sander/Cirener,
aaO, § 252, Rn. 10).
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Sofern man anders als der Senat davon ausginge, der Zeuge sei ange-
sichts des Verfahrensgangs ohnehin meist der Ansicht, dass mit der richterli-
chen Vernehmung seine Angaben für eine spätere Hauptverhandlung gesichert
werden sollen, würde dies keinen genügenden Grund darstellen, von einer ent-
sprechenden Belehrungspflicht abzusehen. Diese würde insoweit jedenfalls die
"Ausnahmefälle" erfassen, in denen es an der entsprechenden Kenntnis fehlt;
für die Praxis der Strafverfolgung hätte sie überdies keine besondere Relevanz,
weil die maßgeblichen Entscheidungen der Zeugen schon jetzt in umfassender
Kenntnis der damit verbundenen Auswirkungen getroffen würden.
bb) Der Annahme einer Belehrungspflicht stehen die bisher in der Recht-
sprechung des BGH hiergegen vorgebrachten Erwägungen nicht entgegen.
Dass es an einer gesetzlichen Grundlage hierfür fehle (so BGH, Urteil vom
30. August 1984 - 4 StR 475/84, NStZ 1985, 36), ist zwar zutreffend, schließt
aber die vom Senat befürwortete Anerkennung einer entsprechenden Beleh-
rung gerade nicht aus. Denn es handelt sich um Erwägungen und Anforderun-
gen im Bereich der richterrechtlich begründeten Ausnahme von dem Beweis-
verwertungsverbot des § 252 StPO. Es wäre widersprüchlich, ungeschriebene
Ausnahmen von einem Verwertungsverbot zuzulassen, für deren rechtsstaatli-
che Begrenzung aber eine gesetzliche Grundlage zu verlangen. Im Übrigen ist
zu bedenken, dass die Rechtsprechung auch in anderen Bereichen gesetzlich
nicht vorgesehene Belehrungspflichten entwickelt hat, etwa im Zusammenhang
mit § 136a StPO.
Soweit der Senat in einer Entscheidung aus dem Jahre 1983 (BGHSt 32,
25, 31 f.) die Ansicht vertreten hat, die Annahme einer Belehrungspflicht bei
einer ermittlungsrichterlichen Vernehmung sei nicht geboten, weil auch bei ei-
ner Vernehmung in der Hauptverhandlung kein Hinweis vonnöten sei, dass der
in der Aussage liegende Verzicht auf ein Auskunftsverweigerungsrecht jeder-
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zeit, auch noch während laufender Vernehmung, widerrufen werden könne, hält
er daran nicht fest. Die Situation eines Zeugen, der sich in der Hauptverhand-
lung dazu entschlossen hat, trotz Bestehen eines Auskunftsverweigerungs-
rechts Angaben zu machen, ist nicht mit der Lage zu vergleichen, in der sich
der Zeuge bei einer ermittlungsrichterlichen Vernehmung befindet. Entscheidet
sich die ordnungsgemäß belehrte Aussageperson in der Hauptverhandlung zu
einer Aussage, liegt dem regelmäßig eine in Kenntnis der Folgen für den ver-
wandten Angeklagten getroffene bewusste Entscheidung zugrunde, die keinen
Anhalt für einen bestehenden Willensmangel oder eine kurzfristig (während der
Vernehmung) zu erwartende Willensänderung bietet. Bei einer Vernehmung
durch einen Richter im Ermittlungsverfahren ist hingegen - wie oben dargelegt -
nicht ohne Weiteres davon auszugehen, dass der Zeuge sich der Endgültigkeit
seiner Entscheidung, die schon mit Blick auf den zu erwartenden Zeitablauf
zwischen dieser Vernehmung und einer späteren Hauptverhandlung und die
sich in dieser Zeitspanne möglicherweise ergebenden Entwicklungen im Ver-
hältnis zwischen dem Angeklagten und dem verwandten Zeugen vom Schutz-
zweck getragene Änderungen unterliegen kann, bewusst ist. Ihn darauf hinzu-
weisen, ist - anders als in der Hauptverhandlung - ein Gebot, das es ihm erst
ermöglicht, verantwortungsvoll über die Wahrnehmung seiner Rechte in der
vom Gesetz grundsätzlich als schützenswert angesehenen Situation zu ent-
scheiden.
cc) Die vom Senat für notwendig erachtete Belehrungspflicht würde die
Effektivität der Strafverfolgung nicht in nennenswertem Umfang in Frage stellen.
