Urteil des BGH vom 23.05.2006

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
VI ZB 7/05
vom
23. Mai 2006
in dem Rechtsbeschwerdeverfahren
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
ZPO § 91 Abs. 1 Satz 1
Zum Anspruch auf Erstattung von Kosten eines vorprozessual beauftragten Pri-
vatsachverständigen (Fortführung von BGHZ 153, 235).
BGH, Beschluss vom 23. Mai 2006 - VI ZB 7/05 - OLG Karlsruhe
LG Mannheim
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Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 23. Mai 2006 durch die Vize-
präsidentin Dr. Müller und die Richter Dr. Greiner, Wellner, Pauge und Stöhr
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten wird der Beschluss des
15. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 1. Februar
2005 aufgehoben. Die sofortige Beschwerde des Klägers gegen
den Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Mannheim
vom 22. Juli 2004 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten der Beschwerdeverfahren.
Gegenstandswert: 2.862,88 €
Gründe:
I.
Der Kläger hat die Beklagte zu 1 als Haftpflichtversicherer des unfallbe-
teiligten Kraftfahrzeuges mit Schreiben vom 15. Juli 2002 auf Schadensersatz
in Anspruch genommen, wobei er auf der Grundlage eines außergerichtlichen
Gutachtens Reparaturkosten in Höhe von 7.085,86 € geltend machte. Die Be-
klagte zu 1 hatte Zweifel an der Schilderung des Unfallablaufs und an der Höhe
des vom Kläger geltend gemachten Schadens. Am 18. Juli 2002 beauftragte sie
daher den Sachverständigen B. mit einer Prüfung der "Kompatibilität der Schä-
den der beteiligten Fahrzeuge" unter Berücksichtigung der Angaben zu dem
Schadenshergang und mit einer Überprüfung der Schadenshöhe. Mit Schreiben
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vom 2. September 2002 erinnerte der Kläger die Beklagte an sein Anspruchs-
schreiben vom 15. Juli 2002 und setzte ihr zur Zahlung eine Frist bis zum
10. September 2002. Für den Fall der Nichtzahlung innerhalb dieser Frist kün-
digte er die Erhebung einer Klage an. Am 20. September 2002 erstellte der
Sachverständige B. das von der Beklagten zu 1 in Auftrag gegebene Gutach-
ten. Er kam zwar zu dem Ergebnis, der vom Kläger geschilderte Unfallablauf sei
nachvollziehbar und die Schäden an den beteiligten Fahrzeugen seien kompa-
tibel, meinte jedoch, wegen bisher nicht berücksichtigter Vorschäden und eines
Abzugs Neu für Alt seien die erforderlichen Reparaturkosten entgegen dem
vom Kläger vorgelegten Gutachten nur auf 3.457,91 € anzusetzen. Mit Schrei-
ben vom 17. Oktober 2002 lehnte die Beklagte zu 1 daraufhin eine Schadens-
regulierung ab, da sie nach Abschluss ihrer Ermittlungen nicht von einem "reel-
len Schadensereignis" ausgehen könne. Am 26. März 2003 erhob der Kläger
daraufhin Klage gegen die Beklagte zu 2 als Halterin und die Beklagte zu 1 als
Haftpflichtversicherer des unfallbeteiligten Fahrzeuges auf Zahlung der geltend
gemachten Reparaturkosten in Höhe von 7.085,86 €. Die Beklagten traten der
Klage entgegen und bestritten sowohl das vom Kläger behauptete Unfallereig-
nis als auch die Höhe des geltend gemachten Schadens. Nachdem das Land-
gericht die Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens zur Fra-
ge der Kompatibilität der Schäden mit dem vom Kläger behaupteten Unfaller-
eignis und zur Frage der Schadenshöhe beschlossen hatte, stellte die Beklagte
zu 1 das von ihr eingeholte Privatgutachten des Sachverständigen B. sowohl
dem gerichtlichen Sachverständigen als auch dem Gericht und dem Kläger zur
Verfügung. Nachdem der Gerichtssachverständige in seinem Gutachten zu
dem Ergebnis gekommen war, die vom Kläger angegebenen Schäden an sei-
nem Fahrzeug seien nur teilweise mit dem geschilderten Unfallereignis verein-
bar und es seien auch andere - nicht vereinbare - Schäden vorhanden, die,
wenn sie bereits vor dem Unfall entstanden seien, eine Schadenserhöhung
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durch den vom Kläger geschilderten Unfall nicht feststellbar machten, wies das
Landgericht die Klage mit Urteil vom 2. April 2004 ab.
