Urteil des BGH vom 13.10.2006

BGH (abschluss des vertrages, gegen die guten sitten, erblasser, 1995, psychiatrische anstalt, vertrag, wert, vertragspartner, kaufvertrag, abschluss)

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
V ZR 169/05 Verkündet
am:
13. Oktober 2006
Langendörfer-Kunz,
Justizangestellte
als
Urkundsbeamtin
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
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Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung
vom 13. Oktober 2006 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger und die
Richter Dr. Klein, Dr. Lemke, Dr. Schmidt-Räntsch und Dr. Roth
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des
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Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom
11. Juli 2005 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung,
auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Beru-
fungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die unter Betreuung stehende Klägerin ist Witwe und Alleinerbin des im
Juni 1996 verstorbenen J. U. (Erblasser). Der Erblasser hatte von
seinen Eltern umfangreichen Grundbesitz in S. und einen Produktions-
und Handelsbetrieb geerbt. Zusammen mit der Klägerin bewohnte er das Erd-
geschoß einer Villa auf einem der ererbten Grundstücke. Die Wohnung im
Obergeschoss des Gebäudes hatte er der Beklagten und ihrem Ehemann,
R. S. , vermietet.
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Den Produktionsbetrieb hatte der Erblasser heruntergewirtschaftet und
eingestellt. Die von der unter Wahnvorstellungen leidenden Klägerin geführte
Buchhaltung und Finanzverwaltung des Handelsbetriebs waren zum Erliegen
gekommen. Seit 1992 waren keine Steuererklärungen mehr abgegeben wor-
den. 1993 gab der Erblasser auch das Handelsunternehmen auf. Offene Ver-
bindlichkeiten häuften sich. R. S. und die Beklagte kümmerten sich zu-
nehmend um den Erblasser.
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Im April/Mai 1995 musste die Klägerin eine 30-tägige Ersatzfreiheitsstra-
fe verbüßen, weil weder sie noch der Erblasser sich in der Lage sahen, eine
gegen die Klägerin verhängte Geldstrafe von 1.000 DM zu bezahlen. Für die
Zeit vom 23. Mai 1995 bis zum 16. Oktober 1995 wurde die Klägerin in eine
geschlossene psychiatrische Anstalt aufgenommen.
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Im Juni 1995 kam es zu einer Steuerprüfung des Erblassers. Hierbei
wurden Berge ungeöffneter Post vorgefunden. Im Juli 1995 nahmen der Erblas-
ser und R. S. Verhandlungen über eine Übertragung der Grundstücke
des Erblassers auf. Am 20. Juli 1995 erfasste die Architektin N. im Auf-
trag von R. S. und der Beklagten den Grundbesitz des Erblassers.
Am 28. Juli 1995 suchten der Erblasser und R. S. den Notar
Dr. B. auf und legten ihm den Entwurf eines Vertrages vor, auf Grund
dessen der Erblasser seine Grundstücke nach näherer Maßgabe R. S.
übertragen sollte. Der Notar nahm in der Folgezeit Kontakt zu den Gläubigern
des Erblassers auf, um dessen Verbindlichkeiten festzustellen. Mit von
Dr. B. beurkundetem Kaufvertrag vom 1. September 1995 verpflichtete
sich der Erblasser, seine Grundstücke gegen Ablösung bzw. Übernahme seiner
in dem Vertrag erfassten Verbindlichkeiten, die Gewährung eines Wohnrechts
an der von ihm bewohnten Wohnung und Zahlung einer Leibrente auf die Be-
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klagte zu übertragen, und ließ ihr die Grundstücke auf. Am 11. Januar 1996
wurde die Beklagte als Eigentümerin in das Grundbuch eingetragen.
Die Klägerin hat geltend gemacht, der Übertragungsvertrag sei sittenwid-
rig und nichtig. Des Weiteren habe die Beklagte ihre Verpflichtung zur Erfüllung
der Forderungen gegen den Erblasser zunächst teilweise nicht erfüllt. Sie sei
deshalb von dem Übertragungsvertrag gemäß § 326 BGB a.F. zurückgetreten.
Die Klägerin hat beantragt, die Beklagte nach näherer Maßgabe zur Rücküber-
tragung der Grundstücke und zur Beseitigung im Interesse der Beklagten einge-
tragener Grundschulden zu verurteilen. Das Landgericht hat die Klage abge-
wiesen. Die Berufung der Klägerin ist ohne Erfolg geblieben. Mit der von dem
Senat zugelassenen Revision verfolgt sie ihre Anträge weiter.
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Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht verneint die geltend gemachten Ansprüche. Es
meint, der Beweis einer Geschäftsunfähigkeit des Erblassers bei Abschluss des
Übertragungsvertrages sei nicht geführt. Der Vertrag sei weder wegen Wuchers
noch als wucherähnliches Rechtsgeschäft nichtig. Ein auffälliges Missverhältnis
zwischen dem Wert der beiderseitigen Leistungen bestehe nicht. Der Wert der
Grundstücke habe unter Berücksichtigung des für den Erblasser bestellten
Wohnrechts im Herbst 1995 1.266.000 DM betragen und damit die zu Gunsten
des Erblassers vereinbarten Verpflichtungen der Beklagten um allenfalls 37 %
überstiegen. Auch wenn davon auszugehen sei, dass die Beklagte die schwä-
chere Position des Erblassers ausgenutzt habe, sei der Übertragungsvertrag
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wirksam. Die zur Feststellung sittenwidrigen Handelns der Beklagten notwendi-
ge subjektive Seite könne das Fehlen eines auffälligen Missverhältnisses der
beiderseitigen Leistungen als objektive Voraussetzung der Nichtigkeit des Ver-
trages nicht vollständig ersetzen. Der Vertrag sei auch nicht rückabzuwickeln.
