Urteil des BGH vom 08.08.2006

BGH (stgb, stpo, aufhebung, umfang, eifersucht, affekt, verhalten, kritik, annahme, gutachten)

5 StR 284/06
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom 8. August 2006
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 8. August 2006
beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Land-
gerichts Zwickau vom 6. März 2006 gemäß § 349 Abs. 4
StPO im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen
aufgehoben.
Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als
unbegründet verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-
lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-
tels an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts
zurückverwiesen.
G r ü n d e
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes zu le-
benslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Die Revision des Angeklagten führt mit
der Sachrüge zu dem aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Teilerfolg. Das
weitergehende Rechtsmittel ist unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2
StPO.
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Nach den Feststellungen des Landgerichts tötete der 26 Jahre
alte Angeklagte seine Lebensgefährtin, die Mutter seines knapp zwei Jahre
alten Sohnes T. , – unter einer Blutalkoholkonzentration von 1,88 ‰ nach
Durchführung einvernehmlichen Geschlechtsverkehrs – mit einem Messer-
stich in den Hals. Er fügte sodann seinem bewusstlosen Opfer in rascher
Folge acht gleichförmige Stiche unterhalb der Brust und einen Stich in die
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Schamregion zu. Nach einer „zeitlichen Zäsur unbestimmter Länge“ nach
Eintritt des Todes stach der Angeklagte erneut elfmal in den Körper der Frau.
Das Landgericht hat – sachverständig beraten – das Bewusst-
sein des Angeklagten, die Arg- und Wehrlosigkeit bei der Tat ausgenutzt zu
haben, mit fehlerfreier Begründung bejaht. Da dieser eindeutige Befund
durch eine etwaige erhebliche Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit des
Angeklagten ersichtlich nicht berührt würde, steht der Schuldspruch nicht in
Frage. Indes bestehen gegen die weitere Annahme des Schwurgerichts, die
Steuerungsfähigkeit des Angeklagten sei unter dem Anknüpfungspunkt einer
tiefgreifenden Bewusstseinsstörung vollständig erhalten gewesen, durchgrei-
fende Bedenken. Diese führen allein zur Aufhebung des Strafausspruches;
die Voraussetzungen des § 64 StGB liegen eindeutig nicht vor.
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1. Das Landgericht hat die Beurteilungsgrundlage des psychi-
atrischen Sachverständigen nicht in einer zur Überprüfung durch das Revisi-
onsgericht ausreichenden Weise mitgeteilt (vgl. BGHR StGB § 20 Bewusst-
seinsstörung 3). Die Ausführungen des Landgerichts hierzu (UA S. 42) las-
sen im Unklaren, welche Behauptungen psychischer Befindlichkeiten des
Angeklagten das Landgericht als Schutzbehauptung wertet und welche Um-
stände der psychiatrische Sachverständige demgegenüber als Anknüpfungs-
tatsachen in seinem Gutachten herangezogen hat.
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2. Darüber hinaus bezieht sich die Würdigung des Schwurge-
richts, auch insoweit dem Gutachter folgend, nicht auf das gesamte Verhal-
ten des Angeklagten vor und während der Tat (vgl. BGHR aaO).
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a) Der kurz nach dem tödlichen Halsstich zugefügte Messer-
stich in die Schamregion wird nicht gesondert gewürdigt. Er könnte aber im
Zusammenhang mit der kurz vor der Tat aufgeflammten Eifersucht des An-
geklagten stehen (UA S. 6). Das Landgericht hat ferner nicht erwogen, ob die
Schlussfolgerung des Angeklagten aus einer Äußerung des Tatopfers, er sei
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nicht der Erzeuger von T. (UA S. 26), die Affektspannungen in der schwieri-
gen Partnerbeziehung erhöht haben könnte (vgl. BGHR StGB § 21 Affekt 6).
Die Lebensgefährtin des Angeklagten erhob schließlich unmittelbar vor der
Tat eine den üblichen Umfang übersteigende Kritik gegenüber dem Ange-
klagten in Bezug auf dessen Alkoholkonsum und Spielleidenschaft (UA S. 9).
b) Insbesondere hat das Landgericht seinen Blick nicht darauf
gerichtet, dass der Angeklagte nach einer zeitlichen Zäsur erheblicher Dauer
seiner bereits verstorbenen Lebensgefährtin weitere elf Stiche zugefügt hat.
Dieser Umstand und auch, dass das Landgericht keine nachvollziehbare Er-
klärung für die beträchtliche Anzahl der Stiche noch nach dem ersten massi-
ven Stich in den Hals gefunden hat (UA S. 43), zieht die Wertung des
Schwurgerichts, das Verletzungsbild spreche gegen ein kopfloses Wüten des
Angeklagten, sondern vielmehr für ein kontrolliertes und berechnendes Han-
deln (UA S. 43), durchgreifend in Zweifel.
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3. Danach bedarf der psychische Zustand des Angeklagten zur
Tatzeit insgesamt neuer Bewertung in einer Gesamtbetrachtung (vgl. BGHR
StGB § 21 Ursachen, mehrere 3). Insbesondere das fehlerfrei festgestellte
weitere
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Nachtatgeschehen lässt es ausgeschlossen erscheinen, dass die Vorausset-
zungen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung mit den Auswirkungen des
§ 20 StGB festzustellen sein werden.
Basdorf Häger Gerhardt
Brause Jäger