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Mit Beschluss vom 22. Juli 2004 hat die Rechtspflegerin die vom Kläger
an die Beklagten zu erstattenden Kosten auf 6.561,14 € nebst Zinsen festge-
setzt. Hierin ist ein Betrag von 2.862,88 € enthalten, welchen die Beklagte zu 1
für das vorgerichtliche Gutachten des Sachverständigen B. aufgewendet hat.
Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Klägers hatte Erfolg und führte zu
einer entsprechenden Abänderung des Kostenfestsetzungsbeschlusses durch
das Beschwerdegericht. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde begehren die
Beklagten eine Wiederherstellung des Kostenfestsetzungsbeschlusses des
Landgerichts.
II.
1. Das Oberlandesgericht hat im Wesentlichen ausgeführt, die Kosten für
das von der Beklagten zu 1 eingeholte Privatgutachten des Sachverständigen
B. seien keine "Kosten des Rechtsstreits" im Sinne von § 91 Abs. 1 Satz 1
ZPO, weil sie veranlasst worden seien, bevor sich der Rechtsstreit einigerma-
ßen konkret abgezeichnet habe. Am 18. Juli 2002, als die Beklagte zu 1 den
Sachverständigen B. beauftragte, habe es noch keine konkrete Aussicht auf
einen etwa erforderlichen Rechtsstreit gegeben, da der Kläger zu diesem Zeit-
punkt noch keine Klage angedroht gehabt habe. Das Schreiben des Klägerver-
treters vom 15. Juli 2002 sei ein übliches Anspruchsschreiben nach einem Ver-
kehrsunfall gewesen, in welchem der Kläger zunächst von einer außergerichtli-
chen Regulierung ausgegangen sei. Erst das weitere Schreiben des Klägerver-
treters vom 2. September 2002 enthalte eine Klageandrohung, nachdem die
Beklagte zu 1 bis dahin auf das Anspruchsschreiben nicht reagiert habe. Zum
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Zeitpunkt der Klageandrohung habe die Beklagte zu 1 den Sachverständigen B.
jedoch schon beauftragt gehabt, so dass die Klageandrohung für die entstan-
denen Sachverständigenkosten keine Rolle gespielt habe.
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2. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§§ 574 Abs. 1 Nr. 2, 104 Abs. 3,
568 ZPO) und auch ansonsten zulässig (§§ 575 Abs. 1 und 2, 551 Abs. 2
Satz 5 und 6, 577 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Sie ist auch begründet und führt zur
Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Wiederherstellung des ur-
sprünglichen Kostenfestsetzungsbeschlusses.
a) Das Beschwerdegericht geht im Ansatz zutreffend davon aus, dass
der unterlegene Kläger die dem Gegner erwachsenen Kosten des Rechtsstreits
zu erstatten hat, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung not-
wendig waren (§§ 91 Abs. 1 Satz 1, 103 Abs. 1 ZPO), und dass dies bei Kosten
für ein vorprozessual eingeholtes Sachverständigengutachten nur ausnahms-
weise der Fall ist (vgl. Senat, BGHZ 153, 235).
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Ein Privatgutachten wird nicht schon durch seine Vorlage im Rechtsstreit
"prozessbezogen". § 91 Abs. 1 ZPO sieht einer Erstattungspflicht nur für die
dem Gegner erwachsenen "Kosten des Rechtsstreits" vor. Damit soll verhindert
werden, dass eine Partei ihre allgemeinen Unkosten oder prozessfremde Kos-
ten auf den Gegner abzuwälzen versucht und so den Prozess verteuert. Jede
Partei hat grundsätzlich ihre Einstandspflicht und ihre Ersatzberechtigung in
eigener Verantwortung zu prüfen und den dadurch entstehenden Aufwand
selbst zu tragen. Deshalb genügt die Vorlage eines in anderem Zusammenhang
erstellten Gutachtens allein nicht. Die Tätigkeit des Privatsachverständigen
muss vielmehr in unmittelbarer Beziehung zu dem Rechtsstreit stehen.
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Der Senat (aaO, 235) hat dies für den Fall bejaht, dass das Sachver-
ständigengutachten von dem an der Rechtmäßigkeit des Schadensersatzbe-
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gehrens zweifelnden Haftpflichtversicherer erst zu einem Zeitpunkt in Auftrag
gegeben worden ist, zu dem die Klage bereits angedroht worden war. Im Hin-
blick auf eine konkrete Klageandrohung kann die Beauftragung eines Privat-
sachverständigen und der damit verbundene Kostenaufwand nicht den allge-
meinen Betriebskosten zugerechnet werden, die grundsätzlich nicht erstat-
tungsfähig sind. Vielmehr liegt auf der Hand, dass das Privatgutachten nicht nur
einer etwaigen außergerichtlichen Schadensfeststellung dienen, sondern auch
die Position des Auftraggebers in dem ihm angedrohten Rechtsstreit stützen
sollte.
