Urteil des BGH vom 26.04.2006

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5 StR 51/06
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 26. April 2006
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Raubes u. a.
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 26. Ap-
ril 2006, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin Harms,
Richter Häger,
Richter Basdorf,
Richterin Dr. Gerhardt,
Richter Schaal
als
beisitzende
Richter,
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof
als
Vertreterin
der
Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als
Verteidiger,
Justizhauptsekretärin
als
Urkundsbeamtin
der
Geschäftsstelle,
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für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des
Landgerichts Berlin vom 24. Oktober 2005 wird verworfen.
Die Staatskasse trägt die Kosten des Rechtsmittels der
Staatsanwaltschaft und die dem Angeklagten hierdurch ent-
standenen notwendigen Auslagen.
– Von Rechts wegen –
G r ü n d e
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Rau-
bes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe
von zwei Jahren verurteilt und die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung
ausgesetzt. Die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Revision der
Staatsanwaltschaft, die vom Generalbundesanwalt nicht vertreten wird, bleibt
erfolglos.
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I.
Nach den Urteilsfeststellungen suchte der mehrfach wegen
vorsätzlicher Körperverletzung zu Geldstrafen verurteilte Angeklagte Ende
April 2005 in seiner Eigenschaft als Fernsehmechaniker die seinerzeit fast
90-jährige, aber noch rüstige später Geschädigte S. auf, deren Fern-
sehgerät defekt war. Bei dieser Gelegenheit bat ihn die alte Dame, auch ih-
ren Türsummer an der Eingangstür zu reparieren, was der Angeklagte ihr für
einen späteren Zeitpunkt zusagte.
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In der Folgezeit beschlossen der Angeklagte und sein damali-
ger Kollege A. , Frau S. unter dem Vorwand, den Türsummer
reparieren zu wollen, zu bestehlen. Sie wollten ihr Vorhaben erforderlichen-
falls unter Anwendung von Drohungen und notfalls auch mit Gewalt durch-
führen. Der Angeklagte wollte von dem erwarteten Anteil am Beutegeld unter
anderem Spielschulden bezahlen.
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Am 3. Mai 2005 erschienen der Angeklagte und sein Kollege
A. bei Frau S. und gaben vor, den Türsummer reparieren zu wollen.
Während sich der Angeklagte zunächst an dem Fernsehgerät zu schaffen
machte, an dem wiederum Störungen aufgetreten waren, packte A. die
Geschädigte von hinten an den Hals, würgte sie, hielt ihr die Nase zu und
drückte ihr etwas auf das Gesicht. Vom Maß der Gewaltanwendung über-
rascht und in der Absicht, seinen Mittäter aus Angst um das Leben der Ge-
schädigten zu „bremsen“ und auch um ihr „die Todesangst zu nehmen“, rief
der Angeklagte A. zu, „man wolle Frau S. nicht töten, sie vielmehr nur
ohnmächtig machen“ und holte ein Glas Wasser für das Opfer.
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Gleichwohl nutzte er die durch A. geschaffene Lage aus
und forderte Frau S. auf, Bargeld herauszugeben und den Tresor zu öff-
nen. Da ihm das im Tresor aufgefundene Bargeld, der Schmuck und die Kre-
ditkarten nicht reichten, verlangte er nunmehr 20.000 Euro. Frau S. simu-
lierte einen Schwächeanfall, legte sich auf ihr Bett und versuchte, den dort
befindlichen Alarmknopf zu drücken. Als der Angeklagte dies bemerkte und
sie fragte, ob sie Alarm ausgelöst hätte, antwortete sie mit „Ja“ und „Ver-
schwinden Sie schnellstens“. Der Angeklagte und sein Mittäter verließen oh-
ne Beute fluchtartig das Haus.
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Das Landgericht hat das Vorliegen minder schwerer Fälle ver-
neint und den gemäß §§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen
des § 249 Abs. 1 StGB, begrenzt durch die Mindeststrafe des § 224 Abs. 1
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StGB (Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu elf Jahren und drei Mona-
ten), zugrunde gelegt. Bei der Strafzumessung im engeren Sinne hält die
Strafkammer dem Angeklagten in erster Linie zugute, dass er ein umfassen-
des, von Reue getragenes Geständnis abgelegt und damit der hoch betagten
Geschädigten ein Auftreten in der Hauptverhandlung und eine sie belastende
Begegnung mit ihm erspart habe. Weiter ist strafmildernd bedacht worden,
dass er die Identität seines den Strafverfolgungsbehörden bis dahin unbe-
kannten Mittäters preisgegeben habe, obwohl er von dessen Seite Sanktio-
nen befürchtete. Schließlich hat sie zu seinen Gunsten berücksichtigt, dass
ihn die erstmals erlittene Untersuchungshaft erheblich beeindruckt habe.
Strafschärfend ist gewürdigt worden, dass er das Vertrauen und die Arglo-
sigkeit der Verletzten missbraucht und sie gemeinsam mit dem Mittäter in
Todesangst versetzt habe. Darüber hinaus ist ihm angelastet worden, dass
er zwei Straftatbestände verwirklicht habe und einschlägig vorbestraft sei.