Es ist nicht zu befürchten, dass die Entscheidungen der großen Mehrzahl der
Zeugen nach einer solchen Belehrung anders ausfallen könnte als bisher,
selbst wenn es einzelne Zeugen geben mag, für die eine solche Belehrung An-
lass sein könnte, von einer Zeugenbekundung Abstand zu nehmen oder auf sie
jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt zu verzichten. Dies wäre hinzunehmen, denn
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es entspricht der gesetzgeberischen Wertung, dem Persönlichkeitsrecht des
Zeugen insoweit durch Einschränkung der Wahrheitsermittlung und damit letzt-
lich auch der Strafverfolgung Rechnung zu tragen, und räumt dem Zeugen da-
mit noch keine Befugnisse ein, die ihn - fernab des Konflikts, in dem er sich be-
findet und den er berechtigt für sich auch durch den Verzicht auf eine Aussage
lösen kann - zum "Herren über das Verfahren" machen würde. Eine Effektivität
der Strafrechtspflege, welche ihre Kraft wesentlich darauf stützte, dass Perso-
nen, deren Rechte dem Schutz des Gesetzes und der Strafverfolgungsorgane
anvertraut sind, bewusst unzureichend über ihre Rechtsstellung aufgeklärt wer-
den, wäre eines Rechtsstaats nicht würdig.
III.
Auch die Sachrüge erscheint dem Senat erfolgversprechend.
Der Senat hat Bedenken hinsichtlich der Annahme des Mordmerkmals
der niedrigen Beweggründe. Das Landgericht ist davon ausgegangen, das der
Tat ihr Gepräge gebende Hauptmotiv sei die Eifersucht des Angeklagten und
seine Weigerung, die Trennung von seiner Ehefrau zu akzeptieren; dies stehe
sittlich auf niedrigster Stufe. Dabei hat es zwar das ambivalente Verhalten des
Tatopfers in den Blick genommen; die Begründung, mit der die Strafkammer
dieses Verhalten als unbeachtlich angesehen hat, erscheint aber bedenklich.
Dass der Angeklagte "Handlungsalternativen" gehabt hat und die Situation an-
ders als durch Tötung seiner Ehefrau hätte lösen können, ist in diesem Zu-
sammenhang unerheblich und vermag nicht, dem Opferverhalten, das im Rah-
men der vorzunehmenden Gesamtwürdigung zu berücksichtigen ist, seine Be-
deutung zu nehmen.
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IV.
Dass der Senat insoweit die landgerichtliche Entscheidung aufheben
könnte, ohne dass eine Klärung der aufgeworfenen Rechtsfrage notwendig wä-
re, ändert aus seiner Sicht allerdings nichts an der Entscheidungserheblichkeit
dieser Rechtsfrage (als Voraussetzung einer möglichen Divergenzvorlage). Ei-
ne allein auf die Sachrüge gestützte Aufhebung der landgerichtlichen Entschei-
dung würde unter Zugrundelegung der bisherigen Rechtsprechung ohne Weite-
res dazu führen, dass die Schwurgerichtskammer ihrer Entscheidung erneut die
über die Vernehmung des Ermittlungsrichters in die Hauptverhandlung einge-
führten Angaben der Tochter des Angeklagten zugrunde legen und sich damit
aus der Sicht des Senats erneut rechtsfehlerhaft über die geschützten Interes-
sen der Zeugin hinwegsetzen müsste.
Fischer Schmitt Krehl
Eschelbach Zeng
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