Im vorliegenden Fall hatte die Beklagte zu 1 den Sachverständigen B.
zwar schon vor Klageandrohung mit der Erstellung des Sachverständigengut-
achtens beauftragt, das Sachverständigengutachten wurde jedoch erst nach
Klageandrohung erstellt. Dies genügt ebenfalls zur Bejahung unmittelbarer Pro-
zessbezogenheit. Es macht insoweit keinen Unterschied, ob der Sachverstän-
dige das Gutachten aufgrund eines ihm nach Klageandrohung erteilten Auftrags
erstellt oder aufgrund eines zum Zeitpunkt der Klageandrohung fortbestehen-
den Auftrages. Denn spätestens mit der Klageandrohung wird die für die Vorbe-
reitung der Rechtsverteidigung im anstehenden Prozess maßgebende Erstel-
lung des Sachverständigengutachtens zu einer unmittelbar prozessbezogenen
Tätigkeit. Eine ausschließliche Ausrichtung des ursprünglichen Gutachten-
auftrags auf den konkreten Prozess ist dagegen nicht erforderlich (vgl. Senat
aaO), zumal die Kosten des Sachverständigengutachtens erst nach seiner Er-
stellung - hier nach Klageandrohung - entstehen (und der Auftrag vorher grund-
sätzlich gekündigt werden kann).
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b) Der Auftrag an den Privatsachverständigen war im konkreten Fall
auch notwendig zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung.
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Die Beurteilung dieser Frage hat sich daran auszurichten, ob eine ver-
ständige und wirtschaftlich vernünftig denkende Partei diese die Kosten auslö-
sende Maßnahme ex ante als sachdienlich ansehen durfte. Dabei darf die Par-
tei die zur vollen Wahrnehmung ihrer Belange erforderlichen Schritte ergreifen.
Über diesen Blickpunkt kommt eine Erstattung der Kosten eines Privatgutach-
tens dann in Betracht, wenn die Partei infolge fehlender Sachkenntnisse nicht
zu einem sachgerechten Vortrag in der Lage ist (vgl. Senat aaO, 238 m.w.N.).
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Dies kann der erkennende Senat unter den gegebenen Umständen
ebenfalls bejahen, ohne dass es hierzu noch tatsächlicher Feststellungen be-
darf. Die Beklagte zu 1 hatte aufgrund des Klägervortrags Zweifel an der Schil-
derung des Unfallablaufs und an der Höhe des vom Kläger geltend gemachten
Schadens. In solchen Fällen, in denen ein Versicherungsbetrug in Betracht
kommt, gestaltet sich für den beklagten Versicherer der Nachweis eines ver-
suchten Versicherungsbetrugs erfahrungsgemäß schwierig. Der Versicherer
wird in der Regel selbst nicht die Sachkenntnis besitzen, die erforderlich ist, um
eine Verursachung der geltend gemachten Schäden durch den Unfall mit hin-
reichender Sicherheit und Überzeugungskraft auszuschließen. Er bedarf daher
regelmäßig sachverständiger Hilfe, um den zur Rechtsverfolgung oder -verteidi-
gung erforderlichen Vortrag halten zu können und kann deshalb nicht darauf
verwiesen werden, zunächst die Einholung eines Sachverständigengutachtens
durch das Gericht abzuwarten. Jedenfalls ist es in einem solchen Fall zweck-
mäßig, wenn die Partei sich sachkundig beraten lässt, ehe sie vorträgt (vgl. Se-
nat aaO, 239 m.w.N.).
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c) Da der Kläger gegen die Höhe der geltend gemachten Sachverständi-
genkosten keine Einwendung erhoben hat, kann der Senat in der Sache ab-
schließend entscheiden und unter Aufhebung des Beschlusses des Beschwer-
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degerichts den ursprünglichen Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts
wieder herstellen.
Müller Greiner
Wellner
Pauge
Stöhr
Vorinstanzen:
LG Mannheim, Entscheidung vom 22.07.2004 - 9 O 161/03 -
OLG Karlsruhe, Entscheidung vom 01.02.2005 - 15 W 44/04 -