Die Strafaussetzung begründet das Landgericht damit, dass
der Angeklagte in geordneten persönlichen Verhältnissen lebe und sozial
integriert sei. Die positive Kriminalprognose werde auch durch die Beiord-
nung eines Bewährungshelfers gestützt, der dem Angeklagten zur weiteren
Stabilisierung zur Seite gestellt werde. Die besonderen Umstände im Sinne
des § 56 Abs. 2 StGB sieht die Kammer im Wesentlichen im Zusammentref-
fen der bereits bei der Strafzumessung angeführten Strafmilderungsgründe,
wobei zusätzlich noch darauf abgestellt wird, dass der Angeklagte, der mit 33
Jahren erstmalig eine derart gravierende Tat begangen hat, zum ersten Mal
zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden sei.
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II.
Der Strafausspruch und die Strafaussetzung zur Bewährung
halten rechtlicher Prüfung noch stand.
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Die Strafzumessung ist grundsätzlich Sache des Strafrichters,
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dessen Aufgabe darin besteht, auf der Grundlage des umfassenden Ein-
drucks, den er in der Hauptverhandlung von Tat und Täter gewonnen hat, die
wesentlichen be- und entlastenden Umstände festzustellen, zu bewerten und
gegeneinander abzuwägen; das Revisionsgericht kann nur eingreifen, wenn
die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, wenn sie gegen rechtlich
anerkannte Strafzwecke verstoßen, wenn sich die verhängte Strafe nach
oben oder unten von ihrer Bestimmung, gerechter Schuldausgleich zu sein,
so weit löst, dass sie nicht mehr innerhalb des dem Tatrichter eingeräumten
Spielraums liegt (BGHR StGB § 46 Abs. 1 Strafhöhe 10 m.w.N.).
In diesem Sinne weisen die Urteilsausführungen keinen
durchgreifenden Rechtsfehler zu Gunsten des Angeklagten auf. Insbesonde-
re ist nicht zu beanstanden, dass die Strafkammer dem Geständnis des An-
geklagten ein erhebliches strafmilderndes Gewicht beigemessen hat. Nach
Auffassung der Beschwerdeführerin hätte in diesem Zusammenhang aller-
dings erörtert werden müssen, ob der Angeklagte aufgrund der am Tatort
gesicherten daktyloskopischen Spuren nicht ohnehin hätte überführt werden
können. Zwar trifft es grundsätzlich zu, dass einem Geständnis nur geringe-
res Gewicht zukommt, wenn Leugnen aufgrund der Beweislage ganz aus-
sichtslos wäre (vgl. Tröndle/Fischer, StGB 53. Aufl. § 46 Rdn. 50 m.w.N.).
Der Generalbundesanwalt weist in diesem Zusammenhang aber zutreffend
darauf hin, dass nicht nachgeprüft werden könne, ob hier ein Bestreiten auf-
grund der Spurenlage aussichtslos gewesen wäre, weil die Beschwerdefüh-
rerin den Inhalt des daktyloskopischen Gutachtens nicht mitgeteilt hat (§ 344
Abs. 2 Satz 2 StPO). Im Übrigen hatte sich der Angeklagte bereits vor der
Tat im Einverständnis mit dem späteren Opfer in deren Haus aufgehalten
und kann bei dieser Gelegenheit Spuren hinterlassen haben; auch hat er sich
nach den Feststellungen bei der Tat spätestens nach Hantieren an dem
Fernsehgerät Handschuhe übergezogen.
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Dass die Strafkammer dem Geständnis auch deshalb beson-
deres Gewicht beigemessen hat, weil dem betagten Opfer hierdurch eine
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Vernehmung in der Hauptverhandlung erspart geblieben ist und der Ange-
klagte darüber hinaus trotz befürchteter Racheakte seinen Mittäter benannt
hat, ist im Blick auf den weiten Beurteilungsrahmen des Tatrichters aus
Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Angesichts der Ausführungen der
Strafkammer zum Tatbild, zum Alter der Geschädigten, zum Eindringen in
deren engsten, besonders geschützten Lebensraum und den hieraus abge-
leiteten Strafschärfungsgründen ist entgegen der Auffassung der Beschwer-
deführerin auch nicht zu besorgen, das Landgericht könne die Bedeutung der
Tat für das Opfer nicht ausreichend gewürdigt haben.
Der Staatsanwaltschaft ist allerdings zuzugeben, dass die ver-
hängte Freiheitsstrafe außerordentlich milde ist. Sie ist jedoch im Hinblick auf
die Gewichtung der Strafzumessungserwägungen, die ersichtlich auch auf
dem Eindruck von der Persönlichkeit des Angeklagten beruhen, nicht unver-
tretbar milde und entfernt sich noch nicht in unzulässiger Weise von ihrer
Bestimmung des gerechten Schuldausgleichs. Die Strafzumessung des Tat-
richters ist im Übrigen auch in Zweifelsfällen bis an die Grenze des Vertretba-
ren hinzunehmen, selbst wenn eine andere Entscheidung – wie hier – näher
gelegen hätte (vgl. BGHR StGB § 23 Abs. 2 Strafrahmenverschiebung 12
m.w.N.).
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Dasselbe gilt für die dem Angeklagten gewährte Strafausset-
zung zur Bewährung. In diesem Zusammenhang führt der Generalbundes-
anwalt zutreffend aus, dass den diesbezüglichen Erwägungen der Straf-
kammer ausreichend zu entnehmen ist, dass sie die Vorstrafen des Ange-
klagten und die weiteren ihn belastenden Umstände bei der Annahme be-
sonderer Umstände
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im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB nicht außer Betracht gelassen hat. Schließ-
lich gebietet nach den getroffenen Feststellungen auch die Verteidigung der
Rechtsordnung die Vollstreckung der erkannten Strafe nicht (§ 56 Abs. 3
StGB).
Harms Häger Basdorf
Gerhardt Schaal