Insoweit fehle es an einer wirksamen Fristsetzung und Ablehnungsandrohung
gemäß § 326 Abs. 1 BGB a.F.
Das hält revisionsrechtlicher Nachprüfung teilweise nicht stand.
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II.
1. Die Revision wendet sich nicht gegen die Feststellung des Berufungs-
gerichts, eine Geschäftsunfähigkeit des Erblassers bei Abschluss des Vertrages
vom 1. September 1995 sei nicht bewiesen. Rechtsfehler sind insoweit auch
nicht ersichtlich.
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2. Ohne Erfolg wendet sich die Revision auch gegen die Verneinung ei-
nes wirksamen Rücktritts der Klägerin von dem Kaufvertrag.
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Voraussetzung eines Rücktritts nach § 326 Abs. 1 BGB a.F. ist der Ver-
zug des Schuldners. Daran fehlte es nach der Feststellung des Berufungsge-
richts bei Ablauf der von der Klägerin bis zum 21. März 1997 gesetzten Nach-
frist. Das ist nicht zu beanstanden.
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Die Parteien haben seit Oktober 1996 um die Wirksamkeit des Kaufver-
trags gestritten. Die Beklagte drohte mit der Erhebung einer Feststellungsklage.
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In dieser Situation ließ die Klägerin mit Schreiben ihres Bevollmächtigten vom
28. Oktober 1996 der Beklagten mitteilen:
"Die Tatsache, dass Ihre Mandanten die Leistungen aus dem Ver-
trag unter den jetzigen Umständen zurückhalten, ist sicherlich fol-
gerichtig. Selbstverständlich werde ich für den Fall, dass ich bei
dem Rückforderungsverlangen bleibe, keine Erfüllungsleistung
aus dem Vertrag von Ihrer Mandantschaft mehr fordern."
Das hat das Berufungsgericht als Zusage der Klägerin ausgelegt, von
der Beklagten die Erfüllung der in dem Kaufvertrag versprochenen Leistungen
einstweilen nicht zu verlangen. Diese Auslegung ist möglich und weist keinen
revisionsrechtlich beachtlichen Fehler auf. Die Revision meint zu Unrecht, ein
pactum de non petendo setze das Bewusstsein der Vertragspartner voraus, die
Leistung verlangen zu können, woran es bei der Klägerin gefehlt habe. Das An-
gebot, eine ausstehende Teilleistung aus einem Vertrag einstweilen nicht zu
fordern, ist gerade im Fall eines Streits über die Grundlage des geltend ge-
machten Anspruchs häufig und sinnvoll. Eines Zugangs der Erklärung, das An-
gebot der Klägerin anzunehmen, bedurfte es nicht, um einen Verzug der Be-
klagten mit der Erfüllung der entgegen der Zusage der Klägerin verlangten
Leistungen auszuschließen, § 151 Satz 1 BGB.
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3. Mit Erfolg wendet sich die Revision jedoch gegen die Verneinung der
Sittenwidrigkeit des Kaufvertrags gemäß § 138 Abs. 1 BGB durch das Beru-
fungsgericht.
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Ein gegenseitiger Vertrag kann auch dann gemäß § 138 Abs. 1 BGB
nichtig sein, wenn zwischen dem Wert der Leistungen, zu denen sich die Ver-
tragsparteien verpflichtet haben, kein auffälliges Missverhältnis besteht, der be-
günstigte Vertragspartner jedoch in subjektiv vorwerfbarer Weise die Unerfah-
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renheit oder Schwäche des Benachteiligten ausnutzt und weitere sittlich vor-
werfbare Umstände hinzutreten (vgl. BGH, Urt. v. 25. März 1966, VIII ZR
225/65, NJW 1966, 1451; Urt. v. 18. November 1982, III ZR 61/81, NJW 1983,
868, 870). So kann es sein, wenn ein deutliches Ungleichgewicht zwischen dem
Wert der beiderseitigen Verpflichtungen besteht und es zum Abschluss des
Vertrages durch die Ausnutzung eines besonderen Vertrauensverhältnisses zu
einem unerfahrenen oder hilfsbedürftigen Vertragspartner gekommen ist (vgl.
Bamberger/Roth/Wendtland, BGB, §
138 Rdn.
61; Soergel/
Siebert/Hefermehl, BGB, 13. Aufl., § 138 Rdn. 83). Verhält es sich so, verstößt
der Vertrag vom 1. September 1995 nach der Gesamtbeurteilung von Inhalt,
Zweck und der Art seines Zustandekommens gegen die guten Sitten und ist
nichtig.
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Unter diesem Gesichtspunkt hat das Berufungsgericht den Vortrag der
Klägerin nicht geprüft. Dies ist nachzuholen.
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Krüger Klein Lemke
Schmidt-Räntsch Roth
Vorinstanzen:
LG Wuppertal, Entscheidung vom 13.10.2003 - 2 O 120/98 -
OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 11.07.2005 - I-9 U 196/03 -